Opernhaus Graz
Franz Schreker “DER FERNE KLANG”
Premiere 26.September 2015
Ein ausgezeichneter Einstand für Nora Schmid, der neuen Intendantin der Grazer Oper: Die erste Opernpremiere betraf gestern Abend Franz Schrekers Künstlerdrama “Der ferne Klang”, ein Stück mit einem starken Selbstbezug, aus einer Zeit des Werteumbruchs in Europa, ein Stück auf das “Drama eines Werdenden, auf das Narrenspiel dieses Lebens”, wie der Künstler es selbst einstufte.
Die “Sehnsucht, ein Kunstideal zu erjagen, Ruhm, Freuden des Lebens. Weib, Liebe!” so schrieb er über seinen Schaffenswillen für “tönende Gebilde”, um letztlich “den `Fernen Klang` aus mir selbst heraus, aus meinem eigenen jungen Erleben” zu schaffen.
Dass Schreker zwangsläufig sein eigener Librettist war, erklärt sich aus der Not an geeigneten Büchern, dass er der meistaufgeführte Komponist seiner Zeit war, erklärt sich aus der jeweiligen Handlung, einem spannenden Gang in die Niederungen menschlichen Daseins und nicht zuletzt auch aus der Klangsprache seiner Musik zwischen flirrender Spätromantik und den, das Atonale streifenden Ausbrüchen, mit tatsächlich einem süchtig machenden musikalischen Duktus. Seine Oper in der Oper namens “Die Harfe” ist gerade mit einer im Stück nicht näher genannten Katastrophe im dritten Akt zum Durchfall verurteilt; das würzt die Künstleroper jedoch noch zusätzlich. Schreker scheint diese Probleme erkannt und gefürchtet zu haben, Probleme, denen später etwa ein Puccini mit dessen Turandot oder ein Berg mit seiner Lulu künstlerisch erlagen.
Wenn in einem Interview (siehe MERKEROnline) die Intendantin die Anzahl ihrer Ensemblemitglieder im Opernbereich mit 16 Sängerinnen und Sänger verrät, dann hätte es nicht viele Ausfälle geben dürfen: Allein 14 dieser Mitglieder waren gestern auf der Bühne neben den beiden Gästen in den Hauptrollen in insgesamt 19 Partien zu erleben. Florentine Klepper, die als Regisseurin über Basel längst zu einer internationalen Karriere angesetzt hat, sorgte bei den beklemmenden Wirtshausszenen des ersten Aktes und den turbulenten Szenen im “Casa delle Maschere” im zweiten Akt für authentische Athmosphäre und sorgte im dritten Akt für eine berührende Schlussszene. Die Verwendung eines versenkbaren Bildes mit zwei Spielebenen erwies sich vor allem bei den Volksszenen als vorteilhaft für wirksame Auftritte, Martina Segna schuf eine sehenswerte Bühneneinrichtung unter Einbeziehung der Drehbühne und vor allem mit besonders wirkungsvollem Einsatz von Videoprojektionen (Heta Multanen) und des Bühnenlichtes (Bernd Purkrabek). Vorwiegend die Projektionen und die Lichtregie unterstützten neben den “Verdoppelungen” der Darsteller die Sichtbarmachung der seelischen Vorgänge, Nöte und depressiven Stimmungen der handelnden Hauptpersonen. Die Kostüme ( Anna Sofie Tuma und Adriane Westerbarkey) sind heutig.
Johanni van Oostrum als Grete bot in all den Verwandlungen, vom verliebten aber auch rebellischen Wirtshaustöchterl über den Bordellstar hin zur Straßenhure eine beklemmende Studie des Abstiegs bis zum letzten fast erstickten Verzweiflungsschrei über der Leiche ihres Liebhabers, der ja sterbend erkennen muß, dass letzlich sie jener ferne Klang gewesen wäre, dem seine vergebliche Sehnsucht galt. Die jugendlich-dramatische, in Süd-Afrika geborene und u.a. bei Mimi Coertse ausgebildete Sopranistin setzte Glanzlichter mit sicheren und strahlenden Tönen in die Gesangslinie.
Mag sein, dass Daniel Kirch den von seinen künstlerischen Vorstellungen und seinen Sehnsüchten gejagten gut über die Bühne bringt, stimmlich klingt er hart und teilweise überfordert, ein wenig belkantesker Klang hätte seinem rauen Charaktertenor und damit dem Abend nicht geschadet. Einen Jonas Kaufmann wird man sich an der Grazer Oper naturgemäß nicht so schnell leisten können. Schade, denn für ihn wäre der Fritz eine Prachtrolle.
Auch die große Anzahl der Darsteller aus dem Hausensemble seien ausdrücklich erwähnt: Konstantin Sfiris, wie immer eine köstliche Type, diesmal als der besoffene Graumann, der seine Tochter Grete beim Kegeln an den Wirt verliert. Als seine verhärmte Frau agierte Stefanie Hierlmeier. Wilfried Zelinka ist jener kegelnde Wirt, der Grete nicht überzeugen kann, dass sie zu ihm ziehe. Den Schmierenschauspieler gibt gekonnt Ivan Orescanin, den undurchsichtigen Winkeladvokaten und den Grafen gibt mit sonorem Bariton Markus Butter, das alte Weib mutiert in dieser Inszenierung zum alter ego der Gretel, stimmlich immer in Höchstform auch in dieser Rolle: Dshamilja Kaiser, einen Chevalier karikiert Taylan Reinhard ganz köstlich, vor allem in seinem Couplet.
Sofia Mara, Yuan Zhang und Sieglinde Feldhofer als Mizi, Milli und Mary, Xiaoui Xu als Kellnerin, Dariusz Perczak als Baron sowie David McShane als Rudolf und Manuel von Senden als sogenanntes zweifelhaftes Individuum seien ausdrücklich erwähnt, denn das gesamte Ensemble war ohne Ausnahme auf der Höhe ihrer Aufgaben.
Mit Bernhard Schneider war der Chor und der Extrachor bereit, auch zu zeigen, wie gut er singuläre Typen auf die Bühne zu stellen bereit ist, was im übrigen auch die dafür bekannte Statisterie der Oper Graz gilt.
Mit sicherer Hand führte Dirk Kaftan das Grazer Philharmonische Orchester durch den mal sinnlichen, mal ausufernden Klangrausch der Schrekerschen Partitur, aber auch durch die Schwierigkeiten, Choreinsätze im 2. Akt teilweise aus den Logen und Klänge des Bühnenorchesters auf der Galerie zu steuern.
Begeisteter Applaus vom nicht ausverkauften Haus, in welchem diesmal viele leere Logen in den Zuschaeuerraum gähnten. Jubel für Van Ostrum und Dirk Kaftan.
Fazit: Ein must, diese Musik kennenzulernen und die interessante Inszenierung dazu.
Peter Skorepa
MERKEROnline
Bilder : Werner Kmetitsch
Fünf Fragen an Johanni van Oostrum
Über Franz SchrekerUnd dazu noch Gedanken von Stefan Mikisch