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WIEN / Staatsoper: PARSIFAL

Erlösungsdrama, auf drei Ebenen ausgetragen und überfrachtet, dennoch anregend

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Franz-Josef Selig (Gurnemanz), Klaus Florian Vogt (Parisfal) und Ekaterina Gubanova (Kundry). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: PARSIFAL

6. Aufführung in dieser Inszenierung

6. April 2023

Von Manfred A. Schmid

Mitten in der Corona-Zeit, am 14. April 2021 erlebte die Neuproduktion von Wagners Parsifal ihre Streaming-Premiere, am 17. Dezember fand dann die erstmalige Aufführung vor Publikum statt. Seit damals steht die Neuinszenierung im Mittelpunkt kontroversieller Auseinandersetzungen. Tatsache ist, dass Kirill Serebrennikovs komplexe, vielschichtige Umsetzung von Richard Wagners „Bühnenweihfestspiel“ Frucht einer ernsthaften und durchdachten Auseinandersetzung mit dem Thema Verführung, Schuld und Erlösung ist, die sich nicht vorschnell mit dem Etikett „verrücktes  Regietheater“ abtun lässt, sondern es verdient, erstgenommen zu werden. Die sechste Aufführung von Parsifal, am Gründonnerstag, wie es die Wiener Tradition will, der sich auch Direktor Roscic beugen musste, bietet guten Anlass dazu.

Serebrennikov, der in seine Interpretation des Stoffes viel eigene Erfahrung mit dem sowjetischen Terrorregime und dessen Weiterwirken bis in die russische Gegenwart einfließen lässt, belastet damit das heutzutage ohnehin schwer auf die Bühne zu bringende Werk mit vielen persönlichen Hypotheken. Er erzählt drei Geschichten auf drei Ebnen, die simultan ablaufen, streckenweise enge Berührungspunkte aufweisen, immer wieder aber auseinandertriften und letztlich unvereinbare Parallelhandlungen bleiben: Da ist zunächst Wagners Parsifal, wie er in dem von ihm selbst verfassten Libretto und in seiner überwältigenden Musik dargestellt wird. Text und Musik bleiben unangetastet. Dazu erfindet Serebrennikov jedoch eine zweite Ebene, die die Handlung dramaturgisch in ein russisches Gefängnis verfrachtet und die Gralsritter rund um Amfortas und ihr Personal, die Knappen, in Gefängnisinsassen und Wachpersonal einteilt. Der öde Alltag in einem Straflager ist von Gewaltexzessen und Kontrollmechanismen geprägt. Immer wieder wird geheimnisvoll von einem Gralswunder phantasiert, dessen Heilswirkung man allerdings schon seit längerem schwer vermisst. Die Ankunft eines jungen Mannes bringt Unruhe in die geschlossene Gesellschaft. Der naive-dumme Tor wird wieder weggeschickt (Freigang?) und kehrt nach einem Reifungsprozess und bestandener Heldentat in Klingsors Werbefirma in das Gefängnis zurück. Das Gralswunder, das er vollbringt, besteht auf dieser Ebene darin, dass alle Gefängnistüren geöffnet und die Insassen in die Freiheit entlassen werden.

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Derek Walton (Klingsor) und Ekaterina Gubanova (Kundry).

Mit dieser Überfrachtung des Stoffes durch die Gefängnisvariante gibt sich Serebrennikov allerdings noch nicht zufrieden. Er führt noch eine dritte Ebene eine, indem er auf einem Band über der Bühne Videoeinspielungen vorführen lässt, die gequälte Gefangene in russischen Straflagern à la Gulag zeigen, aber auch Filmchen, die vorführen, wie sie sich tätowieren lassen. Belanglos wird es dann, wenn im zweiten Aufzug die Gesichter der in der Werbefirma bzw. im Verlagshaus Klingsor tätigen Damen Revue passieren. Den Schwerpunkt bildet allerdings die Winterreise eines jungen Mannes (der junge Parsifal), der unablässig allein durch eine russische Eis- und Schneewüste wandert. Eindrucksvolle Bilder, gewiss, aber die Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit wird durch das Vorhandensein von insgesamt drei Parallelwelten – Musik und Text Wagners, die dramaturgisch dominierende Gefängnishandlung und die Videoebene – empfindlich überfordert.  Dazu trägt auch die Einführung der schauspielerisch sehr präsenten Figur des jungen Parsifal (eine stumme, von Nikolay Siodorenko auf der Bühne und in den Videos hervorragend gestaltete Figur) bei, von den ebenfalls hinzuerfundenen drei (!) stummen Müttern Parsifals im zweiten Aufzug ganz zu schweigen.

Serebrennikovs dreifaltiges Angebot, so meisterhaft er es auch gestaltet hat, ist wegen der thematischen, kognitiven Überfrachtung zum Scheitern verurteilt.  Aber es ist ein imponierendes, meisterhaftes Scheitern. Wagners Musik konterkariert seine pragmatische Lösung mit transzendentalen Klängen und verweist darauf, dass dem Schöpfer dieses Gesamtkunstwerk wohl etwas anderes vorgeschwebt haben dürfte. Die rätselhafte, christliche verbrämte metaphysische Basis von Wagners Werk, wie sie sich in Text und Musik niederschlägt, erweist sich letztlich stärker als alle politischen und humanistischen Aktualisierungsbemühungen.

Musikalisch kann von einem starken, von prächtigen Stimmen geprägten, instrumental ebenfalls herausragenden Opernabend berichtet werden. Philippe Jordan beweist auch in dieser Aufführung seine Qualität als gereifter musikalischer Leiter. Die Tempi stimmen, die Klangstärken sind so gewählt, dass das auf der Bühne Gebotene kaum je übertönt wird. Die Vorspiele werden vom Staatsopernorchester fein zelebriert – nur schade, dass Serebrennikov dabei immer schon Videoeinspielungen laufen lässt. Es gibt sicher viele im Publikum, die sich – wie der Rezensent – gerne ihre eigenen Bilder dazu machen würden. Man merkt eben, dass der begehrte russische Regisseur, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, vom Sprechtheater kommt und ihm so das Verständnis für die Funktion von Ouvertüren und Vorspielen fehlt. Da hilft nur eines: Augen zu und Ohren auf!

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Franz-Josef Selig (Gurnemanz) und Ted Black (4. Knappe).

Mit Michael Nagy steht ein noch relativ junger Amfortas auf der Bühne. Er verfügt über einen ausdrucksstarken Bariton, der Emotionen wie Trauer und Verzweiflung angesichts der Schuld gegenüber der Rittergemeinschaft glaubhaft auszudrücken vermag. Dramatisch in seinen Selbstbezichtigungen.

Franz-Josef Selig gilt als einer der besten Sänger-Darsteller für die Rolle des Gurnemanz.  Der profunde Bass kann die schier endlosen Erzählungen und Kommentare so lebendig und variantenreich gestalten, dass sie nie eintönig wirken, sondern stets die Aufmerksamkeit finden, die ihnen gebührt. Ruhe, Besonnenheit und eine durch und durch humanistische Gesinnung verleihen ihm eine einnehmende Autorität, auch wenn er in Serebrennikovs Inszenierung eher als ein subalterner Pfleger fungiert, der sich seinen ihm anvertrauten Patienten mit Geduld und Achtsamkeit entgegenkommt.

In der Titelpartie kommt Klaus Florian Vogt zu seinem, wie zu erwarten war, eindrucksvollen Wiener Rollendebüt. Er, in Bayreuth ein rastloser, wurzelloser, stets in Bewegung befindlicher junger Mann, kann in dieser Inszenierung, wegen der Einführung der Figur des jungen, stummen Parsifals, der oft mit ihm gleichzeitig auf der Bühne steht und agiert, etwas aus der Distanz das Geschehen als gereifter Mann, wie in einem Rückblick, ins Auge fassen und  kommentieren. Das bedeutet, dass er, unabgelenkt von zu vollziehenden Handlungen, sich dann voll konzentriert und fokussiert auf den Gesang beschränken kann. Klar und bestimmend in den Aussagen, schmelzend zart in den hohen Phrasen. Besonders im Klingsor-Aufzug nützt Serebrennikov die Gelegenheit, den inneren Konflikt Parsifals, den Widerstreit zwischen der besonnenen Haltung und der Sinnlichkeit, die den erotischen Reizen Kundrys zu verfallen droht, auf zwei Personen aufzuteilen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Vogt, wie er es schon oftmals bewiesen hat, durchaus in der Lage wäre, diesen Konflikt Parsifals alleine mit sich auszutragen. Dennoch ist in diesen Szenen die Verdoppelung der Person Parsifals am gelungensten eingesetzt.

Ekaterina Gubanova feiert als Kundry ebenfalls ein einnehmendes Rollendebüt. Kundry, die Zauberin und Heilerin, als Verführerin auch der Urtyp der Femme Fatale, ist ein zeitloses Wesen, Jahrhunderte, Jahrtausende alt. Klingsor, ihr Herr und Meister, nennt sie „Urteufelin, Höllenrose, Herodias und Gundryggia“, sie ist aber auch die ewig leidende Frau, die sich nach Erlösung sehnt. All diese Facetten finden sich in der Gestaltung dieser Rolle durch die russische Mezzosopranistin wieder. Faszinierend, wie sie sich im Gefängnisambiente selbstlos als Dienerin anbietet und dann, im Schloss Klingsors, mit verführerischen Reizen aufwartet, hinter denen allerdings die bloße Verzweiflung einer unter Zwang  stehenden Existenz steckt.

Wolfgang Bankl, der an seinem Haus auch schon als guter Klingsor zu erleben war, ist ein tadelloser Tuturel, der sich stimmlich aus dem Off einmischt. Klingsor ist diesmal der australische Bassbariton Derek Walton, der einen gewieften Unternehmensboss darstellt, dem es aber an Gefährlichkeit und Bedrohlichkeit mangelt, gilt diese Figur doch als ebenbürtiger Gegenspieler des Amfortas. Schon bei seinem Staatsoperndebüt 2020 als Orest in Elektra wurde an dem stimmlich tadellose Auftritt Waltons das Fehlen einer besonderen Aura konstatiert.

Die Nebenrollen sind guten Hausbesetzungen anvertraut. Beispielhaft zu erwähnen wären Carlos Osuna und Junsung Gabriel Park als 1. und 2. Gralsritter, Patricia Nolz und Alma Neuhaus als 1. und 2. Knappe sowie Ileana Tonca und Miriam Kutrowatz als 1. und 2. Blumenmädchen.

Heftiger, zustimmender Jubel im nicht voll ausgelasteten Haus, der allerdings nach den üblichen fünf Minuten auch schon wieder verebbt, was bei einer Aufführungsdauer von über fünf Stunden aber auch verständlich ist.

 

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WIEN / Staatsoper: PARSIFAL

31.03.2017 | KRITIKEN, Oper

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Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
PARSIFAL von Richard Wagner
Premiere: 30. März 2017

Alvis Hermanis hat ungewöhnlich viele Interviews gegeben, um sein Konzept für Wagners „Parsifal“ noch und noch zu erklären. Einmal fügte er auch die ziemlich selbstverständliche Erkenntnis dazu: „“Meine nicht sehr lange Erfahrung als Opernregisseur lehrt mich, dass es eine Mission Impossible ist, alle glücklich zu machen.“ Das stimmt natürlich. Aber man könnte seine Konzepte gründlicher auf ihre Machbarkeit durchdenken.

Denn Richard trifft Otto, sprich: Richard Wagners „Parsifal“ in Otto Wagners Ästhetik, das ist ja erst einmal nur ein Bühnenbild. Hermanis hat es selbst gemacht, sehr geschickt, etwas überladen vielleicht (der echte Otto Wagner ist irgendwie eleganter), aber da ist das ganze Fin-de-Siécle samt Baumgartner Höhe. Die Innenkuppel der Kirche am Steinhof senkt sich immer wieder wie eine Art riesiger Tiffany-Lampe ins Geschehen. Zwischenwände werden herbeigeschoben oder herabgesenkt, man kann sie auch (manchmal mit dem Text der Oper in altdeutscher Schrift) als Projektionsfläche verwenden. Das funktioniert so weit, es ist jenes „Wien um 1900“, das wir lieben, weil es so schön ist, und das wir oftmals erfolgreich in alle Welt exportiert haben.

Nun muss dieses Bühnenbild aber auch mit sinnvoller Aktion gefüllt werden, die bestenfalls – man ist ja so bescheiden geworden – zumindest einigermaßen mit Wagners Handlung zusammen zu binden wäre. In diesem Fall tut Hermanis nichts anderes als die von ihm eher verachteten Regietheater-Regisseure, die sich gleichfalls irgendein Konzept ausdenken und es mit mehr oder weniger Gewalt über ein Werk stülpen.

Wagner also in der Psychiatrie – nicht neu, aber sei’s drum. Im ersten Akt scheint es mehr oder minder noch zu funktionieren. Das Spital, die „Gralsritter“ als Ärzte, die „Knappen“ als Pfleger und Krankenschwestern, der Chor als Patienten. Patient Nr. 1 ist Amfortas mit blutiger Kopfbinde (Blut auf beiden Seiten – wo hat ihn Klingsors Speer eigentlich getroffen? Beidseitig am Kopf? Denn ganz ohne diese Speerwunde geht es ja nicht). Patientin Nr. 2 ist Kundry, die in der Zwangsjacke vorgeführt wird, in Kleidung und Frisur eine sehr elegante Dame der Jahrhundertwende, offenbar hochgradig hysterisch, das war man damals gerne. Wenn sie davon spricht, in Arabien herumzuschweifen – na ja, was man halt so vor sich hin phantasiert.

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Das alles zusammen gehalten von Gurnemanz, dem „guten Doktor“: Zu Beginn und am Ende des Werks sitzt er sinnend an seinem Trichter-Plattenspieler. Ganz so gut ist er übrigens vielleicht doch nicht, sonst würde er Kundry, die in ein Käfig-Bett gesteckt wird, nicht so ohne weiteres dem „bösen Doktor“ Klingsor überlassen, der wider Libretto hier schon auftritt und die Dame wegrollt… er braucht sie bekanntlich im zweiten Akt.

Parsifal stolpert ins Geschehen, und man ist auch noch bereit zu glauben, dass in den großen Gartenanlagen der Baumgartner Höhe vielleicht ein Schwan erlegt werden konnte. Warum der nicht ganz junge Mann einen goldenen Brustpanzer trägt, und das permanent, das weiß man nicht – mögen wir es uns selbst vorstellen, meint Hermanis. Also? Ein Sci-Fi-Ritter, anfangs naiv? Vielleicht ist man naiv, wenn man doch der Meinung ist, die Begründung dessen, was auf der Bühne geschieht, läge beim Regisseur…

Die Enthüllung des Grals ist, wie Hermanis uns zeigt, keine spitalsinterne Sache, sondern ein Event für die Wiener Society von damals. Große Namen wurden genannt, aber man erkennt auf Anhieb nur Gustav Klimt (Kunststück, einen solchen Malerkittel trägt sonst keiner). Ein junger strubbeliger Mann mag Egon Schiele sein, ist für diesen allerdings nicht ausgemergelt genug. Niemand erinnert auch nur andeutungsweise an Peter Altenberg, der mit seinem Schnauzer und seiner Brille wirklich leicht nachzumachen wäre. Und die anderen Herren mit Bart? Nicht identifizierbar. Die Show der Promis von einst wurde versprochen, nicht eingehalten. Dafür erfährt man, dass der Gral ein Gehirn ist. Selbst das nimmt man noch hin – was soll denn in einem Neurologischen Krankenhaus der Heilige Gral sein, wenn nicht das menschliche Hirn? Also! Man nickt nach dem ersten Akt und denkt zufrieden: Zumindest nicht ganz blöd. Und geht hoffnungsvoll in die Pause, ohne zu ahnen – das war’s auch schon.

Denn Konzepte muss man durchdenken und durchführen, und bereits im zweiten Akt streikt das Vehikel. Gut, Klingsor in der Pathologie, Experimente an Leichen, die sich nicht rühren, auch wenn er ihnen Nadeln ins Gehirn stößt – eine davon soll (im Gespräch zwischen Parsifal und Kundry deutet es der Regisseur an) Herzeleide sein… Und immerhin, Kundry erwacht vom Elektroschock, ihre berühmten Schreie gewinnen solcherart geradezu Berechtigung, und sie hüpft auf die Couch von Sigmund Freud, nur dass Klingsor sie therapiert.

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Aber erst muss Parsifal seine Blumenmädchen bekommen – und wenn sich diese als Zombies von den Seziertischen erheben, nützt es auch nichts, dass sie irgendwann ihre Kleidchen abstreifen und in der neckischen Jahrhundertwende-Unterwäsche dastehen: So unsexy waren die Damen (weißgesichtig und ein bisschen apathisch, wie sie sind) noch nie. Aber leider darf auch Kundry in der Pathologie-Atmosphäre nicht aufblühen: Man zieht ihr zwar ein Goldkleid an (der Kopfschmuck mit zwei riesigen Rädern an den Ohren wirkt leider nur lächerlich und schmälert die Leistung von Kostümbildnerin Kristine Jurjane), aber nichts in dieser sterilen Welt kann die Atmosphäre von Verführung und schrittweiser Erkenntnis evozieren, die Wagner hier aufbaut. Parsifal holt sich den Speer aus einem übergroßen Gehirn, durch das er gestoßen wurde. Klingsor trägt den Verlust gelassen und sinniert. Vermutlich darüber, warum dieser Akt schief gelaufen ist.

Worauf der dritte Akt den Abend ruiniert. Ist es Ironie, wenn man im Spital – als eine der vielen Projektionen – den Text vom Anfang des Aktes lesen kann: „Freie, anmutige Frühlingsgegend mit nach dem Hintergrunde zu sanft ansteigender Blumenaue.“ Es ist der Natur-Akt der Oper, die Musik sagt es ununterbrochen, hier bleibt es (inklusive „Das ist Karfreitagszauber“) Behauptung. Nichts an der Geschichte, die man ja schließlich nicht (wie es Theaterautoren immer wieder passiert) wegstreichen oder umdichten kann (Gott sei Dank), ist mehr in das Spital zu pressen, und Hermanis inszeniert auch keine „Erklärung“ dafür, wenn Parsifal ganz in Gold (den Kopf unter einem Helm verborgen) wie ein Roboter aus „Krieg der Sterne“ erscheint. Der Regisseur wird ja später noch weiter gehen und im Abschluß die Gralsritter (bzw. die Wiener Event-Gesellschaft) mit allen vergoldeten Flügelhauben auftreten lassen, die der Fundus nur hergibt… Parodie? „Maskenscherz wahrscheinlich?“ heißt es bei Schnitzler. Ja, was?

Dass Fußwaschung und Taufe dann gleich aus demselben Blumenkrug übers selbe Blumenlavoir erfolgen… dass der Gral zu einer mittlerweile so riesigen sekundären Gehirnplastik angewachsen ist, dass man die Otto-Wagner-Kirchen-Innenkuppel darüber senkt (der erste Gral wird diesmal von Kundry enthüllt, wie emanzipatorisch!) … dass es Amfortas gar nichts nützt, mit dem Speer „entsühnt“ zu werden, denn gegen die Anweisung des Librettos ist der dann tot… dass alle andächtig knien wie bestellt und nicht abgeholt und alles endlos wartet, bis die Musik es zum Finale geschafft hat, weil dem Regisseur dazu absolut nichts einfällt …

Hier hat der Gott des Theaters das Gebet von Alvis Hermanis nicht erhört: Wie, bitte, um Gottes Willen, zwinge ich den dritten Akt des „Parsifal“, so viel Natur und so viel Heiligkeit, in das verdammte Krankenhaus? Nein, es ist nicht gelungen. Und wenn diese Schilderung nur die Äußerlichkeiten des Abends abdeckt: Mehr ist es nicht geworden. Man kann hier kein „Konzept“ lesen. Es sind Bilder, und die reichen nicht.

Und auch sonst beglückt nicht alles. Nach dem ersten Akt verweilte das Publikum muxmäuschenstill, und das ist extrem rar, im allgemeinen wissen immer einige nichts vom „Klatschverbot“ des Meisters, fangen an und werden niedergezischt. Dafür wurde nach dem zweiten Akt, zu Beginn des dritten, bereits die Gelegenheit benutzt, einigermaßen heftig gegen Semyon Bychkov zu buhen. War es gänzlich unberechtigt? Der „Parsifal“ ist ein Riesenwerk (die Premiere dauerte übrigens 5 Stunden 20 Minuten), und niemand leistet mehr an diesem Abend als der Mann am Pult. Liegt es am Publikum, das (von Karajan angefangen bis zuletzt immer wieder Peter Schneider und Thielemann) zu viele faszinierende „Parsifal“-Interpretationen erlebt hat, wenn man diesen Abend als brav, aber nie von so drängender, fast quälend genialer Spannung empfunden hat wie sonst oft? Zudem hingen im zweiten und zum Anfang des dritten Aktes wirklich lange Passagen einfach durch – von der Bühne im Stich gelassen, hätte da die Musik einspringen müssen, was nicht geschah.

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Es war die erste Kundry der Nina Stemme, die in ihren beiden Kleidern fabelhaft aussah (nur der odaliskenartige Kopfschmuck zum Goldkleid wirkte, wie gesagt, schlicht lächerlich) und die diese Jahrhundertwende-Dame mit ihren vielen Ängsten auch nuancenreich spielte. Dass sie vor allem im zweiten Akt nicht überzeugte, lag an der unseligen Mischung des tödlichen Pathologie-Ambientes und der Tatsache, dass die Stimme nach all den hochdramatischen Jahren doch schon zu spröde ist, um die nötigen sinnlichen Schwingungen zu entfesseln. Könnte sein, dass sie sich als normale Kundry (wenn sie nicht wie Klimts Pallas Athene auf einem Spitalstisch stehen muss) in einer normalen Inszenierung wohler fühlte. Aber wo gibt es die noch?

Christopher Ventris ist ein Parsifal, der abgesehen von ein paar Stimmschärfen seine Rolle gesanglich wirklich sehr gut kann, darstellerisch aber den Eindruck erweckte, als hätte sich da ein Tenor verirrt, der absolut nicht weiß, was er hier zu tun hat und was das Ganze eigentlich soll.

Der Amfortas ist bekanntlich keine große Rolle, aber Gerald Finley (mit dem lächerlichen blutigen Kopfverband) stürzte sich in dessen Leiden, wie man es lange nicht gesehen hat, zumal bemerkenswert klangschön und wortdeutlich. Und durfte trotzdem nicht überleben…

René Pape, dessen meisterlichen Gurnemanz man schon auf DVD sehen konnte (in der so total anderen Berliner Inszenierung), wirkte nicht eine Sekunde wie ein Einspringer, sondern wie ein souveräner, gelassener, oft lächelnder Doktor, den rein gar nichts wundert, was in seinem Krankenhaus geschieht. Hektischer gab sich Jochen Schmeckenbecher als Klingsor, der mit viel Forcement am Werk war, stimmlich aber keinesfalls die nötige Durchschlagskraft erreichte (und mit der Dämonie haperte es auch – ein Doktor, der an Leichen experimentiert, könnte schon gruseliger sein).

Jongmin Park bekam man nur beim Verbeugen zu sehen, sein Titurel schwebte als unsichtbare Stimme in den Raum, detto die gleichfalls nur beim Verbeugen sichtbare Stimme von oben der Monika Bohinec. Weder Blumenmädchen noch Chor waren so lupenrein, dass sie zur Begeisterung angeregt hätten.

Im Programmheft erklärt Hermanis: „Meine Aufgabe ist es, poetische Bilder zu erzeugen, die die Phantasie des Betrachters anregen. Es ist eine irrationale und abstrakte Sache. Vergessen wir nicht, dass Kunst etwas ist, was auf einem metaphysischen Terrain existiert. Wenn Sie es erklären können – dann stimmt etwas damit nicht.“

Im Zusammenhang mit einer konkreten Theaterarbeit könnte man dazu brutal „Bullshit“ sagen. Auf jeden Fall macht es sich ein Regisseur damit viel zu leicht. Dieser Ansicht war auch das Publikum. Es gab viel Beifall für alle Sänger, der nur bei René Pape frenetisch wurde. Die Buh-Rufe setzten bei Dirigent Semyon Bychkov ein, und als das Leading Team erschien, da hielten sich Applaus und heftige Buh-Rufe die Waage. Ein schöner Skandal, der allerdings nur kurz währte.

Renate Wagner

 

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