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WIEN/ Staatsoper; MATINEE ZUM 50-JÄHRIGEN STAATSOPERNJUBILÄUM VON M. FRENI

MATINEE ZUM 50-JÄHRIGEN STAATSOPERNJUBILÄUM VON M. FRENI – 10.11.2013

(Heinrich Schramm-Schiessl)

 Unbenannt
Domingo, Freni, Ludwig. Foto: Margit Hegenbart

Über die (kultur)politischen Ereignisse rund um die Premiere von „La Boheme“ im November 1963 hat der Online-Merker vorige Woche ausführlich berichtet. Diese Vorstellung hat aber auch aus einem anderen Grund eine wesentliche Bedeutung in der Gesschichte der Wr. Staatsoper. Es war das Debut von Mirella Freni in der Rolle der Mimi und Wien hatte mit einem Schlag einen neuen Publikumsliebling. Es dauerte nicht lange und ihr wurde der inoffizielle Wiener Adelstitel verliehen, sie war „die Freni“ bzw. „die Mirella“. Eine höhere Ehrung des Wr. Publikums gibt es nicht.

Leider lief ihre Wiener Karriere mit einer großen Unterbrechung ab. Sie gehörte zu den vielen international rennomierten Sängerinnen und Sängern die nach dem Weggang Herbert von Karajans Wien den Rücken kehrten. Mit Ausnahme von zwei „Boheme“-Vorstellungen im Novemer 1969 (wieder mit Gianni Raimondi als Rodolfo) blieb sie 13 Jahre Wien fern. Erst mit der Wiederkehr Karajans im Jahr 1977  trat auch sie wieder in Wien auf – wieder als Mimi, nunmehr mit José Carreras als Rodolfo und nach der letzten „Bohene“ im Jahr 1977 geschah dann etwas, was es vorher und nachher in Wien nie gab: Nach ca. halbstündigen Ovationen für die Sänger – Karajan war wie üblich nach einem Solo- und zwei Ensemblevorhängen längst weg – ging der Eiserne Vorhang herunter. Das Publikum dachte aber nicht daran, das Haus zu verlassen und so wurde der „Eiserne“ nocheinmal hochgezogen, was allen theaterpolzeilichen Vorschriften widersprach.

Nach ihrer Wiederkehr 1977 blieb sie jeoch ein zwar leider viel zu seltener aber doch regelmäßiger Gast in Wien, bis nach drei „Fedora“-Vorstellungen im Juni 1995 endgültig Schluß war. Insgesamt trat sie an 95 Abenden in 11 Partien auf. An 33 dieser Abende war sie die Mimi, eine Rolle mit der man sie bis heute weltweit identifziert. Wenn ich mich nicht verrechnet habe, so hatte sie drei Generationen von Rodolfos an ihrer Seite.

Die Staatsoperndirektion nahm dieses Jubiläum nun zum Anlaß, ihr eine Matinee zu widmen. Sie wurde mit Standing Ovations empfangen und das Wiener Publikum bewies einmal mehr, daß, wenn es einen Künstler einmal in sein Herz geschlossen hat, ihn nie mehr herauslässt. ORF-Moderatorin Barabara Rett führte in der ihr eigenen Art durch den Vormittag, wobei sie gegenüber anderen Sängerinterviews diesmal wohltuend schaumgebremst wirkte. Am Beginn kam man kurz auf die Ereignisse rund um die Boheme-Premiere zu sprechen, wobei es einige historische Ungenauigkeiten gab. In weiterer Folge versuchte Frau Fereni zu erklären, wie es ihr gelang,  eine so lange Karriere bei gleichbleibender Qualität durchzuhalten, wobei sie betonte, daß es manchmal wichtig war, auch „nein“ zu sagen. Dies tat sie auch gegenüber Herbert von Karajan, der ein ganz wichtiger Mensch im Laufe ihrer Karriere war, der, wie sie erzählte, mit ihr unbedingt „Madama Butterfly“ auf der Bühne machen wollte. Nach zwei Jahren des vergeblichen Bittens hatte man sich dann auf einen Film geeinigt. Im Zusammemhang mit diesem Film waren dann auch die beiden Überraschungsgäste Christa Ludwig und Placido Domingo, der auch ihr häufigster Tenorpartner war. Der wirklich emotionale Höhepunkt war allerdings einer Videoeinspielung von Nikolai Ghiaurov – ihr Ehemann von 1978 bis zu seinem Tod 2004 –  als Philipp. Da ich davon ausgehe, daß der Ablauf mit ihr abgesprochen war, dürfte sie hier ihre Selbstbeherschung etwas überschätzt haben.

Nicht zur Sprache kam leider das aprupte Ende ihrer Wien-Tätigkeit nach der letzten Fedora, obwohl ihre Karriere dann noch fast 10 Jahre dauern sollte. Aber wahrscheinlich hat sie irgendwas gesagt oder getan, was Herrn Holender nicht gepasst hatte, denn der eitle Herr konnte in solchen Dingen bekanntlich sehr nachtragend sein.

 Umrahmt wurde die Matinee neben Videoausschnitten von La Boheme, Otello, Madama Butterfly und Carmen von zwei Darbietungen einer ihrer Schülerinnen, der heute schon einigermaßen bekannten Maja Kowalewska (Szene Mimi-Marcel mit Alessio Arduini und dem Tod der Liu – beides begleitet vom Parsifal-Retter der Vorsaison James Pearson).

 Am Ende stellte sich noch der Direktor des Hauses mit einem Blumenstrauß und als Überraschungsgeschenk dem Originalmuff der Boheme-Premiere ein.

 Ein sehr berührender Vormittag ging damit mit viel Jubel für die Jubilarin zu Ende.

Vor 50 Jahren, am 3.November 1963 Der BOHÈME – Skandal in der Staatsoper

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Zeitungsüberschrift am 4.November 1963 (Die Presse)

 

Der Judaskuss

Wiener Staatsoper, 3.November 1963, 18:57 Uhr

“Ich habe Romano mitgebracht. Er wartet draußen.” So Karajan knapp. Hilbert streckte sich unwillkürlich. ”Ich nehme ihn bei der Hand und führe ihn auf seinen Platz im Souffleurkasten.” Karajan nickte: ”Gehen wir.”

Hilbert folgte ihm. Draußen stand der Italiener.”Vieni, Signore”, sagte der Direktor, nicht ganz korrekt aber immerhin verständlich. Er nahm den Souffleur tatsächlich bei der Hand und wanderte mit ihm den Korridor entlang. Rasch sah er an seinem Rock hinunter. Das KZ-Häftlingsabzeichen – hatte er es angesteckt? Ja, es war da. Plötzlich wurde ihm klar, dass heute kaum noch jemand wußte, was es bedeudete. Was er nicht wußte  und auch nicht wissen konnte, war, dass in der gleichen Sekunde ein alter Logenschließer vor einem Ankömmling im Foyer einen tiefen Bückling machte und mit kläglicher Stimme warnte: ”Gehn S´ noch net hinein, Herr Bundespräsident, bitt schön, mir wissen ja no garnet, ob mir spielen.”

Hilbert blickte auf. Von der Hinterbühne her näherte sich der Inspizient. Der Direktor wandte sich an ihn, indem er auf Romano zeigte: Er möge dafür sorgen, dass der Mann seinen Platz im Kasten einnehme. Der Inspizient zögerte, zuckte die Achseln und deudete etwas vage auf die beiden Personalvertreter. Einer der beiden, dem es anscheinend auch nicht leicht fiel, gab sich sichtlich einen Ruck und stellte sich vor Hilbert: “Herr Direktor, wir haben sie gewarnt. Wenn dieser Mann seinen Platz im Kasten einnimmt, geht der Vorhang nicht auf.”

Hilbert war bis in die Lippen blass geworden. Jetzt versuchte er es mit einem Appell an das künstlerische Gewissen seiner Opponenten. Beschwörend begann er: “Aber meine Herren…” Es war sinnlos, und er wußte es…

Das Publikum wurde unruhig, das Gemurmel wurde lauter und lauter, einige begannen schüchtern zu klatschen. Andere riefen”anfangen”! Der Inspizient wiederholte ein paarmal: “Herr Direktor, bitte, wir können die Leut´ nicht länger warten lassen, ohne dass etwas geschieht,”

19:07 Uhr: Plötzlich war Karajan auf der Bühne. “Dann geben sie die Fußrampe hinein und zwei Scheinwerfer auf den Vorhang. Direktor Hilbert und ich werden hinausgehen und die Vorstellung absagen.” Draußen flammten die Lichter der Fußrampe auf, als das Publikum zwei Herren in Abendkleidung, den einen in Frack, den anderen im Smoking (Hilbert besaß keinen Frack) herauskommen sah. Es brauchte einige Zeit, bis es begriffen hatte, dass der eine Karajan war, dass der andere der Operndirektor Hilbert war.

Karajan, konzentriert und eiskalt, benutzte dieses Intervall, um seinen Direktor zu fragen: “Wollen sie sprechen?” Hilbert überraschte seinen Partner damit, dass er bejahte. Die zweite Überraschung folgte der ersten, als er jetzt in die Brusttasche seines Smokings griff und ein Papier, mit Schreibmaschine beschrieben, hervorzog und daraus vorzulesen begann. Nach den ersten zwei oder drei Sätzen ist es klar, dass die Vorstellung nicht stattfinden wird.”

Diese Streiflichter von der verhinderten Boheme-Premiere 1963, von Carl Merz für seinen Roman “Der Opernnarr” recherchiert und hier leicht gekürzt wiedergegeben, sind noch mit jener Pointe zu schließen, in welcher damals vor dem Vorhang der Staatsoper die Ereignisse tragikkomisch gipfelten: “In einer Regung”, so schreibt Carl Merz, “von der er nachher nie wird sagen können, wer sie ihm eingegeben hat, zieht Hilbert den Maestro an sich und drückt ihm einen Kuss auf die Wange, wie um dieses Bündnis für ewig zu besiegeln.” Ohne Zweifel, wenn man von dem nachfolgenden Umgang, den diese beiden Herren miteinander pflogen, zu berichten hat, dann war das ein Judaskuss.

 Vorgeschichte: “Die unheimliche Ehe” 

Herbert von Karajan umwarb Egon Hilbert. Da schien die Wiener Opernwelt wieder heil. Dahinter ein mächtiger Gegner des Maestros: Manfred Mautner Markof

1963: Herbert von Karajan umwarb Egon Hilbert. Da schien die Wiener Opernwelt wieder heil. Dahinter (halb verdeckt) ein mächtiger Gegner des Maestros: Manfred Mautner Markof

Nie hat das Schicksal zwei entgegengesetztere Charaktere zur Führung eines Opernhauses zusammengeführt, als 1963 die Herren Herbert von Karajan und Dr.Egon Hilbert. Und unterschiedlicher hätten wichtige Lebensabschnitte der beiden Skandalprotagonisten nicht sein können. Der eine, der zukünftige Stardirigent, brachte die ersten Karrierejahre vor und während des zweiten Weltkriegs erfolgreich hinter sich, gehätschelt und protektioniert durch den Berliner Politdschungel, abgesichert durch einen – wie er später erklärte – angeblich gedankenlosen Eintritt in die alles beherrschende Partei. Letztlich konnte man trotz seiner bekannt deutsch-nationalen Einstellung aus jenem, sogar zweifach vollzogenen formellen Eintritt in die NSDAP nicht mehr herauslesen, als eine Sorge um die eigene Karriere, auch Opportunismus genannt. Der andere, der musische Verwaltungsjurist, wurde allerdings sofort nach dem sogenannten Anschluss an das Deutsche Reich zusammen mit der Politprominenz der untergegangenen Republik in das KZ Dachau verschickt und blieb dort bis zu seiner Befreiung durch die Amerikaner inhaftiert. Dem einen, Karajan, gelang trotz anfänglichem Berufsverbots durch die Allierten nach dem Krieg die wohl glänzendste Karriere eines Musikers, die ihn bis an die Spitze nicht nur der prominentesten europäischen Orchester brachte, sondern auch auf den heimlichen Österreichischen Herrscherthron, den der Wiener Staatsoper. Der andere, Hilbert, sicherte sich dank der in den gemeinsamen KZ-Jahren mit vielen der späteren Politiker der jungen zweiten Republik geschlossenen Freundschaften einen ebenfalls einflußreichen Bereich, er wurde Chef der Bundestheaterverwaltung. Nur seine, als intrigant beschriebene Umtriebigkeit hatte er es zu danken, dass er später, im Konflikt mit seinen Ministern ins Römische “Exil” als dortiger Kulturattaché abgeschoben und erst nach einem halben Jahrzehnt wieder zurückgeholt wurde, um als Intendant der Wiener Festwochen inthronisiert zu werden. Immerhin hat er den verbleibenden Verdienst erworben, entscheidend zur Rettung des Theaters an der Wien als Opernbühne beigetragen zu haben.

Hilbert endlose Tiraden nervten Karajan, trotz dem noch ein gemeinsamer Kampf

Hilbert endlose Tiraden nervten Karajan, trotzdem noch ein gemeinsamer Kampf

Entnervt durch den Kampf gegen die traditionelle Bevormundung der Staatsoper seitens der Bundestheaterverwaltung kam es mit dieser 1962 zum offenen Konflikt, nachdem sie eine Lohnauseinandersetzung mit dem technischen Personal bezüglich Abgeltung der Überstunden im Alleingang ohne dem gerade abwesenden Chef des Hauses löste. Der bevorstehende Opernball war damit gerettet, aber Karajan schmollte, trat zurück, wurde  wieder dank der Reaktion des Publikums und der Presse zur Rückkehr bewegt und der Konflikt wurde mit der Gewährung einer Minimalautonomie innerhalb des Budgetrahmens und dem Einsatz eines Co-Direktors in Person Walter Erich Schäfers gelöst. Als dieser aus gesundheitlichen Gründen – was ja nicht verwundert – wieder in seine schwäbische Heimat zurückkehrte wurde die Vernunftehe Karajan-Hilbert geschmiedet, unverständlich für all jene, welche die Folgen der Unvereinbarkeit introvertierter Lebensführung mit extrovertierter Rastlosigkeit ahnen konnten. Und damit sind die Kontrahenten beim Boheme-Skandal angekommen.

 

Zeffirellis “Boheme” und der Maestro Suggeritore

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Gianni Raimondi und Mirella Freni, später auch in der Verfilmung zu sehen.

Die ungemein erfolgreiche Produktion der “Boheme”, die 1962 an der Scala unter der Regie von Franco Zeffirelli herauskam, war auch für eine Replik an der Staatsoper vorgesehen. Schon im Vorfeld kam es zu einem Konflikt mit der Mailänder Scala, als sich Karajan weigerte, den schon unterschriebenen Vertrag mit Giuseppe di Stefano zu erfüllen. Die Scala fügte sich dem Maestro, dem alternden Tenor sprach später ein Gericht die entgangene Gage zu und Gianni Raimondi stieg mit seinem “in tono” gesungenen hohen C als neuer Stern am Tenorhimmel auf. Doch jetzt tat sich in Wien ein weiteres Hindernis auf, welches sich eher als speziell ortsgebunden und betriebspolitisch darstellte, eine Retourkutsche für den Beamten- und Gewerkschaftsapparat der Staatsoper, ein sich aufschaukelndes Problem: Karajan engagierte für die Neuinszenierung erstmals einen sogenannten Maestro Suggeritore, einen weitaus intensiveren Mittler zwischen dem Dirigenten und den Sängerinnen und Sängern, wie er bis dato in unseren Breiten kaum bekannt war. Der Streit, ob dieser Sub-Maestro zum künstlerischen Personal zählt oder nicht – nur im ersteren Fall hätte die Direktion die freie Entscheidung über dessen Engagement gehabt – eskalierte bis zur Absage jener, zur fragwürdigen Berühmtheit gelangten Premiere am 3. November 1963. Dass einerseits hinter dem Verhalten von Teilen der Gewerkschaft die jahrelang aufgestaute Antipathie gegen das System Karajan stand, ja sogar eine unbewußte und unterschwellige Abneigung der Bürokratie gegen Künstlertum per se zum Ausdruck kam, führte zu diesem finalen Konflikt. Befremdlich ist aber auch die Haltung Karajans in Sachen des damals so umstrittenen Spezialisten, weil die bisherigen Aufführungen gerade dieser Puccini-Oper in Wien schon mehr als drei Jahre lang und mehr als fünfzig Mal in italienischer Sprache mit allen nur erdenklichen italienischen Gesangsstars und mit einem einheimischen Souffleur stattfanden. Die Haltung des künstlerischen Leiters war also mindestens so kontraproduktiv wie die seiner Gegner, was letztlich drei Tage nach der Absage die Vorstellung eines “Trovatore” und eine Woche nach dem Skandal die nachgetragene Premiere der “Boheme” bewiesen, die kamen sämtlich ohne irgendeine Hilfe aus dem “Kasten” aus und führten trotzdem zu einem Riesenerfolg!

Das Ende einer Ära

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Karajan, sichtlich vom Redeschwall seines Direktors genervt

Die “Ehe” Karajan-Hibert war von Anfang überschattet von den unterschiedlichen Ansichten und Auffassungen über die Führung des Hauses, am belanglosesten wohl noch in der Frage, ob Hilbert sich, wie er wollte, Staatsoperndirektor nennen dürfe oder aber ein Direktor der Wiener Staatsoper zu sein hätte, wie Karajan es meinte. Die Konflikte reichten vom Wunsch Hilberts, in Besetzungsfragen mitzureden, über die Rückkehr zum Ensembletheater alten Zuschnitts (gemäß Karajan ein Synonym für Gasbeleuchtung), zuletzt mit einem direkten Affront für Karajan, die Wiederaufnahme von dessen “Tannhäuser” just zu einem Termin anzusetzen, an welchem ein Konzert mit den “Berlinern” unter der Leitung Karajans im Musikverein stattfinden sollte. Nun halfen keine Vermittlungsversuche mehr, Karajan befreite sich von der Last und demissionierte endgültig, nicht ohne seiner Verpflichtung noch nachgekommen zu sein, eine wunderbare “Frau ohne Schatten” zu hinterlassen. Dass die Wiener Oper kein Pferd mehr wäre, sondern ein Ackergaul, das interpretierte der “Spiegel” aus einem Interview mit Karajan. Seine nächste und noch glänzendere Karriere begann. Und noch im Monat der Demission – in einer Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 2.Juni 1964 – wurde Karajan in der Frage der Beschäftigung eines Maestro Suggeritore uneingeschränkt recht gegeben.

Fast symbolisch für das Ende: Karajan scheint den Sessel zu räumen, Hilbert als letzter zu lachen, war aber letztlich der Verlierer.

Fast symbolisch für das Ende: Karajan scheint den Sessel zu räumen, Hilbert als letzter zu lachen, er war aber letztlich der Verlierer.

 

Das Ende eines Staatsoperndirektors

Unter den denkbar schlechtesten Umständen blieb Egon Hilbert zurück, der sich jetzt Staatsoperndirektor nennen durfte und damit als Alleinherrscher am Ring endlich sein Lebensziel erreicht hatte. Er hatte sich in seinem Kooperationsvertrag mit Karajan die Bestimmung einer Auflösung der Direktionsehe bei Ausscheiden eines Partners als gefinkelter Jurist für sich zu einer Kann-Bestimmung abschwächen lassen. So konnte er trotz Ausscheidens Karajans aus der Doppeldirektion im Amt bleiben. Aber er hatte das Publikum und auch den größten Teil der Presse gegen sich. Das Startheater wurde teuer erkauft, aber immerhin gewann er Otto Schenk als Oberregisseur und ließ Wieland Wagner inszenieren, er brachte wieder u.a. Sänger wie Nicolai Ghiaurov, Jess Thomas oder Jeanette Pilou, auch wenn diese unter dem Bann Karajans standen, besorgte dem Publikum mit Leonard Bernstein einen neuen Liebling und stockte das Staatsopernorchester auf. “All das half nichts. Die Mißerfolge schrieb man Hilbert zu, die Erfolge der unzerstörbaren Lebenskraft des Kolosses Wiener Staatsoper” so meinte Marcel Prawy. Die Lösung seiner privaten Probleme mit seinen beiden Ehen, jeweils mit einer anderen Frau geschlossen, die eine kirchlich, die andere standesamtlich, wurde in der Presse genüßlich breitgetreten. Das trug nicht unwesentlich zu seinem körperlichen Verfall bei, er konnte zum Rücktritt überredet werden, unterzeichnete die Urkunde und starb kurz darauf in seinem Dienstwagen.

 Die Rede vor dem Vorhang

Der Absage der Premiere am 3. November 1963 ging diese kurze Rede Hilberts voran, die er angeblich in mehreren Varianten schon vorbereitet hatte, ganz als „gelernter Österreicher“ wie er später bekannte. Sie lautete im Wortlaut:

„Die Direktion dieses Hauses, also der Künstlerische Leiter und ich als Direktor, müssen ihnen mitteilen, dass die heutige Premiere leider nicht stattfinden kann, weil das Personal eben in den Streik getreten ist. Die Öffentlichkeit wurde durch die Nachricht alarmiert, dass der Künstlerische Betriebsrat des Hauses die Tätigkeit eines italienischen Souffleurs nicht duldet und deswegen ein Verfahren beim Arbeitsamt eingeleitet wurde, das noch in Schwebe ist. In Wahrheit handelt es sich aber um den Einsatz eines „Maestro Suggeritore“, wie er in Italien unerläßlich notwendig ist.

Die Direktion vertritt mit Recht den Standpunkt, dass es sich hier um eine rein künstlerische Entscheidung handelt, die nur die Direktion zu lösen in der Lage ist. Um aber nicht in den Verdacht eines Beharrens auf einen Prestige-Standpunkt zu kommen, hat sich die Direktion bereit erklärt, nach dieser Premiere neuerlich in Verhandlungen mit den zuständigen Stellen zu treten, um die Frage der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in der Wiener Oper generell zu regeln, selbstverständlich bei voller Aufrechterhaltung der künstlerischen Freiheit der Direktion. Dieser schon vor einigen Tagen schriftlich an die Vertreter der Gewerkschaft übergebene Vorschlag wurde nicht akzeptiert.

Unter diesen Umständen sieht sich die Direktion, der Künstlerische Leiter und der Direktor, gezwungen, die Verantwortung für die ordnungsgemäße Führung der Wiener Staatsoper so lange abzulehnen, bis die künstlerische Unabhängigkeit dieser Institution eindeutig festgestellt ist.“

Der Wortlaut dieser Rede, zusätzlich auch mit allen Zwischenrufen und Beschimpfungen aus beiden Lagern (Hilbert konnte sich anfangs nur schwer Gehör verschaffen) ist im Online-Merker am Ende der Startseite bei der von Frau Hoyer veranlassten digitalisierten Zusammenfassung der Ära Karajan in Auszügen des Heft-Merkers nachzulesen. Seitens des Österreichischen Rundfunks existiert ein Mitschnitt dieser Ereignisse. (Hier danke ich für die Hinweise von Heinrich Schramm-Schiessl)

 

 Der Maestro suggeritore         

Obwohl der Arbeitsplatz der wohl kleinste im ganzen Haus ist – ich schätze die Grundfläche seines Bewegungsspielraums auf nicht einmal zwei Quadratmeter ein – geht von diesem Kammerl, hausintern ganz despektierlich “Kasten” genannt, eine der wichtigsten Tätigkeiten in einem Opernhaus aus, jene des Souffleurs, seit 1963 in unser aller Wissensstand als Maestro suggeritore bekannt geworden und seit Jahren schon mit der italienischen Berufsbezeichnung im Programm genannt und namentlich angeführt.  

In der Wiener Staatsoper arbeiten insgesamt vier solcher Souffleure, die ja seit jeher mehr sind als bloße “Einsager” für Textschwache. Sie sind ausgebildete Dirigenten mit abgeschlossenem Musikstudium und ausgebildet auf einem Instrument. Derzeit sind zwei Italiener, ein Österreicher und einer aus der Bundesrepublik an der Staatsoper beschäftigt, der Chef der Truppe ist

Mario Pasquariello

Mario Pasquariello in seinem Kasten unter der Bühne, einsam aber geliebt, unauffällig aber wichtig

Mario Pasquariello in seinem Kasten unter der Bühne, einsam aber geliebt, unauffällig aber wichtig

55, ein eher kleiner, schlanker Italiener, kein Nachteil bei den schmalen Verhältnissen unter der Bühne. Geboren in Livorno begann er sein Studium am Cello in Florenz, studierte auch privat Komposition ehe er dem vorauseilenden Ruf der Musikstadt an der Donau folgte und in Wien das Dirigieren studierte. Sein Lehrer war Karl Österreicher, ein Schüler und Assistent von Hans Swarowsky und damit mit der großen Tradition des Dirigierwesens dieses Lehrmeisters vieler Generationen vertraut.

Istvan Cserjan, der Chef der damaligen Souffleurgruppe wurde auf den frisch Ausgebildeten aufmerksam und lud ihn zu einem Hospitantenjahr ins Haus am Ring ein und hatte in ihm letztlich seinen Nachfolger gefunden.

Im Februar 1996 durfte Mario Pasquariello seine erste Vorstellung betreuen, natürlich unter den Augen seines Ausbildners, es war eine “Tosca”. Von den Sängern ist ihm nur einer in der Aufregung im Gedächtnis geblieben: Alfred Sramek, der gleich in der ersten Pause von Cserjan gefragt wurde, ob der neue Suggeritore positiv zur Geltung gekommen wäre. Sramek bejahte und Pasquariello folgte Cserjan nach.

Ein Maestro suggeritore ist bei allen musikalischen Proben dabei und lernt so auch die Schwachstellen bei Sängern besser kennen, bekommt die Einsätze – wenn überhaupt – über einen Monitor (früher über einen Spiegel) von dem hinter ihm befindlichen Dirigenten. Damit erfolgt die Weitergabe der Einsätze an die Sängerinnen und Sänger oder den Chor, wobei in der Regel alle Einsätze gegeben werden, auch jene, die vom Dirigenten aus welchen Gründen immer, nicht gegeben wurden. Ein Klavierauszug dient als Unterstützung.

Der menschliche Aspekt ist Herrn Pasquariello an diesem Beruf wichtig, die Suche und der Aufbau einer Beziehung, man muß die Künstler lieben können und eine entsprechende Chemie entstehen lassen.

Dass das oft schwer ist, bewies eine Vorstellung der “Meistersinger” in Florenz mit einem (soweit darf man es verraten) wirklich ganz prominenten Dirigenten, der partout nicht wollte, dass der Suggeritore Einsätze gibt, er sollte tatsächlich nur den Text einsagen. Erst als ein Bassist seine Einwände vorbrachte und der Dirigent flehte, den Einsatz gäbe doch er selbst, meinte der Sänger nur “Ach so?”

Die Dirigenten lernt er alle gut aus seinem Kasten heraus kennen, Peter Schneider kommt sofort als Antwort, wenn man ihn nach einem ganz besonders effizienten Maestro fragt, dessen Dirigat voll Übersicht, Unaufgeregtheit und Sängerunterstützung ist. Er bewundert den Generalmusikdirektor aber auch den so minimalistisch aber stilvoll dirigierenden Bruno Campanella.

Mario Pasquariello ist verheiratet mit Paola, einer Römerin, die er in Liberec bei Musikseminaren kennenlernte und hat zwei Kinder, den Audiotechnik studierenden Luca, 17, und Cecilia, 10, welche die Opernschule in Wien besucht.

 

Peter Skorepa
MERKEROnline
Die Auszüge derEreignisse um die Absage der Boheme-Premiere in der Wiener Staatsoper
entstammen dem Tatsachen-Roman „Der Opernnarr“ von Carl Merz, Amalthea Verlag
1972.
Der besseren Lesbarkeit wegen sind die Anonyme für Karajan (im Roman de Zarunian)
und Hilbert (im Roman Pleinher) geöffnet.
Zum vertiefenden Selbststudium sind die Biographien u.A. von Häussermann, Endler, Löbl,
Osborne empfehlenswert, auch die digitalisierte Rückschau aus den MERKER Heftausgaben
aus der Karajan-Ära von Frau Hedda Hoyer (zu finden im MERKEROnline) ist lesenswert,
ebenso Viktor Reimanns „Dirigenten, Stars und Bürokraten“ aus 1961. 
P.S.

 

 

 

 

 

 

 

 

REFLEXIONEN Die Wiener Staatsoper im Juni 2013

 

 Wiener Staatsoper & Co.

MONATSRÜCKBLICK

 JUNI  2013

Die Neuinszenierung

Nina Stemme mit dem vermeintlichen Todestrank, links Peter Seiffert

 TRISTAN UND ISOLDE  13.Juni. (Premiere), 18., 22., 26.und 30.Juni

Peter Seiffert, Nina Stemme

Noch nie wurde von den Wiener Opernfreunden die neue Inszenierung eines Stückes so herbeigesehnt (!) wie die eine von „Tristan und Isolde“, nachdem es vor zehn Jahren Günter Krämer gelungen war, gemeinsam mit dem Bühnenbildner Gisbert Jäkel den Raddampfer (oder was immer das damals hätte sein sollen) in Cornwalls Sand zu setzen. Es war schon allerhöchste Zeit, denn mit  Franz Welser-Möst oder Christian Thielemann stehen uns schon sein längerer Zeit zwei aus dem Kreis der  wohl interessantesten Dirigenten zur Verfügung, die sich eine entsprechende optische Begleitung ihres Dirigats verdient hätten. Unser GMD hatte immerhin ein Debüt, „dessen Deutung sich unter die Unvergesslichen reiht“ (News), dessen stringentes und final ausgerichtetes Dirigat durch eine nicht zu überhörende Ausreizung der Dynamik und der Tempi zugunsten einer äußeren Spannung stellenweise zu einer stimmlichen Überbeanspruchung der beiden Titelrollensänger führte. Mit Nina Stemme, „im Besitz der Vollkommenheit“, stellte sich ein Traum von einer Isolde ein und entsprach allen an sie gestellten Erwartungen. „Phänomenal, in der Operngeschichte womöglich einzigartig ist Nina Stemmes Isolde. Bruchlose Schönheit des Singens bei unerschöpflicher stimmlicher Fülle, Poesie, Erotik und Hingabe der Gestaltung: Besser ging das nie“ So überschlägt sich H.Sichrovsky im News förmlich und vergisst, dass es da einmal eine Birgit Nilsson gegeben hat – soweit zum „womöglich einzigartig.“ Bei einem Musical-Casting wäre Peter Seiffert durchgefallen, ein älterer Hüne, der neben der zarten Stemme schon mehr als väterlich wirkt, beinahe auch neben seinem königlichen Auftraggeber. Allerdings, die Stimmen der beiden Hauptprotagonisten haben wenigstens eine kontinuierliche Entwicklung aufzuweisen und einen zielgerichteten Aufbau hinter sich, der es ihren Besitzern ermöglicht, auch ohne heldentenoralem oder hochdramatischem Aplomb die wohl schwierigsten aller Wagnerpartien so scheinbar mühelos als „Reise durch alle Emotionen“ (Nina Stemme) wiederzugeben.

Der MERKEROnline ist mit sieben Kritiken vertreten, fünf davon sind unten abrufbar, einig sind sich alle in der Beurteilung des Traumpaares, einhellig wird die Neuinszenierung begrüßt, wobei nach dem „Unglück“ vor zehn Jahren die Beurteilung für das neue Team David McVicar als Regisseur und Robert Jones als Ausstatter unterschiedlich ausfällt. „Ordentlich und repertoiretauglich“, „keine Meisterleistung“, „Rampensingen“, „werkgerecht“ (alles Online) bis hin zu „platt, deutungs-und geheimnislos“ (News). Renate Wagner verweist immerhin auf eine „wunderschöne Inszenierung“, in der es „ungemein präzise Zeichnungen der Charaktere und Situationen“ zu finden gäbe, während M&J. Jahnas meinen, dass sie den Tristan so inszenierten – „wenn sie könnten“.

 Warum man so beharrlich seitens des Hauses die schon stattgefundene „Vorarbeit“ durch Aufführungen mit dem gestalterischen Team in Japan verheimlicht, bleibt ein Rätsel. Deren offensichtlich Reste hatte man als sogenannte Choreographie von Andrew George im Programmheft angekündigt, die Begeisterung über diese asiatisch anmutenden Bewegungen der Matrosen und Soldaten hielt sich allgemein dafür in Grenzen, obwohl sie durchaus formale Eleganz aufwiesen und hier übliches Stehtheater alt aussehen ließen. Trotzdem, für Fritz Tront im Merker-Heft „eine glatte Ohrfeige für jeden im Publikum“, der auch Details am Schiff und die Burg Kareol als nicht Textbuchgerecht auswies, letztlich auch den tatsächlich befremdlichen Spaziergang Isoldes in den Tod (?) zurück in den Bühnehintergrund bemängelt.

Zur Kritik von R.WagnerDominik Troger , H.Schramm-Schiessl , Ernst Kopica , M&J. Jahnas

 

 Die musikalische Neueinstudierung

Schwieriges Casting für Renée Fleming zwischen Markus Eiche und Michael Schade

 CAPRICCIO  20.Juni (Premiere), 24.und 27.Juni

Dem Vernehmen nach soll dieses Werk 1942, für die Uraufführung nur deshalb ohne Pause durchkomponiert und auch so gegeben worden sein, um rechtzeitig den Opernabend vor den auch in der Nacht einsetzenden Fliegeralarmen und Fliegerangriffen in München fertig zu werden. Wie auch immer, mit der ersten großen Hitzewelle des heurigen Jahres, in dem Dirigat Christoph Eschenbachs, das „im Schneckentempo“ und als „pathetische Trauerrede“ dahinschlich, wurde diese pausenlose Darbietung zu einer konditionellen Anforderung für die Zuschauer. Da könnte man doch… Aber selbst Hans Peter Nowak vom Merker Heft schien unter dieser Länge von zweieinhalb Stunden gelitten zu haben, wüsste aber nicht, wo diese Zäsur für eine Sektpause anzubringen sei.

Kurt Rydl als alter Routinier La Roche

Kurt Rydl als Theater-Routinier La Roche

Mit dem Einsatz von Kurt Rydl als Laroche wurde, allen beckmesserisch-merkerischen Anmerkungen zum Trotz wieder ein Sänger aufgeboten, der über die wünschenswerte Persönlichkeit und Autorität verfügt, um diesen schickanederischen Prinzipal darzustellen, auch wenn die stimmlichen Mittel schon abgenutzt dahintremolieren. Ging man doch einst keineswegs nur wegen einer Janowitz oder einer Della Casa, sondern auch wegen eines Paul Schöffler in dieses Stück! Und der war in seinen späten Jahren naturgemäß auch nicht mehr in Höchstform.

Für Glücksgefühle sorgen „die vollendete Einheit von Wort und Ton“ für P.Jarolin im Kurier, für ihn und für alle unsere Onliner ist die Gräfin der Fleming „von Weltformat“, berührend, intensiv, zauberhaft.“ Für Renate Wagner „die ideale Gräfin schlechthin“, „mit strahlend sich öffnenden Höhen“. Für Kurt Vlach mit der Einschränkung geringer Textverständlichkeit, er bemängelt auch, dass ihre Stimme nicht mehr so „creamy“ wäre, wie die amerikanischen Kritiker dazu sagen. Und M&H.Jahnas bewundern Angelika Kirchschlager als Clairon, die mit der Fleming „gesanglich, schauspielerisch und optisch auf Augenhöhe, und an Wortdeutlichkeit nicht zu überbieten ist.“ Die Rezenssionen berichten vom ausgezeichneten Ensemble, von einem musikalischen Kleinod, das der regelmäßgen Pflege bedarf.

Zur Kritik von R.Wagner , D.Troger , K.Vlach , M&J.Jahnas

 

 Das Repertoire im Juni

 

Neben der Premiere für das Wagnersche Extremliebespaar und der Neueinstudierung der zarten Töne von Strauss in der Wiederaufnahme des Streites zwischen Wort und Musik kam das restliche Programm des Monats Juni etwas ins Hintertreffen. Allerdings war vieles dabei, welches letztlich zu einem beachtenswerten Saisonschluss beitrug und das Niveau der Wiener Staatsoper als eines der führenden Repertoirehäuser Europas nicht in Frage stellte. Verdi allerdings hätte sich ebenso über die viele mediale Aufmerksamkeit einer Neuinszenierung eines seiner Werke in seinem Jubeljahr gefreut, so wie es Wagner durfte. So ist Verdi zwar ein ständiger, hinsichtlich seiner Inszenierungen aber meist nur glanzloser Gast in unserem Haus. Direktor Meyer wird noch einiges für das Repertoire und dessen Inszenierungen in den nächsten Saisonen zu tun haben, auch mehr Mut  zum Risiko zeigen müssen um den Ausspruch von Gérard Mortier zu entkräften, dass „die Wiener Staatsoper zur Zeit in der internationalen Musikwelt nicht existent ist“ (Mortier in einem Interview vom Februar dieses Jahres)

 

Die böse Partie: Nafornita, Gritskova und Vater Corbelli

LA CENERENTOLA   1., 5., 8.und 10.Juni

Das graue Mauserl: Rachel Frenckel

Das graue Mauserl: Rachel Frenkel

 

 

 

„Wenn Rossini nicht wirklich prickeln darf“ ätzt der sonst so wohlgesonnene Kurier schon jetzt in der zweiten Serie über eine Produktion, die schon altbacken auf die Welt kam und jetzt Abo für Abo ihre Kosten abzuarbeiten hat.

Dabei wäre die neue „Cenerentola“, Rachel Frenkel, die eher wie ein scheues Reh wirkte allein damit eigentlich rollendeckend, gesanglich ist sie jedoch nur „ordentlich, aber ohne Feuer“ (so Peter Dusek). Da beherrschen doch die beiden bösen Schwestern mehr die Bühne, als es Rossini lieb wäre. Und Alessandro Corbelli wäre nicht mehr ins große Haus einzuladen, meint Dusek im Heft und schließt mit der Feststellung: „Dem Touristen-Publikum hat´s gefallen und die Kassa war voll.“       

 

 CARMEN   2.Juni

Blond und kuschelig, Garancas Carmen wird oft angezweifelt. Alagna zweifelte da nicht lange!

Nur der Heft-Merker kann für die letzte Aufführung der Carmen-Serie mit einem Bericht, und zwar von Johann Schwarz aufwarten: Er sieht Elina Garanca „als kokette Person, die um ihre Reize weiß“, allerdings bemängelt der Rezensent insbesondere im 3.Akt das Fehlen eines „gewissen Fatalismus, der sie ihren Tod voraussehen lässt“, weiters vermittelte sie den Eindruck, „dass sie sich von ihrem vormaligem Liebhaber ohne Gegenwehr töten lässt“. Und Anita Hartig soll als aktives Bauernmädchen dieser Rolle die gewisse, in ihr haftende Larmoyanz genommen haben. Das schauspielerische Temperament Roberto Alagnas bestach auch diesmal, beim Stimmlichen besonders die ausdrucksstarken und bronze gefärbten Fortetöne. Warum man gegen dieses Temperamentbündel wie diesen Roberto Alagna den schwächelnden Escamillo eines Massimo Cavaletti einsetzt, bleibt ein Rätsel, stört aber die libidinöse Balance des Stücks erheblich. Spürt man so etwas im Besetzungsbüro so wenig?

So endet eine Serie mit dem lange erwarteten Einsatz einer Carmendarstellerin, deren stimmliche  Erwartungen noch am ehesten erfüllt wurden, deren Abweichungen von einer lange gehegten, fast normierten Vorstellung hinsichtlich der Haarfarbe, des Auftretens und des Charakters für Irritationen und Diskussionen sorgte.

 

 

 

 

TOSCA   6., 9.und 12.Juni

Gut unterwegs ins sechste Lebensjahrzent: Roberto Alagna mit Martina Serafin

Ein Hoch zum 50er: Roberto Alagna

Mit dieser Serie schloss sich eine Trilogia Robertiana, die auch formgerecht in der ersten Tosca gefeiert wurde, als die Philharmoniker beim Solovorhang ein Happy Birthday für Roberto Alagna anstimmten und Direktor Mayer ihm Blumen zu seinem 50er überreichte. Die Trilogie bezieht sich auf die von ihm in den letzten Wochen gesungenen Partien des Werther, des Don José und jetzt des Cavaradossi. Immerhin schwärmt Renate Wagner von ihm und stellt fest, „mit welcher Sicherheit Alagna in seinen Rollen steht, ein Gestalter, der sich voll einbringt, genau weiß, was er tut, sich aber nie nach Routine anfühlt, sondern nach spontanem, echtem Einsatz.“ Eine schöne Geburtstagsepistel für einen Sänger, für den Ausdruck und stimmliche Emphase Vorrang vor belkantoseliger Introvertiertheit haben, ein Sänger, der sein Herz auf der Zunge trägt, „er garantiert immer ein großes Publikumsecho.(Sieglinde Pfabigan)

Umso mehr vermisst Renate Wagner bei Albert Dohmen den heiligen Schrecken, den sein Erscheinen in Sant`Andrea della Valle hervorrufen sollte („wer den nicht im ganzen Zuschauerraum verbreitet, soll gleich wieder gehen“, so ihre freundliche Aufforderung). Nun, in diesem Punkt hat sie Recht, der Schrecken ist an dieser Stelle ja, wie für so viele andere Details von Puccini in diesem Werk, hineinkomponiert, der sollte sitzen, Erwartungshaltung hin oder her. Allerdings, da warf sich Sieglinde Pfabigan für den Sänger drei Tage später ins Feuer und attestiert bei ihm einen „beachtlichen Bassbariton von Anbeginn bis zum finalen „Muoio!“ mit klarer Diktion und guter Phrasierung, im Auftreten eine Autorität.“ Wen hat Renate Wagner nun da angeregt?

Dan Ettinger attestiert man „einen gewissen Hang zur Lautstärke“ (R.Wagner), dafür aber auch „konzentrierte Dramatik im zweiten und dritten Akt, „wobei auf der Engelsburg aber ein orchestraler Gewaltakt stattfand, der die auch darin enthaltene Poesie zu kurz kommen ließ.“ (S.Pfabigan)                                                                    Zur Kritk von R.Wagner

 

IL BARBIERE DI SIVIGLIA   7., 10.und 14.Juni

Camarena stolz auf seine neue Rosina: Margarita Gritskova

Diesmal war es ein Serienbeginn ohne den Titelhelden “als notwendigen spititus rector“ meint Johann Schwarz im Merker-Heft, Nicolay Borchev „ist weder stimmlich noch darstellerisch in der Lage, den Figaro auszufüllen.“ „Ein braver Burli und nicht ein fadenziehender Pfiffikus“. Seine Stimme „kam schon bei der Auftrittskavatine kaum über das Orchester“ und ist „letztlich nicht bemerkenswert, weder im Legato, noch im Parlando“. Erst in der letzten Aufführung kam mit Markus Werba „ein Figaro mit jungenhaftem Charme, viriler Stimme und lockerem Spiel auf die Bühne“.(W.Habermann) Und bei dem gräflichen Tenor, Javier Camarena war „der Applaus nach seiner Bravourarie so heftig, dass die Billeteure wieder einmal dachten, die Oper sei zu Ende und die Türen aufrissen.“ (E.Habermann)

Einig waren sich alle über das überaus gelungene Debüt von Margarita Gritskova als Rosina, einer Aufsteigerin aus dem Ensemble der Wiener Staatsoper, „kokett, temperamentvoll, hervorragend, wunderbar, bildhübsch, apart“ sind so die Attribute der Kritiker für Auftreten und Gesang.

Michael Güttler am Pult wird um die Generalprobe und die Premiere zum „Tristan“ herum eine erfolgreiche Umschiffung aller Klippen attestiert. Er wird wissen, dass er dieses Lob an die Kämpfer im Graben weiterzuleiten hat.

 

DIE WALKÜRE   16.und 23.Juni

Vorzügliches Service für den späten Gast: Johan Botha und Anja Kampe

Inzwischen weiß man es ja, oder man kann es aus den Kritiken herauslesen, Peter Schneider ist als Dirigent von den Merkerianern hochgeschätzt, er ist das, was man eigentlich als einen inoffiziellen Ehrentitel für einen Orchesterleiter bezeichnen könnte: ein Kapellmeister. Einer reinsten Wassers, der mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung, vor allem in Bayreuth seit 1981 zu einer herausragenden Stütze auch an der Wiener Staatsoper zählt, deren Ehrenmitglied er ja auch ist.

Schneider „sorgte in jedem Moment für die unerlässliche Balance, die es nicht zum Kampf zwischen Sängern und Orchester kommen ließ. Die Spannung entstand aus dem differenzierten Geben und nehmen zwischen Bühne und Graben.“ (Johannes Schenke) Er „zündete ein Feuerwerk in der gewohnten Farbenpracht“ (Otmar Seemann). Eine „hörbare Allgegenwart“ Schneiders als Anwalt der Sänger und souveräner Klangformer im Orchester“ ergab „eine schöne, abgerundete Aufführung. In der übernächsten Saison wird Peter Schneider wieder für Parsifal- und Salome-Termine dem Haus zur Verfügung stehen.

Ansonsten boten die beiden Abende eine solide Ensembleleistung mit Kampe (als Einspringerin für Serafin), Botha und Anger zu ebener Erde und mit Konieczny, Dalaymann und Fujimura im ersten Stock.

Zur Kritk von M&S.Jahnas , J.Schenke , O.Seemann

 

ROMÉO ET JULIETTE   21., 25.und 28.Juni

Wiens neue Julia, Sonya Yoncheva

Wem das Wagnersche Epos vom unglücklichen Liebespaar zu schwülstig war, der konnte auf die italienische Version unglücklicher Liebe mit französischem Esprit und shakespearhafter Tragik ausweichen: Gounods Meisterwerk aus dem mittelalterlichen Verona in neuzeitlicher Lichtregie. Zu den besten Romeos zählt derzeit ohne Frage Piotr Beszala, „in den oberen Regionen fast ohne Makel“ (Marksteiner), „er stellte keinen feurigen, südländischen Romeo auf die Bühne, sondern einen noblen, eher zurückhaltend wirkenden jungen Mann“.(Dominik Troger).

An seiner Seite debütierte Sonja Yoncheva als Juliette. „Am Opernhimmel strahlt ein neuer Stern“ titelte der Kurier seinen Bericht. „Sie überraschte mit forschem Auftreten, glasklaren Spitzentönen und einem beachtlichen Stimmvolumen“.(Marksteiner) Mit „Animo vorgetragene Passagen, in denen ihre Mittellage durchaus betörend klang“ realisierte Dominik Troger, die wieder abgelöst wurden durch Stellen, in denen „kurzwelliges Vibrato überdeutlich bemerkbar“ wurde, „das der Stimme für meinen Geschmack zu viel von ihrem jugendlichen Reiz nahm“. (Dominik Troger) Über die Nebenrollensänger berichteten die Merkerianer nicht viel Positives, gerade Dan Paul Dumitrescu fühlte sich in der Rolle des Laurent wohl. Aber der Neue im Ensemble, Gabriel Bermudez konnte als Mercutio nicht reüssieren.

Das Hauptinteresse galt vielen Besuchern dem Dirigenten Placido Domingo, vielleicht sogar seinem Dirigat. Breiten Klang und Unterfütterung mit hochromantischen Sound attestierte Dominik Troger, was die Eleganz dieser Musik etwas „verwässerte“. Für Lukas Link betonte er besonders die Dramatik unter Vernachlässigung der lyrischen Stellen in der Partitur.

Zur Kritik von J.Marksteiner , M.R.Botz , R.Wagner , D.Troger

 

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Peter SKOREPA
Alle Bühnenfotos der Wiener Staatsoper: Michael Plön,
Das Titelbild „WIENER STAATSOPER“ mit freundlicher
Genehmigung des Künstlers Karl Goldammer
Anregungen an skorepa@hotmail.de

 

Wien, am  12.7.2013

 

 


 

LEIPZIG: BACHFEST 2013 beleuchtet die „VITA CHRISTI“

Bachfest Leipzig 2013 beleuchtete die „VITA CHRISTI“, 23.06.2013

von Ursula Wiegand

 Das Bachfest Leipzig vom 14. bis 23. Juni stand unter dem Motto „Vita Christi“, und so waren Konzerte, Metten und weitere Darbietungen deutlich von Jesu Lebensstationen geprägt. Das Programm mit seinen 115 Veranstaltungen in Leipzig und Umgebung fand eine überaus rege Resonanz.

 
Bachdenkmal an der Thomaskirche, Foto Ursula Wiegand

 65.000 Besucher aus 31 Nationen kamen zum diesjährigen Bachfest. Neben den Deutschen waren Gäste aus Japan, den Niederlanden, den USA und der Schweiz am stärksten vertreten. Doch selbst aus Australien, China, Indien, Argentinien, Mexiko und der Karibik reisten Musikliebhaber an.

Unter 466 Werken und 205 Solisten konnten sie wählen. Sie taten es beherzt und bescherten dem diesjährigen Bachfest mit Ticketerlösen von gut 560.000 Euro – bei stabil gebliebenen Preisen – den bisher größten Verkaufserfolg.

Die Kinder-, Jugend- und Familienreihe „b@ch für uns!“ sowie die Open-Air-Konzerte auf dem Leipziger Markt waren weitere Anziehungspunkte. Auch „die Moderne“ hielt Einzug: mehr als 10.000 Menschen verfolgten ausgewählte Konzerte per Web-Stream.  

 
Bachs Thomaskirche, Foto Ursula Wiegand

 Dass beim  Thema „Vita Christi“ Kompositionen von Johann Sebastian Bach eine Schlüsselstellung innehaben, ist so sicher wie das Amen in der Thomaskirche. Christi Leben und Wirken hat er während seiner 27-jährigen Tätigkeit als Thomaskantor zum Hauptinhalt seiner Werke gemacht. Daher war es logisch, dass mit Jesu Geburt begonnen wurde und am 16. Juni trotz Sommerhitze Bachs „Weihnachts-Oratoium“ im Gewandhaus erklang.

Vom 17. bis einschließlich 20. Juni war ich vor Ort und habe diesmal Werke hören können,  die sonst fast nie aufgeführt werden. So in der Thomaskirche Ludwig van Beethovens einziges Oratorium  „Christus am Ölberge“.  

Beethoven hatte es im Frühjahr 1803 nach einem Text von Franz Xaver Huber in nur 14 Tagen komponiert, offenbar ein Schnellschuss. Schon am 5. April jenes Jahres wurde es im Theater an der Wien uraufgeführt, wo er gerade zum Hauskapellmeister ernannt worden war. Zweimal hat er es überarbeitet, zuletzt 1811, doch mehr an Tiefgang hat das nicht gebracht.

 
Bachfest 2013, Gothart Stier dirigiert den Monteverdi-Chor Hamburg, Foto Gert Mothes

 Daran kann auch Gothart Stier nichts ändern, der sich der Partitur mit solch einem Temperament annimmt, dass ihm die Brille ständig von der Nase zu rutschen droht. Der Monteverdi-Chor Hamburg und das Mitteldeutsche Kammerorchester stehen so gesehen ebenfalls auf verlorenem Posten. Nur die Solisten reichern dieses opernhafte, recht unausgegorene Werk mit gut geführten Stimmen an. Gleich nach der düsteren, gewaltig anschwellenden Einleitung in es-Moll gibt Jörg Dürmüller dem Christus Statur, hier ein Tenor-Part.

Glockenklar singt Miriam Meyer die sehr Mozart-affine Partie des Seraph.  Mit kräftigem Bass charakterisiert Henryk Böhm den Petrus. Zuletzt zeigt Beethoven, dass er auch Fuge kann, lässt aber die Ölberg-Geschichte erneut opernhaft in triumphierendem Dur ausklingen. Der lebhafte Applaus gilt wohl eher den Interpreten als Beethoven, der es wohlweislich bei diesem einen Oratorien-Versuch belassen hat.

 Wie hoch die Fallhöhe ist, hat gleich anfangs die 1724 erstmals aufgeführte Bach-Kantate „Jesu, der du meine Seele“, BWV 78 gezeigt. Zwar setzt auch Johann Sebastian auf Effekte, integriert sogar italienische und französische Traditionen und kombiniert sie mit mitteldeutschen Chorälen. Doch all’ das wird nicht zur kompositorischen Fingerübung. Bach illustriert den Text und lässt ihn in vielen Facetten schillern.

Zu den Solisten gehört jetzt auch Susanne Krumbiegel mit ihrem schönen vollen Alt. Sie kann Bachs Koloraturen  gekonnt singen, während dieses Jörg Dürmüller – anders als später bei Beethoven – weniger gut gelingt.  

Überzeugend gerät allen Beteiligten jedoch das letzte Werk dieses Abends: das selten gespielte „Stabat Mater“, D 383 von Franz Schubert. Hier lässt der 19-Jährige seinen romantischen Gefühlen freien Lauf, ohne ins Gefühlige abzugleiten, lässt den Chor in trauervoller Massivität starten und fordert der Sopranistin sogleich Dramatik ab.

Lächeln muss ich beim 2. Choreinsatz, ist doch eine Zeile aus Joseph Haydns Kaiserhymne zu vernehmen, im Deutschlandlied das „blüh’ im Glanze dieses Glückes“. Solche Zitate waren seinerzeit üblich und ein Kompliment.

Da überdies fast alle Komponisten Bachs Werke studiert haben, muss auch beim jungen Schubert der Chor zweimal eine Fuge singen, zuletzt beim ausgedehnten, in Dur endenden Amen. Denn Marias Trauer über ihren gekreuzigten Sohn mündet in Jubel, da sein Opfertod die Welt erlöst. Die Hamburger singen das mit hörbarer Anteilnahme. Der herzliche Beifall zeigt, dass das Publikum solche engagiert dargebotenen Entdeckungen zu schätzen weiß.

 
Bachfest 2013, Frieder Bernius dirigiert die Hofkapelle Stuttgart, Foto Gert Mothes

 Auch „Lazarus oder Die Feier der Auferstehung“, D 689, ebenfalls von Franz Schubert,  und 1863 in Wien – 35  Jahre nach seinem Tod – auf Initiative von Johannes Brahms uraufgeführt, haben sicherlich viele noch nie live erlebt. Für solche Raritäten ist dieses Bachfest zu loben, das überdies dem Geburtstagskind Richard Wagner am Eröffnungsabend mit einer Auswahl seiner Lieder Tribut gezollt hat. 

In der Nikolaikirche erwecken nun der Kammerchor und die Hofkapelle Stuttgart unter der  Leitung von Frieder Bernius diesen „Lazarus“, Schuberts einziges Oratorium, zu neuem Leben – soweit es Schubert zulässt.   

Bibelfeste wissen, dass Jesus den schon beerdigten Lazarus wieder auferweckt hat. Zahlreiche Maler zeigen in ihren Bildern einen von Leichentüchern umwickelten Lazarus, der seinem Grabe entsteigt, was als Hinweis auf Christi spätere Auferstehung gedeutet wird.

Doch diesen Schluss finden wir bei Schubert nicht. Seine äußerst sorgfältige Reinschrift von 1820 bricht nach 262 Seiten noch vor der Beerdigung des Lazarus ab. Ein Punkt nach dem letzten Manuskriptsatz, danach noch ein „Und“. Das war’s.  

Die penible Reinschrift lässt annehmen, dass Schubert diesen Auftrag fest in der Tasche hatte oder sicher war, mit diesem Oratorium alsbald eine Chance zu haben. War das strikte Verbot von Oratorien-Aufführungen im damaligen kaiserlich-königlichen Österreich der Grund für die Nicht-Beendigung? Oder waren es Glaubenszweifel, die Schubert die Fortsetzung unmöglich machten?  Das sind ungelöste Rätsel.

Jedenfalls ist dieses rd. 90-minütige Fragment von großer Todesfurcht und Trauer geprägt, schließlich auch von einer Fügung ins Unvermeidliche. Bernius und die Seinen tun alles für dieses unvollendete, aber durchaus interessante Werk, das allerdings auf die Spannung fördernde Unterteilung in Rezitative und Arien verzichtet.  

Die Solisten überzeugen ebenfalls, nicht nur mit ihren Stimmen, sondern auch in der gelungenen Zeichnung der unterschiedlichen Charaktere. So hat Lazarus in Andreas Weller (Tenor) den passenden Interpreten gefunden, der seine Todesangst ebenso hörbar macht wie die dann einkehrende Gelassenheit. Ebenfalls im Tenorfach agiert sein Freund Nathanael, gut gesungen von Tilman Lichdi.

Die Rollen der beiden Schwestern Maria und Martha hat Schubert zwei Sopranistinnen zugeordnet. Sarah Wegener gibt die sanfte, gefühlvolle Maria, Johanna Winkel die handfestere Martha. Hinzu kommt Sophie Harmsen (Mezzo) als Jemina, eigentlich eine Tochter Hiobs aus dem Alten Testament.

Nur Simon, der erst in der so bezeichneten Zweiten Handlung über ein Gräberfeld geht, darf seine Furcht vor dem Sterben in tieferen Lagen artikulieren. Tobias Berndt kann mit volumigem Bariton Simons Gefühlswallungen perfekt ausdrücken. Hat sich Schubert 8 Jahre vor seinem frühen Tod schon vor dem Sterben gefürchtet und für sich keine Auferstehung  erwatet?

Die bei ihm fehlende Erlösung liefert gleich anschließend Johann Sebastian Bach in beeindruckender Weise nach. Mit der „Christ lag in Todesbanden“, BWV 4, seiner Kantate zum ersten Ostertag. Der gläubige Bach hat keinerlei Zweifel an der Auferstehung, an der von Jesus schon gar nicht. Nach der „Sinfonia“, einer ergreifenden, melodienreichen Instrumentaleinleitung, kulminieren die folgenden Verse in einem stets wiederkehrenden, ausgiebigen Halleluja, das den Auferstandenen preist und allen Gläubigen die Erlösungsgewissheit verschafft. Auch Bachs gesanglichen Anforderungen sind die Solisten gewachsen und stellen ihr Können unter Beweis. Lang anhaltender Jubel belohnt alle Beteiligten.

 
Bachfest 2013, Sir John Eliot Gardiner dirigiert die Johannes-Passion, Foto Gert Mothes

 Doch weit übertroffen wird diese Zustimmung durch die hoch verdienten Bravos, die Sir John Eliot Gardiner nach der Aufführung der „Johannes-Passion“, BWV 245, in der ausverkauften Thomaskirche entgegenbranden.

Gewiss wird damit auch der Mann geehrt, der im Jahr 2000, zu Bachs 250. Todestag, dessen gesamte Kantaten in diversen Kirchen aufgeführt hat. Der intensive und freudige Applaus gilt aber weit mehr der ganz eigenen, ja vollkommenen Art, wie er – gemeinsam mit seinem  Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists – die Zuhörer an Christi Leidensweg teilhaben lässt.  

Mit weit schwingenden Gesten zieht er die Melodiebögen, nichts ist forciert oder überpointiert. Selbstverständlich strömt die Musik. Gardiner lässt Bach sprechen, nur ihn, und das ist beglückend und faszinierend zugleich. Der Chor, der das Geschehen farb- und ausdrucksreich begleitet, hat daran einen wesentlichen Anteil.   

Ebenso gilt das für den exzellenten Mark Padmore als Evangelisten, ein international gefragter Interpret dieser Rolle. Der ist mehr als ein bloßer Chronist. Wie er das „Barrabas aber war ein Mörder“ gestaltet, lässt zittern. Noch mehr berührt, wie er Petrus nach der Verleugnung Jesu herzerweichend weinen lässt.  

Diese Sonderklasse erreichen die übrigen Solisten nicht, steigern sich aber im Verlauf. Der Bass von Matthew Brook (Jesus) lässt anfangs die dem Gottessohn zustehende Power vermissen und hat einige Probleme mit der Tiefe.

Hannah Morrison (Sopran) singt zwar mutig frei heraus, kann aber „Abrutscher“ ebenso wenig vermeiden wie Meg Bragle (Mezzo). Das „Es ist vollbracht!“ gelingt ihr jedoch überzeugend. Nicholas Mulroy (Tenor) setzt sehr auf Ausdruck, kennt aber wohl nicht die schwierige Akustik der Thomaskirche. Seine Piani kommen unten im Gotteshaus (im Gegensatz zur Empore) wahrscheinlich kaum an.  

 
Bachfest 2013, Schlussapplaus nach der Johannes-Passion, Foto Ursula Wiegand

 Peter Harvey, der den Pilatus und einige Arien singt, setzt sich mit seinem Bass so gesehen besser durch. Doch solch kleine Einwände verblassen gegenüber dem überwältigenden und bejubelten Gesamteindruck.

 Zu einem Highlight ganz anderer Art wird „Dramma per Musica“, die Darbietung weltlicher Bachkantaten in der Musikalischen Komödie, Leipzigs Operettentheater.

 
 Bachfest, Leipzigs Musikalische Komödie, Foto Ursula Wiegand

Doch erst nach der durchaus humorigen „Ouvertüre C-Dur“, TWV 55:C3 von Georg Philipp Telemann und dem „Brandenburgischen Konzert Nr. 1“ F-Dur, BWV 1046 von Johann Sebastian Bach werden zwei seiner nicht kirchlichen Kantaten in Szene gesetzt.

Dabei zeigt sich schnell, dass sein Geburtstagshymnus für den Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels mit dem Titel „Was mir behagt, ist nur die muntere Jagd“ BWV 208 wohl ein eher pflichtschuldiges Unterfangen war, allerdings ein recyceltes, ein bei einem ähnlichen  Anlass vor Jahren komponiertes Stück. Die Götter Diana, Endymion, Pan und die Nymphe Pales bringen dem Herzog ein Ständchen, doch sehr amüsant ist das nicht.

 
Bachfest 2013, Marina Zyatkova mit Piotr Micinski, Foto Gert Mothes

 Ganz anders das folgende „Schweigt stille, plaudert nicht“, BWV 211, Bachs berühmte  „Kaffeekantate“. Der lustige Zank zwischen dem Kaffee süchtigen Liesgen und ihrem Vater namens Schlendrian (!) eignet sich bestens zur szenischen Aufbereitung. Mit der süßen Marina Zyatkova im wippenden Reifröckchen und dem bekennenden Kaffeehasser Piotr Micinski, der heimlich zur Zigarette und Weinflasche greift, wird das eine putzmuntere Angelegenheit. Beide geben ihrem Affen singend und spielend so richtig Zucker, machen das aber mit selbstironischem Können.

Die hübsche Kleine, die sich lieber um ihren Kaffee- als um ihren Liebeskonsum kümmert, macht dem Papa stets wechselnde Sorgenfalten. Denn der möchte sie unter die Haube bringen, doch Männer interessieren sie zunächst gar nicht.

 
Bachfest 2013 Alberto ter Doest und Marina Zyatkova, Foto Ursula Wiegand

 Als aber ein ansehnlicher Mann mit einer Kaffeekanne auf dem Kopf erscheint, sie anhimmelt und ihr bald ständig Kaffee einschenkt, verliebt sie sich sofort. Eine stumme Rolle, gespielt von Alberto ter Doest, zuvor der gefeierte Fürst in der Jagdkantate.

Das kleine Stück wird zum großen Spaß, zumal sich das Combattimento Consort Amsterdam unter Jan Willem de Vriend ebenso so munter ins Zeug legt. Und es passt auch zum Thema „Vita Christi“, hat doch Jesus, wie die Evangelisten berichten, auf der Hochzeit zu Kanaa mitgefeiert und für wundersamen Weinnachschub gesorgt.  

Das Bachfest steht jedoch nicht nur für großartige Musik, sondern auch für recht kurze Nächte, nicht nur bei denjenigen, die nach den Konzerten noch in die Moritz-Bastei zu den jazzigen Bach-Reflections eilen. Leipzigs warme Sommernächte verlocken zum Draußensitzen. Dennoch sind die morgendlichen Gottesdienste, die freundlicherweise um 09.30 Uhr beginnen, stets sehr gut besucht. Denn auch in diesem Rahmen wird Hochwertiges geboten.

 
Bachfest 2013, Gotthold Schwarz in der Peterskirche, Foto Ursula Wiegand

 Dass Gotthold Schwarz und das Bach Consort Leipzig Bachs Vorgänger in der Peterskirche musikalisch zu Worte kommen lassen, freut mich besonders. Eine ähnliche Wahl trifft der junge Dirigent Ludwig Böhme – zusammen mit dem Kammerchor Josquin des Préz und dem Leipziger Barockorchester – tagsdarauf in der Thomaskirche.

 
 Bachfest 2013, Tobias Hunger, Tenor, Foto Ursula Wiegand

 Bei beiden Metten fällt mir der Tenor Tobias Hunger positiv auf. Der gestaltet sie Bachschen Koloraturen mit Körpereinsatz und schwingt mit, was seinem Singen Volumen und eine besondere Geschmeidigkeit verleiht.

Auch die Katholische Propsteikirche schließt sich diesem Trend zur Alten Musik an und setzt neben Johann Sebastian Bach insbesondere auf Heinrich Schütz, dem sich – wie könnte es anders sein – das Schütz Consort Leipzig unter Oliver Burse versiert widmen. So gesehen brachten in diesem Jahr auch die Kirchen so manches, was sonst nur selten zu hören ist. Das Bachfest wurde so zur Fundgrube für Entdecker, selbst wenn es traditionsgemäß mit Bachs  „Messe h-Moll“ in der Thomaskirche endete.

Das nächste Bachfest Leipzig vom 13.-22. Juni 2014 könnte weitere Überraschungen bieten. Schon das Motto „die wahre Art“ klingt ungewöhnlich. Es bezieht sich auf den 300. Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach und sein bedeutendstes Lehr- und Studienwerk „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“. 

Der Vorverkauf beginnt am 15. Oktober 2013. Siehe unter www.bachfestleipzig.de

 

BACHFEST LEIPZIG 2013 beleuchtet die „VITA CHRISTI“

Bachfest Leipzig 2013 beleuchtete die „VITA CHRISTI“, 23.06.2013

von Ursula Wiegand

 Das Bachfest Leipzig vom 14. bis 23. Juni stand unter dem Motto „Vita Christi“, und so waren Konzerte, Metten und weitere Darbietungen deutlich von Jesu Lebensstationen geprägt. Das Programm mit seinen 115 Veranstaltungen in Leipzig und Umgebung fand eine überaus rege Resonanz.

 
Bachdenkmal an der Thomaskirche, Foto Ursula Wiegand

 65.000 Besucher aus 31 Nationen kamen zum diesjährigen Bachfest. Neben den Deutschen waren Gäste aus Japan, den Niederlanden, den USA und der Schweiz am stärksten vertreten. Doch selbst aus Australien, China, Indien, Argentinien, Mexiko und der Karibik reisten Musikliebhaber an.

Unter 466 Werken und 205 Solisten konnten sie wählen. Sie taten es beherzt und bescherten dem diesjährigen Bachfest mit Ticketerlösen von gut 560.000 Euro – bei stabil gebliebenen Preisen – den bisher größten Verkaufserfolg.

Die Kinder-, Jugend- und Familienreihe „b@ch für uns!“ sowie die Open-Air-Konzerte auf dem Leipziger Markt waren weitere Anziehungspunkte. Auch „die Moderne“ hielt Einzug: mehr als 10.000 Menschen verfolgten ausgewählte Konzerte per Web-Stream.  

 
Bachs Thomaskirche, Foto Ursula Wiegand

 Dass beim  Thema „Vita Christi“ Kompositionen von Johann Sebastian Bach eine Schlüsselstellung innehaben, ist so sicher wie das Amen in der Thomaskirche. Christi Leben und Wirken hat er während seiner 27-jährigen Tätigkeit als Thomaskantor zum Hauptinhalt seiner Werke gemacht. Daher war es logisch, dass mit Jesu Geburt begonnen wurde und am 16. Juni trotz Sommerhitze Bachs „Weihnachts-Oratoium“ im Gewandhaus erklang.

Vom 17. bis einschließlich 20. Juni war ich vor Ort und habe diesmal Werke hören können,  die sonst fast nie aufgeführt werden. So in der Thomaskirche Ludwig van Beethovens einziges Oratorium  „Christus am Ölberge“.  

Beethoven hatte es im Frühjahr 1803 nach einem Text von Franz Xaver Huber in nur 14 Tagen komponiert, offenbar ein Schnellschuss. Schon am 5. April jenes Jahres wurde es im Theater an der Wien uraufgeführt, wo er gerade zum Hauskapellmeister ernannt worden war. Zweimal hat er es überarbeitet, zuletzt 1811, doch mehr an Tiefgang hat das nicht gebracht.

 
Bachfest 2013, Gothart Stier dirigiert den Monteverdi-Chor Hamburg, Foto Gert Mothes

 Daran kann auch Gothart Stier nichts ändern, der sich der Partitur mit solch einem Temperament annimmt, dass ihm die Brille ständig von der Nase zu rutschen droht. Der Monteverdi-Chor Hamburg und das Mitteldeutsche Kammerorchester stehen so gesehen ebenfalls auf verlorenem Posten. Nur die Solisten reichern dieses opernhafte, recht unausgegorene Werk mit gut geführten Stimmen an. Gleich nach der düsteren, gewaltig anschwellenden Einleitung in es-Moll gibt Jörg Dürmüller dem Christus Statur, hier ein Tenor-Part.

Glockenklar singt Miriam Meyer die sehr Mozart-affine Partie des Seraph.  Mit kräftigem Bass charakterisiert Henryk Böhm den Petrus. Zuletzt zeigt Beethoven, dass er auch Fuge kann, lässt aber die Ölberg-Geschichte erneut opernhaft in triumphierendem Dur ausklingen. Der lebhafte Applaus gilt wohl eher den Interpreten als Beethoven, der es wohlweislich bei diesem einen Oratorien-Versuch belassen hat.

 Wie hoch die Fallhöhe ist, hat gleich anfangs die 1724 erstmals aufgeführte Bach-Kantate „Jesu, der du meine Seele“, BWV 78 gezeigt. Zwar setzt auch Johann Sebastian auf Effekte, integriert sogar italienische und französische Traditionen und kombiniert sie mit mitteldeutschen Chorälen. Doch all’ das wird nicht zur kompositorischen Fingerübung. Bach illustriert den Text und lässt ihn in vielen Facetten schillern.

Zu den Solisten gehört jetzt auch Susanne Krumbiegel mit ihrem schönen vollen Alt. Sie kann Bachs Koloraturen  gekonnt singen, während dieses Jörg Dürmüller – anders als später bei Beethoven – weniger gut gelingt.  

Überzeugend gerät allen Beteiligten jedoch das letzte Werk dieses Abends: das selten gespielte „Stabat Mater“, D 383 von Franz Schubert. Hier lässt der 19-Jährige seinen romantischen Gefühlen freien Lauf, ohne ins Gefühlige abzugleiten, lässt den Chor in trauervoller Massivität starten und fordert der Sopranistin sogleich Dramatik ab.

Lächeln muss ich beim 2. Choreinsatz, ist doch eine Zeile aus Joseph Haydns Kaiserhymne zu vernehmen, im Deutschlandlied das „blüh’ im Glanze dieses Glückes“. Solche Zitate waren seinerzeit üblich und ein Kompliment.

Da überdies fast alle Komponisten Bachs Werke studiert haben, muss auch beim jungen Schubert der Chor zweimal eine Fuge singen, zuletzt beim ausgedehnten, in Dur endenden Amen. Denn Marias Trauer über ihren gekreuzigten Sohn mündet in Jubel, da sein Opfertod die Welt erlöst. Die Hamburger singen das mit hörbarer Anteilnahme. Der herzliche Beifall zeigt, dass das Publikum solche engagiert dargebotenen Entdeckungen zu schätzen weiß.

 
Bachfest 2013, Frieder Bernius dirigiert die Hofkapelle Stuttgart, Foto Gert Mothes

 Auch „Lazarus oder Die Feier der Auferstehung“, D 689, ebenfalls von Franz Schubert,  und 1863 in Wien – 35  Jahre nach seinem Tod – auf Initiative von Johannes Brahms uraufgeführt, haben sicherlich viele noch nie live erlebt. Für solche Raritäten ist dieses Bachfest zu loben, das überdies dem Geburtstagskind Richard Wagner am Eröffnungsabend mit einer Auswahl seiner Lieder Tribut gezollt hat. 

In der Nikolaikirche erwecken nun der Kammerchor und die Hofkapelle Stuttgart unter der  Leitung von Frieder Bernius diesen „Lazarus“, Schuberts einziges Oratorium, zu neuem Leben – soweit es Schubert zulässt.   

Bibelfeste wissen, dass Jesus den schon beerdigten Lazarus wieder auferweckt hat. Zahlreiche Maler zeigen in ihren Bildern einen von Leichentüchern umwickelten Lazarus, der seinem Grabe entsteigt, was als Hinweis auf Christi spätere Auferstehung gedeutet wird.

Doch diesen Schluss finden wir bei Schubert nicht. Seine äußerst sorgfältige Reinschrift von 1820 bricht nach 262 Seiten noch vor der Beerdigung des Lazarus ab. Ein Punkt nach dem letzten Manuskriptsatz, danach noch ein „Und“. Das war’s.  

Die penible Reinschrift lässt annehmen, dass Schubert diesen Auftrag fest in der Tasche hatte oder sicher war, mit diesem Oratorium alsbald eine Chance zu haben. War das strikte Verbot von Oratorien-Aufführungen im damaligen kaiserlich-königlichen Österreich der Grund für die Nicht-Beendigung? Oder waren es Glaubenszweifel, die Schubert die Fortsetzung unmöglich machten?  Das sind ungelöste Rätsel.

Jedenfalls ist dieses rd. 90-minütige Fragment von großer Todesfurcht und Trauer geprägt, schließlich auch von einer Fügung ins Unvermeidliche. Bernius und die Seinen tun alles für dieses unvollendete, aber durchaus interessante Werk, das allerdings auf die Spannung fördernde Unterteilung in Rezitative und Arien verzichtet.  

Die Solisten überzeugen ebenfalls, nicht nur mit ihren Stimmen, sondern auch in der gelungenen Zeichnung der unterschiedlichen Charaktere. So hat Lazarus in Andreas Weller (Tenor) den passenden Interpreten gefunden, der seine Todesangst ebenso hörbar macht wie die dann einkehrende Gelassenheit. Ebenfalls im Tenorfach agiert sein Freund Nathanael, gut gesungen von Tilman Lichdi.

Die Rollen der beiden Schwestern Maria und Martha hat Schubert zwei Sopranistinnen zugeordnet. Sarah Wegener gibt die sanfte, gefühlvolle Maria, Johanna Winkel die handfestere Martha. Hinzu kommt Sophie Harmsen (Mezzo) als Jemina, eigentlich eine Tochter Hiobs aus dem Alten Testament.

Nur Simon, der erst in der so bezeichneten Zweiten Handlung über ein Gräberfeld geht, darf seine Furcht vor dem Sterben in tieferen Lagen artikulieren. Tobias Berndt kann mit volumigem Bariton Simons Gefühlswallungen perfekt ausdrücken. Hat sich Schubert 8 Jahre vor seinem frühen Tod schon vor dem Sterben gefürchtet und für sich keine Auferstehung  erwatet?

Die bei ihm fehlende Erlösung liefert gleich anschließend Johann Sebastian Bach in beeindruckender Weise nach. Mit der „Christ lag in Todesbanden“, BWV 4, seiner Kantate zum ersten Ostertag. Der gläubige Bach hat keinerlei Zweifel an der Auferstehung, an der von Jesus schon gar nicht. Nach der „Sinfonia“, einer ergreifenden, melodienreichen Instrumentaleinleitung, kulminieren die folgenden Verse in einem stets wiederkehrenden, ausgiebigen Halleluja, das den Auferstandenen preist und allen Gläubigen die Erlösungsgewissheit verschafft. Auch Bachs gesanglichen Anforderungen sind die Solisten gewachsen und stellen ihr Können unter Beweis. Lang anhaltender Jubel belohnt alle Beteiligten.

 
Bachfest 2013, Sir John Eliot Gardiner dirigiert die Johannes-Passion, Foto Gert Mothes

 Doch weit übertroffen wird diese Zustimmung durch die hoch verdienten Bravos, die Sir John Eliot Gardiner nach der Aufführung der „Johannes-Passion“, BWV 245, in der ausverkauften Thomaskirche entgegenbranden.

Gewiss wird damit auch der Mann geehrt, der im Jahr 2000, zu Bachs 250. Todestag, dessen gesamte Kantaten in diversen Kirchen aufgeführt hat. Der intensive und freudige Applaus gilt aber weit mehr der ganz eigenen, ja vollkommenen Art, wie er – gemeinsam mit seinem  Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists – die Zuhörer an Christi Leidensweg teilhaben lässt.  

Mit weit schwingenden Gesten zieht er die Melodiebögen, nichts ist forciert oder überpointiert. Selbstverständlich strömt die Musik. Gardiner lässt Bach sprechen, nur ihn, und das ist beglückend und faszinierend zugleich. Der Chor, der das Geschehen farb- und ausdrucksreich begleitet, hat daran einen wesentlichen Anteil.   

Ebenso gilt das für den exzellenten Mark Padmore als Evangelisten, ein international gefragter Interpret dieser Rolle. Der ist mehr als ein bloßer Chronist. Wie er das „Barrabas aber war ein Mörder“ gestaltet, lässt zittern. Noch mehr berührt, wie er Petrus nach der Verleugnung Jesu herzerweichend weinen lässt.  

Diese Sonderklasse erreichen die übrigen Solisten nicht, steigern sich aber im Verlauf. Der Bass von Matthew Brook (Jesus) lässt anfangs die dem Gottessohn zustehende Power vermissen und hat einige Probleme mit der Tiefe.

Hannah Morrison (Sopran) singt zwar mutig frei heraus, kann aber „Abrutscher“ ebenso wenig vermeiden wie Meg Bragle (Mezzo). Das „Es ist vollbracht!“ gelingt ihr jedoch überzeugend. Nicholas Mulroy (Tenor) setzt sehr auf Ausdruck, kennt aber wohl nicht die schwierige Akustik der Thomaskirche. Seine Piani kommen unten im Gotteshaus (im Gegensatz zur Empore) wahrscheinlich kaum an.  

 
Bachfest 2013, Schlussapplaus nach der Johannes-Passion, Foto Ursula Wiegand

 Peter Harvey, der den Pilatus und einige Arien singt, setzt sich mit seinem Bass so gesehen besser durch. Doch solch kleine Einwände verblassen gegenüber dem überwältigenden und bejubelten Gesamteindruck.

 Zu einem Highlight ganz anderer Art wird „Dramma per Musica“, die Darbietung weltlicher Bachkantaten in der Musikalischen Komödie, Leipzigs Operettentheater.

 
 Bachfest, Leipzigs Musikalische Komödie, Foto Ursula Wiegand

Doch erst nach der durchaus humorigen „Ouvertüre C-Dur“, TWV 55:C3 von Georg Philipp Telemann und dem „Brandenburgischen Konzert Nr. 1“ F-Dur, BWV 1046 von Johann Sebastian Bach werden zwei seiner nicht kirchlichen Kantaten in Szene gesetzt.

Dabei zeigt sich schnell, dass sein Geburtstagshymnus für den Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels mit dem Titel „Was mir behagt, ist nur die muntere Jagd“ BWV 208 wohl ein eher pflichtschuldiges Unterfangen war, allerdings ein recyceltes, ein bei einem ähnlichen  Anlass vor Jahren komponiertes Stück. Die Götter Diana, Endymion, Pan und die Nymphe Pales bringen dem Herzog ein Ständchen, doch sehr amüsant ist das nicht.

 
Bachfest 2013, Marina Zyatkova mit Piotr Micinski, Foto Gert Mothes

 Ganz anders das folgende „Schweigt stille, plaudert nicht“, BWV 211, Bachs berühmte  „Kaffeekantate“. Der lustige Zank zwischen dem Kaffee süchtigen Liesgen und ihrem Vater namens Schlendrian (!) eignet sich bestens zur szenischen Aufbereitung. Mit der süßen Marina Zyatkova im wippenden Reifröckchen und dem bekennenden Kaffeehasser Piotr Micinski, der heimlich zur Zigarette und Weinflasche greift, wird das eine putzmuntere Angelegenheit. Beide geben ihrem Affen singend und spielend so richtig Zucker, machen das aber mit selbstironischem Können.

Die hübsche Kleine, die sich lieber um ihren Kaffee- als um ihren Liebeskonsum kümmert, macht dem Papa stets wechselnde Sorgenfalten. Denn der möchte sie unter die Haube bringen, doch Männer interessieren sie zunächst gar nicht.

 
Bachfest 2013 Alberto ter Doest und Marina Zyatkova, Foto Ursula Wiegand

 Als aber ein ansehnlicher Mann mit einer Kaffeekanne auf dem Kopf erscheint, sie anhimmelt und ihr bald ständig Kaffee einschenkt, verliebt sie sich sofort. Eine stumme Rolle, gespielt von Alberto ter Doest, zuvor der gefeierte Fürst in der Jagdkantate.

Das kleine Stück wird zum großen Spaß, zumal sich das Combattimento Consort Amsterdam unter Jan Willem de Vriend ebenso so munter ins Zeug legt. Und es passt auch zum Thema „Vita Christi“, hat doch Jesus, wie die Evangelisten berichten, auf der Hochzeit zu Kanaa mitgefeiert und für wundersamen Weinnachschub gesorgt.  

Das Bachfest steht jedoch nicht nur für großartige Musik, sondern auch für recht kurze Nächte, nicht nur bei denjenigen, die nach den Konzerten noch in die Moritz-Bastei zu den jazzigen Bach-Reflections eilen. Leipzigs warme Sommernächte verlocken zum Draußensitzen. Dennoch sind die morgendlichen Gottesdienste, die freundlicherweise um 09.30 Uhr beginnen, stets sehr gut besucht. Denn auch in diesem Rahmen wird Hochwertiges geboten.

 
Bachfest 2013, Gotthold Schwarz in der Peterskirche, Foto Ursula Wiegand

 Dass Gotthold Schwarz und das Bach Consort Leipzig Bachs Vorgänger in der Peterskirche musikalisch zu Worte kommen lassen, freut mich besonders. Eine ähnliche Wahl trifft der junge Dirigent Ludwig Böhme – zusammen mit dem Kammerchor Josquin des Préz und dem Leipziger Barockorchester – tagsdarauf in der Thomaskirche.

 
 Bachfest 2013, Tobias Hunger, Tenor, Foto Ursula Wiegand

 Bei beiden Metten fällt mir der Tenor Tobias Hunger positiv auf. Der gestaltet sie Bachschen Koloraturen mit Körpereinsatz und schwingt mit, was seinem Singen Volumen und eine besondere Geschmeidigkeit verleiht.

Auch die Katholische Propsteikirche schließt sich diesem Trend zur Alten Musik an und setzt neben Johann Sebastian Bach insbesondere auf Heinrich Schütz, dem sich – wie könnte es anders sein – das Schütz Consort Leipzig unter Oliver Burse versiert widmen. So gesehen brachten in diesem Jahr auch die Kirchen so manches, was sonst nur selten zu hören ist. Das Bachfest wurde so zur Fundgrube für Entdecker, selbst wenn es traditionsgemäß mit Bachs  „Messe h-Moll“ in der Thomaskirche endete.

Das nächste Bachfest Leipzig vom 13.-22. Juni 2014 könnte weitere Überraschungen bieten. Schon das Motto „die wahre Art“ klingt ungewöhnlich. Es bezieht sich auf den 300. Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach und sein bedeutendstes Lehr- und Studienwerk „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“. 

Der Vorverkauf beginnt am 15. Oktober 2013. Siehe unter www.bachfestleipzig.de

 

INGOLSTADT: GINEVRA DI SCOZIA – zum 250. Geburtstag von Simon Mayr

INGOLSTADT: GINEVRA DI SCOZIA – Zum 250. Geburtstag von Simon Mayr am 14.06. 2013 (Werner Häußner)

 Auch wenn die letzten Reflexe einer überwundenen Musikgeschichtsschreibung immer noch in einigen Köpfen spuken: Es ist nicht so, dass Genies wie Verdi und Wagner vom Himmel fallen. Längst hat die seriöse wissenschaftliche Aufarbeitung den Geniekult des 19. und 20. Jahrhunderts überwunden, manchen „Kleinmeister“ rehabilitiert, vor allem deutlich gemacht, dass die unbezweifelbar großen, bestimmenden Fixsterne einer Epoche aus dem Vollen der Tradition und ihrer musikalischen Umgebung geschöpft haben.

So ist auch das Interesse an dem bayerisch-italienischen Komponisten, Pädagogen und Gelehrten Johann Simon Mayr in den letzten 20 Jahren nicht nur gewachsen, weil man in Ingolstadt und Bergamo einen peripheren Tonsetzer zum musikalischen Lokalgott hochstilisiert. Sondern weil sich – je mehr Quellen zur Verfügung stehen, desto klarer – abzeichnet, wie entscheidend Mayr die Musikwelt im Italien der Jahre 1800 bis 1825 geprägt hat, wie intensiv nicht nur sein Schüler Gaetano Donizetti auf seinen bahnbrechenden Entwicklungen aufgebaut hat. Und Verdi hat, wie wir von ihm selbst wissen, „seinen“ Mayr gut gekannt.

Das ist nun noch kein Grund, die Musik des Wahl-Italieners über den Rahmen wissenschaftlicher Studien oder Editionen hinaus in die lebendige musikalische Szene von heute einzubringen. So reizvoll ein klingendes Opernmuseum sein kann – auch das muss es hin und wieder geben –, sind derlei Wiederbelebungsversuche meist nur punktuell interessant. Der Zeitgenosse nimmt’s zur Kenntnis und wendet sich weiter.

Bei Giovanni Simone Mayr liegt der Fall anders. Das haben die Aufführungen der letzten Jahre erwiesen. Seiner „Medea in Corinto“ ging schon immer der Ruf voraus, ein zeitlos bewegendes Musikdrama zu sein. Aber es hat sich gezeigt, dass auch andere Werke Mayrs im Jetzt und Heute bestehen können. Zuletzt wurde das Anfang des Jahres mit einer Münchner Produktion von „Adelasia ed Aleramo“ bewiesen – eine Oper, deren Titel selbst Mayr-Kennern und Liebhabern nicht ohne weiteres geläufig war.

Zum 250. Geburtstag des Komponisten aus Mendorf haben die Stadt Ingolstadt – wo Mayr studiert hat –, die rührige Simon-Mayr-Gesellschaft und der Bayerische Rundfunk ein Projekt realisiert, das einen weiteren Schritt in der Mayr-Renaissance geht: In Ingolstadt wurde „Ginevra di Scozia“ konzertant aufgeführt – und das am Abend des Geburtstags. Gäste aus Bergamo, wo die Aufführung am 16. Juni wiederholt wird, und Musikfreunde aus aller Welt saßen im Publikum; die Präsenz zahlreicher Politiker aus der Region ließ den Stolz spüren, mit dem man in Mayrs Heimat seiner Person und seinem Wirken begegnet. Ein wissenschaftliches Symposion begleitete die Aufführung. Und eine örtliche Brauerei ließ es sich nicht nehmen, ein Zwickl-Bier als Simon Mayr gewidmete Jubiläums-Abfüllung zu kreieren, dessen Vorräte in der Pause bald ausverkauft waren.

Mayr als Erfüller einer Tradition, Mayr als Wegbereiter, aber auch Mayr als eigenständig originelle Persönlichkeit: Die Aufführung von „Ginevra di Scozia“ ließ den Jubilar in allen Facetten hörbar werden. Schon die Ouvertüre gab den Fingerzeig, woher Rossini seine aparte Bläserbehandlung gelernt hat, verwies im frisch erfundenen Allegro auf das Erbe Mozarts, ließ aber auch unverkennbar Mayrs Handschrift erkennen. Die Cavatina, mit der sich Ginevra vorstellt, ist Mozart, in romantischen Belcanto transferiert; diejenige ihres Gegenspielers Polinesso wird nicht nur von einem der berühmten Bläsersoli Mayrs – hier für Englischhorn – eingeleitet, sondern ist ein Beispiel für die glückliche Hand Mayrs bei der musikalischen Charakterisierung seiner Textvorlagen. Das Crescendo zum Entrée Ariodantes könnte glatt von Rossini sein – wenn der nicht erst zehn Jahre später die Bühne betreten hätte. Und die Nachtstimmung, die Mayr mit Hilfe einer betörenden Klarinette schildert, klingt so, als habe sie Weber zwanzig Jahre später in seine romantische Sphäre übertragen.

Vielleicht noch mehr als die vielen Verweise auf die Musik der Generation nach 1815 beeindrucken die beiden großen Finali, die Mayr für seine „Ginevra“ geschaffen hat. Eine Untersuchung dieser weiträumig angelegten szenisch-musikalischen Komplexe würde sicherlich den Wert, den man ihnen beim ersten Hören spontan zugesteht, vertiefend bestätigen. Mit dem sorgfältig atmosphärisch eingesetzten Männerchor und der Vielfalt der musikalischen Formen vom einfachen Secco-Rezitativ bis zum aus dem Moment entwickelten Arioso, vom Quintett bis zum – allerdings sehr traditionell gehaltenen – Schlussrondo hat Mayr alle Mittel seiner Zeit genutzt, um die Dramatik des Geschehens formal innovativ in Musik auszudrücken.

Das Münchner Rundfunkorchester macht diese erneuernde Kraft unter der Leitung von George Petrou hörbar. Petrou, der einige Erfahrung mit Mayrs Musik hat, bevorzugt gemäßigte Tempi, einen fein ausbalancierten Mischklang, ruhevolle Phrasierungen, aber auch dynamisch kraftvolle Akzente, rhythmische Prägnanz und, wo nötig, dramatische Zuspitzung. Für Solisten des Orchesters und für Konzertmeister Markus Wolf bieten sich dankbare Aufgaben: Mayr hat Flöte, Klarinette, Englischhorn, Horn, Violine und Cello bedacht. Manchmal lässt Petrou die Sänger allerdings über die Klippe der Präzision springen, etwa, wenn er dem Tenor Mario Zeffiri (Polinesso) zu wenig Zeit lässt, seine Verzierungen auszusingen. Und der großen Szene des Ariodante im zweiten Akt, die frappierend Rossinis „Tancredi“ (1813) vorwegnimmt, fehlt das locker-gelassen ausschwingende Metrum.

Mitnichten also ist „Ginevra di Scozia“ eine reine Sänger-Oper; dafür ist Mayrs Orchester viel zu sprechend, viel zu differenziert behandelt. Dennoch: Die Stimme spielt eine dominierende Rolle, der die Ingolstädter Aufführung durch eine prominente Besetzung Tribut zollt. Mit Anna Bonitatibus war die Rolle des Ariodante mit einer erfahrenen Belcanto-Gestalterin besetzt. Diesem Ritter, der einer üblen Täuschung zum Opfer fällt, gab sie eine fast gluckisch anmutende Würde, ein edles Feuer der Gefühle. Bonitatibus betont die introvertierten Seiten der Figur, die inneren Kämpfe und mühevoll der Außenwelt verborgenen Seelenqualen. Sie setzt vielfältig schattierte Piani, eine kostbar dunkle Mezzavoce, aber auch eine gespannt leuchtende Höhe ein, um den unglücklichen Geliebten Ginevras zu charakterisieren.

Anders dagegen Polinesso, Ariodantes Konkurrent und Gegenspieler: Er bringt in der schneidenden Tenorhöhe und dem Feuerwerk seiner Verzierungen zum Ausdruck, dass er ein gleißnerischer Anti-Held ist, der täuscht, enttäuscht und betrügt; ein maskierter Spieler, dem Mayr in einer Cavatina freilich auch ein menschliches Antlitz gibt und ihn damit aus dem Klischee des Bösen löst. Mario Zeffiri zeichnete sich mit einem manchmal etwas fest sitzenden Tenor als höhensicherer Gestalter aus, der seine Erfahrung mit solchen Partien in einer sorgfältigen Textausdeutung und in sicher beherrschten technischen Kniffen einbringt.

Die Titelpartie sang Myrtó Papatanasiu: Anfangs mit reichlich enger Höhe und gekappten Legato-Bögen, konnte sie sich im Lauf des Abends steigern und erfüllte vor allem die traurige, schmerzvolle Seite Ginevras mit weich geformten Piani und anmutigen, wenn auch etwas gedeckt gebildeten lyrischen Phrasen. Mit Magdalena Hinterdobler stand als Dalinda eine stimmkräftige Nachwuchs-Sängerin auf dem Podium, die als „seconda donna“ mit einem beweglichen, dramatisch zugespitzten Mezzo im Rennen um die Gunst des Publikums begeisterten Beifall gewann. Dennoch war zu bemerken, dass die Stütze nicht durchgehend gehalten, manche Töne eher mit Kraft als mit sicherer Basis heraustrompetet wurden: eine Sache der Erfahrung und Disziplin, denn das Material der Sängerin „stimmt“.

Stimmliches Überagieren war bei Stefanie Irányi als Lurcanio zu registrieren. Im redlichen Bemühen, der Partie des treuen Bruders von Ariodante emotionales Profil zu geben, gefährdet die junge Sängerin öfter ihren Stimmsitz zugunsten einer fast schon veristischen Art, mit Hilfe von Deklamation gesteigert expressiv zu wirken. Ein zuverlässiger Einspringer für den erkrankten Kay Stiefermann war der Bariton Peter Schöne als König mit einem deutlich vom Lied geprägten gestalterischen Ansatz.

Marko Cilic in der mit einer ausdrucksvollen Arie und einigen gefühlsstarken Rezitativen ausgestatteten Nebenrolle des Vafrino brachte die technischen Voraussetzungen für das Belcanto-Singen nicht mit. Sein Tenor ist nicht korrekt gestützt, die Töne werden flach oder sind unter Druck geformt, entspanntes Gestalten ist ihm nicht möglich. Auch der Männerchor des Heinrich-Schütz-Ensembles Vornbach war, wiewohl von Martin Steidler präzis einstudiert, mit seinem „weißen“ Klang nicht das Ideal eines italienischen Opernchors.

Das Fazit: Wieder einmal hat sich die Begegnung mit einer weitgehend vergessenen Oper Simon Mayrs gelohnt (die letzte Aufführung von „Ginevra di Scozia“ war meines Wissens 2001 in Trieste, wo das Werk 1801 uraufgeführt wurde). Es ist zu hoffen, dass nach dem gesteigerten Interesse aus Anlass des Jubiläums das Engagement für Mayr nicht abflaut: Der Komponist hätte es verdient, und die Gegenwart des Musiktheater wäre auf jeden Fall bereichert.

 Hinweis: Der Bayerische Rundfunk überträgt den Mitschnitt der Aufführung am 23. Juni um 19.05 Uhr in seinem Programm BR Klassik und stellt die Aufnahme als Podcast für eine Woche ins Netz (Info: www.br.de). Eine CD soll bei Oehms Classics erscheinen.

 

WIEN/ Staatsoper: „DIE KRAFT DER LIEBE – ein Essay über ANDREA CHENIER (16.5) / TOSCA (18.5.) und CARMEN (20.5)

WIENER STAATSOPER: Die Kraft der Liebe. ANDREA CHENIER / TOSCA und CARMEN im Mai 2013

 Es ist immer ein Genuss, die Wienerstaatsoper zu besuchen. Wenn das Licht des kristallenen Kronleuchters unter der Kuppel des Zuschauerraumes langsam verglimmt und die ersten Töne aus dem Orchestergraben erklingen, dann entsteht in den Zuschauerlogen die geheimnisvolle Magie, die alle Zuschauer fesselt. Der sich öffnende Vorhang gibt den Blick frei in eine Welt tief gestaffelter Bühnenprospekte, wie man sie nur auf ganz großen Bühnen der Welt findet. Und die Wiener Oper ist vielleicht die derzeit die Großartigste in der Welt der großen Künste.

 Das mag vielleicht ein bisschen dick aufgetragen erscheinen, aber in einem Interview mit dem Direktor des Opernhauses Dominique Meyer, beschrieb er uns die Auslastung des Hauses mit 98 bis 100 Prozent. Diese Statistik, sehr bescheiden und schlicht von ihm vorgetragen, mag die Sogwirkung der Wiener Oper bestätigen. Die Anziehungskraft der Wiener Opernaufführungen beruht auf brillanten Stimmen, einem exzellenten Orchester und stimmigen Inszenierungskonzepten. Deshalb kann man auch Franco Zeffirilli Carmen-Inszenierung zum wiederholten Male erleben. Eine Otto Schenk Inszenierung ist Andrea Chènier und ebenso überzeugend wirkt die Tosca Inszenierung von Margarethe Wallmann.

Was haben diese drei Opern gemeinsam und was unterscheidet sie?

LIEBE! Allerdings in verschiedensten Ausprägungen, Sichtweisen und letztlich in ihrer Auswirkung auf die Liebenden.

 Alle drei genannten Opern folgen veristischen Konzepten, das heißt, sie wollen die Wirklichkeit poetisch übersteigern und den Opernzuschauer emotional zum Höhepunkt treiben. Dass dies gelingt, kann man ständig neu erleben, wenn die Zuschauer nach den Arien in bravo Rufe ausbrechen. Diese bravo Rufe sind nicht nur gefällige Ovationen, sondern sie sind Gefühlsentladungen des Publikums, weil sie mitgerissen werden von dem, was sie da auf der Bühne erleben.

 Sie erleben nämlich bei Andrea Chènier und Tosca zwei Frauengestalten, die sich persönlich opfern, um ihren Geliebten zu retten und ihren Tod freiwillig wählen. Was man nicht über Carmen sagen kann, die sich für ihre persönliche Liebe und ihre Freiheit opfert. Für sie gibt es keine Kompromisse.

 Zum Rückblick dient uns der schlichte Plan in chronologischer Folge, die besuchten Abende Revue passieren zu lassen.

 Wir beginnen mit Andrea Chènier von Umberto Giordano am 16.05.2013.

 Zunächst kurz die Geschichte:

Andrea Chénier entstand in den Jahren 1894-95. Luigi Illica verfasste das Libretto zunächst für den Komponisten Alberto Franchetti, der dieses später aber an Giordano abtrat. Die Oper wurde am 28. März 1896 in der Mailänder Scala uraufgeführt. Im Mittelpunkt des Werkes steht die tragische Figur des französischen Dichters André Chénier, der 1794 mit 31 Jahren auf der Guillotine endete. Diese historische Geschichte kann man als Oper tatsächlich erleben.

 Am Vorabend der französischen Revolution brüskiert der Dichter Andrea Chénier den Adel durch sein Eintreten für Humanität und Freiheit. Einzig Maddalene de Coigny und der Lakai Gérard teilen seine Ansichten. Gérard, den die Revolution zu einem ihrer führenden Männer gemacht hat und der Maddalene begehrt, denunziert Chénier, um seinen Nebenbuhler aus dem Weg zu schaffen, sich mit dem Adel verbündet zu haben. Auf verzweifeltes Bitten Maddalenas widerruft er zwar diese Anschuldigungen vor dem Tribunal, doch zu spät: Andrea Chénier wird zum Tode verurteilt. Maddalena di Coigny folgt ihm freiwillig auf das Schafott.

 Die Inszenierung von Otto Schenk wartet mit opulenten Bildern auf. Der erste Aufzug führt uns in einen Salon im Stil des Rokoko, d.h. es werden kleine Gedichte vorgetragen und man übt sich in gekünstelter Unterhaltung. Dem „fächelnden Ha-Ha-Ha“ soll Andrea Chénier das Sahnehäubchen verpassen, doch er weigert sich. Die Gräfin fordert ihn zum Vortrag von Gedichten auf. Chénier weigert sich und Maddalena wettet und provoziert ihn, damit er die Liebe besingt. Als Reaktion erhält sie von Chénier eine politische Anklage. Der Skandal ist da, weil Chénier lyrisch beginnend, scheinbar ein Liebesgedicht flötet, um dann umso heftiger eine Anklage der sozialen Verhältnisse zu postulieren. Natürlich ist in diesem ersten Bild der Konflikt grundgelegt und auch der Liebesfunke zündet. Von diesem Augenblick an will Maddalena nicht mehr von der Seite Chéniers weichen und für ihre Liebe zu ihm, ist sie bereit, auf das Schafott zu gehen.

 Nun einige Anmerkungen zur musikalischen Darbietung des Abends.

 Andrea Chénier, gesungen von José Cura, ist ein sinnlich timbrierter Tenor mit Charisma, aber dieser Abend war nicht in allen Facetten seines Gesanges mühelos strömend. Offenbar war er an diesem Abend stimmlich indisponiert und half sich mit guter Technik. Dennoch traf er die hohen Töne.

 Im Gegensatz zu ihm war Martina Serafin bei ihrem Rollendebut als Maddalena di Coigny eine faszinierende, in allen Lagen überzeugende, jugendlich dramatische Maddalena. Der Höhepunkt der Oper war das Zusammenklingen der beiden Stimmen, kulminierend im Entschluss der Liebenden, gemeinsam in den Tod zu gehen. Ein wirklich faszinierendes Duett.

 Den Wandel des Dieners Carlo Gérard, von der korrupten Scarpia-Parallelfigur zu einem Helfer des Liebespaares, machte der Bariton Marco Vratogna durch stimmliche Facetten zu einem emotionalen Erlebnis.

Marco Armiliato am Dirigentenpult brauchte keine Partitur und schwebte Stil- und Zielsicher durch alle vier Akte. Er beherrschte tatsächlich jede Note und setzte die Musik im Konsens mit den Sängern um.

 Zweifellos ist diese Oper in Wien so beliebt, dass manche Besucher sie sich nicht nur zwei oder drei Mal, sondern wie ein Kenner neben mir raunte: er habe die Inszenierung zum zwanzigsten Mal gesehen. Wahrscheinlich gibt es auch für die nächste, zu besprechende Oper, die wir am 18.5. 2013 besuchten, ähnliche Kenner.

 „Vissi d’arte, vissi d’amore / Ich lebte für die Kunst, ich lebte für die Liebe“. TOSCA am 18.5.

Diese Toscas Aussage filtert die Essenz der gesamten Oper Tosca. In dieser Puccinis Oper stimmt wirklich alles von Anfang bis zum Ende. Puccini selbst war von diesem Stoff sofort gefangen und scheute sich auch nicht, eine kleine Intrige gegen seinen persönlichen Freund, den Komponisten Alberto Franchetti zu führen, um das Vertonungsrecht zu erhalten.

 Die Geschichte stammt von Victorien Sardou, ein in seiner Zeit vielgespielter Theaterautor, denn man heute nur noch kennt, weil es Puccinis Oper gibt. Puccini sah das Theaterstück 1889 in Mailand und war sofort vom Stoff begeistert. Ihm war offensichtlich klar, welcher dramaturgische Sprengstoff in diesem Stück liegt. Denn die Story um die gefeierte Sängerin Floria Tosca, die am 17. Juni 1800 in Rom wegen ihrer Eifersucht in eine tödliche Intrige gerät, zählte zu den düsteren Geschichten, die je auf die Opernbühne kamen. So düster, dass die Kritik noch 1902 anlässlich der deutschen Erstaufführung in Dresden „eine krasse Schauergeschichte“ beklagte, während sich das Publikum schon längst für das emotionale Stück und seine unüberhörbare musikalische Qualität begeisterte. Seither ist Tosca von den Spielplänen nicht wegzudenken. Die Oper Tosca überzeugt mit ihrer minutiösen Verzahnung von Text und Musik. Sie markiert mit ihrer Genauigkeit einen Meilenstein in der Kunst veristischen musikalischen Erzählens auf der Opernbühne.

 In die wunderbare Musik Puccinis eingebettet, wird die Leidensgeschichte zweier Liebender Floria Tosca und Mario Cavaradossi, geschildert, deren Leben und Hoffnungen durch die politische Willkür und egoistische Begierde des brutalen Polizeichefs Scarpia vernichtet werden. Faszinierend ist das freie Entscheidungs-moment Toscas, sich dem gierigen Polizeichef Scarpia hinzugeben, um ihren Liebsten zu retten. Ähnlich wie bei Andrea Chénier, wo sich Maddalena di Coigny zunächst Carlo Gérard, dem Nebenbuhler Chéniers, hingeben will, um Andrea zu retten. Ihr Angebot wird allerdings überflüssig, da Chénier längst vor dem Revolutionstribunal steht und das Urteil beschlossen ist. Daran kann auch Gérard nichts mehr ändern. So bleibt Maddalena nur noch ein Schritt auf den Karren, der sie mit ihrem Geliebten zur Guillotine bringen wird. Diesen kleinen, aber so unendlich bedeutungsvollen Schritt macht sie aus freier Liebesentscheidung. Bei Tosca wird dieses Hingabemotiv gesteigert, in dem Tosca Scarpia ersticht und damit einen Mord begeht. Das sind die zwei im Grunde verschiedenen Frauen, aber die Beiden haben den gleichen Impuls: LIEBE! Und für diese Liebe sind sie bereit ALLES ZU TUN.

 Bei dieser Inszenierung erlebten wir die unvergessliche Norma Fantini. Sie faszinierte bereits im ersten Akt mit dem Glanz ihrer dramatischen Stimme. Schön, dass sie die innigen Töne für ein gefühlvolles „Vissi d’arte“ im zweiten Akt auf ihrer gesanglichen Palette hat. Glaubhaft war ihre Emotionalität beim Gebet, vor dem Mord an Scarpia, da brachte sie mit ihrem Schluchzten alle zum Weinen. Norma Fantini sorgte mit ihrem Gesang für enorme Spannung im Raum.

 Ihr Tenorpartner, Marcello Giordani, als Maler Mario Cavaradossi, zeigte sich den hohen Tönen seiner Partie auf imposante Weise gewachsen und konnte an der Rampe ein furioses „Vittoria“ schmettern, aber auch im dritten Akt sensibel das Leuchten der Sterne beschwören. Er überzeugte in seiner Rolle nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch.

 Marco Vratogna spielte seine Rolle wahrhaft dämonisch überzeugend. Auch stimmlich war er seiner Partie tatsächlich gewachsen, mit voluminöser Stimme und zynischem Ausdruck verkörperte er einen diktatorischen Polizei Chef, der einem das Blut gefrieren ließ. Ebenso überzeugend war aber dann auch sein Sterben. Mit seinen Schluchzten erwirkte er auch Mitleid und wurde damit zum Bösewicht mit menschlich nachvollziehbarer Seite. Dieses Spiel und dieser Gesang erhöhten die Dramatik der Oper.

 Marco Armiliato, der schon bei Andrea Chénier am Pult stand, ist wirklich in der Lage das Orchester und die Sänger so zu führen, dass die sich potenzierende Dramatik vom Beginn bis zum Schluss funktionierte. Da stimmten alle Tempi, da gelangen alle Forcierungen, da stimmte exakt das Zusammenspiel zwischen Orchester und Sänger. Diese perfekte Umsetzung von Marco Armiliato riss von der ersten Note der Ouvertüre bis zum Schlussakkord alle mit.

 Ein anderes Beispiel der Liebe erlebten wir bei der CARMEN am 20.05.2013.

 Die Oper Carmen ist inzwischen Allgemeingut geworden, jeder kennt sie, viele Melodien sind nachsing- und pfeifbar, sie wird immer wieder gespielt und das Publikum strömt. Trotzdem bleibt bei Carmen etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes, eine Untergrundströmung teilt sich dem Publikum mit. Heute wird Carmen weniger als Provokation empfunden, denn die Tabu-Brüche auf Opernbühnen sind vielfältig. Dabei hat es das Sujet immer noch in sich. Die Geschichte spielt im proletarischen Milieu, führende Gesellschaftsschichten, wie das Militär, werden lächerlich gemacht, eine Außenseiterin gibt den Ton an.

Damit hat Bizet einen neuen Frauen-Typ entwickelt.

 „Carmen gibt niemals nach; frei ist sie geboren, und frei wird sie sterben“.

 Mit diesen Worten ist ihr Wesen auf den Punkt gebracht. Was ist an Carmen anders, als an den zwei hier beschriebenen Frauen-Figuren (Tosca und Maddalena)? Was unterscheidet sie von ihnen?

 Carmen ist im Gegensatz zu anderen Bühnen-Frauen nicht hingebungsvoll und sich selbstaufopfernd, sondern sie bestimmt, was Liebe ist. Sie opfert sich nicht für die Liebe zu einem einzigen Mann, sie opfert ihr Leben für ihre Freiheit, den zu lieben, den sie will. Carmen ist eine freiheitsbesessene Figur, sie liebt mehrere Männer und lässt sich von niemandem etwas vorschreiben. Sie ist wild, temperamentvoll, sehr schön, erotisch und verführerisch. Das weiß sie und das alles nützt sie aus, um die Männer um den Finger zu wickeln. Dabei ist sie nicht nur berechnend, ihre Einstellung ist auch fatalistisch. Am Ende wird sie auch ein Opfer ihrer eigenen Lebensweise.

Auch in der Wiener Staatsoper füllen sich die Plätze, wenn Carmen auf dem Programm steht. Für die Carmen-Rolle gibt es bestimmte Vorstellungen. Wahrscheinlich würde auf Anhieb jeder Besucher die Carmen als dunkelhaarige, temperamentvolle, südländische Schönheit beschreiben.

 Auch Don José beschreibt Carmen bei seiner ersten Begegnung mit ihr in der Novelle von Prosper Mérimee so: „Ich sah Carmen. . . Ich bezweifle, dass Fräulein Carmen von reiner Rasse war, jedenfalls war sie unendlich hübscher als alle Weiber ihres Volks, die mir je begegnet sind. . . Zum Beispiel müssen drei Dinge an ihr schwarz sein: Augen, Wimpern und Brauen. . . Die Haare, vielleicht etwas grob, waren schwarz, mit blauen Lichtern, wie bei Rabenflügeln, lang und glänzend . . .“

 Diese Carmen Beschreibung findet sich schon in der Novelle von Prosper Mérimee und so sehen alle Besucher diese Rolle.

 In der Wiener Staatsoper wurde die Carmen schon immer von großen Sängerinnen gesungen, z. B. von Elena Obraztsova und Placido Domingo. 1975 wurde Elena Obraztsova als beste Carmen der Welt in Spanien ausgezeichnet. Die Natur hat Elena Obraztsova freigebig beschenkt. Sie hat eine Stimme von seltener Schönheit im Timbre, ihr Klang wurde volltönend, wie eine Orgel, beschrieben. Ihre Bühnenausstrahlung gab der gespielten Opernheldin eine seltene künstlerische Ausdruckskraft. Sie ist die geborene Carmen und entspricht dem Frauen-Typ, den Bizet komponiert hat.

 Erfüllt die Inszenierung am 20.05.2013 auch diese Vorstellung?

 Ähnlich wie Elena Obraztsova startete Elina Garanca vor einigen Jahren eine Carmen-Weltkarriere, zweifellos mit großem Erfolg. Als Sängerin gehört sie sicherlich zu den Spitzenstars und ihr Können ist vielbeachtet. Dennoch muss man die Frage stellen dürfen, ob die Art der Darstellung in der Staatsoper eine Carmen vermittelt, die der Werk-Intension entspricht. Leider hatte Elina Garanca uns bei dieser Aufführung als blonde, kühle Carmen nicht überzeugt. Es fehlte ihr an Temperament, Wildheit und ihre erotische Präsenz teilte sich nicht überzeugend mit. Sie war als Bühnenfigur eher eine blasse Erscheinung, auch durch ihre Kostüme. Man hatte Mühe, sie auf der Bühne zwischen den anderen Sängern zu entdecken. Mit ihrem Mezzosopran sang sie natürlich alle Töne richtig, aber diese Richtigkeit war auch gleichzeitig eine etwas blutleere Perfektion. Und das stellte ihre Glaubwürdigkeit in Frage. Gesanglich fehlte es ihr an dieser untergründigen Tiefe, die für diese Rolle so entscheidend wäre. Auch im Finale wirkte ihr Spiel gewollt und die Leidenschaft kühl kontrolliert. Mit Slow-Motion-Effekt zog sie Don Josés Ring vom Finger und warf ihn in den Staub. Eine Geste der Abfälligkeit, aber war sie so leidenschaftlich, dass man Josés Reaktion darauf nachvollziehen konnte? Elina Garancas eher kontrolliertes Spiel blieb hinter der Rolle etwas zurück.

 Roberto Alagna als Don José überzeugte uns an diesem Abend mehr. Vor allem in der letzten Szene berührte er in seinem leidenschaftlichen Schmerz das Publikum. Überhaupt spielte er seine Rolle mitreisend und durgehend emotional.

 Bertrand de Billy dirigierte das ausgewogen klingende Orchester. In angemessener Lautstärke unterstützte er die Sänger, allerdings gab er bei der Ouvertüre für ein viel zu schnelles Tempo vor.

 Diese Inszenierung sorgte beim Publikum in den Pausen für Diskussionsstoff, aber trotzdem war der Gesamteindruck des Abends eine zu Recht bejubelte Leistung.

 Mit unserem Artikel versuchten wir drei Opern und ihre Aufführungen an der Wiener Staatsoper zu vergleichen und zu beschreiben, welche Wirkung die Kraft der LIEBE hat.

 Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

 

WIEN/ Staatsoper: "DIE KRAFT DER LIEBE – ein Essay über ANDREA CHENIER (16.5) / TOSCA (18.5.) und CARMEN (20.5)

WIENER STAATSOPER: Die Kraft der Liebe. ANDREA CHENIER / TOSCA und CARMEN im Mai 2013

 Es ist immer ein Genuss, die Wienerstaatsoper zu besuchen. Wenn das Licht des kristallenen Kronleuchters unter der Kuppel des Zuschauerraumes langsam verglimmt und die ersten Töne aus dem Orchestergraben erklingen, dann entsteht in den Zuschauerlogen die geheimnisvolle Magie, die alle Zuschauer fesselt. Der sich öffnende Vorhang gibt den Blick frei in eine Welt tief gestaffelter Bühnenprospekte, wie man sie nur auf ganz großen Bühnen der Welt findet. Und die Wiener Oper ist vielleicht die derzeit die Großartigste in der Welt der großen Künste.

 Das mag vielleicht ein bisschen dick aufgetragen erscheinen, aber in einem Interview mit dem Direktor des Opernhauses Dominique Meyer, beschrieb er uns die Auslastung des Hauses mit 98 bis 100 Prozent. Diese Statistik, sehr bescheiden und schlicht von ihm vorgetragen, mag die Sogwirkung der Wiener Oper bestätigen. Die Anziehungskraft der Wiener Opernaufführungen beruht auf brillanten Stimmen, einem exzellenten Orchester und stimmigen Inszenierungskonzepten. Deshalb kann man auch Franco Zeffirilli Carmen-Inszenierung zum wiederholten Male erleben. Eine Otto Schenk Inszenierung ist Andrea Chènier und ebenso überzeugend wirkt die Tosca Inszenierung von Margarethe Wallmann.

Was haben diese drei Opern gemeinsam und was unterscheidet sie?

LIEBE! Allerdings in verschiedensten Ausprägungen, Sichtweisen und letztlich in ihrer Auswirkung auf die Liebenden.

 Alle drei genannten Opern folgen veristischen Konzepten, das heißt, sie wollen die Wirklichkeit poetisch übersteigern und den Opernzuschauer emotional zum Höhepunkt treiben. Dass dies gelingt, kann man ständig neu erleben, wenn die Zuschauer nach den Arien in bravo Rufe ausbrechen. Diese bravo Rufe sind nicht nur gefällige Ovationen, sondern sie sind Gefühlsentladungen des Publikums, weil sie mitgerissen werden von dem, was sie da auf der Bühne erleben.

 Sie erleben nämlich bei Andrea Chènier und Tosca zwei Frauengestalten, die sich persönlich opfern, um ihren Geliebten zu retten und ihren Tod freiwillig wählen. Was man nicht über Carmen sagen kann, die sich für ihre persönliche Liebe und ihre Freiheit opfert. Für sie gibt es keine Kompromisse.

 Zum Rückblick dient uns der schlichte Plan in chronologischer Folge, die besuchten Abende Revue passieren zu lassen.

 Wir beginnen mit Andrea Chènier von Umberto Giordano am 16.05.2013.

 Zunächst kurz die Geschichte:

Andrea Chénier entstand in den Jahren 1894-95. Luigi Illica verfasste das Libretto zunächst für den Komponisten Alberto Franchetti, der dieses später aber an Giordano abtrat. Die Oper wurde am 28. März 1896 in der Mailänder Scala uraufgeführt. Im Mittelpunkt des Werkes steht die tragische Figur des französischen Dichters André Chénier, der 1794 mit 31 Jahren auf der Guillotine endete. Diese historische Geschichte kann man als Oper tatsächlich erleben.

 Am Vorabend der französischen Revolution brüskiert der Dichter Andrea Chénier den Adel durch sein Eintreten für Humanität und Freiheit. Einzig Maddalene de Coigny und der Lakai Gérard teilen seine Ansichten. Gérard, den die Revolution zu einem ihrer führenden Männer gemacht hat und der Maddalene begehrt, denunziert Chénier, um seinen Nebenbuhler aus dem Weg zu schaffen, sich mit dem Adel verbündet zu haben. Auf verzweifeltes Bitten Maddalenas widerruft er zwar diese Anschuldigungen vor dem Tribunal, doch zu spät: Andrea Chénier wird zum Tode verurteilt. Maddalena di Coigny folgt ihm freiwillig auf das Schafott.

 Die Inszenierung von Otto Schenk wartet mit opulenten Bildern auf. Der erste Aufzug führt uns in einen Salon im Stil des Rokoko, d.h. es werden kleine Gedichte vorgetragen und man übt sich in gekünstelter Unterhaltung. Dem „fächelnden Ha-Ha-Ha“ soll Andrea Chénier das Sahnehäubchen verpassen, doch er weigert sich. Die Gräfin fordert ihn zum Vortrag von Gedichten auf. Chénier weigert sich und Maddalena wettet und provoziert ihn, damit er die Liebe besingt. Als Reaktion erhält sie von Chénier eine politische Anklage. Der Skandal ist da, weil Chénier lyrisch beginnend, scheinbar ein Liebesgedicht flötet, um dann umso heftiger eine Anklage der sozialen Verhältnisse zu postulieren. Natürlich ist in diesem ersten Bild der Konflikt grundgelegt und auch der Liebesfunke zündet. Von diesem Augenblick an will Maddalena nicht mehr von der Seite Chéniers weichen und für ihre Liebe zu ihm, ist sie bereit, auf das Schafott zu gehen.

 Nun einige Anmerkungen zur musikalischen Darbietung des Abends.

 Andrea Chénier, gesungen von José Cura, ist ein sinnlich timbrierter Tenor mit Charisma, aber dieser Abend war nicht in allen Facetten seines Gesanges mühelos strömend. Offenbar war er an diesem Abend stimmlich indisponiert und half sich mit guter Technik. Dennoch traf er die hohen Töne.

 Im Gegensatz zu ihm war Martina Serafin bei ihrem Rollendebut als Maddalena di Coigny eine faszinierende, in allen Lagen überzeugende, jugendlich dramatische Maddalena. Der Höhepunkt der Oper war das Zusammenklingen der beiden Stimmen, kulminierend im Entschluss der Liebenden, gemeinsam in den Tod zu gehen. Ein wirklich faszinierendes Duett.

 Den Wandel des Dieners Carlo Gérard, von der korrupten Scarpia-Parallelfigur zu einem Helfer des Liebespaares, machte der Bariton Marco Vratogna durch stimmliche Facetten zu einem emotionalen Erlebnis.

Marco Armiliato am Dirigentenpult brauchte keine Partitur und schwebte Stil- und Zielsicher durch alle vier Akte. Er beherrschte tatsächlich jede Note und setzte die Musik im Konsens mit den Sängern um.

 Zweifellos ist diese Oper in Wien so beliebt, dass manche Besucher sie sich nicht nur zwei oder drei Mal, sondern wie ein Kenner neben mir raunte: er habe die Inszenierung zum zwanzigsten Mal gesehen. Wahrscheinlich gibt es auch für die nächste, zu besprechende Oper, die wir am 18.5. 2013 besuchten, ähnliche Kenner.

 „Vissi d’arte, vissi d’amore / Ich lebte für die Kunst, ich lebte für die Liebe“. TOSCA am 18.5.

Diese Toscas Aussage filtert die Essenz der gesamten Oper Tosca. In dieser Puccinis Oper stimmt wirklich alles von Anfang bis zum Ende. Puccini selbst war von diesem Stoff sofort gefangen und scheute sich auch nicht, eine kleine Intrige gegen seinen persönlichen Freund, den Komponisten Alberto Franchetti zu führen, um das Vertonungsrecht zu erhalten.

 Die Geschichte stammt von Victorien Sardou, ein in seiner Zeit vielgespielter Theaterautor, denn man heute nur noch kennt, weil es Puccinis Oper gibt. Puccini sah das Theaterstück 1889 in Mailand und war sofort vom Stoff begeistert. Ihm war offensichtlich klar, welcher dramaturgische Sprengstoff in diesem Stück liegt. Denn die Story um die gefeierte Sängerin Floria Tosca, die am 17. Juni 1800 in Rom wegen ihrer Eifersucht in eine tödliche Intrige gerät, zählte zu den düsteren Geschichten, die je auf die Opernbühne kamen. So düster, dass die Kritik noch 1902 anlässlich der deutschen Erstaufführung in Dresden „eine krasse Schauergeschichte“ beklagte, während sich das Publikum schon längst für das emotionale Stück und seine unüberhörbare musikalische Qualität begeisterte. Seither ist Tosca von den Spielplänen nicht wegzudenken. Die Oper Tosca überzeugt mit ihrer minutiösen Verzahnung von Text und Musik. Sie markiert mit ihrer Genauigkeit einen Meilenstein in der Kunst veristischen musikalischen Erzählens auf der Opernbühne.

 In die wunderbare Musik Puccinis eingebettet, wird die Leidensgeschichte zweier Liebender Floria Tosca und Mario Cavaradossi, geschildert, deren Leben und Hoffnungen durch die politische Willkür und egoistische Begierde des brutalen Polizeichefs Scarpia vernichtet werden. Faszinierend ist das freie Entscheidungs-moment Toscas, sich dem gierigen Polizeichef Scarpia hinzugeben, um ihren Liebsten zu retten. Ähnlich wie bei Andrea Chénier, wo sich Maddalena di Coigny zunächst Carlo Gérard, dem Nebenbuhler Chéniers, hingeben will, um Andrea zu retten. Ihr Angebot wird allerdings überflüssig, da Chénier längst vor dem Revolutionstribunal steht und das Urteil beschlossen ist. Daran kann auch Gérard nichts mehr ändern. So bleibt Maddalena nur noch ein Schritt auf den Karren, der sie mit ihrem Geliebten zur Guillotine bringen wird. Diesen kleinen, aber so unendlich bedeutungsvollen Schritt macht sie aus freier Liebesentscheidung. Bei Tosca wird dieses Hingabemotiv gesteigert, in dem Tosca Scarpia ersticht und damit einen Mord begeht. Das sind die zwei im Grunde verschiedenen Frauen, aber die Beiden haben den gleichen Impuls: LIEBE! Und für diese Liebe sind sie bereit ALLES ZU TUN.

 Bei dieser Inszenierung erlebten wir die unvergessliche Norma Fantini. Sie faszinierte bereits im ersten Akt mit dem Glanz ihrer dramatischen Stimme. Schön, dass sie die innigen Töne für ein gefühlvolles „Vissi d’arte“ im zweiten Akt auf ihrer gesanglichen Palette hat. Glaubhaft war ihre Emotionalität beim Gebet, vor dem Mord an Scarpia, da brachte sie mit ihrem Schluchzten alle zum Weinen. Norma Fantini sorgte mit ihrem Gesang für enorme Spannung im Raum.

 Ihr Tenorpartner, Marcello Giordani, als Maler Mario Cavaradossi, zeigte sich den hohen Tönen seiner Partie auf imposante Weise gewachsen und konnte an der Rampe ein furioses „Vittoria“ schmettern, aber auch im dritten Akt sensibel das Leuchten der Sterne beschwören. Er überzeugte in seiner Rolle nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch.

 Marco Vratogna spielte seine Rolle wahrhaft dämonisch überzeugend. Auch stimmlich war er seiner Partie tatsächlich gewachsen, mit voluminöser Stimme und zynischem Ausdruck verkörperte er einen diktatorischen Polizei Chef, der einem das Blut gefrieren ließ. Ebenso überzeugend war aber dann auch sein Sterben. Mit seinen Schluchzten erwirkte er auch Mitleid und wurde damit zum Bösewicht mit menschlich nachvollziehbarer Seite. Dieses Spiel und dieser Gesang erhöhten die Dramatik der Oper.

 Marco Armiliato, der schon bei Andrea Chénier am Pult stand, ist wirklich in der Lage das Orchester und die Sänger so zu führen, dass die sich potenzierende Dramatik vom Beginn bis zum Schluss funktionierte. Da stimmten alle Tempi, da gelangen alle Forcierungen, da stimmte exakt das Zusammenspiel zwischen Orchester und Sänger. Diese perfekte Umsetzung von Marco Armiliato riss von der ersten Note der Ouvertüre bis zum Schlussakkord alle mit.

 Ein anderes Beispiel der Liebe erlebten wir bei der CARMEN am 20.05.2013.

 Die Oper Carmen ist inzwischen Allgemeingut geworden, jeder kennt sie, viele Melodien sind nachsing- und pfeifbar, sie wird immer wieder gespielt und das Publikum strömt. Trotzdem bleibt bei Carmen etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes, eine Untergrundströmung teilt sich dem Publikum mit. Heute wird Carmen weniger als Provokation empfunden, denn die Tabu-Brüche auf Opernbühnen sind vielfältig. Dabei hat es das Sujet immer noch in sich. Die Geschichte spielt im proletarischen Milieu, führende Gesellschaftsschichten, wie das Militär, werden lächerlich gemacht, eine Außenseiterin gibt den Ton an.

Damit hat Bizet einen neuen Frauen-Typ entwickelt.

 „Carmen gibt niemals nach; frei ist sie geboren, und frei wird sie sterben“.

 Mit diesen Worten ist ihr Wesen auf den Punkt gebracht. Was ist an Carmen anders, als an den zwei hier beschriebenen Frauen-Figuren (Tosca und Maddalena)? Was unterscheidet sie von ihnen?

 Carmen ist im Gegensatz zu anderen Bühnen-Frauen nicht hingebungsvoll und sich selbstaufopfernd, sondern sie bestimmt, was Liebe ist. Sie opfert sich nicht für die Liebe zu einem einzigen Mann, sie opfert ihr Leben für ihre Freiheit, den zu lieben, den sie will. Carmen ist eine freiheitsbesessene Figur, sie liebt mehrere Männer und lässt sich von niemandem etwas vorschreiben. Sie ist wild, temperamentvoll, sehr schön, erotisch und verführerisch. Das weiß sie und das alles nützt sie aus, um die Männer um den Finger zu wickeln. Dabei ist sie nicht nur berechnend, ihre Einstellung ist auch fatalistisch. Am Ende wird sie auch ein Opfer ihrer eigenen Lebensweise.

Auch in der Wiener Staatsoper füllen sich die Plätze, wenn Carmen auf dem Programm steht. Für die Carmen-Rolle gibt es bestimmte Vorstellungen. Wahrscheinlich würde auf Anhieb jeder Besucher die Carmen als dunkelhaarige, temperamentvolle, südländische Schönheit beschreiben.

 Auch Don José beschreibt Carmen bei seiner ersten Begegnung mit ihr in der Novelle von Prosper Mérimee so: „Ich sah Carmen. . . Ich bezweifle, dass Fräulein Carmen von reiner Rasse war, jedenfalls war sie unendlich hübscher als alle Weiber ihres Volks, die mir je begegnet sind. . . Zum Beispiel müssen drei Dinge an ihr schwarz sein: Augen, Wimpern und Brauen. . . Die Haare, vielleicht etwas grob, waren schwarz, mit blauen Lichtern, wie bei Rabenflügeln, lang und glänzend . . .“

 Diese Carmen Beschreibung findet sich schon in der Novelle von Prosper Mérimee und so sehen alle Besucher diese Rolle.

 In der Wiener Staatsoper wurde die Carmen schon immer von großen Sängerinnen gesungen, z. B. von Elena Obraztsova und Placido Domingo. 1975 wurde Elena Obraztsova als beste Carmen der Welt in Spanien ausgezeichnet. Die Natur hat Elena Obraztsova freigebig beschenkt. Sie hat eine Stimme von seltener Schönheit im Timbre, ihr Klang wurde volltönend, wie eine Orgel, beschrieben. Ihre Bühnenausstrahlung gab der gespielten Opernheldin eine seltene künstlerische Ausdruckskraft. Sie ist die geborene Carmen und entspricht dem Frauen-Typ, den Bizet komponiert hat.

 Erfüllt die Inszenierung am 20.05.2013 auch diese Vorstellung?

 Ähnlich wie Elena Obraztsova startete Elina Garanca vor einigen Jahren eine Carmen-Weltkarriere, zweifellos mit großem Erfolg. Als Sängerin gehört sie sicherlich zu den Spitzenstars und ihr Können ist vielbeachtet. Dennoch muss man die Frage stellen dürfen, ob die Art der Darstellung in der Staatsoper eine Carmen vermittelt, die der Werk-Intension entspricht. Leider hatte Elina Garanca uns bei dieser Aufführung als blonde, kühle Carmen nicht überzeugt. Es fehlte ihr an Temperament, Wildheit und ihre erotische Präsenz teilte sich nicht überzeugend mit. Sie war als Bühnenfigur eher eine blasse Erscheinung, auch durch ihre Kostüme. Man hatte Mühe, sie auf der Bühne zwischen den anderen Sängern zu entdecken. Mit ihrem Mezzosopran sang sie natürlich alle Töne richtig, aber diese Richtigkeit war auch gleichzeitig eine etwas blutleere Perfektion. Und das stellte ihre Glaubwürdigkeit in Frage. Gesanglich fehlte es ihr an dieser untergründigen Tiefe, die für diese Rolle so entscheidend wäre. Auch im Finale wirkte ihr Spiel gewollt und die Leidenschaft kühl kontrolliert. Mit Slow-Motion-Effekt zog sie Don Josés Ring vom Finger und warf ihn in den Staub. Eine Geste der Abfälligkeit, aber war sie so leidenschaftlich, dass man Josés Reaktion darauf nachvollziehen konnte? Elina Garancas eher kontrolliertes Spiel blieb hinter der Rolle etwas zurück.

 Roberto Alagna als Don José überzeugte uns an diesem Abend mehr. Vor allem in der letzten Szene berührte er in seinem leidenschaftlichen Schmerz das Publikum. Überhaupt spielte er seine Rolle mitreisend und durgehend emotional.

 Bertrand de Billy dirigierte das ausgewogen klingende Orchester. In angemessener Lautstärke unterstützte er die Sänger, allerdings gab er bei der Ouvertüre für ein viel zu schnelles Tempo vor.

 Diese Inszenierung sorgte beim Publikum in den Pausen für Diskussionsstoff, aber trotzdem war der Gesamteindruck des Abends eine zu Recht bejubelte Leistung.

 Mit unserem Artikel versuchten wir drei Opern und ihre Aufführungen an der Wiener Staatsoper zu vergleichen und zu beschreiben, welche Wirkung die Kraft der LIEBE hat.

 Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

 

 

FESTSPIELE MECKLENBURG-VORPOMMERN 2013 – Österreich an der Ostsee

Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. 2013 – Österreich an der Ostsee, 04.02.2013. 
 Von Ursula Wiegand

 Die 24. Saison der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern vom 15. Juni bis 14. September bietet 115 Konzerte an 79 Spielstätten und wird in 2013 von dem österreichischen Klarinettisten Matthias Schorn deutlich geprägt.

 Matthias Schorn. Foto: Jan Northoff

 In mehr als 20 Konzerten ist er als „Preisträger in Residence“ zu erleben und bringt die Wiener Philharmoniker, die Bigband der Volksoper Wien und Schlagzeuger Martin Grubinger mit.


Neubrandenburg/ Konzertkirche St. Marien. Foto: Ursula Wiegand

Auch eröffnet Schorn die Festspielsaison und spielt am 15. Juni in der Konzertkirche Neubrandenburg – begleitet vom NDR Sinfonieorchester unter Andrés Orozco-Estrada – das neue Werk „into the open…“ für Schlagwerk und Orchester des österreichischen Komponisten HK Gruber.

 
Daniel Hope. Foto: Harald Hoffmann

 Ansonsten musiziert Matthias Schorn z.B. mit Daniel Hope, Annette Dasch, Kristjan Järvi, der NDR Radiophilharmonie, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin sowie mit Ensembles aus aller Welt.

Am Strandpavillon Zippendorf in Schwerin (10.07.), im Lokschuppen Pasewalk (19.07.) und im Hotel Tucholski in Loitz (23.08.) bringt Schorn alpenländische und norddeutsche Volksmusiker für drei Konzerte zusammen, die er selbst moderiert.

Zu den allseits bekannten Stars der diesjährigen Festspiele zählen Joshua Bell, Sol Gabetta, Rudolf Buchbinder, Fazil Say, Lorin Maazel und Christoph Eschenbach. Auch die inzwischen international tätigen früheren Preisträger wie Julia Fischer, Daniel Müller-Schott, Gabór Boldoczki,
Li-Wei Qin und Igor Levit sind zu erwarten. Außerdem das Brussels Philharmonic Orchestra, die Academy of St Martin in the Fields und die Philharmonie der Nationen.

Darüber hinaus widmet sich eine ganze Konzertreihe dem Thema „Fokus Wasser“, besitzt Mecklenburg-Vorpommern doch rd.  2.000 Seen und 2.000 Kilometern Ostseeküste.
Zum Auftakt geht es mit Matthias Schorn und seinem Weltmusik-Ensemble Faltenradio per Schiff auf einen musikalischen Törn über die Schweriner Seen (16.08.).

In der Prerower Seemannskirche sind „Songs of Wind, Water and Tide“ zu hören (22.08). In den Hansestädten Rostock und Greifswald bringen die NDR Bigband und Colin Towns’ eine „Hafensinfonie“ (23. und 25.08.).

 
Annette Dasch. Foto: Manfred Baumann

 Zum Abschluss präsentiert Annette Dasch im Theater Stralsund, begleitet von Matthias Schorn, das Programm „Auf dem Wasser zu singen“ mit Liedern von Schubert und Brahms (11.09.).

Musik und Musiker des Landes rückt die Reihe „aus MV“ ins Rampenlicht. In einer weiteren Reihe, den 30 Konzerten der „Jungen Elite“, präsentieren sich Nachwuchstalente aus aller Welt. Überdies schickt die New Yorker Carnegie-Hall ihre besten Absolventen, die mit Daniel Hope und Festspielpreisträger Jonathan Gilad Konzerte in der Kirche Ahlbeck, Schwerin und Parchim (19.-21.06.) geben.

In die Natur locken die Picknick-Pferde-Sinfoniekonzerte in Redefin sowie die Open Airs in Klütz, im Land Fleesensee, in Hasenwinkel
und Dargun. Der Renner ist stets das „Kleine Fest im großen Park“ im Schlosspark Ludwiglust, das diesmal am 9. und 10. August auf mehr als 20 Bühnen hochkarätige Artistik, Akrobatik, Kabarett und Comedy mit Künstlern aus aller Welt darbietet.

Die Festspiele MV, das drittgrößte Klassikfestival in Deutschland, rechnen in diesem Jahr mit 70.000 Besuchern nach 66.000 im Vorjahr. Der Vorverkauf startet am 5. Februar.

Tickets, Programm und weitere Infos sind im Internet unter www.festspiele-mv.de, telefonisch unter 0385 – 591 85 85 und an den bekannten
Vorverkaufsstellen erhältlich. Die Abendkasse öffnet eine Stunde vor Konzertbeginn. Als neuen Service bieten die Festspiele MV neben der App für iPhones ab sofort auch die entsprechende Androidversion an.

Ursula Wiegand

17. MAI 2024 – Freitag

frei

Erste Festivalsaison unter Milo Rau startet mit u. a. Fuzzman & The Singin’ Rebels, Pussy Riot, Voodoo Jürgens, Bipolar Feminin, Elfriede Jelinek u. v. m. =

Wien (OTS) – Eine Republik konstituiert sich: Zumindest am Wiener Rathausplatz, wo derzeit die Vorbereitungen zur Eröffnung der diesjährigen Festwochen auf Hochtouren laufen. Das von 17. Mai bis 23. Juni 2024 stattfindende Festival zeigt sich unter der künstlerischen Leitung seines neuen Intendanten Milo Rau von einer ganz neuen Seite und wird zur „Freien Republik Wien“ – eine Kunstrepublik von allen für alle! Das revolutionäre Programm mit 46 Produktionen und Projekten aus den Bereichen Theater, Oper, Musik, Tanz, Performance, bildende Kunst und Aktivismus setzt stark auf Diskurs und Beteiligung. Der ORF als langjähriger Medienpartner überträgt den spektakulären Eröffnungsevent am Freitag, dem 17. Mai, vom Festival als „Ausrufung der Republik“ bezeichnet, für ein internationales Fernsehpublikum in Österreich, Deutschland und der Schweiz live um 21.20 Uhr in ORF 2 und 3sat. Im Rahmen einer Pressekonferenz heute, am Mittwoch, dem 15. Mai, präsentierte Festivalleiter Milo Rau in Anwesenheit von u. a. Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und ORF-Sendungsverantwortlicher Karin Veitl Details zum Eröffnungsprogramm. Weiters anwesend waren u. a. der musikalische Leiter des Openings, Herwig Zamernik, Diana Burkot, Sängerin des aktivistischen russischen Performance-Kollektivs Pussy Riot, sowie Mitglieder des Chors der „Freien Republik Wien“, die – u. a. verstärkt durch Milo Rau am Tamburin – eine der Hymnen, „ Aller Farben ist das Glück“, zum Besten gaben…

Weiterlesen in den „Infos des Tages“

Wien
Festwochen: Kunst, Politik und Aktivismus
Am Freitag werden die Wiener Festwochen vor dem Rathaus eröffnet. Laut Ankündigung soll es dabei nicht traditionell zugehen. Vielmehr soll eine gelungene Programmmischung den Rathausplatz zum Explodieren bringen, kündigte Festwochen-Intendant Milo Rau an.
https://wien.orf.at/stories/3257066/

Wien
Künstlerhaus: Haselsteiner steigt aus
Der Unternehmer Hans Peter Haselsteiner hat laut einem Bericht der „Presse“ (Donnerstag-Ausgabe) den Kooperationsvertrag mit der Künstlerhaus-Vereinigung gekündigt. Haselsteiner hatte die aufwendige Renovierung des Hauses übernommen.
https://wien.orf.at/stories/3257299/

Kooperationsvertrag: Statement der Künstlerhaus Vereinigung zu aktuellen Medienberichten
Aufgrund der aktuellen Medienberichte möchte der Vorstand der Künstlerhaus Vereinigung folgendes festhalten: „Der bestehende Kooperationsvertrag der Künstlerhaus Vereinigung mit der Haselsteiner Familien-Privatstiftung bleibt noch bis Juni 2025 aufrecht. Darüber hinaus sind neue Rahmenbedingungen zur Fortsetzung der Zusammenarbeit Gegenstand der aktuellen Verhandlungen. Dazu sind wir bereits mit Herrn Haselsteiner in Gesprächen und auch zuversichtlich, dass wir eine gute Einigung erzielen werden“, so die Präsidentin, Tanja Prušnik, in einem Statement.
OTS-Presseaussendung

Das sind die Launen eines reichen Mannes, die zu ertragen sind, wenn man auf ihn angewiesen ist. Haselsteiner bewegt sehr viel Geld Richtung Kunst und Kultur, die Künstler sind also auf ihn angewiesen. Zugleich wird ihnen bei dieser Gelegenheit auch der eigene Stellenwert bewusst!

Kommentar Heinz Sichrovsky
Spitzentöne: Wer solche Verbündete hat, braucht keine Leugner
Antisemiten und Vandalen drohen den Klimaschutz zu übernehmen. Greta Thunberg ist nicht das einzige abschreckende Beispiel. Und die Deutsch-Matura war wieder ein Beispiel an Bürokrateneinfalt

Lassen Sie mich offen sein: Wenn ich das Klima wäre, ich hätte die lebensverlängernden Maßnahmen längst einstellen lassen. Da pfeift man an sich schon aus dem letzten Ozonloch. Und dann laboriert man auch noch an solchen Verbündeten! Wer die hat, braucht keine Leugner mehr.

Zusehends gerät die Materie in die Hände gefährlicher Obskuranten. Kultur- und zivilisationsfeindliche Naturverklärung randaliert gegen Kunstwerke und rückt dabei dem Blut-und-Boden-Ungeist der Nazis immer näher. In Stockholm wurde die in den Schreiantisemitismus entgleiste Greta Thunberg zum wiederholten Mal festgenommen…

https://www.news.at/a/spitzentoene-verbuendete-leugner-13407086

Graz/Musikverein
210 Jahre Musikverein Graz
Der Musikverein Graz feiert die Saison 2024/25 mit einem hochkarätigen Festprogramm. Zum Auftakt bietet Adam Fischer am Pult seines Danish Chamber Orchestra erneut ein Fest für Joseph Haydn.
achtzig.com/musikverein

Wiener Volksoper während der Wiener Festwochen

vop
 
The Gospel According to the Other Mary
Ein Passions-Oratorium von John Adams
Österreichische Erstaufführung am 15. Juni 2024
im Rahmen der Wiener Festwochen

Als letzte Premiere der Saison präsentiert die Volksoper im Rahmen der Wiener Festwochen am 15. Juni 2024 eine Österreichische Erstaufführung: The Gospel According to the Other Mary von John Adams. Das Passions-Oratorium in zwei Akten präsentiert die biblische Erzählung aus einer ungewohnten, sehr aktuellen Perspektive und stellt sie dabei in ein zeitgenössisches, gesellschaftskritisches Licht. Das Libretto von Peter Sellar erzählt die Geschichte aus Sicht der Frauen, die in der Bibel selbst nicht zu Wort kommen. Die niederländisch-peruanische Regisseurin Lisenka Heijboer-Castañón gibt ihr Volksopern-Debüt. Die Musikalische Leitung liegt in den Händen von Nicole Paiement, die als Spezialistin für zeitgenössische Musik gilt. Als Mary und Martha stehen Wallis Giunta und Jasmin White an der Spitze des Ensembles.

 EINE NEUE PERSPEKTIVE AUF DIE PASSIONS-GESCHICHTE

„Die Frauen waren bei Jesus. Jeden Tag. Sie waren es, die am Fuße des Kreuzes und am Morgen der Auferstehung dabei waren. In der Bibel hören wir nichts von ihnen. Aber die Bibel sagt uns, dass sie diejenigen waren, die dabei waren. Wäre es also nicht interessant, ein direktes Zeugnis dieser Frauen zu haben?“ (Librettist Peter Sellars)

Mit dem Schwerpunkt auf marginalisierte Perspektiven rückt The Gospel According to the Other Mary biblische Charaktere und Ereignisse, mitsamt der Auferstehung des Lazarus und der Passion Christi, in ein stark politisches, zeitgenössisches Licht:

Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis kehrt Maria zu ihrer Schwester Martha zurück. Martha leitet ein Heim, das von Spenden und kleinen Wundern lebt und sich um Not leidende Menschen kümmert. Auch eine Gruppe von Aktivist:innen, angeführt von einem Mann namens Jesus, der für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit kämpft, findet Zuflucht in dieser Gemeinschaft. Doch die schützenden Mauern beginnen zu bröckeln und Maria und Martha werden gnadenlos mit einer von Gewalt, Brutalität und Ungerechtigkeit geprägten Welt konfrontiert. Das stellt ihre Widerstandsfähigkeit auf die Probe. Wie können sie den Glauben an eine bessere Zukunft bewahren, wenn alles um sie herum im krassen Widerspruch zu ihren Hoffnungen steht? 

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik richten zum 15. Mal den internationalen Gesangswettbewerb „Pietro Antonio Cesti“ aus: Anmeldung bis 31. Mai 2024.

fest

 Der internationale Gesangswettbewerb für Barockoper „Pietro Antonio Cesti“ findet in diesem Jahr bereits zum 15. Mal statt und zählt zu den weltweit wichtigsten Plattformen für junge Sänger*innen. Im Rahmen der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik erhalten internationale Gesangstalente vom 25. bis 30. August die Chance, ihr Können unter Beweis zu stellen. Dabei ist es eines der Anliegen des Wettbewerbs, ihnen eine Plattform für Engagements in renommierten Konzert- und Opernhäusern sowie bei den Innsbrucker Festwochen selbst zu bereiten. Anmeldeschluss ist der 31. Mai. Teilnehmen können alle, die 1991 oder später geboren wurden. Das Formular für die Online-Registrierung gibt es hier. Die 48. Ausgabe der Innsbrucker Festwochen findet vom 21. Juli bis zum 30. August statt. 

 Die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik und der Cesti-Wettbewerb sind in ihrer Konzeption und Vision untrennbar miteinander verbunden: Als Bühne für Alte Musik in historischer Aufführungspraxis am Puls der Zeit…

Mehr darüber in den „Infos des Tages“

Film-Rezension
„Momentum“ – Doku über Joana Mallwitz vermeidet unbequeme Themen
Der Film „Joana Mallwitz – Momentum“ begleitet die Chefdirigentin des Berliner Konzerthausorchesters bei ihrem zielstrebigen Karriere-Aufstieg zwischen Proben, Presseterminen und Privatleben als Mutter. Doch was die Qualitäten der Dirigentin sind, erzählt Filmautor Günter Atteln leider nicht.
Von Kirsten Liese
swr.de.mallwitz

Bayreuth
Bayreuther Festspiele Stabilität durch den neuen „General Manager“?
Auf dem Grünen Hügel soll ein neuer Geschäftsführer mit umfassender Budget-Verantwortung installiert werden – an der Seite der künstlerischen Leiterin Katharina Wagner. Ein Führungsmodell, das in den USA und Großbritannien üblich ist, hierzulande aber noch nicht ausprobiert wurde.

Das Sprachbild ist zwar einleuchtend, aber ob es auch die Realität abbildet, das sei dahingestellt: Ein „General Manager“, der sei so etwas wie der Stamm, wenn man sich einen Theaterbetrieb als Baum vorstelle, so die Erklärung auf einer englischsprachigen Seite im Netz. Begründung: Der Geldgeber, also der Produzent, sorge für den Setzling, er habe die zugrunde liegende Idee, alle anderen Führungskräfte seien mit Ästen vergleichbar. Der „General Manager“ müsste das Ganze stabil halten und verlässlich sein, was wohl auch darauf abzielt, dass es am Theater häufig gilt, Stürme auszuhalten…

...Kann ein „General Manager“ das alles beheben? Nach bisher bekannter Lesart soll sich diese Person in Bayreuth um die Kosten für die laufende Gebäudesanierung kümmern, aber auch um das Marketing, das sehr im Argen liegt, um einen modernen Kartenvertrieb, sowie um die Verwaltung sämtlicher technischer und finanzieller Belange abseits der Bühnenkunst. Was nicht so deutlich gesagt, aber mitgedacht wird: Der „General Manager“ wird sich mit der unübersichtlichen Eigentümerstruktur herumärgern müssen, denn auf dem Grünen Hügel reden viele mit, vom Bund über den Freistaat und der Familie Wagner bis hin zum Freundeskreis, dem Bezirk und der Stadt. …

Es scheint, dass Bund und Freistaat den „General Manager“ mit Blick auf mögliche international erfahrene Bewerber ausschreiben wollen, ohne sich darüber klar zu sein, was darunter im Ausland genau verstanden wird. Ein „Generalverwalter“ ohne jeglichen Zugriff auf die künstlerische Seite gewiss nicht, denn dann wäre er trotz seines hochtrabenden Titels weniger einflussreich als ein normaler Geschäftsführer.

Es stimmt schon, die „Allgemeine Verwaltung“ gilt in vielen deutschen Großunternehmen als vornehme Umschreibung für eine erweiterte Hausmeisterei, insbesondere zuständig für Immobilien, Poststelle, Archiv, Druckerei und Reinigungsaufgaben. An strategischer Unternehmensführung ist sie gewöhnlich nicht beteiligt. Vom „General Manager“ wird jedoch üblicherweise visionäres Handeln und Durchsetzungsfähigkeit erwartet. Ob das in Bayreuth alle richtig verstanden haben?

BR-Klassik.de

Woran Wagners Zukunft hängt (Bezahalrtikel)
Katharina Wagner bleibt an der Spitze der Bayreuther Festspiele. Doch Änderungen in Leitung und Finanzierung sollen die Autonomie der Kunst stärken, zugleich wächst der Einfluss der Politik.
FrankfurterAllgemeine.net

Palermo
Omer Meir Wellber dirigiert Richard Wagners »Tristan und Isolde« am Teatro Massimo in Palermo
Am 19. Mai dirigiert Omer Meir Wellber die Premiere von Wagners „Tristan und Isolde“ am Teatro Massimo in Palermo, wo Wellber seit 2020 Musikdirektor ist. Mit dieser Neuinszenierung unter der Regie von Daniele Menghini kehrt die Oper von Richard Wagner nach 60 Jahren ans Teatro Massimo zurück.
kulturfreak.de

ST. PÖLTEN/ Festspielhaus: Crystal Pite & Jonathon Young und Kidd Pivot mit „Assembly Hall“

Kaum jemand verschmilzt Tanz und Theater so gekonnt wie Crystal Pite und Jonathon Young. In ihrer „Assembly Hall“, einer heruntergekommenen, „endlos trostlosen“ US-amerikanischen Mehrzweckhalle, findet die 93. Jahreshauptversammlung eines durch Mitgliederschwund, schwache Finanzen und bezweifelte Zwecke am Abgrund stehenden Wohltätigkeits- und Schutz-Vereins statt. Und sie proben ein Reanactment eines mittelalterlichen Ritterspieles, das sich mit der Gegenwart verschränkt.

Was treibt Menschen in die Gemeinschaft? Was macht eine Gemeinschaft aus? Welche Merkmale hat sie? Und warum sind Gemeinschaften nicht selten überaus fragil? Jenseits des Sich-selbst-nicht-spüren-Wollens deuten sie auf eine Vielzahl von An-Trieben, Gemeinschaften zu etablieren, ihnen beizutreten und sie zu (zer-) stören. Die wechselseitige Beziehung von Geschichten und Geschichte und uns ist eine weitere dieser hier als Österreich-Premiere gezeigten Arbeit unterlegte Ebene.

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Crystal Pite & Jonathon Young und „Kidd Pivot“: „Assembly Hall“ © Sasha Onyshchenko

Die kanadische Tänzerin – sie tanzte unter Anderem in William Forsythe’s Ballett Frankfurt – und Choreografin Crystal Pite schuf in 35 Jahren über 60 Stücke, die an den namhaftesten Häusern der Welt Teil des Repertoires waren und sind. 2002 gründete sie in Vancouver „KIDD PIVOT“, ihre eigene, weltweit tourende Kompanie. Mit dem kanadischen Theatermacher Jonathon Young verbindet sie seit ihrem ersten gemeinsamen, mehrfach ausgezeichneten Stück „Betroffenheit“ aus 2015 eine Zusammenarbeit, die Genre-Grenzen sprengende, in die Tiefen der menschlichen Seele dringende Arbeiten hervorbringt…

Zum Bericht von Rando Hannemann

Buch

buch mayröcker

ICH DENKE IN LANGSAMEN BLITZEN“
FRIEDERIKE MAYRÖCKER. JAHRHUNDERTDICHTERIN
Hsg,: Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic und Susanne Rettenwander
352 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, 2024

Die Kult-Figur in Schwarz

Sie schrieb keine Bestseller, aber die Bewunderung, die Literaturfreunde ihr entgegen brachten, war groß. Als das Gerücht auftauchte, eine Österreicherin würde den Literatur-Nobelpreis erhalten, gab es für viele nur einen Namen: Friederike Mayröcker. Wie man weiß, ging die Auszeichnung an ihre äußerlich spektakulärere, oft in den Medien erscheinende Kollegin Elfriede Jelinek. Die Mayröcker hingegen lebte geradezu – als Mensch und Schriftstellerin – in ihrer Schreib-Höhle, umgeben von erstickenden Unmengen von Papier und ihrer Schreibmaschine… Für sie selbst war das allerdings kein  Chaos, sondern der Weg in die Ordnung des zu Schreibenden  und Geschriebenen.

Geboren am 20. Dezember 1924 in Wien, vor drei Jahren (am 4. Juni 2021) ebenda hoch betagt gestorben, widmet das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek der Dichterin eine Großausstellung zum 100. Geburtstag. Die Live-Begegnung mit einem Leben in Schrift und Sprache lebt weiter in dem dazugehörigen, im Zsolnay Verlag erschienen Buch: „ich denke in langsamen Blitzen“, das sie im doppelten Sinn als „Jahrhundertdichterin“ preist und wo ihr von den Herausgebern gleich im Vorwort „Kultstatus“ zugewiesen wird.

Zur Buchbesprechung von Renate Wagner

New York
Kunst-Auktion: Leonora Carrington ist jetzt teurer als Salvador Dalí
Sensationspreis bei Sotheby‘s in New York: Zwar erzielte ein Monet den höchsten Preis den Abends, doch ein Gemälde der Werk der britisch-mexikanischen Künstlerin Leonora Carrington lag unweit dahinter. Bisher war sie wohl eher Insidern in der Kunstszene ein Begriff: Die britisch-mexikanische Künstlerin Leonora Carrington, 1917 geboren und 2011 gestorben, Surrealistin. Vergangenes Jahr wurde ihr Bild „The Garden of Paracelsus“ um 3,3 Millionen Dollar versteigert – heuer erzielte eines fast den zehnfachen Preis. „Les Distractions de Dagobert“ wurde bei Sotheby’s am Mittwochabend für 28,5 Millionen Dollar versteigert. Geschätzt war es auf 12 bis 18 Millionen geworden.
Die Presse.com

Literatur/ Buch: Auf wenigen Seiten brachte sie eine Welt unter: Alice Munro ist tot
Für ihre Short Stories erhielt Alice Munro den Nobelpreis: Nun starb sie mit 92 Jahren. Jonathan Franzen rühmte sie gern als „die Beste von allen“, jahrelang wurde der Name Alice Munro immer wieder für den Literaturnobelpreis gehandelt, bis sie ihn 2013 dann tatsächlich bekam.
Die Presse.com

Film

Ehrenpalme für US-Schauspielerin Meryl Streep in Cannes
Die US-Schauspielerin Meryl Streep ist gestern zu Beginn des Filmfestivals in Cannes mit einer Goldenen Ehrenpalme für ihr Lebenswerk ausgezeichnet worden.
https://orf.at/stories/3357708/

Aktuelles aus „Neue Zürcher Zeitung“

So wollen die Niederlande mit Geert Wilders das «strengste Asylregime aller Zeiten» einführen:  Weniger Einwanderung, eine andere Klimapolitik, Kürzungen im öffentlichen Dienst und bei der Entwicklungshilfe: Die neue Koalition der vier Rechtsparteien in Den Haag hat sich viel vorgenommen. Dabei sticht das Thema Migration besonders hervor. Die vier Parteien rufen eine «Asylkrise» aus und wollen ein «vorübergehendes Asylkrisengesetz» einführen. Dieses sieht vor, dass die Bearbeitung von Asylanträgen ausgesetzt werden kann, Menschen ohne Aufenthaltsrecht in den allermeisten Fällen ausgeschafft werden können und Einschränkungen beim Asylstatus, beim Familiennachzug sowie bei der Vergabe von Sozialwohnungen möglich werden.
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Kiew greift das russische Hinterland an: Gleich zwei Mal haben diese Woche heftige Explosionen den russischen Militärflughafen von Belbek erschüttert. Laut einem kremlnahen Telegram-Kanal sollen die Ukrainer zunächst Marinedrohnen und unbemannte Flugobjekte in Richtung Sewastopol losgeschickt haben, um die Verteidiger abzulenken und aufzuklären. Danach hätten sie amerikanische Atacms-Raketen abgefeuert. Moskau tut sich bisher mit der Abwehr solcher Angriffe schwer.
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Israel muss sich vor internationalem Gerichtshof rechtfertigen: Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag muss sich Israel heute für seinen umstrittenen Militäreinsatz in Rafah im Süden des Gazastreifens rechtfertigen. Das höchste Uno-Gericht verhandelt über einen Antrag Südafrikas. Dessen Regierung pocht auf den sofortigen Rückzug Israels aus der Stadt Rafah und einen ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe.
Zu den neusten Entwicklungen
 Südafrikas Präsident Ramaphosa fällt durch wenig Kompetenz und immer mehr Populismus auf: Kurz vor den Wahlen unterzeichnet der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa eine nicht bezahlbare Gesundheitsreform. Ob er damit den Verlust der absoluten Mehrheit des African National Congress (ANC) abwenden kann, ist jedoch offen.
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Im französischen Überseegebiet Neukaledonien eskaliert die Gewalt radikaler Separatisten: Eine Wahlrechtsreform sorgt auf der Inselgruppe im Südpazifik seit Tagen für Unruhen. Fünf Personen sind ums Leben gekommen. Französische Politiker werfen Aserbaidschan Einmischung vor.
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Zitat Ende „Neue Zürcher Zeitung“

Politik: Gepaltenes Land: Die Slowakei ist fast hoffnungslos polarisiert
Der Moment des Innehaltens nach dem Anschlag auf Premier Fico währte kurz. Es ging sofort mit Schuldzuweisungen los. Die Hoffnung auf Versöhnung ist gering.
Die Presse.com

Österreich
„Wie die Mafia“ – nächster Schilling-Vorwurf enthüllt
Eine weitere Aussage, die Lena Schilling nun nicht mehr tätigen darf, wurde bekannt. Dabei handelt es sich um die Stiftung „Común“.
Heute.at

Schilling und die Bohrn Menas: Protokoll einer Eskalation Bezahlartikel
Wie aus der „Causa Schilling“ auch eine „Causa Bohrn Mena“ wurde. Und warum es sich eher um keine politische Kampagne handelt.
Kurier.at

Im Moment sind das die gößten Aufreger der heimischen Politik. Das Ehepaar Bohrn-Mena möchte aber auch ich nicht zum Feind haben – die beiden können unangenehm sein!

Prag/ Eishockey-WM
3:2-Sensation! Österreich schlägt den Olympiasieger
Ein historischer Sieg bei der Weltmeisterschaft in Prag. Österreichs Eishockey-Cracks rangen Finnland in letzter Sekunde mit 3:2 nieder. Mario Huber (24.) und Thimo Nickl (50.) brachten Österreichs Eishockey-Team nach einem 0:2-Rückstand gegen den amtierenden Olympiasieger wieder zum 2:2 heran, ehe Benjamin Baumgartner bei noch zwei Zehntelsekunden auf der Uhr zum 3:2-Sieg einschoss, Österreich damit den WM-Mitfavoriten Finnland schlug. Saku Mäenalanen (3.) und Oliver Kapanen (9.) sorgten eigentlich früh für die Führung des viermaligen Weltmeisters.

Es ist ja wunderschön, wenn unser Eishockeyteam den Olympiasieger schlägt – gegen einen unmittelbaren Konkurrenten gegen den Abstieg, nämlich gegen Dänemark, hat das selbe Team aber 1:5 verloren. Ziel ist es, den Klassenerhalt zur Gruppe der Weltspitze sicher zu stellen. Ich glaube zwar auch nicht mehr, dass Östereich ein echter Abstiegskandidat ist, aber gerade deswegen dürfen unsere Mannen eben diese die „Big Points“ gegen andere „Zitterer“ nicht liegen lassen!

Ich wünsche einen schönen Tag!

A.C.