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Léon DE CASTILLO – ein Tenor geht seinen Weg

13.03.2014 | Allgemein, INTERVIEWS, Sänger

León de Castillo – Ein Tenor geht seinen Weg

(von Renate Publig)

 Unbenannt
Foto-Copyright: Leon de Castillo

Er feierte sein Debut an der Seite von Plácido Domingo, in der darauffolgenden Produktion trat er mit Christian Gerhaher auf. Nun hat der junge Sänger sein eigenes Festival, sein eigenes Kammermusikensemble, mit dem er am 19. März im Brahmssaal des Wiener Musikvereins zu hören sein wird.

 

León, Sie sind in Mexiko aufgewachsen – wie kamen Sie zur Musik?

LdC: Meine Mutter stammt aus Mexiko, ich wurde in Mérida (Yukatán) geboren, mein Vater und mein Großvater waren jedoch Wiener Sängerknaben. Mein Vater arbeitete zwar dann als Kartograph und Geologe, aber er besaß eine umfangreiche Plattensammlung, und so hörte ich als Kind bereits Schubert oder Beethoven. Meinen Vater hat vor allem das deutsche Repertoire angesprochen.

Ich kam dann in Mérida in den Kinderchor, im Alter von fünf Jahren hatte ich mit dem Chor mein erstes Konzert im Teatro Peón Contreras, wo ich zwei Lieder solistisch singen durfte!

 

Wann kamen Sie dann nach Österreich?

LdC: Ein oder zwei Jahre später verbrachte ich die Sommer in Wien, wo mich vor allem der Musikverein und das Konzerthaus beeindruckten. Dann übersiedelten wir nach Wien, zur Volksschule ging ich in die „Mater Salvatoris“, die von meinem Urgroßonkel gegründet wurde. Dort sang ich ebenfalls im Chor, doch nach dem ersten Schuljahr wollte mein Großvater, dass ich, der Familientradition folgend, zu den Wiener Sängerknaben gehe. Für meine Mutter kam jedoch ein Internat nicht in Frage, und als Kompromiss wurde ich Mitglied bei den Mozart Sängerknaben, wo Manfred Schiebel, Michael Grohotolsky, Peter und Elisabeth Lang mit uns gearbeitet haben.

 

Was ist der Unterschied zu den Wiener Sängerknaben?

LdC: Kollegen, die früher bei den Wiener Sängerknaben waren, erzählten, dass sie nach dem Stimmbruch nicht mehr „dazugehörten“, was sie in der präpubertären Phase besonders kritisch empfanden. Bei den Mozart Sängerknaben hingegen konnte man auch nach dem Stimmbruch weitersingen. Wir haben dreimal pro Woche geprobt, es war sehr aufregend, in der Staatsoper und in der Volksoper in Carmen, Zauberflöte oder Parsifal etc. mitzuwirken.

 

Ihr Großvater hatte musikalisch einen großen Einfluss auf Sie?

LdC: Mein Großvater war Prokurist, Leiter der Jupiter-Versicherung. Er überlebte den Krieg, indem er zu Fuß über Polen und Tschechien geflohen ist. Da er sehr religiös war, versprach er, einen Teil seines Lebens Gott und der Kirche zu widmen, wenn er es nach Hause schaffte. Somit war er 51 Jahre lang ehrenamtlich Kapellmeister und Musiklehrer, er leitete auch einen Chor, bei dem ich oft mitwirkte. Er bot jungen Studenten aus der Musikuniversität die Möglichkeit, solistisch zu singen und organisierte pro Jahr zwei bis drei Orchesterprojekte – das verbindet ihn mit mir!

 

Dann war also ziemlich bald klar, dass Sie Musik zu Ihrem Beruf machen wollten?

LdC: Ich habe in Musik maturiert, doch nach dem Stimmbruch forderte mich meine Mutter auf, etwas „Ordentliches“ zu lernen, also studierte ich Publizistik und Politikwissenschaft. Mein Großvater verhalf mir zu einem Job, in dem ich rasch befördert wurde, wodurch ich das Studium vernachlässigte. Ich war viele Jahre jünger als meine gleichgestellten Abteilungsleiter und es war eine große Motivation, zu beweisen, dass ich eine leitende Funktion gut ausführen kann.

 

Wie kamen Sie dann zur Musik zurück?

LdC: Der Managerjob machte mich auf Dauer nicht glücklich. Ein Freund war mit dem Schönberg-Chor in Aix-en-Provence, er lud mich ein, mitzukommen. In Aix habe ich unglaubliche Menschen kennengelernt, ich habe mit Daniel Harding oder Adrian Eröd Kaffee getrunken.

Sechs Monate später eröffnete ich meinen Eltern, dass ich Sänger werden wollte, ich kam dann in der Musikuniversität in die Klasse von Karlheinz Hanser. Im Jahr darauf debütierte ich im Theater an der Wien in einer kleinen Rolle in der Zarzuela Luisa Fernanda, neben Plácido Domingo und Patricia Petibon.

 

Das war für einen jungen Sänger sicher aufregend?

LdC: An die erste Probe erinnere ich mich genau. Diese Situation, tatsächlich auf der Bühne zu stehen und zB. die Nerven zu beruhigen, kann man im Studium nicht üben. Ich ging mit zitternden Knien auf die Bühne, um meine Szene mit Domingo und Petibon zu proben. Aus dieser Erfahrung habe ich viel gelernt.

Danach sang ich im Prinz von Homburg, mit Christian Gerhaher. Da gibt es eine nette Geschichte: Ich saß mit Gerhaher im Studio am Rosenhügel, der Probebühne vom Theater an der Wien, er fragte, bei wem ich studiere. Es stellte sich heraus, dass mein Lehrer und er Klassenkollegen waren, in der Nebenklasse saß Jonas Kaufmann. Und es gab eine Zauberflöte, in der Kaufmann den Tamino sang, und Gerhaher die Zweitbesetzung für Hansers Papageno war! Vor Christian habe ich den größten Respekt, meiner Meinung nach gibt es kaum vergleichbare Duos wie ihn und Gerold Huber.

 

Sie sind trotz dieses erfolgversprechenden Einstiegs nicht bei der Oper geblieben?

LdC: Mir hat bei den Opernproduktionen immer etwas gefehlt, einerseits musikalisch, andererseits vermisste ich das soziale Gefüge, das ich vom Chor kannte. Eine Produktion dauert fünf oder sechs Wochen, man kennt vorher vielleicht ein oder zwei Kollegen. Nach der Produktion geht das Ensemble auseinander, und alles beginnt von vorne. Das hat mir nicht gefallen. In ein fixes Ensemble wollte ich jedoch aus mehreren Gründen nicht.

Nach „Il Postino“, wieder mit Domingo, war ich mit einem symphonischen Orchester auf Tournee in Mexiko, ich gab Liederabende, aber auch Programme mit Operetten, Chansons. In Mexiko muss man das Programm mischen, um das Publikum bei Laune zu halten. Da konnte ich vieles ausprobieren, andere Stile singen!

 

2011 haben Sie dann beim Life Ball gesungen?

LdC: Für die Eröffnung schrieb Gery Keszler Texte zu Händels Rinaldo. Der Life Ball mit den vielen Gästen war natürlich eine außergewöhnliche Erfahrung, denn vor einer so großen Anzahl von Menschen singen live sonst Popstars. Gery Keszler ist übrigens ein großer Wagner- und Strauss-Fan, er kann Szenen aus Ariadne aus Naxos auswendig und ist unheimlich beschlagen in klassischer Musik. Das war für mich die interessantere Seite des Life Balls, als Whoopi Goldberg ‚Guten Tag’ zu sagen.

 

Sie haben dann ein eigenes Ensemble gegründet, das Valssassina-Ensemble Wien?

LdC: Als ich im Mahler-Jahr 2011 Lieder in einer Kammerorchesterfassung sang, gefiel mir der Klang.

Danach brauchte ich für einen Veranstalter ein Promo-Video, ich bat Juri Revitch, einen exzellenten Geiger, der in einem Quartett spielt, in dem Video mitzuwirken. Weitere Musiker zeigten Interesse, plötzlich hatten wir ein Streicherensemble mit 14 Personen. Und als wir mit einem jungen Dirigenten zwei Stücke aufnahmen, fühlte ich mich an das soziale Gefüge in meiner Chorzeit erinnert. Wir beschlossen, öfters gemeinsam zu musizieren.

 

Wie ist nun das „Primavera-Festival“ entstanden?

LdC: Mein Plan war, ein musikalisches Projekt zum Thema „Mexikanischer Protest gegen den Anschluss“ zu machen, 2013 war das 75-jährige Jubiläum dieses Protests. Am Mexikoplatz in Wien erinnert noch heute ein Gedenkstein an dieses Ereignis.

Der ehemalige Botschafter von Mexiko, Alejandro Díaz, befragte mich zu meinen Vorhaben. Natürlich wollte ich ein Konzert im Brahmssaal veranstalten, für mich der ideale Kammermusiksaal.

Ich kam gerade von meiner Tournee in Mexiko, als ich erfuhr, dass wir Konzerte machen konnten. In viereinhalb Wochen! Ich stand noch ohne Programm da und war dementsprechend aufgeregt. Aber es hat geklappt, beide Konzerte, am 18. März 2013 in der UNO und am 19. März in der Diplomatischen Akademie, waren ein großer Erfolg, der ORF brachte einen Bericht, es gab sogar zu wenig Sitzplätze. Eine Woche darauf wurde das Programm in Baden mit Otto Brusatti als Moderator wiederholt, und eine weitere Woche danach veranstalteten wir ein Konzert für Gilberto Bosquez in der Seilerstätte in der Musikuniversität. Bosquez, quasi der mexikanische Schindler, gelang es als Generalkonsul in Marseille, 44.000 Menschen aus Mexiko ein Visum zu verschaffen.

 

Wie ist Ihnen die Organisation in der kurzen Vorbereitungszeit gelungen?

LdC: Indem ich in dem Projekt alle Funkionen übernommen habe, vom Licht- über den Soundtechniker bis zum Organisator.

Ich wollte bei diesem Projekt nicht mexikanische Musik machen, man kann bei so einem Thema nicht „Granada“ singen. Also forschte ich, welche österreichischen Komponisten sich in Mexiko aufhielten. Professor Gerold Gruber von exil.arte war äußerst hilfsbereit, er konnte viele Namen nennen: Hanns Eisler war eine zeitlang in Mexiko, Hindemith hat dort Ruth Schönthal getroffen, die in Berlin am Konservatorium war und zuerst nach Schweden, dann nach St. Petersburg und schließlich nach Mexiko geflohen ist. Von 17 bis 19 hat sie dort viel musiziert, sie gab ihr Debut in der mexikanischen Staatsoper „Bellas Artes“ mit ihren eigenen Kompositionen. Bei einer der Konzerte hat Hindemith sie gehört, und sie wurde in Yale seine Studentin.

 

Was folgte nach diesen Konzerten?

LdC: Am 17. September 2013 veranstalteten wir anlässlich des mexikanischen Nationalfeiertags ein Konzert im Wiener Konzerthaus. (Anm: Über dieses Konzert gibt es im Merker einen Bericht: https://onlinemerker.com/wienkonzerthaus-viva-mexico)

Weiters gab es Konzerte in Zusammenarbeit mit exil.arte, mit Liedern u.a. von Jeremy Schonfeldt, eigentlich ein Popkünstler, sein Vater war in Auschwitz; Dann hatten wir ein Benefizkonzert im Ehrbarsaal anlässlich der Tragödie auf den Philippinen, zusammen mit der Caritas und der Botschaft.

 

Im März 2014 gibt es wieder ein Primavera Festival?

LdC. Am 19. März 2014, genau ein Jahr nach dem ersten Konzert, sind wir dort angelangt, wo wir hinwollten: Wir spielen im Musikverein im Brahmssaal. Außerdem wurden wir wieder für ein Kammermusikkonzert in die UNO eingeladen, ebenso in die Diplomatische Akademie. Auch in der Musikuniversität treten wir auf, und in der Französischen Botschaft gibt es am 21. März, am Internationalen Tag gegen Rassismus,  ein Konzert, nach welchem der französische Botschafter zu einem Empfang lädt. Auch hier schließt sich ein Kreis, Gilberto Bosquez war ja in Frankreich tätig, das verbindet Frankreich, Österreich, Deutschland und Mexiko.

Mit Unterstützung des Zukunftsfonds, des Österreichischen Nationalfonds und der Musikuniversität folgen wir dann in einer Konzertreise dem Weg der Flüchtlinge. Marcel Rubin floh von Wien nach Paris. Dort werden wir Rubins Werke aufführen, sowie jene andere Komponisten, die ins Exil gingen, wie Erich Zeisl, Alexandre Tansman und Ruth Schönthal. Danach präsentieren wir das Thema Exil in Mexiko, im Teatro Bellas Artes. Ein weiteres Konzert, veranstaltet von der österreichischen Botschaft, führt uns ins Schloss von Kaiser Maximilian I., anlässlich seines 150-jährigen Krönungsjubiläums.

Der weitere Weg führt uns in die USA, wohin viele Komponisten emigrierten. Unser erstes Konzert in den USA wird in der Carnegie Hall stattfinden, für mich ein unglaubliches Kompliment. Letztes Jahr hätte ich nie gedacht, dass wir so weit kommen!

 

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

LdC: Diskriminierung betrifft ja nicht nur Rassismus, daher beginnen wir nächstes Jahr mit einem Konzert am 8. März zum Weltfrauentag. Bei dem Konzert werden Kompositionen etwa von Clara Schumann zu hören sein. Wir möchten auch auf die Geschichte der Komponistinnen aufmerksam machen, es gab Frauen, die unter männlichem Pseudonym oder unter dem Namen ihres Mannes komponierten. Teilweise ist es heute noch für Komponistinnen schwierig, dabei sollte in meiner Generation die Programmierung der Kompositionen ihrer Werke ganz selbstverständlich und nicht krampfhaft wegen der Quote erfolgen.

 

 Sie werden das Festival auch in Zukunft weiterführen?

LdC: Mir ist einerseits sehr wichtig, mit diesem Festival auch eine Plattform, eine Auftrittsmöglichkeit für junge Künstler zu bieten.

Insgesamt ist es für mich sehr bereichernd, als Sänger nicht nur auf die Bühne zu gehen und daran zu denken, ein Buch oder ein Messer mitzunehmen und am Ende die Carmen zu erstechen; Ich möchte in dem ganzen Prozess mitbestimmen, mitgestalten. Gleich von Anfang an etwas auf die Beine stellen und gemeinsam kreativ sein.

 Herr de Castillo, herzlichen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen zum Sänger: http://www.leondecastillo.com/

Weitere Informationen zum Primavera Festival: http://www.valsassina-ensemble.com/

 

 

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