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WIEN/Volksoper : Emmerich Kalman DIE CSARDASFÜRSTIN (Generalprobe)

Die Operette als nicht mehr ganz so fröhliche Apokalypse

Elissa Huber als Sylvia Varescu (Foto Volksoper Wien)

 

WIEN/Volksoper

DIE CSARDASFÜRSTIN von Emmerich Kalman
14. September 2018 (Generalprobe)     Von Manfred A. Schmid


Die Operette als nicht mehr ganz so fröhliche Apokalypse

Die Welt, in die Emmerich Kalmáns berühmteste Operette bei ihrer Uraufführung im November 1915 in Wien hineinplatzte, hatte wenig zu tun mit der heilen Welt, wie sie in den einschlägigen Werken der leichten Muse üblicherweise dargestellt worden ist. Der Erste Weltkrieg war damals schon über ein Jahr im Gange, ein Ende in weiter Sicht, und das Elend eines harten Kriegswinters rückte immer näher an die Donaumetropole heran. Doch davon war damals im Werk und in seiner Umsetzung auf der Bühne des Johann-Strauß-Theaters in Wien kaum etwas zu spüren. Allerdings auch nicht in der Produktion, wie sie – in der Regie und szenischen Neuinszenierung von Robert Herzl – noch bis Ende der vergangenen Saison in der Volksoper zu sehen und zu hören war. Das unter der Fuchtel seiner gestrengen Mutter stehende Fürstensöhnchen Edwin wurde da auf Geheiß des Vaters weiterhin kurzerhand zum Militär einberufen, um ihn so vor einer großen Dummheit – Verehelichung mit einer nicht standesgemäßen Varietékünstlerin – zu schützen. Indem man ihn einfach vorübergehend aus dem Verkehr zieht? Hallo! Weltkrieg? Geht´s noch? – Nie davon gehört!

Mit der Neuinszenierung von Peter Lund, der das Werk für die Volksoper eigens bearbeitet hat, wird mit diesem Versäumnis radikal Schluss gemacht. Zu Beginn steht der Ausbruch des Weltenbrandes unmittelbar bevor und wird dann, als es so weit ist, auch per Zeitungsschlagzeile entsprechend angekündigt. Er kann also nicht mehr so einfach aus dem Bewusstsein ausgeblendet werden. Filmeinspielungen in Form von Wochenschauberichten (Videos: Andres Ivancsics) protokollieren in weiterer Folge den Verlauf des Kriegsgeschehens. In der Schlussszene, beim scheinheiligen Happyend, sieht man im Hintergrund Aufnahmen vom Angriff einer Luftflotte: Die brüchig gewordene feudale Gesellschaftsstruktur, in der Fürstenhäuser wie das der von und zu Lippert-Weylersheim noch irgendwie das Sagen hatten, wird am Ende des Krieges eine Welt von gestern sein.

Die sich zuspitzenden Ereignisse an der Kriegsfront und die sich allmählich wandelnde Gesellschaft spiegelt sich auch auf der Bühne wider. Immer mehr Soldaten besuchen die Vergnügungsstätte des Orpheums in Budapest, Burschenschafter mit ihren bunten Käppis machen sich bemerkbar, und ein militärisch auftretender Blondschopf in Uniform weist auf noch bedenklichere Entwicklungen in einer nicht allzu entfernten Zukunft hin. Der Aufmarsch der weitverzweigten Sippe der von und zu Lippert-Weylersheimer anlässlich der erwarteten Verlobung des Stammhalters mit seiner Cousine, die dann allerdings platzt, ist köstlich ausgestattet. Mit ihren bunten Uniformen und Gewändern (Kostüme: Daria Kornysheva) präsentieren sie ein Art Querschnitt der Generationen mehrere Jahrhunderte hindurch. Die Parade eines leibhaftig gewordenen Stammbaumes, ein Leichenzug vor lauter Zombies, die aus dem Misthaufen der Geschichte hervorgekrochen zu sein scheinen.

Doch keine Angst: All diese längst überfälligen Akzentuierungen stehen dem Vergnügen und der Unterhaltung, die man sich von einer Operette mit derartig reichen Melodien, Tanzeinlagen und spaßigen Dialogen und Aktionen erwarten mag, nicht im Wege. Die Gesangsleistungen haben ein recht hohes Niveau, Choreografie und Personenführung sind tadellos. Vertraute Lieder wie „Spiel, Zigeuner, mir was Feines“, „Nimm, Zigeuner, deine Geige“, „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“, „Machen wir´s den Schwalben nach“, „Tanzen möchte ich, jauchzen möchten ich“ verfehlen ihre Wirkung nicht. Walzerklänge, Csárdás und Modetänze aus der Zeit gehen einem, wie man so sagt, wirklich ins Blut. Und das Orchester unter Alfred Eschwé versteht es, die Akteure auf der Bühne wie auch das Publikum mitzureißen. Nur der erste Akt, dem ein kurzes Vorspiel vorangestellt wird, vermag einfach nicht und nicht zu zünden, und das, obwohl er das Varieté mit seinen zahlreichen Einlagen und Auftritten der „Mädis, der Mädis, der Mädis vom Chantant“ zum Schauplatz hat. Ob das am faden, grau-schwarzen Ambiente (Bühne: Ulrike Reinhard) liegt? Aber mit dem zweiten Akt nimmt die Vorstellung Fahrt auf und fesselt das Publikum mehr und mehr.

Lucian Krasznec als Edwin auf Freierfüßen, und Elissa Huber als Chansonette Sylvia Varescu bilden ein starkes zentrales Paar, ihr komödiantisches Gegenstück, Boni Graf Kancsiánu und Anastasia Komtesse Eggenberg, werden mit viel Schwung von Jakob Semotan und Juliette Khalil verkörpert. Hausherr Robert Meyer ist – wie könnte es auch anders sein – ein umwerfend komischer Fürst Leopold Maria, und Sigrid Hauser als seine Frau Anhilte ist zwar (sitten-)streng gegenüber Mann und Sohn, bemüht sich aber ansonsten so gar nicht um ein einigermaßen fürstliches Auftreten. Warum? – Das ist die große Überraschung des Outings, das am Schluss von ihrem alten Verehrer Feri Bácsi (Boris Eder in einer Glanzrolle) ins Rollen gebracht wird.  Nicolaus Hagg versieht mehreren Nebenrollen mit einer je eigenen Kontur, und Béla Fischer entlockt Kalmáns unvergessliche Melodien einem mit Absicht etwas verstimmten Klavier.

Nach nicht ganz so gelungenen Neuproduktion von Operetten im Vorjahr (Der Opernball, Gasparone u.a.) ist dem Haus am Währinger Gürtel mit Kalmáns Csárdásfürstin wieder ein Wurf gelungen, der dem Ansehen der Operette nützen sollte. Und das ist ja wohl eine der Hauptaufgaben der Volksoper, die heuer ihr 120-jähriges Bestehen feiert. Hingehen lohnt sich. Zur Einstimmung könnte man schon am Sonntag, 16.9, um 20.15 Uhr, ORF III aufdrehen. Da steht nämlich eine Aufzeichnung eben dieser Operette aus der Volksoper auf dem Programm. Schon um 20 Uhr gibt es eine Werkeinführung von Christoph Wagner-Trenkwitz.

Manfred A. Schmid
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