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Wiener Staatsoper REFLEXIONEN Oktober 2015

Karl Goldammer Staatsoper Wien

Wiener Staatsoper

REFLEXIONEN
Oktober 2015

 

 

Im Wesentlichen stand der Oktober 2015 im Zeichen der Neuinszenierung von Verdis „Macbeth“ und den Auftritten zweier Diven, einer mit einer großen Vergangenheit in ihrem eigentlichen Fach, der dramatischen Koloratur und einer, die derzeit in die großen und dramatischen Fächer aufzusteigen beabsichtigt. Edita Gruberova ist die eine, die wiederholt ihrer Karrieredauer und ihrem Alter immer noch beachtliche Leistungen abtrotzt, Anna Netrebko ist die andere, die ihre Visite diesmal im russischen Fach absolvierte. Beider Gastspiele fanden positiven bis stürmischen Beifall in den Rezensionen und beim Publikum. Wermuthstropfen fanden sich in den Berichten leider immer wieder in den Beurteilungen der jeweiligen Partner unserer Gastdiven, die deren gesanglichem Niveau kaum Paroli bieten konnten.

Aber lesen sie selbst:

Die Neuinszenierung

 

                 Giuseppe Verdi  MACBETH       

      Premiere 4.Oktober 2015

Im Morden vereint

Im Morden vereint

 

 

Einig war man sich über die Notwendigkeit, die Scharte auszuwetzen, die der brachiale Eigensinn einer Regisseurin geschlagen hatte und der letztlich zu einem wirtschaftlich enormen Schaden geführt hatte. Schließlich fand man seitens der Opernleitung die Absetzung bereits der zweiten Serie als dringend erforderlich. Da reagierte also der damalige Direktor schnell, um den Ausfall an Einnahmen zu verhindern, eine gewisse Mitschuld an dem Debakel ist ihm allerdings bei der Auswahl von Frau Nemirowa für die Regie und vor allem bei der Beurteilung der zu erwartenden Risken nicht abzusprechen. Ein Brausebad mitten auf der Bühne für den schottischen König etwa, kann in unserer Stadt nur zu einer großen „Hetz“ für das Publikum mit entsprechendem Skandal ausarten. Und schon stockte der Vorverkauf. Zurück blieb ein teurer Haufen Abfall!

“Denkt man an den verantwortungslosen Umgang mit „Macbeth“ in der vorangegangenen Inszenierung der Wiener Staatsoper zurück, so besitzt man nach dieser Premiere nun eine Aufführung, die Hand und Fuß hat, die die Geschichte erzählt und sich vorzüglich fürs Repertoire eigenen wird.“ meinte Renate Wagner und Heinrich Schramm-Schiessl schrieb dazu „Seine (Holenders) damalige Regie-Favoritin Vera Nemirowa machte sich mit ihrer Inszenierung im Grunde über das Werk lustig.“

Und Wagner weiter: „Wenn Christian Räth wieder einmal auf eine Welt moderner Diktatoren in Uniform zurückgreift, ist das zwar eine nicht gerade neue Lösung, passt aber zweifellos gerade zu dieser Geschichte“, und ein zweifelnder Schramm-Schiessl: „Man könnte mit dieser Inszenierung durchaus leben, wenn er diese nicht, dem Wahn des zeitaktuellen Theaters verfallen, das Werk ins Heute in eine nicht näher definierte Diktatur verlegt hätte, was schon derart abgedroschen ist, dass es einfach nicht mehr originell sein kann.“

„Interessant und souverän ist vor allem der Umgang mit den Hexen (Pausenkommentar: „Arbeitshexen mit Umbauverpflichtung“)“ bei Renate Wagner.

 

"Hexen mit Umbauverpflichtung"

„Arbeitshexen mit Umbauverpflichtung“

„Und so zeigt er keinerlei tiefgreifende Neudeutungen sondern eine klar erzählte Geschichte in einem hässlichen, grauen Betonbunker, dessen graue Wände sich verschieben und drehen lassen und so mit einigen Treppen und Gängen versehen, immer neue Räume, wie in einem blutigen Gefühlslabyrinth entstehen lassen.“ schreibt Helmuth Mayer.

Tatiana Serjan

Tatiana Serjan

„Dass eine Grau-in-Grau-Welt, auch wenn sie ihre Elemente intelligent stets neu formiert, nach und nach etwas öde wirkt“  musste Wagner feststellen und  „…man ist in einer geschlossenen Burg, die immer wieder an den Führerbunker gemahnt, die Natur hat hier keine Funktion, selbst der Wald von Birnam wird am Ende nur mit Strichen an die Wand gezeichnet….der tote Banquo erscheint nicht als sichtbarer Geist, sondern nur als Schatten-Silhouette an der Wand, doch das reicht“

„Der sich öffnende Vorhang gab denn auch den Blick frei auf das Innere eines Bunkers häßlich und öde“ ist auch Thomas Prochazka mit den anderen einig, und „In der Banquet-Szene forderte Macbeth die Gäste auf, Platz zu nehmen; — allein, außer zwei Thronsesseln gab es keine Sitzgelegenheiten. Dass das brindisi mit nur einem Trinkpokal auskam, überraschte da schon gar nicht mehr.“ 

Mayer  meint: „Räths gegenwartsnahe Regie ist in heutigen Uniformen und Roben viel zu wenig packend,“ und „Schlüsselszenen wie die Ermordung Banquos und dessen Erscheinungen beim Festbankett werden verschenkt. Der Wald von Birnam wird mittels mit weißer Kreide auf die Wände gezeichneter Strichbäumchen symbolisiert.“ 

Hingegen findet Wolfgang Habermann „Dabei gelingen Räth vor allem mit den Schattenspielen auch durchaus beeindruckende Szenen, beispielsweise wenn der Schatten des Titelhelden schon während Macbeth noch am Fuß der Treppe mit sich ringt, die Treppe zum Königszimmer hinaufsteigt. Auch die Erscheinung Banquos während des Bankettes ist mit Schatten wirksam gelöst.“

 

George Petean

George Petean

George Petean sang seinen ersten Macbeth und hat die Rolle in unglaublich kurzer Zeit erarbeitet. Den allergrößten Teil des Abends ist er (als Macbeth) verwirrt, geängstigt und überfordert von der Situation: vor allem ein herumirrender Schwächling, der auch stimmlich nicht wirklich auftrumpfte. Die Ausstrahlung des überlebensgroßen Bösewichts, die Milnes, Bruson oder Nucci mühelos mitbrachten, hat er nicht.“ So der Bariton bei Renate Wagner, aber „er verfügt an sich über eine schöne, gut geführte Stimme, die allerdings nicht wirklich ein spezifisches Timbre hat. Leider blieb er gestalterisch etwas blass, insbesonders in der Mordszene des zweiten Bildes“ ist Schramm-Schissl weniger kritisch.

 

 

Mayer bringt es auf den Punkt: „Darstellerisch ist er aber ein ziemlich harmloser, teils ungelenker und zu wenig böser Macbeth. Ein Macbeth mit Hauspatschen und Schlafmantel in einer Hexenszene ist nicht wirklich zum Fürchten sondern wirkt lächerlich“  

Und bei Dominik Troger liest man: „Macbeth ist doch ein Feldherr, und er müsste in der gesanglichen Ausgestaltung farbenreicher zu Werke gehen. Die Regie hat zudem die Nachgiebigkeit von Macbeth unterstrichen, seine Ängste, seine Verwirrung, und ihm nicht einmal einen heroischen Tod gegönnt.“ 

Und das Diktum von Pochazka über Petean lautet letztlich: „Und ab dem dritten Akt fand Herr Petean wieder zurück zu jener Art der Produktion einzelner Töne, welche kenntnisreiche Opernfreunde bereits an der Rechtfertigung seines Engagements als Marquis Posa zweifeln ließen. Muß man wirklich darüber diskutieren, ob „Pietà, rispetto, amore“ — nie schreibt Verdi hier mehr als mezzoforte vor — legato gesungen werden soll?“

Tatiana Serjan

Tatiana Serjan

 

 

Über Tatiana Serjan sagt Frau Wagner: „Dass die Höhen oft „verschleiert“ kamen, manches gelegentlich fast misstönend – ja, da kann man sich auf Verdi berufen. Ihre Intensität machte sie jedenfalls zum Publikumsliebling des Abends.“ Und Prochazka kompetent: „Frau Serjans Stimme entspricht den Wünschen des Komponisten wie wahrscheinlich keine andere seit Mara Zampieri: Dramatisch, attackiert sie von der ersten Phrase an und schont sich nicht. Leider trüben wiederholtes Distonieren, verpasste Einsätze und übermäßiger Portamento-Gebrauch ihre Darbietung.“ Und Mayer: Sie singt bei ihrem Hausdebüt mit beeindruckender Riesenstimme, hoher Dramatik, ungefährdeten Spitzentönen aber auch Sinnlichkeit und vielen feinen Tönen, vor allem in der Nachtwandlerszene.“  Und das Lob ergänzt noch W.Habermann: „…wie sie die zweite Strophe des Brindisi nach der ersten Banquo-Erscheinung wie leicht verunsichert sotto voce ansetzt, das hat Klasse…In der großen Nachtwandelszene weiß sie auch die Stimme fahl zu färben. Eine große Leistung !“ 

 

Furlanetto

Ferruccio Furlanetto

„Ferruccio Furlanetto in Uniform ist ein Banquo von Format, wenn seine Stimme an diesem Abend auch nicht immer gleichmäßig auf der Höhe ihrer Schönheit und Fülle war.“  So Wagner, und dazu Prochazka „Furlanetto gebührte als Banquo die Sängerkrone des Abends.“

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„Bleibt noch die undankbare „Hauptrolle“ des Macduff zu erwähnen, der in Jorge de Leon einen etwas ungeschlachten Tenor fand“ meint Troger und Prochazka weiß ähnlich negatives über den feschen Tenor zu berichten: „Mit stark tremolierender Stimme wurde er den technischen Anforderungen seiner Partie nur selten gerecht. Macduffs Romanze „O figli, o figli miei“ — großteils im piano bzw. pianissimo notiert — erklang im forte, zu feinerer Differenzierung ist diese Stimme nicht (mehr) fähig.“

Ergänzend ist bei Mayer zu lesen: „Mehr als solide erlebt man die kleinen Rollen mit Jinxu Xiahou als schönstimmigen Malcolm, Ivan Beaufils als Fleance, Jongmin Park als Spion sowie Donna Ellen als Kammerfrau.“  Und dazu zuletzt „Der Chor der Wiener Staatsoper (Einstudierung: Thomas Lang) ist nicht immer eines Sinnes, bei den Damen (speziell bei den Hexen) hin und wieder sogar inhomogen, weil einzelne Stimmen immer wieder hervorstechen.“

 

 

„Alain Altinoglu packte das Werk in dramatischen Passagen kräftig an, versäumte aber, die langsamen Teile mit der nötigen inneren Spannung zu versehen. Musikalisch hing der Abend immer wieder durch, und wenn in der Szene, wo Macbeth zum Mord schreitet und vom Mord zurückkommt, beide Herren an meiner Seite, der rechts und der links, geradezu selig schliefen, stimmt etwas nicht. Der geniale Gänsehaut-Charakter der Musik vermittelte sich bestenfalls stellenweise.“ Schreibt ohne Gänsehaut Renate Wagner.

„Neben zu lauten und knalligen Aktschlüssen gab es lange Passagen, in denen das Orchester mehr in düsterer Stimmungsmalerei verharrte.“ So Troger und weiter bei Prochazka

„Des Öfteren vermisste man die federnd leichte, geschmeidige Führung und die Schroffheit, welche die Interpretationen eines Claudio Abbado, Riccardo Muti (Salzburg 2011!) oder Giuseppe Sinopoli auszeichneten.“  Ja früher.

Renate Wagner freut sich schon „…wenn eines Tages (hoffentlich) Anna Netrebko und andere ganz große Kaliber hier durchmarschieren und dem intelligenten Grau der Szenerie durch den Glanz ihrer Stimmen große Opernfarbe geben.“ …und dazu können wir nur alle zustimmen.

Und das Resümee von Dominik Troger : „Für den künstlerischen Anspruch der Wiener Staatsoper ist eine gute, unspektakuläre Repertoireaufführung als Premiere schon ein bisschen „minimalistisch“ konzipiert.“ 

Peter Skorepa

Ein Link zumTrailer von MACBETH aus der Wiener Staatsoper

Und hier die Links zu den ausgewählten Rezensionen dieser Premiere im MERKEROnline von:

Renate Wagner
Schramm-Schiessl
Thomas Prochazka
Helmuth Mayer
Wolfgang Habermann
Dominik Troger

 

Gaetano Donizetti   ANNA BOLENA

Die GRUBEROVA

Die GRUBEROVA inmitten ihres Gefolges

 Gaetano Donizetti: »ANNA BOLENA«

  1. – 23. Oktober 2015
  2. – 18. Aufführung in dieser Inszenierung

Nach einem Staatsoperngastspiel in Japan präsentierte sich Edita Gruberova nun auch den Wiener Opernfreunden als Anna Bolena. »Ein Jahrhundert-Ereignis und vielleicht sogar der Bühnenabschied im Haus am Ring«, bejubelte Peter Dusek die Leistung der Primadonna in der letzten Vorstellung dieser Serie mit einer Träne im Knopfloch.

Gritskova

Margarita Gritskova

»Bemerkenswert, wie diese Sängerin, die vor 45 Jahren im Haus am Ring […] debütierte, nun an der Schwelle zum achten Lebensjahrzehnt stehend, diese erforderliche Palette an Farben und Schattierungen in ihren Gesang legen kann und dabei vereinzelt schon auftretende Manierismen im Anpeilen von Tönen vergessen läßt«, wahrte hingegen Peter Skorepa in seinem Bericht vom 14. Oktober die Courtoisie. Wolfgang Habermann wurde deutlicher: »Die Sängerin polarisiert ihr Publikum: Während der eine Teil so viele Glückshormone produziert, dass er den Einsatz für den Applaus nach der großen Arie ›Al dolce guidami‹ verpasst, leidet oder lacht je nach Gemütsverfassung der andere Teil. Eine zahlenmäßige Abschätzung der Größe traue ich mich nicht zu geben.«

 

Den Vogel schoß jedoch Katharina Wappler ab, als sie in der »Wiener Zeitung« schrieb: »Das Verblassen der Sangeskünste der Koloratursopranistin aus Bratislava ist unüberhörbar. Beim Zuhörer kommt das Zittern mit jedem Auftritt der Protagonistin und vermehrt sich, je höher ihre Töne sind. Ihre Koloraturen wirken angestrengt, im Piano ist wenig an Substanz da. Ihre Stimme trägt sie nicht mehr durchgehend […].« — So, meine verehrten Damen und Herren, liebes Publikum, erschreibt man sich als Kulturjournalistin in Wien Bekanntheit.

Sonia GANASSI

Sonia Ganassi

»Ein Glücksfall […] die junge Russin Margarita Gritskova als Smeton. Ein wunderschönes Timbre, ein erfrischendes Spiel — hier wächst ein Super-Talent heran«, las man’s bei Peter Dusek, während Peter Skorepa mit unnachahmlicher Liebenswürdigkeit mit seiner Einschätzung der restlichen Besetzung nicht hinter dem Berg hielt: »Neben ihr, der wohl Ältesten unter den Protagonisten, konnte nur die Jüngste in der Runde, Margarita Gritskova, als Smeton mit ihrem jugendlichen und lebendig eingesetzten Sopran noch gefallen. Auch kommt die spielerische Leichtigkeit dieser Figur der schlanken und gut aussehenden Sängerin entgegen.«

»Sonia Ganassi war eine Seymour mit profunder Tiefe und gelegentlichen kleinen Problemen in der Höhe«, urteilte hingegen Wolfgang Habermann, und auch Karl Gaulhofer in der Tageszeitung »Die Presse« fand: »Dass auch der zweite Kulminationspunkt der Donizetti-Oper, das Duett mit der Rivalin Seymour, zum großen Moment geriet, ist Sonia Ganassi zu verdanken. Mit ihrem variantenreichen Mezzo durchschritt sie souverän alle Höhen und Tiefen der Gefühle und Tonlagen.«

Bei Celso Albelo, dem Sänger der Tenorpartie, schieden sich die Geister, doch hatten die Herren unterschiedliche Vorstellungen besucht. »Celso Albelos lyrischem Tenor liegt zartes Schmachten weit mehr als Schmettern in lichten Höhen, weshalb man ihm den Percy eher abnimmt als zuletzt den Herzog im Rigoletto«, berichtete Karl Gaulhofer von der ersten Vorstellung, während Wolfgang Habermann nach dem 14. Oktober befand: »Auch bei Celso Albelo wäre wohl eine Ansage notwendig gewesen. Im ersten Akt kämpfte er wacker gegen die Frösche bei den Cs. In der Pause schien er sich aber erholt zu haben und hatte weder in der Arie noch in der Cabaletta diese Probleme.«

Gruberova Gritskova

Edita Gruberova und ihr „Anbeter“ Margarita Gritskova

»Eine echte Enttäuschung« war für Karl Gaulhofer »der böse König des Abends: Marco Vincos Bass tönte stumpf und viel zu leise. […] Die Buhrufe am Schluss waren leider verdient.« Offenbar Anzeichen einer sich ankündigenden Indisposition, denn »zu Beginn ließ sich Marco Vinco wegen einer Verkühlung entschuldigen«, schrieb Wolfgang Habermann über die darauffolgende Vorstellung, »aber er brachte den Abend, auf Sparflamme singend, unfallfrei über die Runden.«

»Es wird immer gesagt, dass das Orchester den Belcanto-Opern gegenüber wenig Begeisterung hegt«, reflektierte Wolfgang Habermann seine anläßlich der September-Aufführungen von La Cenerentola getane Aussage. »Wenn aber Evelino Pidò am Pult steht, so kann man dieses Gerücht nicht bestätigen. Hier klingt es aus dem Graben auf einmal differenziert und spielfreudig, wie es auch diesen Werken ansteht.«

Thomas Prochazka

 

Ballett: »Herzog Blaubarts Burg«, »Fool’s Paradise«, »The Four Seasons«

The Four Seasons

The Four Seasons

 

Ballett: »Herzog Blaubarts Burg«, »Fool’s Paradise«, »The Four Seasons«

Premièren-Serie 29.Oktober bis 10. November 2015
Choreografien von Stephan Thoss, Christopher Wheeldon und Jerome Robbins

»Blaubarts Geheimnis als Hors d’oeuvre könnte auch ein Endspiel sein. Ist es aber nicht«, eröffnete Meinhard Rüdenauer seine Rezension über ein ›Delikates Menü in drei Gängen‹, welches die jüngst Ballett-Première im Haus am Ring für ihn war: »[…] Thoss hat sein Geheimnis schon sehr, sehr dicht gearbeitet, und mit seiner auf virtuose Tanzgymnastik und ständigen Bewegungsfluss ausgerichteten Phantasie erlaubt er den Tänzern, immer wieder mit hunderterlei verblüffenden Positionen eindringliche Wirkungen zu erzielen.«

Ulrike Klein besuchte die zweite Vorstellung am 31. Oktober: »Inmitten von Dunkelheit tanzt als wärmendes Licht Alice Firenze die liebende Frau Judith, die unermüdlich bemüht ist, ihren Mann Kirill KourlaevBlaubart, aus den spinnengleichen Fängen seiner Mutter Rebecca Horner und den Leichen/Schatten der Vergangenheit zu befreien, und auch dessen Alter Ego Andrey Kaydanovsky, zu bekämpfen.«

»Kirill Kourlaev — a dancer that understands what dramaturgy is all about, possesses a very unique presence on stage. He dominates this difficult character in all its small details even if, in his own words, he is sometimes scared of it«, berichtete Ricardo Leitner über die männliche Hauptpartie aus der Première, vergaß aber auch der kleineren Rollen nicht: »Rebecca Horner, a dancer with a strong tendency to one-dimensional characterizations, compensated this lack with aggressiveness interpretating the character, just to overact it. […] Her Bluebeard’s Mother was too threatening, too much.«

Avraam Peci

Ioanna Avraam und Eno Peci

Über Fool’s Paradise, die erste Hauptspeise‹, schrieb Meinhard Rüdenauer: »Christopher Wheeldon bietet hier fein sublimierenden erotischen Tanz zum Genießen. Trotz verführerischer Bodysuits kein Frischfleisch: Die Duftigkeit dieser Körperschau scheint zu einem Trip in eine ätherische nächtliche Traumwelt verleiten zu wollen.«

Ricardo Leitner empfand den Mittelteil als »the surprise of the evening even if Joby Thalbot’s music tend to portray a very strong pathos. […] The choreography is so well idealized that it is nearly impossible to concentrate on single performances instead of on the group. Simply pure harmony.«

»Die Choreographie wirkt, als spielten Kinder: frei von Zwang, die pure Lust am Leben, an der Liebe und am Zusammenspiel«, urteilte Ulrike Klein. Und weiter: »Ioanna Avraam und Eno PeciKiyoka Hashimoto und Davide DatoGala JovanovicGreig Matthews und Richard Szabo sowie Olga Esina mit Roman Lazik sind die Bewohner dieses Paradieses. Mit dem ersten Betreten der Bühne wird sofort spürbar, wer hier die Königin im Reich ist: Olga Esina tanzt derzeit auf dem Zenith ihrer Karriere.«

In Ricardo Leitners Worten las sich das so: »Olga Esina’s precise performance [is] in full-command of her technique. Since quite a long time this strong dancer, that was once ironically called ›The Grace Kelly of Dance‹ (because people thought that she was cold and aloof) has been gaining ›a new aura‹.«

»The Four Seasons folgen nun als zuckriges Dessert — oder doch als zweite wohlschmeckende Hauptspeise? […] Ist dieses spritzige Divertissement nun eine Parodie auf das typisch zaristische Ballett oder bloß nur ein alter Hut? Beides wohl, dabei doch mit sehr, sehr viel feinem Humor, beschwingter Komödiantik und sicherer Musikalität gestaltet.«, lautete Reinhard Rüdenauers Befund.

»Robbin’s choreography is demanding. But definitely not one of his best«, befand Ricardo Leitner und sparte auch nicht mit kritischen Anmerkungen, etwa zu Mihail Sosnovschi and Maria Yakovleva, dem Ersten Paar im Frühling: »Mr. Sosnovschi, even if professional as always, danced through it this time quite emotionless, as if he was bored […]. Miss Yakovleva proved once more that she is a clever dancer. […] Even though very technically limited, she can hide these flaws and give a good impression because of her looks, ›mignon‹ physique and lively way. Viennese Audiences, still in need of learning much about Ballet, usually welcome her performances overseeing what should not be overseen.«

»Man freut sich geradezu auf den Herbst«, schrieb Ulrike Klein über Jerome Robbins Choreographie zur Ballettmusik Die vier Jahreszeiten aus Giuseppe Verdis Oper I Vespri Siciliani: »Hier gesellt sich zum Paar Liudmila Konovalova und Denys Cherevychko noch als erdiges Element der Faun, Davide Dato. Das tänzerische Feuerwerk, das diese drei Tänzer entzünden, überträgt sich auf die Zuschauer. Die Freude, dabei sein zu dürfen, ist nicht zu überhören.«

»Die ganze Kompanie versteht es in diesem dreiteiligen Tanzmenü, aufmerksam geführt von Dirigent Alexander Ingram, voll auftzurumpfen. Sehr gute Stücke, sehr gut getanzt«, lautete Meinhard Rüdenauers Resumée der Premiere.

Cherevychko  Konovalova

Denys Cherevychko und Liudmila Konovalova

In der Rezension der Vorstellung vom 3. November 2015 mit der Alternativbesetzung fand Reinhard Rüdenauer Zeit für ein paar grundsätzliche Gedanken: »Um allen Tänzern des Abends gerecht zu werden: Gewiss ist es weniger angenehm bestimmte Namen hervorzuheben. Alle Künstler, vor allem diese hier im beinharten Probenalltag gestählten Jungen, wollen auch Lob bekommen. Sie erbringen voll ihre geforderten Leistungen. Und wenn sich eine Ballerina benachteiligt fühlen mag: Dies ist allzu verständlich. Unterschwelliger Konkurrenz ist im Ballettsaal, bei aller Freundschaft, nicht zu entgehen. Doch der Topf ist groß; auch reich an Begabungen, die sich bei den Herausforderungen des wenig barmherzigen Betriebes nicht voll entwickeln oder durchsetzen können. Gerecht kann dem weder der Direktor noch der Connaisseur werden.« — Letzteres sollte man sich als Opern- und Ballettfreund immer wieder einmal bewusst machen.

Thomas Prochazka

 

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