
Lauernd und Bedrohend: Clemens Unterreiner Foto: (C) M.Pöhn

In der Ausweglosigkeit: KS Sophie Koch Foto (C) M.Pöhn
„WERTHER“ von JULES MASSENET
Von Manfred A. Schmid
25.September 2018
Packende Verzückung und Verzweiflung – bis zum letzten Schuss
Massenets Oper, 1892 in Wien uraufgeführt, nachdem man sie in Paris als „reizlos“ befunden hatte, ist eine „Sängeroper“ par excellence. In der zweiten Vorstellung der derzeitigen Aufführungsserie an der Staatsoper wurde nun der ursprünglich als Werther angekündigte, aber zunächst krankheitshalber an einem Auftritt verhinderte Dmitry Korchak aufgeboten. Korchak, der von Berufswegen nicht nur ein beachtlicher Sänger ist, sondern auch als Dirigent in Erscheinung tritt, verfügt über einen angenehmen, warm timbrierten Tenor, den er auf der in dieser Partie vorgegebenen, anspruchsvollen Skala der Empfindsamkeiten und Gefühlsausbrüche recht virtuos einzusetzen weiß. Wenn jedoch Glanz und Kraft gefordert sind, dann geht das meist nicht ohne Anstrengung ab. Doch das Ergebnis ist auch dann noch durchaus zufriedenstellend. Seine Darstellungsgabe tut ihr Übriges, und gemeinsam mit Partnerin Sophie Koch geben sie so ein formidables Paar ab. Seine gespannt erwartete Arie „Pourqoui me réveiller“ im 3. Akt führt zum obligaten und durchaus angemessenen Szenenapplaus. Ein paar Beifallsansätze zuvor, sowohl für Koch wie auch für die äußerst erfrischend singende und reizende als Maria Nazarova als Charlottes Schwester Sophie, verebbten, und das ist gut so – bei einer ziemlich „durchkomponierten“ Oper, wie dies hier in Massenets Werther der Fall ist.
Die Partie der Charlotte ist Sophie Koch anvertraut, die in dieser Rolle schon 2014 an der MET debütiert hat. Bewundernswert modelliert die Mezzosopranistin diese zwischen bürgerlicher Sicherheit und exponierter emotionaler Leidenschaft schwankende junge Frau, deren Pflichtbewusstsein sie an den etwas steifen Albert bindet, obwohl sie sich der erotischen Anziehungskraft des unversehens in ihr Leben getretenen Werthers auf Dauer nicht entziehen kann. Ihre ansonsten strahlend helle Stimme hat sie in hinsichtlich Intensität etwas gedrosselt und zurückgenommen, um den Zwiespalt, in dem sie lebt, hörbar zu machen. In ihrem anmutigen Gesang schwingt damit auch eine gute Portion Melancholie mit. Im 3. Akt dringt sie dann aber weit ins dramatische Fach vor und zeichnet eine Frau, die ihre Gefühle nicht mehr weiter unterdrückt, sondern ihnen – ohne Rücksicht auf Verluste – freien Lauf lässt.
Albert, ihren Bräutigam und späteren Gatten, hat man schon sympathischer dargestellt erlebt als in der prägnant gearbeiteten Interpretation Clemens Unterreiners. Sein Albert ist nicht der biedere, überkorrekte Spießbürger, wie man ihn gewohnt ist, sondern er beobachtet argwöhnisch das Treiben seiner Braut und spioniert ihr misstrauisch überall nach. Sein feinfühliger Bariton kann mit diesen Vorgaben bravourös mithalten und strahlt dann auch Härte und unerbittliche Rechthaberei aus.
Hans Peter Kammerer und Benedikt Kobel absolvieren mit gesanglichem und darstellerischem Geschick ihre belebenden und für komische Akzente sorgenden Auftritte als Le Bailli und Schmidt. Gesanglich gut vorbereitet und mit Spielfreude agiert der Kinderchor. Das Staatsopernorchester unter der Stabführung von Frédéric Chaslin behauptet sich souverän und mit gutem Gespür für die Bedürfnisse des Sängerensembles in diesem herrlich dahinfließenden Strom französischer Eleganz und packender Dramatik. Sie lassen aber auch hören, wie viel an „pucciniesken“ Vorgriffen in der Partitur des Meisters schon anzutreffen ist. Besonders hervorzuheben sind die vielen Cellosoli, das Violinsolo sowie die vortreffliche Riege der Holzbläser.
Die Inszenierung Andrei Serbans aus dem Jahr 2005 erweist sich als erstaunlich haltbar, belastbar und brauchbar.
Manfred A. Schmid
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