TadW Charodeyka – 21.9. 2014 (Premiere 14.9.).
Foto: Monika Rittershaus
Es ist die drittletzte Oper Tschaikowskys, die er für seine beste hielt. Sie entstand nach Mazeppa und noch vor Pique Dame. Das von der Länge her ausufernde Libretto verfasste Ippolit Spazhinsky nach seinem gleichnamigen Theaterstück. Die Uraufführung der vieraktigen Oper fand dann am 20. Oktober 1887 im Mariinsky Theater in Sankt Petersburg statt.
Man könnte die Oper auch mit dem Etikett „Und ewig lockt das Weib“, nach dem deutschen Titel des französischen Spielfilms „Et Dieu… créa la femme“ von Roger Vadim von 1956 mit Brigitte Bardot und Curd Jürgens in den Hauptrollen versehen.
Diese femme fatale ist eine junge Witwe, deren Reizen die Männerwelt scharenweise erliegt. Sie betreibt ein Wirtshaus an der Oka, das als Treffpunkt für Künstler und Freidenker dient, eine Art russisches „Christiania“. Sie „verzaubert“ ihre Gäste, was in jenen Tagen (die Oper spielt Mitte des 15. Jhd.in Nischni-Nowgorod und Umgebung) ihr Todesurteil als „Hexe“ besiegelt. Bis dieses aber auf heimtückische Weise durch Gift, den typischen Mitteln einer eifersüchtigen Frau (der Fürstin) vollzogen wird, erliegen ihr in knapp drei Stunden Spielzeit noch der Fürst und dessen Sohn, in den sich die bezaubernde Wirtin Kuma verliebt. Und zum Ende überschlagen sich die Ereignisse wie in einer schlechten Schicksalstragödie. Die Zauberin stirbt in den Armen ihres Geliebten, Vater ersticht Sohn und verfällt dann dem Wahnsinn. Und ähnlich wie Carlos di Vargas in „La Forza del Destino“ mag die Fürstin nun endlich ihr Seelenheil gefunden haben, nachdem ihrer Rache drei Menschen zum Opfer fielen…
Wer eine romantische Inszenierung bevorzugt, sei auf eine Aufnahme der „Enchantress“ vom 12.9.2012 aus dem Bolshoi Theater Moskau (www.youtube.com/watch?v=nvgIA7eo8oE) mit Svetlana Kasyan als bezaubernde Kuma hingewiesen.
Foto: Monika Rittershaus
Regisseur Christof Loy entkleidet die Oper ihres märchenhaften Charakters, indem er sie in fast Brecht’scher Manier in Alltagsgewändern und ohne dezidiert russischlastige Verortung in Szene setzte. Verantwortlich für das ausstattungsmäßige Einerlei mit hölzernem Podest und Wänden und ein paar beliebigen Möbelstücken zeichnet Christian Schmidt, der diese szenische Tristesse wenigstens durch ein paar russische Hintergrundtableaus (ein Birkenwald, eine Stadtansicht und zum Schluss ein düsterer, dunkler Wald) beleben konnte.
Wenn dann in der Gauklerszene Männer im Tutu und Bärten im Conchita Wurst-Stil auftreten, ist die Beziehung zur Gegenwart hergestellt, und der nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski findet dann seine Entsprechung in dem kleingeistigen, von heuchlerischer Kirchenmoral getriebenen Steuereinnehmer Mamyrow. Reizendes Detail am Rande: Die einzige Frau in dieser Balletteinlage, Barbara Spitz, die als Conférencier und später noch in einem Bärenkostüm auftrat, hatte frappante Ähnlichkeit mit unserer hochgeschätzten und -geliebten Burgschauspielerin Maria Happel, die der Vorstellung an diesem Abend ebenfalls beiwohnte.
Der litauischen Sängerin Asmik Grigorian, völlig reizlos bekleidet mit braver gescheitelter Frisur aus den 20ger Jahren, nimmt man diese „femme fatale“, der alle Männer und Machthaber erliegen, optisch leider nicht ab. Die Rolle ist mehr für einen dramatischen Sopran ausgerichtet, was der Figur nicht zu Gute kommt, weil sie unser Mitleid – anders als bei Tschaikowskis leidenden Frauenfiguren Iolanta, Lisa und Tatjana – nicht erweckt. Ihr Sopran war sehr expressiv und es gelangen der Sängerin, bei klugem Einsatz ihres Materials, auch in den lyrischen Passagen berührende Momente.
Umgekehrt verhält es sich da bei der Figur der Fürstin Eupraxia, deren Tragik Ausmaße einer Medea erhält. Die Polin Agnes Zwierko gibt diese hasserfüllte Fürstin, die selbst schon dem Wahnsinn nahe, im Unterrock agiert, ihre Perücken wechselt (psychologisch gedeutet ist sie auf der Suche nach ihrer wahren Identität) und schließlich ihr eigenes rotblondes Haar im Wahn zerrauft. Dazu passt eine tiefe, dunkle Altstimme, die die Sängerin prächtig entfaltete.
Großartig ist die Szene zwischen Fürst und Fürstin ob des vermeintlichen Ehebruchs, der an den Ehezwist zwischen Wotan und Fricka im zweiten Akt der Walküre erinnert und die Tschaikowsky gekannt haben mag.
Nikolay Efremov interpretierte die höchst problematische Persönlichkeit des Fürsten Hurtjatew, der zwischen zwei Frauen steht (ähnlich Jason, der zwischen Medea und Kreusa steht). Das durch die bezaubernde Nastasia „Kuma“ entfachte Liebesfeuer eines sich in der Midlifecrisis befindlichen Mannes verlieh seinem gewichtigen Bariton das nötige Feuer. In der Wahnsinnsszene am Ende versucht er sich, Blut von seinen Händen abzuwischen. Und diese Szene ist natürlich jener aus Verdis Macbeth nachgebildet, hier Fürst, dort Lady.
Der Tenor des jungen Prinzen Nikita („Juri“) von Maxim Aksenov hört sich stellenweise etwas hart an. Zwar erreicht er alle Höhen seiner Partie mit Kraft, aber es fehlt ihm an der nötigen guten Technik, die ihm eine hoffentlich noch längere Karriere ermöglichen könnte. Warum er in unkleidsamen Shorts als Muttersöhnchen mit chère Mama auftreten muss, mag man bei Siegmund Freud erfahren.
Der zum Intriganten gewandelte fürstliche Berater Mamyrow, dessen Bösartigkeit nur durch die persönliche Erniedrigung nachvollziehbar wird, die er durch den Fürsten im ersten Akt erleidet, als er mit einem Tutu bekleidet tanzen muss, gab Vladimir Ognovenko mit eindrucksvollem Bass.
Die Kammerfrau der Fürstin und Schwester Mamyrows, Nanila, die wie diese den Tod der Kuma herbeisehnt, gab Hanna Schwarz mit Emphase, wenngleich man wehmütige an ihre Fricka im Chéreau-Ring in Bayreuth zurückdenkt. Andreas Conrad verlieh dem schäbigen Vagabunden Paissi, mit Sneakers bekleidet, seinen rollendeckenden Tenor und Martin Winkler am Ende seinen Bassbariton dem mörderischen Magier Kudma. Als Begleiter des Prinzen machte Martijn Cornet sympathische Figur.
Tadellos in Gesang und Aktion wirkten in den kleineren Rollen noch Martin Snell als Kumas Onkel Foka, Natalia Kawałek-Plewniak als Polja, ihre Freundin, Erik Årman als Kaufmann Balakin, Stefan Cerny und Vasily Efimov als die Kaufmannssöhne Potop und Lukasch sowie Nikolay Didenko als stattlicher Faustkämpfer Kitschiga mit.
Das tanzende Conchita Wurst Ensemble rekrutierte sich aus den Ladies Peter Knauder, Benzo Popolizio, Steven Seale, Adam Ster, Wanderson Wanderley und Anatole Zangs. Die frivole Choreographie lieferte Thomas Wilhelm.
Der Arnold Schoenberg Chor unter seinem verdienten Leiter Erwin Ortner gestaltete die Volksszenen besonders eindrucksvoll, sodass man meinen könnte, sie hätten den Sommer über in Russland geprobt, so perfekt war seine Aussprache.
Dem aus St. Petersburg angereisten Dirigenten Mikhail Tatarnikov gelang es gemeinsam mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien die schwelende Dramatik und angeheizte Stimmung im Gefolge der Zauberin tadellos umzusetzen. Bei der Verbeugung sangen die Mitwirkenden ihm noch ein Happy Birthday anlässlich seiner Wiegenfeier.
Der Applaus war höflich, wenn auch nicht stürmisch. Mit Ausnahme des wunderbaren Ognovenko und der bezaubernden Grigorian. Bravo!
Harald Lacina