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Wolfgang DOSCH : „Die Operette lebt…“

Wolfgang Dosch: Die Operette lebt!

 
Wolfgang Dosch, Charles Kalman mit dem „Studiengang Operette“ am Wiener Konservatorium . Foto: Gerhard Ringhofer

Die bereits totgesagte Operette lebt: In einer Ausstellung im Wiener Theatermuseum, auf größeren Bühnen, die sich dem Standardrepertoire widmen, und vor allem in kleineren Häusern, die den Mut aufbringen, auch unbekannte Perlen der Operettenwelt zu präsentieren. Wolfgang Dosch, Sänger, Regisseur und Leiter des Studienganges Operette am Konservatorium Wien Privatuniversität, über das neue Aufleben dieses Genres.

Von Renate Publig

 Herr Dosch, in Wien wird eine Besonderheit angeboten, ein eigener Studiengang Operette?

 Am Konservatorium Wien Privatuniversität gibt es auch zweisemestrige Bachelor- und Masterstudiengänge, wobei wir das einzige Institut in Mitteleuropa sind, das sich der Operette annimmt. Im ersten Semester wird jedem Studierenden sein persönliches Repertoire gezeigt, dann gibt es Schwerpunkte, Jubiläen, die Namen in Erinnerung bringen sollen. Namen wie Stolz oder Kálmán sind nicht mehr unbedingt im Bewusstsein! 2012 wäre der 200. Geburtstag von Friedrich von Flotow, der zwei Operetten komponierte, er hat einige Sommer in Reichenau und Wiener Neustadt verbracht. 2013 bietet sich als rundes Sterbe- und Geburtsjahr von Emmerich Kálmán an, außerdem wird das „Anschlussjahr“ operettig beforscht.

Im 2. Semester gibt es eine große Operettenproduktion mit Orchester, mit Bühnenbild und Kostümen. Jeder Studierende lernt eine große und eine kleine Rolle, um einmal eine Bühnenaufführung selbst zu erleben.

Studiengang Operette. Foto: Gerhard  Ringhofer

 Wie viele Studierende widmen sich diesem Gebiet?

 Wir haben maximal 8 – 10 Studenten pro Jahr, die in einer der Disziplinen Gesang, Tanz oder Schauspiel schon sehr weit sind. Dann geht es darum, mit ihnen deren Fähigkeiten zu erkennen und herauszuarbeiten, und ihnen zu helfen, danach jene Rollen auszusuchen, die ihre Stärken zeigen.

 Im Rahmen des heuer neu installierten Operettenforschungszentrum stellt die Konservatorium Wien Privatuniversität ihren Forschungsschwerpunkt unter den Titel Operette KONS-erviert.

Studierende und Lehrende aus den Bereichen Oper, Operette und Musikalisches Unterhaltungstheater beschäftigen sich künstlerisch-forschend und wissenschaftlich auseinandersetzend mit der Aufführungspraxis, der musikalischen Analyse und der kulturhistorischen Kontextualisierung des Genres Operette. 2011/12 waren die Schwerpunkte „Nichts als ein Traum – Operette und Jugendstil“, weiters der Komponist Ralph Benatzky, und als Bühnenproduktion „Ein Walzertraum“ von Oscar Straus. Einen weiteren Schwerpunkt widmeten wir dem Komponisten Joseph Beer. Er war ein damals viel versprechender Komponist, seine Operette „Polnische Hochzeit“ hätte in Wien mit Richard Tauber und Martha Eggerth aufgeführt werden sollen. Jetzt, sozusagen „1000 Jahre“ später, findet im Juli die Österreichische Erstaufführung beim Wiener Operettensommer statt.

 Joseph Beer wurde auch beim Eröffnungskonzert von Operette KONS-erviert im April im Musikverein aufgeführt!

 Dieser Komponist hat uns sehr fasziniert, jemanden zu beforschen, zu dem es kaum noch Zeitzeugen gibt, erweist sich als besondere Herausforderung. Daher erstellten die Studierenden einen Fragenkatalog an Hanna Beer, der Witwe des Komponisten, im Konzert wurden die Ergebnisse präsentiert. Eine besonders berührende Episode: Joseph Beer verlor seine Familie im Konzentrationslager Auschwitz, das letzte Lebenszeichen war eine Karte seines Vaters, der Beer, um den Sohn nicht zu gefährden, mit „lieber Freund“ ansprach. Die Karte endet mit den Worten „Du bist meine große Liebe“. Im Nachlass konnte ein Lied mit dem gleichen Titel entdeckt werden, welches bei diesem Salonkonzert seine Uraufführung erlebte.

Von 29. Juni bis 1. Juli findet übrigens in Wien eine Operettentagung im wunderbaren Ambiente des Lehár-Schlössl statt, bei dem ich am 1. Juli einen Vortrag über Beer – Operette im inneren Exil halten werde, meine Klasse wird an dem Abend unter anderem einige Titel von ihm vortragen.

 Sind Operette und Musical Konkurrenten?

 Der Tourismusbetrieb springt auch auf den Karren „Musical“ auf und lässt sich Operette kein Anliegen mehr sein. Aber das Pendel geht sicher wieder zurück, es geht ja auch nicht darum, das eine mit dem anderen auszutauschen, sondern sich bewusst zu sein, dass das ein Teil unserer Kunst ist. Wie ein Steinchen in einem bunten Mosaik, dieser bunten Donauraumkultur. Operette zeigt die theoretische Möglichkeit des so genannten multikulturellen Zusammenlebens. Italienische Tarantella, Wiener Walzer, ungarischer Csardas, Polka, Can-Can, und im Finale passt alles wunderbar zusammen!

 Kürzlich ist Herbert Mogg verstorben, einer der „guten alten Operettenkapellmeister“, der über viele Jahre als Operettenspezialist das Wiener Raimundtheater und später das Musik Theater Schönbrunn prägte – den Sie auch noch kennen gelernt haben?

 Ich war 19, als Herbert Mogg mich zum Vorsingen aufgefordert hat, ich bekam ein Engagement als Papacoda in „Nacht in Venedig“. So habe ich Mogg als Intendanten und Dirigenten kennen gelernt, er war einer, der in Archiven wühlt, in Autographe schaut und mit Hirn, Herz und Humor bei der Sache ist. Mogg ist mir dann später wieder begegnet, unter anderem in Ziehrers „Landstreichern“, das ich dreimal in meinem Leben gespielt habe, in Köln unter Mogg selbst, dann in Linz und in Regensburg. Die Aufnahmen, die Mogg zuletzt gemacht hat, sind ein reifes Alterswerk und zeigen, wie man mit Operette geschmackvoll umgeht.

 Gibt es auch heute noch solche Operetten-Dirigenten?

 Rudolf Bibl ist ein grandioser Kapellmeister, der „weiß wie’s geht“! Dann gibt’s die nächste Generation, Alfred Eschwé und Christian Pollack, an den Landestheatern sind gute Leute, in Graz beispielsweise Marius Burkert, der jetzt Walzertraum dirigiert hat. Oder in Baden Oliver Ostermann, mit dem ich die „Dollarprinzessin“ gemacht habe.

 Welche Rolle spielen Dirigenten gerade für die Operette?

 Die Dirigenten sind die entscheidenden! Ob die Kostüme alt oder neu sind, das Thema kann ich schon nicht mehr hören. Es gibt nur gute oder schlechte Inszenierungen. Es ist die Musik, die gelebt werden muss. Ich vergleiche das gerne mit alter Musik, die Vorgänger von Harnoncourt wurden zu recht hysterisch, weil man Monteverdi wie Verdi musiziert hat. Langsam entwickelt sich ein Bewusstsein, dass man ein anderes Maß anlegen muss. Musik muss zu uns sprechen. Das ist nicht ein Legato bis zum Erstickungsanfall, sondern Musik gibt und nimmt! Beschleunigen, anhalten und wieder loslassen – wie man idealerweise im Neujahrskonzert mit Carlos Kleibers hören kann!

 Sie selbst führen auch Regie und bringen öfters Unbekanntes auf Bühnen?

 Man kommt irgendwo mit Glück hinein, als Regisseur findet man hoffentlich jemanden, der einem das zutraut. Das sieht ein anderer, der einen dann vielleicht noch einmal Regie führen lässt, das „streut“. Ich habe dieses Genre sowohl singend als auch dramaturgisch so lange erlebt und versuche, das in meinen Inszenierungen umzusetzen: Ehrlich, schauspielerisch auf höchstem Niveau, unverstaubt, mit einem heutigen Timing-Gefühl, aber so, dass ich das Publikum nicht hinaustreibe!

Das Theater in Nordhausen spielt eine Operette im Jahr, die haben es geschafft, das Publikum zu überzeugen, dass die „Marke“ für Qualität steht. Die können Leo Falls Dollarprinzessin oder Linckes Casanova spielen, und das Haus ist voll. Christian Simonis, ein hervorragender Dirigent, hat ähnliches in Göttingen erreicht, er ist immer mehr in die Dörfer gefahren, um die Marke zu etablieren. Dieses Vertrauen muss man sich erarbeiten, aber auch das Theater an der Wien hat das geschafft – das Publikum sieht sich Händel an, oder Tod in Venedig. Man kann dem Publikum Lust machen!

 Veranstalter klagen über sinkende Besucherzahlen, wenn nicht die „gängigen“ Stücke gebracht werden. Erfreulicherweise gibt es immer mehr vor allem kleine Bühnen, die sich auch über unbekannteres Repertoire trauen.

 Zumindest in Deutschland gibt es weniger Premieren, die Ensembles werden kleiner. Wenn ein Theater nur eine Premiere hat, dann ist ganz klar, was am Programm steht.

Ein Problem der Operette scheint mir die Besetzung der Fächer. Für das Musical holt man sich Spezialensembles, bei der Operette meint man’s gut. Operette mit Opernsängern, das geht nicht – dann versucht man’s mit Schauspielern, das geht auch nicht. Man kann ja auch nicht als Tosca eine Sängerin für Alte Musik ansetzen! In der Operette gibt nicht umsonst die „Diva“, man braucht Stars, die das Vehikel tragen. Man kann eine Lustige Witwe chic, hip und cool promoten, ohne dass sie im Keller spielt und ohne dass ich Nina Hagen besetze. Natürlich schaut man, dass die jungen Leute in die Vorstellung kommen, das heißt, man besetzt schräge Leute. Dann muss ich’s mit Synthesizer und einer Band spielen, das kann ich aber mit der „großen“ Operette nicht machen. Es müssen Leute in den richtigen Positionen da sein, die den richtigen Maßstab anlegen.

 Dafür – und hier schließt sich der Kreis – gibt es einen eigenen Studiengang in Wien?

 Das Interesse junger Interpreten steigt, es gibt qualifizierten Operettennachwuchs. Er könnte stärker gefordert werden, wenn die Musikdramaturgen der Theater mehr Mut hätten, über die kanonisierten Werke des Genres hinauszudenken und neue Entdeckungen zu machen!

 

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