Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Theater an der Wien: ATTILA

18.07.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Theater an der Wien am ATTILA 16.7.2013 (Premiere 7.7.2013):


George Petean. Foto: Monika Rittershaus

Es ist bereits Verdis neunte Oper. Das Libretto von Temistocle Solera wurde Francesco Maria Piave vollendet und basiert auf der romantischen Tragödie von Friedrich Ludwig Zacharias Werner (1768-1823) „Attila, König der Hunnen“ (1809). Verdi bewies seinen guten Instinkt für Bühnenwirksamkeit, denn Werner war der einzige Vertreter der Romantischen Schule, der einige Bühnenerfolge verzeichnen konnte. Bereits die romantische Tragödie des in Königsberg geborenen Autors verwendete kommentierende Chöre wie in der griechischen Tragödie. Solera ließ die patriotischen Gefühle des Risorgimentos und viele aktuelle politische Anspielungen einflechten. Die italienische Einigungsbewegung war ein nicht unbeträchtlicher Garant für den großen Erfolg von Verdis beiden früheren Choropern „Nabucco“ und „I Lomardi alla prima crociata“. Solera ließ jedoch den dritten Akt unvollendet, da er gemeinsam mit seiner Gattin, der an der Mailänder Scala vertragsbrüchig gewordenen Sängerin Teresa Rosmina, nach Madrid gezogen war. Francesco Maria Piave vollendete schließlich den dritten Akt und so konnte die Oper schließlich mit großem Erfolg am Teatro La Fenice in Venedig am 17. März 1846 das Licht der Bühnenwelt erblicken.

Das Dramma lirico in einem Prolog und drei Akten spielt in der Mitte des 5. Jhd. in Aquileia, in Rom und in den Lagunen der Adria. Im Gegensatz zum historischen Hunnenköng glaubt der Bühnenattila an den germanischen Gott Wodan. Attila wirbt um Odabella, der Tochter des von ihm getöteten Herrschers von Aquileia. Aus unterschiedlichen Motiven heraus wollen auch der römische Feldherr Ezio, Odabella und ihr Geliebter Foresto den Tod des Hunnenkönigs. Am Ende bleibt es aber Odabella überlassen, den Tyrannen, gleich der biblischen Judith (Judit 13,8), zu erstechen.

An der Wiener Staatsoper feierte Verdis Frühwerk zuletzt am 21.12.1980 (!) seine viel bejubelte Premiere. Giuseppe Sinopoli stand am Pult, die Regie besorgte Giulio Chazalettes in der Ausstattung von Ulisse Santicchi. Immerhin gab es 27 Aufführungen bis 16.9.1990. Dann fiel Verdis frühes Meisterwerk für lange Zeit in Wien der Vergessenheit anheim.

Bis sich das Theater an der Wien wieder seiner annahm, sollte es mehr als zwei Jahrzehnte dauern.

Wer sich auf eine Inszenierung von Peter Konwitschny einlässt, weiß, dass sein Intellekt gefordert ist. Der Regisseur zeigt uns natürlich keine Hunnen in barbarischen Kostümen und Römer in Sandalen. Von einer solchen historisierenden Ästhetik ist Konwitschny weit entfernt. Krieg als scherzhaftes Spiel, davon singt bereits der Chor im Prolog: „Urli, rapine, gemiti, sangue, stupri, rovine, e stragi e fuoco d’Attila è gioco.“ Und Konwitschny zeigt ihn auch getreu dem Text. Attilas Soldateska erscheint als ein Haufen barfüßiger, mit Fellen bekleideter Halbwüchsiger und schwingt Kochlöffel und Töpfe als Waffen. Manche von ihnen tollen mit Tretrollern herum und auch der Anführer der Gang, Attila, spielt mit und lässt sich auf einem Leiterwagen thronend über die Bühne ziehen. Könnte eine ähnliche Szene nicht auch in Shakespeares Globetheatre statt gefunden haben? Schließlich werden die unterworfenen Amazonenkinder unter der Führung von Odabella mit artig gescheiteltem Haar und zwei Zöpfen auf der Seite, wie man sie bereits in Konwitschnys Lohengrin in Barcelona gesehen hat, hereingezerrt. Mit Fußtritten und gekonnten Taekwondo Schlägen setzen sie sich zur Wehr. Die britische Komikergruppe Monty Python (Das Leben des Brian; Der Ritter der Kokosnuss) lassen grüßen!

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker, der auch die Kostüme entwarf, besteht aus dem Halbrund einer Arena. Oft gesehen, zuletzt bei Robert Carsons Rigoletto aus Aix-en-Provence (12. Juli 2013), ist es der ideale Ort für kriegerische wie zwischenmenschliche Konflikte. Löcher in dieser Arena bieten die Möglichkeit für effektgeladene Auftritte und, durch die spannende Lichtregie von Manfred Voss, zusätzlich unheimliche Licht-Schattenspiele.

Attilas Soldaten, bereits den Flegeljahren entwachsen und in schicken Anzügen, zwingen nun die weiblichen Gefangenen während des Hochzeitsbanketts zu einer Art russischem Roulette, bei der jede Dritte stirbt. Entfesselte Komik und abstoßendes Grauen folgen bei Konwitschny dicht aufeinander, rütteln wach, zwingen den Betrachter zum Nachdenken und münden schließlich in einen regelrechten bal macabre als fulminantes Finale. Längst sind die Protagonisten im Greisenalter in einem Altersheim. Attila ist blind und auf zwei Krücken angewiesen, während Ezio und Dorabella in Rollstühlen sitzen und Foresto mit einem Rollator über die Bühne humpelt. Sie haben sich nicht geändert und trachten einander noch immer nach dem Leben. Temistocle Solera hat das von Piave entworfene Finale abwertend als Parodie bezeichnet. Und diesem Credo folgt offensichtlich auch Konwitschny, wenn er Odabella am Ende symbolhaft mehrmals auf den am Boden liegenden Attila mit einem Messer – wie bei den Pradler Ritterspielen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Pradler_Ritterspiele ) – einstechen lässt.

Der russische Bass Dmitry Belosselsky, zuletzt am Theater an der Wien 2012 im Doppelpaket Iolanta von Tschaikowsky und Francesca da Rimini von Rachmaninow zu sehen, tritt in der Rolle des Attila verdienter Maßen die Nachfolge von Samuel Ramey und Nicolai Ghiaurov an. Mächtig erfüllt sein Bass das intime Theater an der Wien.


Foto: Monika Rittershaus

Er hat in dem rumänischen Bariton George Petean als Ezio einen würdigen Gegenspieler. Zunächst tritt dieser noch als Punkrocker mit Irokesenschnitt auf. Später dann als etablierter römischer General nimmt Konwitschny geschickt die Unsitte mancher Opern aufs Korn, ihre sterbenden Helden noch minutenlang singen zu lassen. Mehrere Schüsse unterbrechen daher seine Stretta, getroffen sinkt er zu Boden, um gleich darauf wieder aufzustehen. Ezio ist natürlich nicht tödlich getroffen worden, denn er trägt unter seinem Sakko ja eine kugelsichere Weste. Und als Karikatur eines rampengeilen Sängers will er auch nach seiner Bravourarie noch nicht abtreten, weshalb er schließlich von zwei Statisten abgeführt wird.

Die Rolle der Odabella, in der Mara Zampieri einst in der Wiener Staatsoper Akzente setzte, war mit der aus Venezuela stammenden Lucrezia Garcia in vokaler wie darstellerischer Hinsicht glanzvoll besetzt. Sie debütiert mit dieser Rolle, die sie bereits in Mailand, Rom, San Francisco und Seattle gesungen hat, am Theater an der Wien und man kann sich nur wünschen, sie öfters auf der Bühne dieses Hauses in der Zunkunft noch sehen zu können. Gleich zu Beginn wirft sie den Tyrannen mit einem hohen Ton zu Boden und zur Unterstreichung ihrer Argumente greift sie schon manchmal beherzt zur Gitarre und lässt diese auf den Schädel ihrer Widersacher hinab sausen. Bravissima!

Ein Wermutstropfen blieb der Foresto des Grazer Tenors Nikolai Andrej Schukoff. Zu angestrengt hörte sich eine Stimme in der Höhe an und es war auch ein einzelner Buhruf als Zeichen des Missfallens nach seiner ersten großen Arie zu hören

In den beiden kleineren Rollen gefielen der US-amerikanische Tenor Andrew Owens als Attilas Adjutant Uldino und der Wiener Bass Stefan Cerny als Leone, Bischof von Rom.

Dem ORF Radio-Symphonieorchester unter Riccardo Frizza gelang es vorzüglich, die Dramatik von Verdis Musik transparent zu machen. Bereits die Gewittermusik im Prolog, Verdis erste große Naturschilderung, konnte man deutlich mitempfinden. Klare Linien und schlanke Melodiebögen machten diesen Attila auch von der musikalischen Seite her zu einem Erlebnis.

Der Arnold Schoenberg Chor unter seinem Leiter Erwin Ortner, verstärkt durch die Gumpoldskirchner Spatzen unter Elisabeth Ziegler, sang exquisit und war auch szenisch sehr stark gefordert. Bravo!

Wieder einmal hat sich am Ende dieses Abends bewahrheitet, dass sich das Publikum einer Premiere wesentlich von dem der folgenden Abende unterscheidet. Obwohl Konwitschny natürlich bereits abgereist war, hätte es sicherlich keinen Buhorkan gegeben, weil das aufgeschlossenere und offenere Publikum dieser Vorstellung, gerne seine Ideen als Regisseur auf Stichhaltigkeit und Schlüssigkeit abklopft und Oper nicht als museales Kunstwerk betrachtet. Wollte man nicht ständig die großen Meisterwerke des Musiktheaters auf die Aktualität ihrer Botschaften hin überprüfen, würde man der Oper den letzten Todesstoß versetzen. Interpretative Regiekonzepte sind dabei wichtig und vollkommen legitim, solange sie nicht versuchen, eine völlig andere Geschichte zu erzählen. Und Konwitschny hat, bei aller Freiheit seiner künstlerischen Auffassung, die Grundzüge der Handlung des Attila nicht verändert. Bravo!

Harald Lacina

 

 

Diese Seite drucken