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WIEN/ Staatsoper: TANNHÄUSER

23.10.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Wiener Staatsoper: 22.10.2014: „TANNHÄUSER“ – Klangpracht vor tödlicher Kulisse


Christian Gerhaher (Wolfram). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 Nichts kann der immer mehr um sich greifenden Tendenz in deutschen Landen, Wagner und seine Werke in Verruf zu bringen, entschiedener und effizienter entgegen gehalten werden als eine musikalische Wiedergabe im Sinne ihres Schöpfers. Dirigenten, Musiker und Sänger schämen sich nämlich dessen gar nicht, das zu spielen und zu singen, was in der Partitur steht. Zu den Dirigenten, die da eine wahre „Festung“ gegen alles Böse verkörpern, gehört Peter Schneider.

„Andante maestoso“ und „sehr gehalten“ heißt es da zu Beginn der Ouverture. Dem philharmonischen Staatsopernorchester ist buchstäblich Takt für Takt anzumerken, wie gern sie das auch so spielen. Tannhäuser, der Venusritter und Wartburg-Star, ist ja schließlich nicht irgendwer.  Kein verkommener Landstreicher oder mieser Lüstling. Nein, die Liebesgöttin persönlich hat ihn zu ihrem „Gott“ erkoren. Und die „haute volée“ von Thüringen füllt den Festsaal auf der stolzen Wartburg, wenn er dort auftritt. Und nur, weil er „jemand“ ist, zählt der „Skandal“ mit dem Venusberg doppelt. Heute würden sich die Medien darauf stürzen…

Wir hören also von den Klarinetten, Hörnern und Fagotten, die ganz exquisit ein wirkliches „andante“, also ein „Gehen“ zur Melodie des Pilgerchors intonieren, einen dominierenden Grundgedanken Klang werden, der von festem Glauben erzählt, mit feinen Crescendi und Decrescendi zurück ins ehern durch-„gehaltene“ piano, ehe dann die Celli und Bratschen in aufsteigender Linie ihre Bögen ziehen, und ein „poco crescendo“ schließlich Oboe und Bass, Flöte, Posaune und Tuba mit auf die Reise nimmt, bis letztlich immer größere Erregung Platz greift, die den Violinen einiges an Beweglichkeit abverlangt. Zu bemerken ist aber, dass auch den Steigerungen ins forte und fortissimo immer noch philharmonische Noblesse innewohnt, dass die Rückkehr vom 9/8- in den ¾-Takt keine Spannungseinbuße mit sich bringt, dass auch jedes „ritenuto“ Spannung aufbaut und kein „accelerando“ dem Maestro davonläuft – er bleibt scheinbar gelassen und lässt trotzdem die ganze irre, virtuos dargebotene  Sinnlichkeit der Venusbergmusik Klang werden, auch in der Dresdner Fassung, die doch wohl für diese Produktion gewählt wurde, weil dem Regisseur der Venusberg nicht ins Regiekonzept passte. Kurzum, wir hören große Musik meisterhaft dargeboten und wünschen uns, dass die Ouvertüre nie enden möge. Denn eigentlich schafft Peter Schneider es, schon hier das ganze Drama hörbar werden zu lassen, das uns die Bühne so kläglich vorenthält. (Die Namen Claus Guth/Regie und Christian Schmidt /Ausstattung seien deshalb nur in Parenthese gesetzt.)

Bekanntlich ist für schwere Stimmen und auch für Dirigenten der „Tristan“ mit seinem kaum abreißenden breiten Tonstrom leichter zu bewältigen als der „Tannhäuser“, der sich aus ariosen Abschnitten und delikaten Übergängen zusammensetzt und deshalb leichter auseianderfallen kann. Da ist dirigentisches Geschick gefordert! Und Peter Schneider hat damit kein Problem – in feinster Detailarbeit und mit dem nie erlahmenden Blick aufs Ganze zieht er den großen dramatischen Bogen durch – stets ein ästhetischer Anblick, wie er das im einzelnen hinbekommt, elegant die Kantilenen formend, einprägsame Akzente setzend, sich Zeit lassend für besinnliches Einhalten (Elisabeths Gebet und stiller Abgang, Wolframs lyrisches Bekenntnis im 3. Akt), die großen Ensembleszenen im 2.Akt zu einem emotionalen Höhepunkt führend und am Ende den offenen Es-Dur-Schluss als solchen im Raum stehen lassend –sodass der Himmel für den reuigen Sünder offen bleibt.

Das Orchester musste nicht nur ersetzen, was die Bühne uns vorenthält, sondern auch zum Ausdruck bringen, was einigen Sängern nicht oder nicht vollständig gelang.

Robert Dean Smith hatte bei seinem Wiener Tannhäuser-Debut Pech.  Im Venusberg sang er sehr verhalten, nicht nur seine Träume von der Rückkehr in die „schöne Welt“, sondern auch die drei Strophen der Venus-Hymne. Man war geneigt, es ihm, der ja immer ein kluger Techniker gewesen ist, als kultiviertes Singen ohne vorzeitige Kraftvergeudung auszulegen. An Kraft fehlte es ihm aber auch beim Wiedersehen mit Elisabeth und vollends im Sängerkrieg, und ausgerechnet vor und beim „Zieht hin, zieht in den Berg der Venus ein!“ brachen ihm ein paar Töne weg, die große Herausforderung an die Sängerrunde fand demnach nicht statt, und durch den restlichen 2. Akt musste er sich mit Deklamieren und nach unten Oktavieren helfen. Man fürchtete, dass für den 3. Akt ein anderer Sänger gefunden werden müsse. Aber die Romerzählung ging, ohne dass der Sänger wegen Indisposition entschuldigt wurde, dann ganz ordentlich über die Runden. Mehr war natürlich nicht drinnen, da Smith auf „Überleben“ sang und die nötige dramatische Intensität nicht aufzubringen vermochte. Die Folgevorstellung hat er dann ja abgesagt.

So hatte natürlich Christian Gerhaher umso leichteres Spiel, den Sängerkrieg zu gewinnen. Obwohl er sein Plädoyer für Tannhäusers Rückkehr auf die Wartburg im 1. Akt mit der gebotenen Dramatik vorbrachte, blieb er der feinsinnige Lyriker, der Wolfram von Eschenbach sein soll. Da die Regie ja sowieso keine Zuhörer beim Sängerkrieg vorsieht (der Chor geht ab, während die Solisten incl. Landgraf singen!!!), durfte der Lied-geschulte Bariton seine „Liedeskunst“ im wahrsten Sinn einem dankbar lauschenden Opernpublikum vorführen. Das war ein Genuss. Belkantesk führte auch Norbert Ernst (statt des vorangekündigten Herbert Lippert, den man fast als Einspringer in der Titelrolle erwartet hatte…) die Minnesänger-Ensembles als Walther von der Vogelweide an. Sorin Colibans wuchtiger Bass passte bestens zu dem streitbaren Biterolf, James Kryshak ergänzte gut als Heinrich der Schreiber und Dan Paul Dumitrescu stellte eine Luxusbesetzung des Reinmar von Zweter dar. Kwangchul Youn, Wagnerscher allround-Bass landauf-landab, mit seinem phänomenalen Deutsch (das er ja ebenso gut spricht) musterhaft seinen schönen Bass zum Einsatz bringend, tat, was er konnte, um bei seinem Wiener Rollendebut als Landgraf positiv aufzufallen, in einer Inszenierung, die ihm das eigentlich verbietet. (Seine Ansprache singt er auf leerer Bühne!)

Wir wissen, u.a. aus der jüngsten Bayreuther Produktion, wie großartig Camilla Nylund als Elisabeth sein kann. Sie sang die Partie auch bei diesem ihrem hiesigen Rollendebut tadellos, wenn auch ihr Sopran nicht so voll und rund klang, wie ich ihn schon oft gehört habe. Auch ihr gestattet der Regisseur nicht, im 2. Akt Mittelpunkt zu sein – sie steht halt irgendwo und singt. Noch schlimmer dran ist die Venus-Sängerin, die bloß ein paarmal bei einem Vorhang hereinkommt und bei einem anderen hinausgeht. Iréne Theorin, vokal sowieso mit dieser Partie fehlbesetzt, wird im Jänner als Isolde gut machen müssen, was sie hier durch Stimmschärfen und ein unschönes Vibrato verdarb. Als junger Hirt war Annika Gerhards mit hellem, klarem, anmutigem Sopran besser eingesetzt als so mancher Sängerknabe, dem die sinnliche Komponente in der Stimme fehlt.

Der Wiener Staatsopernchor (Leitung: Thomas Lang), verstärkt durch den Slowakischen Philharmonischen Chor (einstudiert von Jozef Chabroñ), der bewies, dass man auch in einer Fremdsprache als Plenum akzentfrei singen kann, hielt nicht nur souverän und tapfer seine Stellung auf der Wartburg, sondern beglückte in gleicher Weise wie das Orchester instrumental mit erlesenen Pilgerchören (auch aus dem Hintergrund im 2. Akt), die als solche ernst genommen wurden (was natürlich in keiner Weise zu den dargestellten Insassen einer psychiatrischen Anstalt passt.)

 Unter den Sängern erntete zu Recht Christian Gerhaher den größten Applaus. Der Jubel für Peter Schneider mochte vielleicht auch ein bisschen der erfreulichen Tatsache zuzuschreiben sein, dass wir mit ihm nun wieder regelmäßig einen (und den einzigen!) Wiener Dirigenten von Format am Pult der Wiener Staatsoper erleben dürfen. Mit „Tannhäuser“, „Tristan“ und „Parsifal“ gibt es ja einen richtigen Schneider-Wagner-Zyklus in dieser Saison. Und dazu noch die „Sträusse“ „Salome“ und eine „Elektra“-Vorstellung.       

 Sieglinde Pfabigan.                                                                              

 

 

 

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