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WIEN / Volksoper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

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Foto: Volksoper Barbara Palffy

WIEN / Volksoper: 
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER von Richard Wagner
Wiederaufnahme am 16. April 2023,
besucht wurde die fünfte Vorstellung der Serie am 7. Mai 2023 

Wagner an der Volksoper? Eine alte Streitfrage. Immerhin – als das Kaiserjubiläum-Stadttheater, 1898 eröffnet  (50jähriges Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph) und ursprünglich für Sprechtheater gedacht, sich der Oper zuwandte, hegte man (obwohl am ehemaligen Linienwall gelegen, also ganz weit draußen) keinerlei Berührungsängste mit der Hofoper – und dem Werk Richard Wagners. Ab  1906 bis zum Ende der Monarchie 1918 wurden alle seine Werke dort aufgeführt.

Später war man sich hier seiner Repertoire-Strategien nicht so sicher. Es dauerte tatsächlich bis zum Hundertjahr-Jubiläum des Hauses, bis der damalige Direktor Klaus Bachler die mit dem Nationalsozialismus fast gänzlich abgerissene Wagner-Tradition fortführte. Zuerst nur mit einem Werk, den „Meistersingern“ von Christine Mielitz, an die man sich weniger gern erinnert als an den wunderbar-köstlichen Johan Botha als Stolzing…

Robert Meyer, der mutiger war, als man wahrnahm (Tosca, Salome), ließ 2019 den „Fliegenden Holländer“ von dem deutschen Regisseur Aron Stiehl (er ist derzeit Intendant des Stadttheaters Klagenfurt) inszenieren – keine sehr inspirierte Aufführung, aber man hat so viel Schlechteres gesehen, dass man ganz froh ist, wenn ein Abend die Vorlage zumindest nicht vergewaltigt (wenn er ihr auch einiges schuldig bleibt – etwa das von Richard Wagner so nachdrücklich komponierte Meer…).

Bedenkt man, wie wenig die Staatsoper zum Thema des „Fliegenden Holländers“ beizusteuern hat, war es zweifellos ein kluger Schachzug von Lotte de Beer, dieses Werk in ihrem Haus als Wiederaufnahme anzusetzen, und das mit einer Besetzung, die jeden Wagner-Freund zufrieden stellen muss. So war auch eine sonntätige Aufführung am späten Nachmittag zwar nicht ausverkauft, aber doch gut gefüllt. Und erhielt nach pausenlosen zweieinviertel Stunden viel überzeugten Beifall.

Der trocken-phantasielos ausgestattete Abend (Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann /  Kostüme: Franziska Jacobsen), der statt Schiffen eine containerartige Ladung aus Kisten bietet, statt spinnenden Mädchen eine Chorprobe und für den dritten Akt rein gar nichts, wurde in der Volksoper musikalisch souverän gerettet. Wobei die stürmische Interpretation von Ben Glassberg am Dirigentenpult und der bemerkenswert präzise Chor (der am Ende besonders viel Applaus erhielt) ein fabelhaftes Fundament für die Sänger bauten.

Josef Wagner, der schon mit Mozart am Haus reüssiert hat, ist ein interessanter Holländer, schmal, dunkel, eine verlorene Seele, wie ein Geist herumwankend, zwischendurch, als er Hoffnung auf Erlösung hegt, kurz aufblühend, um wieder in die Düsternis zu verfallen. Dass sein Bariton anfangs rau klingt, um im Duett mit Senta geradezu aufzublühen, passt zu dieser besonderen Interpretation, die ohne große Geste und ohne Pathos auskommt.

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Anna Gabler hat zu Meyer-Zeiten an der Staatsoper viel Strauss (Arabella, Capriccio-Gräfin, Chrysothemis) und etwas Wagner (Sieglinde, Freia) außerdem Agathe gesungen und wird von der neuen Direktion ignoriert. An der Volksoper beweist sie als Senta ihr ideales Wagner-Format, kraftvoll (wobei die Stimme manchmal ein wenig entgleiten kann) in der Dramatik, aber noch schöner in der schmal geführten Lyrik.

Neben diesem Paar hielten sich alle anderen mehr als wacker, vor allem Stefan Cerny, spürbar Publikumsliebling und mit seinem profunden  Baß ein Glücksfall für die Volksoper. Der übliche saturierte, wuchtige  Daland ist der schmale, wendige Sänger nicht, aber er hat ja auch mit dem Ochs bewiesen, wie sehr er gegen Klischeevorstellungen von Figuren anspielen kann. Sein Daland setzt vor allem auf  Komik – ein kapitalistischer Widerling ist er eindeutig nicht, und man ist dankbar dafür.

Die Mary der Stephanie Maitland dirigiert als strenge Herrin eine singende Mädchen-Truppe, der Erik des Jason Kim schlägt sich tapfer in einer Rolle, die so schwierig wie letztlich undankbar ist, und der Steuermann David Kerber ließ immer wieder aufhorchen, was nicht jedem Sänger in dieser Rolle gelingt.

Starker Applaus für alle, viele Bravo-Rufe, Wagner an der Volksoper – warum nicht? Auch wenn man sich an der trockenen Inszenierung fast die Zähne ausbeißt. Das Ensemble hat alles gerettet.

Renate Wagner

 

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WIEN / Volksoper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Die zweite Besetzung

13.03.2019 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Volksoper

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DER FLIEGENDE HOLLÄNDER von Richard Wagner
Zweite Vorstellung der Neuproduktion am 12. März 2019

Die Wogen gingen hoch, zumindest auf Kritiker-Seite. Wenn man die „Holländer“-Premiere der Volksoper versäumt hatte, glaubte man, über eine wahre Erregung nachzulesen. Wenn man dann in die zweite Vorstellung geht, merkt man, dass außer Spesen kaum etwas gewesen ist. Was die „Berechtigung“ des Hauses betrifft, großen Wagner zu spielen – nun, das Programmheft versucht heftig, diese zu beweisen. Immerhin hätte die Wiener Erstaufführung 1908 hier stattgefunden. Nicht ganz – das damalige Kaiser-Jubiläums-Stadttheater war ein ganz anders konzipiertes Haus. Und nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man Wagner hier mit der Lupe suchen. Immerhin, Opernfans erinnern sich an die „Mielitz-Meistersinger“ von 1998, als sich plötzlich das Orchester hob (und keiner wusste, warum) – und Johan Botha langhaarig als Stolzing auf die Bühne stürmte. Das war schon was.

Ähnliches wird man von der nunmehrigen Neuinszenierung des „Fliegenden Holländers“ kaum in Erinnerung behalten. Diese typische Stadttheater-Aufführung (und das ist nicht allzu positiv gemeint) sucht Anschluß an „modernes“ Regietheater, verwechselt aber – wie es allzu oft geschieht – ein Bühnenbild (Frank Philipp Schlößmann) mit einem Konzept. Keine Schiffe, sondern auf vielen Bildern aufgemaltes Meer. Ein mit Kisten verstellter erster Akt, wobei man den Chor hinter den Kisten verstecken kann und zu keinerlei Aktion gezwungen ist. Ja, und dass es ums Handeln geht und Daland ein ziemlich geldbewußter Kapitalist ist – na, das haben uns schon alle Regisseure als „aktuellen“ Aspekt erzählt. Also sitzt er am Schreibtisch, statt als Kapitän sein Schiff zu lenken. Im zweiten Akt haben die Mädels Chorprobe, im dritten Akt begibt sich auch nicht viel. Zu Beginn ist der Holländer rücklings zum Publikum in magische Ferne geschritten, am Ende tut das Senta, da sie sich ja in kein Meer stürzen kann, das nur gemalt ist… Übrigens trägt sie einen nicht sehr kleidsamen Faltenrock, wie er vor 50 Jahren üblich war (Kostüme: Franziska Jacobsen), ja, die Handlung ist ja so aktuell (ach ja?), und mehr kann man über die Inszenierung von Aron Stiehl (der 2017 schon am Haus ähnlich unspezifisch „La Wally“ gemacht hat) nicht erzählen, denn Konzept ist keines erkennbar.

Hörbar ist, dass ein Orchester, das vermutlich (außer höchstens die ältesten Mitglieder) noch nie Wagner gespielt hat, nicht auf Anhieb zu Qualität hochzupeitschen ist, Dirigent Marc Piollet hat es jedenfalls nicht geschafft, da wackelt schon die Ouvertüre, und es wackelt weiter. Der Chor (Einstudierung Holger Kristen) schreit so unschuldig drauf los, dass es gelegentlich fast parodistisch klingt – woher sollten sie es auch auf Anhieb können? (Was jetzt keinerlei Aufforderung darstellt, an der Volksoper öfter Wagner zu spielen, um Gottes Willen!)

Und dann bot die zweite Vorstellung mit zwei Ausnahmen die zweite Besetzung. Nur Holländer Markus Marquardt war derselbe, ein ordentlich singender, farbloser Herr im langen Mantel, und Martina Mikelić „dirigierte“ als „Amme“ Mary den Chor, jede Bewegung überreizend und quasi ins Publikum schielend: Seht mal her, wie komisch ich bin…

Der Daland der ersten Besetzung bekam viel Lob, der Interpret der zweiten wohl kaum: Andreas Mitschke hat eine trockene, angestrengte Stimme zu bieten. Szabolcs Brickner ist ein Steuermann, der kaum auffällt. Was man – im besseren Sinn – von Vincent Schirrmacher nicht sagen kann. Von Wagner-Stil hat er nicht viel Ahnung, aber eine Stimme, mit der er die Rolle (in der man schon Vogt kieksen hörte) erstaunlich kraftvoll durchsang.

Kristiane Kaiser warf sich der Senta in die Arme, und da man weiß, wie schwer diese Partie ist, sagt man ihr gern, dass sie diese ehrenvoll bewältigt hat. Was man vom Rest des Abends (um Wagner gekämpft, aber nicht gesiegt) nicht wirklich behaupten möchte.

Renate Wagner

 

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