Wieder Barockoper im Theater an der Wien: „Radamisto“ von Georg Friedrich Händel- 24.1.2013
Patricia Bardon. Foto: Barbara Zeininger
Das Theater an der Wien konnte neuerlich mit einer Barockoper einen Publikumserfolg verzeichnen. Diesmal mit der Opera seria „Radamisto“ von Georg Friedrich Händel, die 1720 in London in Anwesenheit von König George I. ihre spektakuläre Uraufführung hatte. Die Berichte schildern, dass die Damen um die besten Plätze kämpften und viele von ihnen wegen der Enge des Theaters und der Hitze in Ohnmacht fielen.
Die Handlung der dreiaktigen Oper, deren eher schwaches Libretto von Nicola Francesco Haym stammt, zeigt ein Familiendrama, das einen Krieg heraufbeschwört. Tiridate, der Herrscher Armeniens, begehrt die Frau seines Schwagers Radamisto. Um ihrer habhaft zu werden, zieht er gegen seine gesamte Verwandtschaft zu Felde. Aber Zenobia, die ihren Gatten unerschütterlich liebt, weist den siegreichen Feldherrn zurück und ist bereit, eher zu sterben, als sich einem anderen hinzugeben. Sie stürzt sich lieber in den Fluss, als Tiridate in die Hände zu fallen. Als sich die Soldaten des tyrannischen Herrschers gegen seine Willkür erheben, muss Tiridate klein beigeben. Es kommt – wie stets bei Barockopern – zum glücklichen Ende: Radamisto und Zenobia, die aus dem Fluss gerettet werden konnte, sind wieder vereint und Tiridate kehrt zu seiner treuen Frau Polissena zurück, die dem Wüstling liebevoll verzeiht.
Regisseur Vincent Boussard spricht in einem Interview, das im Programmheft abgedruckt ist, von einer „psychoanalytischen Poetik“ und nimmt Bezug auf Freuds Psychoanalyse. Ein Zitat daraus: „Der familiäre Kontext … erlaubt uns, all diese Türen zum Unterbewusstsein und zum, sagen wir, träumenden Anteil der Figuren zu öffnen. Dabei benützen wir die Sprache der Psychoanalyse wie eine poetische Sprache, mit deren Hilfe wir diese Geschichte erzählen. An Freuds Psychoanalyse interessiert uns die Poesie, wir lesen sie wie ein poetisches Objekt.“
Sollte das Goldfischglas zu Beginn und am Ende der Aufführung auf der Bühne (Gestaltung: Vincent Lemaire) eine Art Traumdeutung symbolisieren? Dass der Fisch als Genitalsymbol gilt, mag manchen bekannt sein. Aber die ständigen Videoprojektionen von schwimmenden Fischen verschiedener Größen auf die Rückwand der Bühne nervten jedenfalls zusehends und gaben auch keine schlüssigen Antworten. Im Trüben fischen? Alles nur ein Traum? Der fast immer leere Bühnenraum hatte drei Türen, die manchmal grell beleuchtet wurden, während die Darsteller allzu oft im Dunkeln blieben, es sei denn, sie sangen an der Rampe (Licht: Guido Levi). Die in Blau gehaltenen Kostüme für die zwei Sängerinnen und die zwölf weiblichen Statisten, entworfen vom französischen Modeschöpfer Christian Lacroix, waren chic und von ästhetischer Elegance, die Kleidung der männlichen Darsteller glichen eher Uniformen und waren farblos nüchtern.
In der Titelrolle blieb der Countertenor David Daniels einiges schuldig – sowohl stimmlich wie darstellerisch. Möglich, dass dies auf seine Rolle als Schwächling zurückzuführen ist. Den Triebmenschen und herrschsüchtigen Tyrannen zeichnete der Bariton Florian Boesch äußerst vielschichtig und auch humorvoll. Seine prächtig klingende Stimme passte ideal zu seiner Rolle. Eindrucksvoll in jeder Szene die Mezzosopranistin Patricia Bardon als erotisches „Objekt der Begierde“. Sie setzte sich gegen Tiridate mit einer Leidenschaft zu Wehr, die sowohl stimmlich wie auch darstellerisch begeisterte.
Als Polissena, der Schwester von Radamisto und Ehegattin des Tyrannen, bot die belgische Sopranistin Sophie Karthäuser ebenfalls eine überzeugende Leistung. Sie hatte vor allem im dritten Akt ihre stärkste Szene mit ihrer Arie „Barbaro, partirò“, für die sie vom Publikum verdientermaßen mit Szenenbeifall belohnt wurde. Als Feldherr Tigrane, der in Tiridates Gattin Polissena verliebt ist, konnte der Tenor Jeremy Ovenden gefallen, rollengerecht agierte der Bariton Fulvio Bettini in der kleinen Partie des entmachteten Farasmane, des Vaters von Radamisto und Polissena.
Für die musikalische Qualität der Aufführung bürgte das Freiburger Barockorchester unter ihrem umsichtigen Leiter René Jacobs. Er dirigierte im hellen Scheinwerferlicht ohne Taktstock und schien mit seinen Händen die Takte der Partitur und den Gesang der Protagonisten auf magische Weise förmlich hervorzuzaubern. Das von der Barockmusik begeisterte Publikum zollte allen Mitwirkenden minutenlang Beifall, ohne in frenetischen Jubel zu verfallen, wie es das Theater an der Wien bei Barockaufführungen schon des Öfteren erlebt hat.
Udo Pacolt, Wien – München