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WIEN/ Volksoper: ONKEL PRÄSIDENT – Good bye, Onkel Präsident

28.10.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

27. 10. 2014, Volksoper: Good bye, Onkel Präsident

Zum letzten Mal in dieser Saison die komische Oper von Friedrich Cerha, Gemeinschaftsproduktion mit dem Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz

„Die Zeit ist ein sonderbar‘ Ding“, reflektiert die Marschallin im Rosenkavalier mit Mitte Dreißig. Was das betrifft, scheint sie, die Zeit nämlich, die Männer im Alterungsprozess eindeutig zu begünstigen. Der drahtige Siebziger, der da auf der Volksopernstiege fast mit mir zusammenstößt, ist Friedrich Cerha, unverkennbar mit Riesenstirn, Künstlermähne und verrutschter Brille. Ihm kann sie offenbar nichts anhaben, denn weit in seinen Achtzigern schreibt er die nahezu einzige komische zeitgenössische Oper „Onkel Präsident“, musikalische Farce, wie er sie nennt. „Trotz meines hohen Alters suche ich immer noch nach Neuem“, sagte er auch im Künstlergespräch mit Christoph Wagner-Trenkwitz und dem Regisseur Josef Ernst Köpplinger am 8. Oktober vor der Premiere. „Es geht also auch noch immer darum, neue Seiten an mir selbst zu finden. Das intensive Erleben von Musik ist in Weg in sich hinein – auch für den Zuhörer.“

Und wie perlender Champagner blitzen hier die musikalischen Anspielungen auf die große Oper auf. Wie in der Ariadne des  Jahresregenten Strauss gibt es auch hier ein Vorspiel, allerdings im Zeitraffer. Auf einer Parkbank im gewollt banalen Urlaubsort Seefeld unter Vermeidung jeglichen Stressfaktors reflektiert der Präsident eines mächtigen Stahlkonzerns mit einem Komponisten über die Zeit, die ihn zuvor im Würgegriff gehabt hat: „In Ihrem Alter hatte Verdi den Falstaff schon fertig.“  „Aber der hatte auch einen hervorragenden Librettisten“, meint dazu zweifelnd der Komponist. – Cerha hatte ihn jedenfalls mit dem Juristen und Autor Peter Wolf, mit dem offenbar eine enge Zusammenarbeit ähnlich der von Strauss und Hofmannsthal oder Mozart und Daponte stattgefunden hat. Aus dem auch von Billy Wilder 1961 verfilmten Molnar-Stück Eins, zwei, drei machte er ein fabelhaftes geist- und witzsprühendes Libretto, in dem die Übel der heutigen Zeit – Wirtschaftsdominanz, Machbarkeitswahn, Zeitgeiz, kollektive Meinungsbildung nach dem Motto  Everybody has the Right to my Opinion – scharf, aber auch liebevoll aufs Korn genommen werden.

Die Pointen setzen sich fort in der Musik, nicht allein im fallweise rezitativisch gesungenen Dialog der Sänger, sondern gut falstaffisch mit den präzisen Akzenten, die das Orchester unter dem genuinen Dirigat des vielseitigen Volksoperndirigenten Alfred Eschwé musikalisch-satirisch setzt. Und da jagt eine die andere.

Die sprechenden Namen der handelnden Personen – der Au-pair-Nichte Melody Moneymaker, der Sekretärinnen Fräulein Flink, Fräulein Flott und Fräulein Flugs und des Büroleiters Dr. Fleiß, des Reporters Didi Kvača , des Schneiders Zwirn  – sind gute alte Nestroystilistik.

Renatus Mészár bewältigte seine Rolle nicht nur gesanglich souverän, sondern auch sprachlich und darstellerisch. Cerha erklärt, dass der Klang des gesprochenen Wortes Ausgangspunkt für seine Komposition ist, die begleitet, betont, verstärkt, akzentuiert oder ironisiert. Mészár spielt alle Facetten des allmächtigen Präsidenten komödiantisch aus. 100 Minuten dauert das ganze Spiel; für ihn gibt es da keine Minute Pause, aber wie seine Bühnenfigur besteht auch er diesen Stresstest mit Bravour – ein Macho mit Herz, irgendwo, wo man es nicht gleich findet. Er lässt die Puppen, das sind seine MitarbeiterInnen –  Ärzte, Reporter, Aufsichtsräte, eine japanische Delegation tanzen und muss sich dabei immer wieder auf neue Situationen einstellen.

Denn die junge Dame Melody Moneymaker, ein Paris-Hilton-Typ, die sich zum Deutschlernen als Gast in seinem Haus aufhält,  setzt den Onkel Präsidenten gehörig unter Stress, hat sie sich doch eigensinnigerweise in einen in der Gesellschaftshierarchie eher unten angesiedelten Fahrradboten namens Josef Powolny verliebt, ist  angeblich auch schon schwanger und will ihn heiraten. Und die Eltern Moneymaker, mit deren Großkonzern der Präsident einen Fünfjahresvertrag unter Dach und Fach bringen will bzw. in Anbetracht der Wirtschaftskriese muss, haben sich in zwei Stunden angekündigt. Julia Koci spielt diese liebenswerte Nervensäge mit Witz und Temperament und meistert auch den durchaus nicht leichten gesanglichen Part ausgezeichnet.

Selbst für einen Pygmalion wären diese Vorgaben problematisch: in 2 Stunden muss aus diesem Rohdiamanten von Jüngling mit wuchernder Irokesenfrisur ein gesellschaftlich adäquater Bräutigam mit Schliff hergestellt werden. Der junge Tenor David Sitka, der 2012 an der Volksoper debütierte, durchläuft die  peinvollen Stadien dieser Metamorphose wider Willen und erkämpft sich sogar eine Arie gegen den protestierenden und schließlich resignierenden Dirigenten: „Also, in Gottes Namen, singen Sie, aber rasch!“

Äußerst effizient bewähren sich auch die drei Büro-Grazien Fräulein Flink (Martina Dorak), Fräulein Flott (Elvira Soukop) und Fräulein Flugs (Renate Pitscheider) sowie Stefan Cerny als asketischer Büroleiter Fleiß, der die offenbar zur Nervenberuhigung in einem Aquarium angesiedelten Goldfische einen nach dem anderen von ihrem mühsamen Büroalltag befreit und jedes Mal im Papierkorb entsorgt.  

Köstlich auch Petar Naydenov als Daddy und Sulie Girardi als Mummy Moneymaker. (Ob sie wohl entfernt mit unserem großen Alexander Girardi verwandt ist? Eher  unwahrscheinlich, im Google findet sich wenigstens nichts dergleichen.)

Den abgeklärten Komponisten in der Rahmenhandlung gab KS Walter Fink. Er findet sich wieder mit dem Präsidenten auf der Parkbank, der ihm diese ganzen Abläufe nur erzählt hat und ihm die Oper eigentlich wieder ausreden will. Aber da ist der Komponist schon mitten drin in der Arbeit und lässt sich nicht mehr aufhalten …

Die Regie von Josef Ernst Köpplinger, das  Bühnenbild von Johannes Leiacker und die Kostüme von Marie-Luise Walek, das alles hat wunderbar gepasst und  wirklich mitgespielt. Das Publikum ebenfalls, denn es lieferte viele richtig placierte  Lacher und amüsierte sich königlich.

Premiere war am 11. Oktober. Nach fünf Vorstellungen verlässt uns diese vergnügliche Produktion wieder. Good bye, Onkel Präsident, und vielleicht – falls sich die Zeit dafür findet –   auf Wiedersehen!

Ursula Szynkariuk

 

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