Zürich: „DER ROSENKAVALIER“ – 21.4. – „Und in dem Wie, da liegt der ganze Unterschied!“
Worin besteht das Geheimnis des „Rosenkavaliers“? Worin liegt seine Ausdruckskraft? Zu einem großen Teil an der Ausstattung! Es gibt Opern, denen es kaum weh tut, wenn sie aus „ihrer“ Zeit gerissen werden. Der „Rosenkavalier“ leidet darunter, wenn die Atmosphäre nicht stimmig ist zur Musik.
Hans Swarowsky hat (vgl. „Wahrung der Gestalt“, S. 227 ) Richard Strauss‘ Wunsch überliefert, dass nicht angetastet werden möge, was Reinhardt und Roller für die UA gemacht haben, denn es sei Teil der Partitur (!) geworden. Das führt die Behauptung von Franzpeter Messmer („Richard Strauss. Biographie eines Klangzauberers“, S. 341) ad absurdum, der behauptet, im „Rosenkavalier“ spielen weder Zeit noch Ort eine Rolle. Hofmannsthals Gefühl für Sprechweisen des Adels, der Bürger, der Italiener, der Dienerschaft und Strauss‘ Gefühl, sie in ihren Träumen, Alpträumen und Leidenschaften tonal zu charakterisieren, wirkt am besten in den Dekorationen und Kostümen, die der Komponist gerne verpflichtend gemacht hätte, weil er sie als authentisch empfand. Was nicht ausschließt, dass er z.T. zu dieser Zeit ironische Bemerkungen in Noten gemacht und Stilformen der Musikgeschichte bewusst eingesetzt hat.
Der „Rosenkavalier“ bedarf der Welt des ausklingenden Barocks mit ihren formvollendeten Details und exquisiten Wort-Gesten. Wir bedürfen dieser Zeit, weil sie uns paradoxerweise die Identifikation mit den Personen und Themen erleichtert. Der ach so kurze Schritt von der Vergangenheit in die Gegenwart darf uns nicht abgenommen, nicht weginszeniert werden, denn es geht hier um Vergänglichkeit (von Liebe, Moral und Zeit).
Diese Sachkenntnis und den Respekt vor dem Kunstwerk habe ich bei SVEN-ERIC BECHTOLF oft vermisst. Dass die Atmosphäre nicht stimmt, weil in seiner Inszenierung alle Akte im indisch angehauchten Hause der Marschallin spielen, hat Einfluss bis in die charakteristischen Bewegungen der Personen. Dazu kommt der Eindruck, der Regisseur habe seine Ohren nur selten benutzt. Zu oft wird gegen die Musik agiert. Es grenzt an Ignoranz, die sensible Rosenüberreichung in eine Küche zu verlegen. Was für ein Gruß vom Himmel, wenn von der Küchendecke tote Fasane hängen?! Wie gerne hätten sich Octavian und Sophie geküsst, doch waren panierte Schnitzel zwischen ihnen. Wer hört, was Strauss komponiert hat, kann das nicht witzig finden. Und während Ochs in wohliger Vorfreude, von Es- Dur nach E-Dur gesteigert, nur an das denkt, was er in den Federbetten bald tun wird, stirbt ein zum Greis gealterter Rosenkavalier vor aller Augen – was die Stimmung der Szene empfindlich stört. Zu den teils spitzfindig komponierten Chaos vor Ochs‘ Abgang fällt dem Regisseur nur eine Art Standbild ein, das nicht ansatzweise dem wie ein Befreiungsschlag knallenden Walzer entspricht.
Dieses Magische, Selige der Musik aber ist und bleibt dank PETER SCHNEIDER und dem ZÜRICHER OPERNORCHESTER ein purer Genuss. Wie Strauss die Seelenbewegungen in Musik setzt, wie die innere Bewegung der Musik, ihre differenzierte Dynamik und ihre Stimmungen das Empfinden der handelnden Personen wiedergeben, das macht Maestro Schneider in animierten, fließenden Tempi und herrlichen Spannungsbögen hörbar. Das Orchester trifft unter seiner Leitung sofort den richtigen „Tonfall“. Sophie und Octavian dürfen, bevor sie von Valzacchi und Annina „gefangen“ werden, in A-Dur abheben.
Geradewegs hinein in die musikalische Seligkeit führt er Publikum und Sänger im Terzett und alle lassen sich tragen von dieser berückenden Vereinigung der Stimmen. Demut, Glück und Trauer klingen zusammen und ergeben einen Kraftstrom der Gefühle.
Wie viel gibt es „nebenbei“ zu entdecken! Ebenso scherzhaft wie liebevoll hat Strauss Einzelheiten komponiert. Für Klarinette, Oboe und Flöten gleich zu Beginn des 1. Aktes ein ganzes Vogelstimmenorchester; große und kleine Flöten kommentieren den grimmig-humorigen Einwurf von Ochs, Octavian werde schon noch alle „Engel singen hör’n“ und selten hat eine Oboe Mariandls Schluchzer („wie die Zeit hingeht…“), dieses aus 6 Tönen bestehende emotionale Detail, so köstlich klagend gespielt.
Noch einmal ist der „Rosenkavalier“ empfindlich: Wenn das Feine oder das Derbe zu sehr überzogen werden. Die vorhandene Komik mit gebührendem Ernst zu behandeln, gelingt ALFRED MUFF trotz unvorteilhaftem Kostüm und Maske gut. Sein Ochs ist eloquent, stimmlich durchweg bestens präsent, ohne im Tet a tet mit Mariandl in reine Posse abzurutschen.
Octavian ist es, der die Handlung vorantreibt! MICHELLE BREEDT tut das im 1. Akt mit für mein Empfinden schon zu viel Emphase und Herz-Hand-Aktionen, die hin und wieder zu Lasten der Stimme gehen. Aber man muss sie gern haben und das Züricher Publikum feierte sie ebenso wie CHRISTIANE LIBOR, die für Petra Maria Schnitzer in 2 von 3 Vorstellungen eingesprungen ist. Sie hat die sehr schöne Stimme, die die Marschallin braucht, ebenso die Eleganz und Textverständlichkeit, entwickelt aber noch nicht die nötige Mimik aus der Musik. Hat sie mich deshalb emotional nur punktuell erreicht? Zumindest im 3. Akt war sie so ungeschickt auf der Bühne platziert, dass ihr Part im schmerzlich-heiteren Agieren der Protagonisten nahezu unterging. Tadellos singt EVA LIEBAU die Sophie, Auge und Ohr sind gleichermaßen glücklich mit dieser Besetzung. Sehr präsent, wie es sich gehört, MARTIN GANTNER als ihr Vater Faninal. Aus der Vielzahl kleinerer Rollen zu erwähnen sind das wohlklingende Intrigantenpaar (RUDOLF SCHASCHING und WIEBKE LEHMKUHL), REINHARD MAYR als Luxusbesetzung für den Polizeikommissar und PETER SONN (Sänger) mit strahlendem Tenor.
3 h 25 min musikalischer Genuss in den unterschiedlichsten Farben, packende Dynamik, Walzerseligkeit – all das wäre eines deutlich längeren Applauses Wert gewesen.
Kerstin Voigt