“GRAZ IST FÜR JEDEN OPERNBEGEISTERTEN IMMER EINE REISE WERT!” – INTERVIEW MIT NORA SCHMID
Ende August fand Nora Schmid, die neue Intendantin der Grazer Oper, Zeit für ein Interview für den „Merker“.
Nora Schmid. Copyright: Oliver Wolf
Frau Schmid, vier Wochen vor Beginn Ihrer ersten Spielzeit in Graz und vor der Eröffnungspremiere, sind Sie nervös?
Ja, freudig gespannt, sag ich einmal. Wir haben jetzt gerade diese Woche angefangen mit den Proben und das war ein sehr schöner Einstand. Es sind alle nach der Sommerpause gesund und motiviert zurückgekommen. Ich bin guter Dinge, aber natürlich die Spannung ist schon da, aber eine freudige Anspannung.
Haben Sie sich in Graz schon eingelebt?
Ich bin Ende Oktober/Anfang November letzten Jahres nach Graz gezogen. Die Zeit davor war immer ein ständiges Pendeln zwischen Dresden und Graz. Auch das war eine schöne Zeit. Aber es war mir schon wichtig, bevor es richtig losgeht, in der Stadt anzukommen.
Haben Sie schon die ersten Eindrücke bekommen wie sich der Betrieb der Oper Graz von dem der Semperoper Dresden unterscheidet?
Da gibt es ganz viele Unterschiede. Der ganze Betrieb ist in den beiden Häusern anders strukturiert. Das Grazer Opernhaus hat den Fokus auf den Stücken, die in der jeweiligen Spielzeit zur Premiere gebracht werden, die über die ganze Spielzeit verteilt aufgeführt werden. Sehr oft sind diese Stücke dann abgespielt, es kommt dann nur gelegentlich zu einer Wiederaufnahme. Wir haben also hauptsächlich Premieren und zwei Wiederaufnahmen, die wir in Graz zeigen. In Dresden gibt es ein anderes System, wo mehr Stücke auf dem Programm stehen und an mehr Abenden gespielt wird, und dadurch der gesamte Theaterbetrieb größer ist, angefangen vom Sängerensemble, dem Chor, der Ballettkompanie, der Staatskapelle bis hin zur Technik. Aber das ist das Schöne für mich an Graz, die Grazer Oper hat die ideale Struktur, die ideale Größe, da kann man vieles gestalten.
Nach zweijähriger Vorbereitungszeit folgt nun Ihre erste Spielzeit mit einem sehr interessanten Programm. Viel Mut beweisen Sie, indem Sie Franz Schrekers „Der ferne Klang“ als Eröffnungspremiere angesetzt haben. Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Stücke für diese Spielzeit ausgesucht?
Die Überlegungen, mit welchem Stück ich beginnen will, haben mich lange beschäftigt. Man möchte mit etwas beginnen, was eine Referenz für das Opernhaus ist, für den Ort, also für Graz, und was auch für alle Beteiligten eine künstlerische Herausforderung ist. Wir haben das auch im Team diskutiert, und irgendwann ist in mir der Entschluss stärker geworden, mit dem „Fernen Klang“ zu beginnen; das hat mehrere Gründe: Erstens hat dieses Stück einen Bezug zu Graz, da die Österreichische Erstaufführung dieser Oper 1924 in Graz stattfand und nicht in Wien, dann gab es in den Siebzigerjahren in Graz ein Schreker-Symposium, wo man damals versucht hat die Musik von Schreker der Musikwelt wieder in Erinnerung zu rufen. Schreker war einer der meistgespielten Komponisten seiner Zeit, während der NS-Zeit wurde seine Musik verboten und nach dem Krieg geriet er langsam in Vergessenheit. Im Rahmen dieses Symposiums gab es damals 1976 eine konzertante Aufführung dieser Oper in Graz mit dem ORF-Symphonieorchester. Aber eigentlich ist das Stück in Graz seit der damaligen Erstaufführung szenisch nicht mehr zu erleben gewesen. Dann ist da natürlich die fantastische Musik dieser Oper an sich. Klang, das ist etwas, das schwer fassbar, schwer greifbar ist, was aber für uns in der Oper und für die Musiker Tag ein, Tag aus von Bedeutung ist. Und dann ist es die Geschichte, die eine tragische Liebesgeschichte in sich birgt, wie viele Opern, die aber auch eine große Suche ist. Dieser junge Komponist, der auszieht auf der Suche nach dem idealen Klang der glaubt, dass er sein privates Liebesglück damit nicht vereinbaren kann. Dieses Stück hat zum Thema die Suche nach dem Ideal, sei es der ideale Lebensentwurf, sei es das ideale Kunstwerk, und ich glaube als Theaterschaffende befinden wir uns immer auf einer Suche. Und damit zu starten war mir ein großes Anliegen. Als ich unseren Chefdirigenten Dirk Kaftan darauf angesprochen habe, hat er gesagt, dass „Der ferne Klang“ eine seiner Lieblingsopern ist. Damit war die Entscheidung klar.
Mir war es wichtig, einen Spielplan zu entwickeln, der eine Referenz an Graz ist. So spielen wir die Operette „Der Opernball“ vom Grazer Komponisten Richard Heuberger. Dann habe ich die Spielpläne der Grazer Oper weit zurück studiert und mit großem Erstaunen festgestellt, dass z.B. ein Werk wie „Luisa Miller“ von Verdi in Graz noch nie gespielt wurde. Verdi ist einer der ganz großen Opernkomponisten, es ist ein packender Stoff, es ist ein regelrechter Opernkrimi, es ist wunderbare Musik, so bringen wir also die „Luisa Miller“ zur Grazer Erstaufführung. Eine weitere Grazer Erstaufführung ist die „Griechische Passion“ von Bohuslav Martinů. Als vor zwei Jahren die Entscheidung gefallen ist, dieses Stück zu spielen, war die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation noch nicht so zugespitzt wie jetzt. Mich hat dieses Stück wahnsinnig interessiert. Es ist uns ein Anliegen, auch Stücke zu spielen, die aus sich heraus Themen aufgreifen, die uns unmittelbar betreffen, und das eben nicht erst tun durch eine Aktualisierung der Regiekonzeption. Diese Oper ist ein großes Plädoyer an die Humanität, an die Toleranz. Es ist ein Stück über verschiedene Ängste, Ängste vor Verlust der Sicherheit oder des Wohlstandes, Ängste vor Fremdem, vor Unbekanntem, vor Nichtabsehbarem. Und das alles aber bei Martinů in eine Musik gepackt, die so emotional, so sinnlich ist, die so direkt berühren kann, die einfach wirklich große Oper ist. Dieses Stück ist zeitlos in seiner Botschaft. Und wenn man sich die internationalen Spielpläne anschaut, scheint die Zeit jetzt wieder reif zu sein für Martinů. Ich bin gespannt, wie das Publikum da mitgehen wird. Bis jetzt ist die Resonanz darauf überaus positiv. Dann haben wir auch einen Graz-Bezug mit dem Ballett mit einem Abend, der ganz Franz Schubert gewidmet ist. Schubert hat ja immer wieder Zeit in Graz verbracht, er wollte sogar für Graz eine Oper komponieren. Das ist leider nicht mehr zustande gekommen, aber mit diesem Abend erweisen wir ihm eine Reverenz. Dann spielen wir einen „Barbier von Sevilla“, der witzig und farbig wird, und dann auch eine „Entführung aus dem Serail“. Bei Mozart stehen primär die Menschen im Mittelpunkt, Mozart schaut den Menschen immer ganz tief in die Seele. Das Serail war zu Mozarts Zeiten eine Art Modeerscheinung, ein Kolorit. Man kann zwar sagen, diese Oper hat aktuelle Brisanz, aber der Konflikt spitzt sich in dieser Oper weniger im Politischen oder im Religiösen zu, sondern eher in der Paarkonstellation Belmonte – Konstanze. Was ist Treue, wo beginnt die Untreue? Ist es in der Phantasie? In dieser Oper gibt es so viele Themen, die über das Zusammentreffen der verschiedenen Kulturen hinausgehen.
Ein sehr interessanter Spielplan, der gewiss auch viele Opernfreunde aus Wien nach Graz locken wird. Wie sieht eigentlich die budgetäre Situation der Oper Graz aus? Haben Sie ein fixes Budget für mehrere Jahre oder müssen Sie jedes Jahr neu verhandeln?
Wir haben eine Budgetsicherheit bis zur Spielzeit 2019/20, also bis zum Ablauf meines Vertrages.
Die Opernhäuser im deutschen Sprachraum haben das Problem, dass die Vorstellungen größtenteils nur noch von älteren Personen besucht werden. Warum ist gerade Oper für jüngere Menschen so unattraktiv? Was kann man machen um Oper auch für jüngere Besucher interessant zu machen?
Da gilt es, zwei verschieden Gruppen zu gewinnen. Das eine ist die Jugend, das andere ist die Generation von 25 bis 45. Das ist eigentlich die Generation, die mit Ausbildung, beruflicher Etablierung und Familiengründung gut anderwärtig beschäftigt ist. Wir haben viele Projekte mit Schulen, wir haben „Oper Aktiv!“, wo wir unter anderem Opernworkshops mit Vorbereitung auf den Opernbesuch und Nachbereitung anbieten, wir haben Familienkonzerte und Kinderoper, also da gibt es eine große Palette. Was mir jetzt eine Herzensangelegenheit ist, ist das Haus zu öffnen, mehr in die Stadt reinzugehen. Ich glaube es ist nie zu spät, sich neu für etwas Schönes zu begeistern. Ich erlebe doch immer wieder, wenn die Menschen einmal da sind, dass dieses Gemeinschaftserlebnis, das man eigentlich so nur in der Oper erleben kann mit dem Fokus auf die Musik und auf das Geschehen auf der Bühne, dieses Unwiederholbare und dieses Berührtsein in allen Sinnen fasziniert. Ich glaube nicht, dass es die EINE Lösung gibt von heute auf morgen. Das ist ein kontinuierlicher Weg, Schritt um Schritt.
Gibt es für die nächsten Spielzeiten Themenschwerpunkte oder eine Fokussierung auf bestimmte Komponisten oder wie erstellen Sie die Spielpläne für die nächsten Jahre?
Ein Spielplan muss in sich eine Vielfalt haben aber gleichzeitig auch Harmonie. Was es nicht geben wird, sind Motto-Spielpläne. Und der Spielplan muss auch aus dem Kulturauftrag heraus entwickelt werden, wir spielen jedes Jahr auch Operette und Musical, das ist fest verankert. Aber wir werden auch ein Auge darauf werfen, welche Stücke an diesem Haus schon lange nicht mehr aufgeführt wurden oder ungerechtfertigterweise überhaupt noch nie aufgeführt wurden und auch so eine Balance im Spielplan finden. Und wir wollen natürlich auch Stücke spielen, die Bezugspunkte zur Stadt haben, zur Musikgeschichte des Ortes.
Und wie sieht es mit Opernuraufführungen bzw. mit zeitgenössischer Oper aus?
Da gibt es Ideen. Ein Opernhaus wie Graz könnte neuere Opern in eine Rezeptionsgeschichte führen. Es gibt einen Wettbewerb nach Opernuraufführungen, auf das „Recht der ersten Nacht“. Aber was ist dann? Es soll ja weiter gehen. Wir diskutieren gerade über verschiedene Werke, die es wert wären auch in einer zweiten Produktion nach der Uraufführung noch einmal zur Diskussion gestellt zu werden.
Und wie sieht es mit Richard Wagner aus? Graz war ja immer schon eine Wagner-Stadt.
Wagner kommt sehr bald. Im ersten Jahr spielen wir zwar keinen Wagner, aber wir spielen Humperdinck, der ja durchaus einen Bezug zu Wagner hat. Wir spielen sein „Dornröschen“ in einer konzertanten Aufführung mit Erika Pluhar als Erzählerin, weil ich glaube, dass man das szenisch nicht auf die Bühne bringen kann, aber es ist interessante und schöne Musik.
Wie hoch ist an der Oper Graz der Anteil an Gästen bzw. an Ensemblemitgliedern?
Das ist eine gute Mischung. Das Ensemble besteht derzeit aus 17 Sängern. Das Ensemble ist also nicht riesig. Und wir haben immer wieder Gäste. Im „Fernen Klang“ haben wir zwei Gäste, in der „Griechischen Passion“ aber nur einen Gast, in der „Luisa Miller“ haben wir drei Gäste. Das ist ja das Schöne, dass wir für unsere Ensemblemitglieder auch ganz bewusst bestimmte Stücke ansetzen. Es ist ja auch schön für das Publikum eine Abwechslung zu haben, wenn sie dann ihre Lieblinge im Ensemble in anderen Konstellationen, mit anderen Partnern erleben können. Wir haben auch ein paar neue Kollegen im Ensemble. Da ist z.B. Markus Butter, der jetzt fest nach Graz kommt, der dem Wiener Publikum schon von einigen Produktionen im Theater an der Wien bekannt ist und schon vorher fest an der Semperoper engagiert war. Er kommt jetzt in seine steirische Heimat zurück, hat aber noch nie in Graz im Opernhaus gesungen und wird im „Fernen Klang“ in einer großen Doppelrolle (Graf/Vigelius) debütieren. Dann kommt neu die Sopranistin Sophia Brommer, die 2012 im ARD-Gesangswettbewerb den Publikumspreis gewonnen hat, sie wird unsere Luisa Miller sein, unsere Konstanze und unsere Micaëla. Und es kommt neu ein junger, sehr begabter slowakischer Bass, Peter Kellner, der bei uns der Basilio im „Barbier von Sevilla“ und ein untypischer junger Osmin sein wird, sodass auch vielleicht da einmal dieses Rollenklischee etwas aufbrechen kann. Und die spannende Mezzosopranistin Anna Brull habe ich vom Opernstudio ins feste Ensemble übernommen und sie wird unsere Rosina im „Barbier von Sevilla“ sein.
Und wie lange haben Sie Ihren Chefdirigenten Dirk Kaftan noch am Haus?
Noch mindestens zwei Jahre, aber ich hoffe für länger, weil die Zusammenarbeit mit ihm sehr schön ist und weil wir ähnliche künstlerische Visionen und Ideen haben.
Wo sehen Sie sich im Jahr 2020?
Ich hoffe in Graz. Jetzt starte ich mit einer neuen großen Herausforderung und mein ganzer Fokus liegt darauf und im Moment habe ich überhaupt keine Gedanken dafür, was kommt danach? Diese Aufgabe erfüllt mich und auf die konzentriere ich mich. Ich habe mir vor ein paar Jahren diese Frage auch nicht gestellt. Ich bin nach Dresden gegangen in der Überzeugung dort lange zu sein und es war dann einfach durch die tragischen Umstände (der plötzliche Tod von Ulrike Hessler, der Intendantin der Semperoper Dresden, Anmerkung der Redaktion), dass schließlich alles ganz anders kam.
Vielen Dank, Frau Schmid, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses Interview, toi, toi, toi für Ihre erste Saison am Opernhaus Graz und vor allem für die Eröffnungspremiere!
Walter Nowotny