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WIEN/ Theater an der Wien: RADAMISTO

25.01.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

TadW RADAMISTO (Premiere 20.1., besuchte Vorstellung 24.1.2013)


Sophie Karthaeuser. Foto: Barbara Zeininger

Georg Friedrich Händels selten gespielte Opera seria in drei Akten, Radamisto (HWV 12a/12b), die 12. von insgesamt 42 Opern des großen Engländers deutscher Herkunft, liegt uns gleich in vier verschiedenen Fassungen vor. Die Gründe dafür waren in erster Linie unterschiedliche Besetzungen, die Händel zwangen, einzelne Stimmen zu transponieren. Im Theater an der Wien spielt man nun die dritte geglättete Fassungen, die von René Jacobs noch eigens bearbeitet wurde.

Radamisto ist Händels erstes Werk für die im Jahr 1719 gegründete Royal Academy of Music, die unter der Schirmherrschaft von König Georg I. stand. Nicola Francesco Haym (1678-1729) verwendete für sein Libretto die älteren Vorlagen „La Zenobia“ (1666) von Matteo Noris (1640-1714) und „L’Amor tirannico“ (1712) von Domenico Lalli (1679-1741), eigentlich Nicolò Sebastiano Biancardi. Die genannten Libretti bedienten sich allesamt der Darstellung eines kriegerischen Konfliktes um die Herrschaft in Armenien und Thrakien zu Zeiten Kaiser Claudius aus dem 12. Buch Kapitel 44-51 der Annales des römischen Historikers Publius Cornelius Tacitus (58-120). Die Uraufführung erfolgte schließlich am 27. April 1720 am Haymarket Theatre in London.

Die Handlung der Oper beschränkt sich im Wesentlichen drei Akte lang auf den Krieg des armenischen Königs Tiridate gegen seinen Schwager, den trakischen Prinzen Radamisto, dessen Gattin Zenobia er begehrt, obwohl er bereits mit Polissena, der Schwester Radamistos, verheiratet ist. Schließlich siegt aber die Gattenliebe über die Tyrannenrache und einem glücklichen Ende steht nichts mehr entgegen.

Solche und ähnliche Konstellation weisen viele Opern jener Zeit auf; sie begegnet beispielsweise bereits in Pergolesis „Adriano in Siria“.

Das Ausstattungsteam Vincent Lamaire und der einstige Modeschöpfer Christian Lacroix rollen die Geschichte in einer Art untergegangenem Atlantis auf Zumindest gewinnt man diesen Eindruck, denn durch die offen gehaltenen Türen (es sind drei an der Zahl, die vierte, imaginäre, öffnet sich dem Zuschauerraum), sieht man Projektionen schwimmender Fische (Goldfische?) und ab und an gespenstische Wolkenkratzer. Gleich zu Beginn defilieren in diesem verqueren Ambiente mehrere, in der Mode der französischen Revolution gekleidete, Frauen. In ihrem Aufzug erinnern sie an jene Geister, denen man bereits in John Coriglianos Oper „The Ghosts of Versailles“ 1992 in New York begegnen konnte. Und dann kommt noch einer riesigen Tafel, die quer über die Bühne läuft, großes Augenmerk zu. Denn diese verschwindet, wie von Geisterhand, wenn das über sie ausgebreitete Tischtuch zusammengefaltet wird. Bemüht man Sigmund Freuds Sinnsuche, mag man in diesem Symbol die Sehnsucht nach Geborgenheit innerhalb einer intakten Familie, einer heilen Welt herauslesen, aber es wirkt etwas banal und wenig schlüssig bzw glaubwürdig. Ebenso kann ein weißer Schirm, der Schutz vor Regen wie Sonne bieten soll, zu einer psychologisch tiefsinnigen Betrachtung nicht wirklich viel beitragen. Und so erschöpft sich die Regie in diesem Ambiente in szenischer Ratlosigkeit.

Regisseur Vincent Boussard ist zwar bemüht, den Titelhelden Radamisto in seiner Entwicklung vom zaudernden schwachen Prinzen zum gefestigten, aber mildtätigen Regenten vorzuführen, allein Szenebeherrschend bleibt sein Gegenspieler Tiridate, dessen Namen die Oper eigentlich viel mehr als Titel verdienen würde. Das Publikum zur Zeit der Uraufführung, so können wir annehmen, kannte zum überwiegenden Teil den Stoff, sodass die finale Kehrtwendung von Tiridate, keinerlei Verwunderung auslöste. Dem heutigen, auf Plausibilität bedachten Zuseher scheint eine solche Wandlung aber kaum nachvollziehbar.

Countertenor David Daniels, der diese Rolle auch in der Oper von Santa Fe gab, verlieh der Zerrissenheit Radamistos zu wenig Eigenprofil. Dazu kam noch seine wirklich nicht gerade schöne Stimme, die an manchen Stellen fast schmerzvoll über die Rampe kam. Händel hat diese Partie übrigens nicht für einen Kastraten geschrieben, sondern für die damals berühmte Margherita Durastanti. Trotz dieser Mängel wurde seine Leistung aber durch manchen Zwischenapplaus, untersetzt mit einem vereinzelten Bravoruf von der Galerie, gewürdigt. Ein Ausdruck wohl dafür, dass Stimmen in der Regel Geschmackssache sind.

In Florian Boesch als düsterer König Tiridate stand ihm der eigentliche Motor der ganzen Oper gegenüber, der die Fäden stets fest in seiner Hand hielt. So facettenreich wie die Abgründe der menschlichen Seele, so schillernd gestaltete dieser mit seinem profunden Bariton diese Partie. Gegen Ende, wo er ratlos mit einer Pistole herumfuchtelt, zögernd, wen er in seiner Rache wohl erschießen sollte, wird er sogar komisch. Und geradezu naiv wirken seine verzweifelten Versuche, Zenobia, gesungen von der irischen Altistin Patricia Bardon, den Gestalt gewordenen Idealtypus an weiblicher Tugend, zu erobern. Diese aber weist ihn mit größter Intensität, vokal wie darstellerisch, in die Schranken.

Sophie Karthäuser als Polissena verfügt über eine für den Barockgesang bestens geschulte Stimme, mit der ihr auch die schwersten Koloraturen nur so luftig dahin perlten. Sie ist die leidende tugendhafte Gattin des Tyrannen Tiridate, die, wie könnte es anders sein, Letztendes ihrem Gemahl versöhnlich die Hand reicht.

Jeremy Ovenden als unglücklich in Polissena verliebter Getreuer ihres Mannes Tigrane und Fulvio Bettini als Farasmane, Herrscher von Thrakien und Vater von Polissena und Radamisto, ergänzten rollengerecht.

Das Freiburger Barockorchester unter René Jacobs ist ein Garant für werkgetreue Interpretation und so versuchte Jacobs auch allen dramaturgischen Schwächen des Librettos zum Trotz, die kraftvolle Musik Händels mit ihren wunderschönen Arien, Ariosi Duetten und ihrer Ouvertüre im französischen Stil, entgegen zu setzen. Alle nur erdenklichen Emotionen weist diese geradezu expressive Musik Händels auf. Und auch die mancherorts als schleppend empfundenen Rezitative erklingen bei Händel, abwechselnd von Cembalo, Laute oder Orgel begleitet, äußerst differenziert und keine Minute langweilig.

Interessantes Detail: Zu Beginn des 2.Aktes erkennt man unschwer ein wunderschönes pastorales Largo, das jenes „Ombra mai fu“ aus Serse vorweg nimmt.

Dieser Radamisto wäre wohl in einer konzertanten Präsentation besser bedient, als in dieser wenig überzeugenden „Nichtregie“, die die Sänger über weite Strecken zu einem Rampensingen, wie in den Zeiten der Uraufführung, verleitete. Der Versuch, die unbewusste Traumebene, auf eine fassbare Metaebene zu hieven, muss wohl als gescheitert angesehen werden.

Der Applaus bedankte in erster Linie die Protagonisten und René Jacobs, viele Zuschauer warteten diesen aber erst gar nicht ab, sondern stürmten gleich nach dem Verhallen der letzten Takte der Musik ratlos und ermüdet aus dem Theater an der Wien.

Harald Lacina

 

 

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