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WIENER FESTWOCHEN / Burgtheater: BAROCCO

Eine baroccy Horror Show

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WIENER FESTWOCHEN / Burgtheater:
BAROCCO
Musikalisches Manifest von Kirill Serebrennikov
Produktion Thalia Theater Hamburg 2023
Koproduktion Elbphilharmonie Hamburg
Premiere bei den Wiener Festwochen: 19. Mai 2024

Eine baroccy Horror Show

Kirill Serebrennikov hat das Publikum der Wiener Staatsoper mit seinem „Gefängnis-Parsifal“ nicht eben glücklich gemacht, und er wird, der Ankündigung nach, auch den „Don Carlos“ im Herbst vor allem als brutale politische Parabel lesen (wobei dann die Frage bleibt, wie sehr ihn das Verdi-Original interessiert). Wie überzeugend der russische Regisseur allerdings agieren kann, wenn er sich das „Libretto“ zu seinen politischen Aussagen selbst schreibt, das sieht man nun bei den Wiener Festwochen mit der „Barocco“-Produktion des Hamburger Thalia-Theaters aus dem Vorjahr, die nun im Burgtheater Station machte.

Es ist ein Abend, der sich im Gegensatz zu seinem Titel, nicht an Liebhaber von Barockmusik wendet. Meist hat Daniil Orlov die Vorlagen (Bach, Händel, Lully, Monteverdi, Purcell, Rameau, Stradella, Telemann, Vivaldi u.a.,) zumindest mit Synthesizer bearbeitet, dazu vieles selbst dazu komponiert (auch „Deutsch-Pop“ kommt vor) – das Ergebnis ist eine Show, deren Inhalt im Grunde dem widerspricht, was der Unterhaltungswert des musikalischen (und eines exzellenten choreographischen) Teils suggeriert…

Feuer ist das Grundmotiv des Abends, der damit beginnt und endet, sich bis zu noch und noch hingebreiteten  Bildern totaler Explosionen und Zerstörung am Ende steigernd. Politisch ist die Aussage immer, denn Kirill Serebrennikov zelebriert und predigt vor allem Widerstand. Es geht um die 68er Proteste, vor allem aber schmerzlich um die Selbstverbrennung von Jan Palach, nachdem der Einmarsch der Sowjets in der Tschechoslowakei den „Prager Frühling“ niederknüppelte…

 Von da an begleiten die Videos des Brennens den pausenlosen zweieinviertelstündigen Abend durchaus quälend, geradezu eine Horror-Show. Und auch ziemlich plakativ, Holzhammer-direkt, aber das Thema will es wohl. Serebrennikov, in seiner russischen Heimat selbst Opfer politischer Unterdrückung (und nun im Berliner „Exil“ lebend), will den Kampf dagegen so laut und deutlich austragen wie möglich.

Dass die Barockmusik in diesem Zusammenhang „tröstet“, empfindet man im Zuschauerraum nicht unbedingt. Nur einmal, als ein mit Handschellen an einen Wächter gefesselter Gefangener (es ist Daniil Orlov, die musikalische Seele des Abends)  mit einer Hand Bachs Chaconne d-Moll spielt – da erzeugt die Macht der Musik in diesem grausamen Zusammenhang den Gänsehauteffekt…

Im übrigen scheint in diesen technisch brillant gearbeiteten und auch großteils meisterlich gespielten Abend dramaturgisch alles und jedes (nicht immer gleich überzeugend) hinein gestopft. Ein bißchen Eintopf des nicht immer Vereinbaren ist es schon – aber als sein eigener „Dichter“ hat der Regisseur alle Rechte…

 Es werden immer wieder provokante Sprüche im Hintergrund projiziert, auch einmal eine barocke Opernszene dazwischen geschoben, Tilo Werner darf eine große Show-Einlage zelebrieren (und hämmert dabei, scheinbar unterhaltend, die Erkenntnis „Jeder muss sterben“ in die Köpfe der Zuseher),, es gibt neben gesprochenen, wie privaten Szenen (ein kleiner Ausflug zu den Filmen Tarkowskis, in denen auch immer irgendetwas brennt) auch einen brasilianischen Straßensänger, der von seinem Schicksal erzählt (und dabei auch an die ukrainischen und russischen (!) Flüchtlinge denkt  – wobei der Abend  immer wieder zum Feuer zurückkehrt.

Die Gäste unterbrachen den langen Schlußapplaus mit der Mitteilung an das Publikum, dass zwei Künstler unter schrecklichen Bedingungen in russischen Gefängnissen sitzen. „Art is no crime“, wurde im Namen von Kirill Serebrennikov verkündet. Die Kunst, von diktatorischer Seite als Propaganda mißbraucht, ist, wie hier gezeigt wird, auch ein Mittel des Widerstands. Wobei man nie vergessen sollte, wie leicht wir es haben, hier zustimmend zu klatschen und dann die Schrecken dieses Abends abzuschütteln, um in unser bequemes Leben in einer Demokratie zurück zu kehren…

Renate Wagner

 

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