TadW Iphigénie en Aulide et en Tauride – 24.10. 2014
Lenneke Ruiten, Christoph Pohl. Foto: Barbara Zeininger
Die Idee ist nicht ganz neu beide Iphigenien von Gluck an einem Abend aufzuführen. 2008 unternahm Christophe Rousset im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel dieses Wagnis. Pierre Audi wiederholte dann dieses Experiment mit der Nederlandse Opera 2011 und zeigte beide Opern (bis auf die Balletteinlagen) ungekürzt an einem Abend, was meiner Meinung nach auch mehr Sinn macht.
In Wien war man aber offenbar der Meinung, dem Publikum eine ungekürzte Fassung beider Iphigenien anlässlich des 300. Geburtstages des großen Meisters der Vorklassik nicht zumuten zu können!
Nachdem nun Regisseur Torsten Fischer 2010 bereits Glucks „Iphigénie en Tauride“ und 2012 dessen „Iphigénie en Aulide“ für das Theater an der Wien äußerst erfolgreich in Szene gesetzt hatte, erarbeitete er nun eine knapp dreistündige (Pause mit eingerechnete) Spielfassung beider Opern und setzte eine völlig überraschende, willkürlich gewählte und dramaturgisch gesehen nicht einleuchtende Pause just nachdem die Eindringlinge Oreste und Pylade auf der Insel Tauris aufgegriffen wurden und eingedenk Lukians Hohelied der Freundschaft eng umschlungen in homoerotischer Pose auf der Bühne, von den Skythen bedroht, verharren. Verstört brach darauf das Publikum – ohne Applaus – in die wohlverdiente Pause auf. Danach wurde die Handlung Oper genau an dieser Stelle mit dem „eingefrorenen“ Bild der beiden einander umarmenden Freunde Pylade und Oreste wieder aufgegriffen.
Während Torsten Fischer alle Arien der Taurischen Iphigenie beibehielt und nur einzelne Rezitativ-Szenen kürzte und Chor-Passagen oder Wiederholungen strich, fielen der Iphigenie in Aulis Teile größeren Umfangs zum Opfer. Trotz vieler gelungener Einzelszenen hatte man daher das Gefühl, zwei verstümmelte Torsi zu sehen, hält man sich vor Augen, dass jede der beiden Iphigenien (ohne Balletteinlagen!) knapp mehr als zwei Stunden Aufführungszeit, also insgesamt 4 ½ Stunden, hätte.
Der Tantalidenmythos oder Teile davon wurde von zahlreichen Dichtern, bildenden Künstlern und Komponisten verarbeitet. Für das Sprechtheater hat etwa Gerhart Hauptmann den gesamten Stoff in seiner Atriden-Tetralogie (vor dem geistigen Hintergrund der Gräuel des zweiten Weltkriegs) ausgebreitet.
Und am 28. Oktober wird die Neue Oper in Wien Manfred Trojahns Oper Orest als österreichische Erstaufführung zeigen.
Hier im Theater an der Wien werden beide Iphigenien in dieser komprimierten Inszenierung im abstrakten, von weißen Wänden eingesäumten Drehbühnenraum, der für die „Iphigénie en Tauride“ entworfen worden war, als Familiendrama aufgerollt. Der noch in der „Iphigénie en Aulide“ entwickelte Gedanke einer Antikriegsoper, in der um Ölanlagen mit Maschinenpistolen gekämpft wird, ist Gott sei Dank fallen gelassen worden. Jegliche Art von Waffen, die auf der Bühne nicht zum Einsatz gelangen, haben – meiner bescheidenen Meinung nach (und da folge ich Herrn Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe als Regisseur) – auf der Bühne nichts verloren!
Dem Gedanken eines antiken Familiendramas verpflichtet, dürfen Pylade und Oreste als Knaben bereits im ersten Teil auftreten und der Knabe Oreste seine Mutter Clytemnestre töten, was in diesen jungen Jahren zwangsläufig zu einem wahren Trauma, ob mit oder ohne verfolgenden Erinnyen, führen muss. Dafür dürfen nun das ermordete Königspaar Agamemnon und Clytemnestre auch im zweiten Teil des Abends schicksalshaft als Geister auftreten.
Die Ausstattung von Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer (letzterer in Personalunion auch als Dramaturg tätig!) für die einstige „Iphigénie en Tauride“ wurde beibehalten.
Andreas Jankowitsch, Rainer Trost, Stephane Degout. Foto: Armin Bardel
Véronique Gens als taurische Iphigénie, sowie Michelle Breedt als Clytemnestre und Stéphane Degout als Oreste und Rainer Trost als Pylade übernahmen ihre Rollen aus den älteren Inszenierungen und bildeten gesanglich wie darstellerisch eindeutig und ohne jeglichen Abstrich den Höhepunkt dieses Abends!
Für die Iphigenie in Aulis bedurfte es aber eines eher lyrischen Soprans, den man in Lenneke Ruiten, die bei den diesjährigen Salzburger Festspielen ihr Debüt als Donna Anna gegeben hatte, zu finden geglaubt hatte. Ihr eng gefühter Sopran erwies sich vor allem in der Höhe als zu wenig tragfähig und flackrig.
Die beiden Interpretinnen der Iphigénie traten dann auch als launische Göttin Diane in der jeweils anderen der beiden Opern auf.
Maxim Mironov gab darstellerisch einen Kraftlackel von Achille mit stählerner harter Höhe, die mir für den französischen Gluck aber nicht als das geeignete Ausdrucksmittel schien!
Christoph Pohl in der Doppelrolle als Agamemnon und Thoas konnte sich mit kräftigem Bariton behaupten, ebenso Paradebösewicht Andreas Jankowitsch (einst noch als Calchas im Rollstuhl agierend) nun auch in den Rollen eines Skythen und Ministers, bedrohlich das Opfermesser schwingend.
Vorzüglich besetzt waren auch die kleineren Rollen der ersten Priesterin und griechischen Frau durch Çiğdem Soyarslan und der zweiten Priesterin von Johanna Krokovay.
Angelo Margiol und Samuel Jung traten noch in den stummen Rollen als Kinder Oreste und Pylade auf.
Leo Hussain am Pult der Wiener Symphoniker demonstrierte eindringlich, dass Glucks Partitur zahlreiche verblüffende expressive Wandlungen aufweist, mit denen der aufmerksame Zuhörer nicht rechnete. Bravo!
Der im Theater an der Wien schon unentbehrlich gewordene Arnold Schoenberg Chor, geleitet von Erwin Ortner bewies wieder einmal mehr seine hohe künstlerische Qualität und seine großes Spielfreude! Verstärkt durch die Statisterie des Theaters an der Wien durften die Choristen auf dem Rücken liegend noch imposante Antara legdips vorführen.
Trotz der von mir teilweise als überlang empfundenen Generalpausen des Dirigenten spendete das Publikum allen Mitwirkenden lang anhaltenden und durchaus verdienten Applaus!
Harald Lacina