Zürich Free Opera Company I DUE FIGARO (Michele Carafa) – Premiere 23.2.2014
Endlich weiss man, wie’s nach Mozarts „Le nozze di Figaro“ weitergeht!…
Milan Siljanov (Figaro), Viktor Majzik (Cherubino), Laurent Galabru (Almaviva), Aurea Marston (Gräfin), Marina Bärtsch (Susanna), Lucy De Butts (Inez) . Copyright: Mirjam Bollag Dondi
Die unabhängige, freischaffende Free Opera Company Zürich hat uns auch dieses Jahr mit einer musikalischen Delikatesse überrascht. Der initiative Chef Bruno Rauch hat die Opera buffa des neapolitanischen Komponisten Michele Carafa (1787-1872 und somit Rossinis Zeitgenosse und Freund) in eigener durchwegs witziger und abwechslungsreicher Regie auf die Bühne gebracht. Dabei hat er die im nachrevolutionären Sevilla spielende Handlung in die Gegenwart einer heutigen Studentenbude versetzt, wo der kommentierende Poet Piagio nun an seiner Bachelor-Arbeit schreibt und jeweils in das Geschehen eingreift und dieses beeinflussen will, was ihm aber deutlich misslingt. Aber zu guter Letzt hat er dann doch seine Arbeit abgeschlossen. Daher erklärt sich auch der von Carafa/Romani beigegebene Untertitel „Il soggetto di una commedia, also in etwa der Entwurf zu einer Komödie.
Was also ist passiert? Gräfin Rosina und Graf Almaviva – letzterer nun zum Tenor mutiert – haben eine reizende Tochter namens Inez, die in den nach 12 Jahren aus dem Militärdienst heimkehrenden, nun zum Manne gereiften Cherubino – jetzt ein Bariton – verliebt ist. Dieser Cherubino hat die Chuzpe, sich als Figaro auszugeben – daher der Titel „I due Figaro“ – und sich so unter falschem Namens in den Haushalt der Almavivas einzuschleichen, um seiner Inez nahe zu sein. Figaro und Susanna haben sich, wie schon das Ehepaar Almaviva, nicht mehr viel zu sagen. Susanna hat sich aber ihren Witz und ihr „cervello“ erhalten, während Figaro zu einem richtigen Schurken geworden ist. Mit Alvaro, einem undurchsichtigen, aber letztlich tollpatschigen Bräutigam, will Figaro eben diesen dem Graf für eine Hochzeit mit dessen Tochter vorschlagen, um dann mit Alvaro die dabei erschlichene Mitgift zu teilen. Dass dies misslingen muss, wo doch Inez und Cherubino das echte Liebespaar sind, ist nicht zuletzt der eigentlichen Drahtzieherin Susanna zu verdanken, die Witz und Reize einsetzt und sogar den Grafen verführt. Endlich wissen wir also, dass die beiden etwas miteinander haben, wo doch immer gerätselt wurde, wo denn Susanna in Mozarts „Le nozze di Figaro“ plötzlich das viele Geld her hat….
Milan Siljanov (Figaro) und Marina Bärtsch (Susanna) Beim Streitduett „Morgen bring ich dich um!“. Copyright: Mirjam Bollag Dondi
Figaro hat hier – und damit die ganze Oper „I due Figaro“, die 1820 in Mailand uraufgeführt wurde – jegliches revolutionäre Kolorit verloren und einer bürgerlichen Komödie à la française Platz gemacht. Sehr interessant, wie Carafa die Stilmittel Rossinis adaptiert und aus einer reinen Oper nach italienischer Buffo-Manier etwas Neues, Eigenes geschaffen hat. So verlegt sich Carafa auf überaus witzige Ensembles, in denen die Irrungen und Wirrungen der Personen zwar nach Rossini-Manier, aber doch wieder anders und eben realistisch-bürgerlich dargestellt werden. Wenig Arien, – eine für die in der Partitur vernachlässige Gräfin aus Paisiellos „Barbiere“ übernommene Arie – dafür gibt’s viele Situationen, deren Witz sich weniger aus den szenischen, als vielmehr zwischenmenschlichen Begegnungen speist.
Die Free Opera Company präsentiert das beim Rossini-Festival in Wildbad 2006 wiederentdeckte Melodramma (Libretto Felice Romani!) – also nicht Opera buffa – erstmals in Zürich und stützt sich dabei auf das dort erarbeitete Notenmaterial, was man Bruno Rauch nicht hoch genug anrechnen kann. Seine Regie (Choreographie: Anne-Sophie Fenner) ist äusserst witzig und einfallsreich, ironisiert die Situationen und kann jeder Figur einen Charakter geben. So bleibt uns nach der Aufführung jeder Sänger und jede Sängerin dieser Aufführung in lebhafter Erinnerung. Milan Siljanov verfügt über einen hervorragend geführten volltönenden Bassbariton und bringt den Schurken Figaro, der am Schluss sogar die Bühne über den Ausgang ins Freie verlassen muss (!), als doch letztlich gescheiterte Existenz über die Rampe. Seine Susanna ist bei der quirligen Marina Bärtsch aufs beste aufgehoben, die nicht nur eine flexible, ausdrucksvolle Stimme ihr eigen nennt, sondern auch über eine natürliche Körpersprache verfügt, die sie als „Gesamtkunstwerk“ auszeichnen. Das köstliche Streitduett mit Figaro à la Loriot („Morgen bring ich sie um!“) und die Verführungsszene mit dem Grafen setzten Höhepunkte des Abends. Das heisst aber nicht, dass die andern Mitwirkenden dahinter zurückstehen würden. Im Gegenteil! Da ist mal der erst gegen Schluss so richtig in Fahrt kommende Piagio (eben der mit der Bachelor-Arbeit) von Wolf Latzel mit weichen Bariton und dann der köstliche Alvaro von Jonathan Spicher – ein komisches Talent – , wozu sich der Cherubino mit Viktor Majzik gesellt, der als gereifter Page etwas von einem Heinz Rühmann an sich hat, und der zudem mit gerundetem Bariton zu singen weiss. Seine Geliebte Inez, Tochter des Grafenpaars, wird durch Lucy De Butts äusserst lebendig und von schlanker Gestalt verkörpert. Sie singt ihre höchsten Koloraturen klar und sicher, aber mitunter auch mit einer durchdringenden Schärfe. Die inzwischen aus Verzweiflung zur Alkoholikerin gewordene Gräfin Almaviva von Aurea Marston verfügt über einen ansprechenden lyrischen Sopran. Leider hat sie nur wenig zu singen. Graf Almaviva wird durch den vielversprechenden Tenor Laurent Galabru mit extrem gut sitzender Höhe gegeben, der allerdings in der Darstellung fast zu sympathisch erscheint. Er dürfte sich für das französische Fach empfehlen! – Hervorragend und in kleinster Besetzung spielte das Kammerorchester CHAARTS unter der inspirierenden Leitung des Dirigenten Emmanuel Siffert. Der Chor war solistisch besetzt, wobei die Sängerinnen und Sänger die verschiedenste Rollen übernahmen, wodurch dies so auch zum ironisch verfremdenden Effekt dieser Aufführung beitrug. Es sangen und spielten tadellos Sela Bieri und Penelope Monroe (Soprane), Marcus Elsässer und Pawel Grzyb (Tenöre) und Gábor Kabók (Bariton). – Hervorragend wie die Lichtgestaltung von Li Sanli das Bühnenbild von Ingo Jonas und die Kostüme von Claudia Binder höchst fantasievoll und mit erstaunlicher Wirkung unterstützte. – Erstaunlich was so eine kleine Unternehmung wie die Free Opera Company – im Gegensatz zu den mit enormen Mitteln gesegneten grossen Häusern – an Authentizität herausholen kann.
John H. Mueller
Weitere Aufführungen bis 11. Mai und Tickets unter info@freeopera.ch