Farinelli versus Händel
Ein Gespräch mit Arno Argos Raunig
Da gibt’s viel zu berichten. Der aus Kärnten gebürtige, lange in Wien ansässige und in den letzten Jahren ferne Kontinente erobernde „Counter“ überrascht immer wieder mit neuen Ideen und Tätigkeiten. Der einstige Wiener Sängerknabe mit Auftritten als „Erster Knabe“ in der Staatsoper hat sich seine tolle, rund und voll klingende Höhe erhalten und an breiter, pastoser Altus-Tiefe stets hinzugewonnen. Aus dem Initiator der Wiener Händel-Gesellschaft ist nun der Leiter der „Farinelli-Company“ geworden.
Die 2018 erschienene CD „FARINELLI VS HÄNDEL“ umfasst in Wort (Beiblatt) und Ton das Wesentliche am Phänomen der Kastratenstimme und was ein heutiger Sopranist, als der Raunig sich bezeichnet, daraus lernen kann. Die CD enthält eine Gegenüberstellung der wichtigsten Kastraten-Arien aus dem Wettstreit zwischen Carlo Broschi (1705-1782) , genannt Farinelli, gegen Giovanni Carestini, genannt „Cusanino“ (1700-1760).
Zu Beginn gleich eine derart fulminante, über 8 Minuten dauernde Bravourarie (Einlagearie des Arbace zu Hasses Oper „Artaserse“: „Son qual nave“), bei der einem als Zuhörer beinah der Atem ausgeht und man fast befürchtet, der Pianist könnte mit diesem Tempo nicht mitkommen (er tut es aber!), offenbar mühelos hingeblättert – einfach mit Lust an Extremem. Da fragt man erst gar nicht, wovon sie handelt, zumal man Textverständlichkeit in jenen Höhen kaum erwarten kann. Ein bisschen gelassener und melodiöser, auf die Mittellage konzentriert geht es dann bei Johann Adolph Hasses regulär geplanter Arie des Arbace „Per questo dolce amplesso“ – themagerecht – zu. Fast Mozart’sche Anmut kommt da auf und es kann sich pure Stimmschönheit ausbreiten. Ebenso in der fast 10 Min. währenden Arie des Acis aus Nicola Porporas „Polifemo“: „Alto Giove“, die aber auch viel Beweglichkeit – sozusagen in humanen Grenzen – und einen langen Atem fordert, um dem höchsten Gott alle Ehre zu erweisen. Eine weitere, nur 3-minütige, Einlagearie für Farinelli schrieb Attilio Ariosti für Hasses „Artaserse“: „Fortunate passate mie pene“, wieder, wie es scheint, Virtuosität um ihrer selbst willen mit unendlich vielen Wiederholungen. Händel bevorzugte zwar zunächst den „Cusanino“, trennte sich aber wieder von ihm, weil er „Verdi prati“ in „Alcina“ nicht wunschgemäß zu singen vermochte. Das allerdings ist eine andere Welt.
Und hier komme ich zum Ausgangspunkt für meine Bewunderung von Arno (damals noch ohne Argos) Raunig. Seinen Ruggiero erlebte ich dreimal in einer wunderbaren „Alcina“-Inszenierung in Darmstadt (incl. einem Gastspiel in Wiesbaden), wo das Stück etwa halb so lang war wie etwa in Wien 2011 und eine abwechslungsreiche Opernhandlung mit herrlichen Kostümen und fantasievollen Nachbildungen von Pflanzen und Tieren, in die die Zauberin ihre Liebhaber verwandelt hatte. Ruggiero mit einem attraktiven jungen Mann besetzt – da kommt keine noch so vortreffliche Mezzosopranistin heran. (Und man darf sich auf die kommende Salzburger Pfingst-Inszenierung mit Cecilia Bartoli und einem Counter als Partner freuen!) Mit den 3 großen Arien „Mi lusinga“, „Verdi prati“ und dem lebhaften „Sta nell’ircana“ gibt Raunig auf dieser CD Kostproben aus seiner absoluten Glanzrolle. Die 3 expressiv begleitenden Pianisten sind Paul Weigold, Matthias Krampe und Midori Ortner. Wir erleben hier Barockoper von ihrer schönsten Seite.
Raunig hat auch ein gut lesbares Buch herausgegeben, wo er dem Kuriosum Farinelli nachgeht: „Von Kastraten und Countertenören“. Er sagt dazu: „Die unzähligen Stimmbeschreibungen aus der Zeit Farinellis und Co. (von silbriger Klarheit und Reinheit, von trompetenhaft metallischer Kraft bis zum süßesten, zartesten Pianissimo ist da die Rede), lassen in meinen Ohren eine Klangvorstellung der Kastratenstimme entstehen, der ich mich durch Training und langjährige Übungen anzunähern versuchte. Weg vom einheitlichen Countertenorklang näher zum „Bel Canto“, zum Kastratenklang.“
Aber der Künstler lässt es keineswegs bei diesem Fach bewenden. Argos will wie die Argonauten die neue Ufer entdecken. Einige Tourneen quer durch Europa von Schweden bis in die Türkei, von Spanien bis Griechenland, von Kanada bis Mexiko, mit einigen Zwischenstops in den USA, wie auch am Broadway, zusammen mit José Feliciano, öffneten ihm einen interessanten Crossover-Bereich und demnächst wird ein Video von Viktoriia Kudricheva zu einem Crossoversong von Wolfgang Marc Berry (Komponist), dem Sohn der berühmten KS Christa Ludwig und des ebenso berühmten Walter Berry, erscheinen: Sei mio Cuore!
Solo-Auftritte als Farinelli-Interpret mit streng barockem Programm führten ihn nach Moskau, Warschau, Uppsala, Hamburg bis München und natürlich nach Japan. Und dazu die Konzerte im thailändischen Bangkok mit Orff´s „Carmina Burana“ – das erlaubt ihm nur noch wenige Auftritte in der engeren Heimat.
„Ich war das dritte Mal in Bangkok als sterbender Schwan in „Carmina burana“ mit meiner eigenen Schwan-Interpretation (soll heißen Teile des „Olim lacus colueram“ habe ich nochmals oktaviert, eine Steigerung des Sterbens und Gegrilltwerdens). Diese Carmina haben wir w+zweimal in der Prince Mahidol Hall (für 2000 Besucher) mit dem Thailand Philharmonic Orchestra gegeben. Dirigent war Gudni A. Emilsson. Weil es so ein großer Erfolg war, war ich schon das dritte Mal in dieser Produktion. Thailand ist ja auf dem klassischen Sektor eher ein Entwicklungsland, aber durch die Integration mit der Universität (Chor der Uni) funktioniert das wunderbar und auf höchstem Niveau.“
Raunig hat auch in Wien seinen Fanclub und der füllt dann Kirchen (wie zuletzt die in Mariahilferstraße am 11.12.) ebenso wie geheimnisvolle unterirdische Räume, z.B. im Vorjahr in der Wiener Altstadt (wohin man einst schwangere Nonnen verbannt hatte) oder auch im burgenländischen Schloss Potzneusiedl inmitten der Leitha-Auen. Wie dem beigefügten Plakat zum letzten Weihnachtskonzert zu entnehmen, sind die Konzerte immer mit einer Einladung zu einem Glas Sekt und einem kleinen Buffet verbunden. Da drängt sich das „Volk“ und lässt sich noch ein paar Zugaben vorsingen. Seine Partner in diesen Konzerten, diesmal sein ehemaliger Sängerknabenkollege Adi Hirschal, und meistens ein Erzähler und Rezitator mit passenden Texten sorgen für Abwechslung. Bei vorweihnachtlichen Veranstaltungen dürfen die Zuhörer auch bekannte Lieder mitsingen.
Raunig war aber auch immer schon für moderne Opern zuständig. Ich erinnere nur an den Mephostopiles von Alfred Schnittke in der Staatsoper Hamburg (im Fernsehen zu bewundern) oder die Opern in Basel (wo ich dessen Zeugin wurde), Bonn und Rom, wo der Komponist Helmuth Öhring für Raunig persönlich weitere Glanzrollen schrieb.
In Innsbruck, wo er schon mehrmals mit dem Tiroler Komponisten Norbert Zehm zusammengearbeitet hat, gab es am 11. November die Uraufführung von dessen neuer Oper: „Strange Meeting. Kenotaph für einen unbekannten Soldaten”, Libretto: Peter Wolf nach dem gleichnamigen Gedicht von Wilfred Owen. Zum 100. Gedenkjahr Ende 1. Weltkrieg – halbszenisch, im ORF Tirol Studio 3, vom Tiroler Ensemble für Neue Musik dargeboten. Da uns leider kein Merker-Bericht möglich war, sei hier der Bericht aus einer lokalen Tageszeitung abgedruckt, der zweifelsohne Neugierde auf alles Kommende aus der Feder dieses Teams erweckt. Raunig dazu: “Meine Rolle war Scarecrow (Vogelscheuche), Angel (Engel) und Spirit of Owen (Geist von Wilfred Owen).“ Geplant ist es, diese Oper an diversen Opernhäusern wieder aufzuführen (Landestheater Innsbruck, Augsburg usw.)
Im Sommer hatte er sein erstes Workshop in Hallstatt als Lehrer für Stimmausbildung! „Und ich war erstaunt, wieviel ich mir von meiner Sängerknabenausbildung gemerkt hatte. Ferdinand Grossmann, die Koryphäe aller Stimmausbildner – sein Wissen habe ich angewendet. Es hat sich gezeigt: Stimmausbildung und jemandem die Technik des Singens näher zu bringen, liegt mir. Mit Spaß und Lockerheit!“
„Mit dem Gitarristen Harri Stojka und dem Komponisten Norbert Zehm gibt es 2019 „Crossover-Konzerte“: Klassik meets Gipsy! Zum Beispiel am 8.5. im Treibhaus Innsbruck. Weitere Konzerte sind geplant mit der Farinelli Company: ein Faschingskonzert am 27.2. in Wien, Borromäussaal, eine lustige Sängergala von Sopran bis Bass, das erste Mal ein Bauernhofkonzert im Juni (22. und 29.6.) im Waldviertel (Elsern bei Drosendorf, Raunigs Landdomizil) mit Lesung und diversen Schmankerln aus der Gegend. Ein musikalischer Samstag auf dem Lande sozusagen“ .
„Dann sollte nach langer Zeit doch endlich meine Mozart Kastratenarien CD auf den Markt kommen (Februar 2019). Mit Paul Weigold als Dirigent und dem Symphony Orchestra Sofia und all den original für Sopran-Kastraten komponierten Arien aus Titus, Idomeneo, Lucio Silla, Mitridate, La finta giardiniera und Il re pastore“ .
„Ebenfalls in Planung sind Konzerte mit Norbert Zehm. Thema: Eine Brücke von der Barockmusik zur Zeitgenössischen Musik. Also von Purcell zu Zehm. (Musiksammlung Wien, Palais Mollard) und es entsteht eine neue Oper von Norbert Zehm „King Lear“ mit einer Hauptrolle für mich. Die erste Arie ist schon auf der CD Zehm–Raunig zu hören“ .
„Und als Letztes gibt es eine CD-Produktion mit ausschließlich Händel-Arien (Radamisto, Ariodante, Alcina, Julius Caesar, Heracles). Wir sind gerade mittendrin….»
www.ArnoArgos.com
Wir dürfen uns darauf freuen, meint
Sieglinde Pfabigan