Wiener Staatsoper: 14.10.2015: „ANNA BOLENA“ – Nach der Tochter die Mutter
Edita Gruberova. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Als Elisabeth stand Edita Gruberova bereits 30 mal auf der Bühne der Staatsoper. In dieser Serie hat sie nun erstmals in Wien deren Mutter Anna Bolena gesungen. Das mag auf den ersten Blick ein natürlicher Wechsel sein, allerdings wurde die Mutter nicht einmal halb so alt wie die Tochter. Früher ein Grund, dass die Vorstellungen bereits Monate im Voraus ausverkauft waren, sind diesmal eine halbe Stunde vor Beginn noch Karten an der Abendkasse verfügbar. Die Sängerin polarisiert ihr Publikum: Während der eine Teil so viele Glückshormone produziert, dass er den Einsatz für den Applaus nach der großen Arie „Al dolce guidami“ verpasst, leidet oder lacht je nach Gemütsverfassung der andere Teil. Eine zahlenmäßige Abschätzung der Größe traue ich mich nicht zu geben. Man weiß ja von Wahlprognosen, wie falsch man da liegen kann.
Zu Beginn ließ sich Marco Vinco wegen einer Verkühlung entschuldigen, aber er brachte den Abend auf Sparflamme singend, unfallfrei über die Runden. Auch bei Celso Albelo wäre wohl eine Ansage notwendig gewesen. Im ersten Akt kämpfte er wacker gegen die Frösche bei den C’s. In der Pause schien er sich aber erholt zu haben und hatte weder in der Arie noch in der Cabaletta diese Probleme. Sonia Ganassi war eine Seymour mit profunder Tiefe und gelegentlichen kleinen Problemen in der Höhe, während Margarita Gritskova ihren Alt als unglücklicher Smeton perfekt einsetzte. Carlos Osuna bewies, dass man den Hervey auch mit einer lyrischen Stimme singen kann und es keines Charaktertenors bedarf. Ryan Speedo Green setzte auf Volumen und versucgte, mit breit ausschwingendem Bass der Partie des Rochefort Herr zu werden.
Es wird immer gesagt, dass das Orchester den Belcanto-Opern gegenüber wenig Begeisterung hegt. Wenn aber Evelino Pidò am Pult steht, so kann man dieses Gerücht nicht bestätigen. Hier klingt es aus dem Graben auf einmal differenziert und spielfreudig wie es auch diesen Werken ansteht.
Wolfgang Habermann