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WIEN/Staatsoper WERTHER von Jules Massenet

29.09.2018 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

 

Sophie KOCH in der Rolle der Charlotte in Massenets WERTHER Foto (C) M.PÖHN

EIN DAUERBRENNER DER ROMANTIK
Jules Massenet`s „WERTHER“ in der Wiener Staatsoper
28. September 2018            Von Valentino Hribernig-Körber

 

Nicht viele Werke der französischen Romantik sind echte „Dauerbrenner“, zwei davon gehen auf Stoffe des Geheimrats aus Weimar zurück, eines davon erfuhr die unterdessen 61. Aufführung in der nicht unsympathischen Produktion von Andrei Serban, der das Drama um die von der Übermutter in die Ehe mit einem ungeliebten Mann getriebene und schließlich von einem überspannten Naturromantiker durch hoch manipulative Annäherungsversuche um den Seelenfrieden gebrachte junge Frau (warum heißt das Stück eigentlich nicht „Charlotte“, wo doch sie es ist, um die sich alles dreht?) in die gesellschaftliche Enge der 50er Jahre verlegt hat.

Damit verschafft er der Geschichte nicht nur eine bedrängende Plausibilität, sondern auch noch den Rahmen für eine optisch ansprechende Ausstattung – sieht man von dem Baum ab, dem man die ersten beiden Bilder hindurch noch eine gewisse Wirkung nicht absprechen wird, der aber spätestens im Weihnachtszimmer der „Amtmanns“ und dann überhaupt im Finale den sich überschlagenden Ereignissen nur noch im Weg steht. Eine Konsequenz des überstrengen Wiener Baumschutzgesetzes, oder eine (in diesem Fall reichlich bemühte) Analogie zu den unglücklichen Wälsungen-Kindern, die einander im Schatten von Hundings Baum-Haus in Liebe verfallen und dann wenigstens eine Nacht lang einen rauschenden Frühling erleben, der Werther und Charlotte versagt bleibt?

Sei es, wie es sei. Zwischen Petticoat und Nierentisch trafen diesmal Sophie Koch und der Russe Dmitry Korchak in den beiden Hauptrollen aufeinander. Die französische Künstlerin elegant und feminin wie gewohnt, die ganze Palette der mit ihren Gefühlen ringenden jungen Frau mit ihrem großen, eher hellen Mezzo zum Klingen bringend, darstellerisch vielleicht ein wenig verhaltener, als man sie mit anderen Partnern in dieser Konstellation schon erlebt hat. Sie ist nach wie vor eine erste Besetzung für diese Partie, wenngleich man den ganz exponierten Tönen anmerkt, dass sie unterdessen die solide technische Erfahrung der Künstlerin fordern, um zu „funktionieren“. Was man von ihrem jungen Partner halten soll, ist nicht ganz einfach zu sagen. Er verfügt über großes Material, das er vor allem in den dramatischen Verzweiflungsausbrüchen (nachdrücklich etwa das Ende des 2. Bildes) beeindruckend und klangvoll einzusetzen versteht. Die lyrischeren Passagen wollen nicht so sicher gelingen, da wird die Stimme aber einer gewissen Höhe kehlig, verliert an Substanz und vermag auch die Notenwerte nicht immer genau zu treffen. Teilweise scheint das an einer eigenwilligen Vokalisation des Französischen zu liegen, mit der sich der Sänger – leider besonders deutlich an beiden Strophenenden des Ossian Gedichts – den Gesangsfluss selbst einengt und sich zum Pressen nötigt.

Die emotional undankbare Figur des Albert ist bei Clemens Unterreiner stimmlich in den allerbesten Händen, er fügt seinem umfangreichen Repertoire mit dieser Partie eine weitere Rolle hinzu. Die kühle, letztlich furchteinflößende Strenge seines Rollenvorgängers liegt seinem Naturell nicht, und so ist bei ihm das Profil des ungeliebten „Dritten im Bunde“ eher ein wenig in Richtung gekränkte Eitelkeit gefärbt, was auch legitim ist.

Ein besonderer Lichtblick ist schließlich Maria Nazarova, die mit jedem Ton die Vitalität und Lebensfreude der jungen Sophie ausstrahlt – ihre Statur kommt ihr bei der Rollengestaltung auch sehr entgegen. Für den kurzen Auftritt des Amtmanns war Hans Peter Kammerer eingesetzt, Benedikt Kobel präsentierte den Schmidt, vor allem in der oberen Lage, eher an der Grenze seiner Möglichkeiten, den Johann steuerte der Armenier Ayk Martirossian einwandfrei bei.

Vor den Vorhang zu holen sind natürlich auch noch die absolut perfekten Kinder der Opernschule, die zum Zeitpunkt des Schlussapplauses (hoffentlich) schon auf dem Weg ins Bett waren. Den ganz tiefen Eindruck hinterließ allerdings die vielköpfige Primadonna Assoluta im Graben, die unter der Leitung des Franzosen Frederic Chaslin einen üppigen Klangteppich ausbreitete, zu dem die einzelnen Instrumentengruppen jede auf ihre spezielle Weise ihre Farbe beisteuerten, um so die emotionalen Höhen und Abgründe, welche die Protagonisten zu durchmessen haben, plastisch hörbar zu machen.

 

Valentino Hribernig-Körber

 

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