WIEN / Staatsoper
L´ELISIR D´AMORE von Gaetano Donizetti 31.Oktober 2018
OPER ALS EREIGNIS
Eine zeitgenössische Oper zur Aufführung zu bringen, wie das mit Johannes Maria Stauds Auftragsoper Die Weiden im Dezember der Fall sein wird, ist die Ausnahme. Im Normalfall gleicht der Repertoire-Alltag der Wiener Staatsoper eher einem Museumsbetrieb. Die Stücke stammen in der Regel aus längst vergangenen Jahrhunderten, Gaetano Donizettis L´elisir d´amore beispielsweise aus dem Jahr 1832. Sogar die jüngsten Opern auf dem Spielplan – die von Puccini, Strauss, Alban Berg – sind schon an die hundert Jahre alt. Was sich ändert, ist die Inszenierung, das Bühnenbild sowie die Art, wie gesungen und gespielt wird, denn auch beim Gesang und in der Darstellung lassen sich – über die Jahre hinweg – spürbare Veränderungen konstatieren.
Eine Inszenierung scheint also zunächst das zu sein, was bei einem Gemälde der Rahmen ist. Einmal passt er besser und rückt das Bild ins rechte Licht, ein anderes Mal kommt das Bild gar nicht so recht zu seiner Entfaltung, oder aber beide passen überhaupt nicht zueinander. In Wahrheit ist die Sache allerdings viel komplexer, denn das Kunstwerk Oper wird – anders als ein fertiges Bild, das einfach gerahmt werden kann – erst in jeder Aufführung erneut zum Leben erweckt: erschaffen aus dem Material, das sich aus der Partitur und dem Libretto – ergänzt durch das Konzept des Regie-Teams, die Vorstellungen des musikalischen Leiters sowie die Möglichkeiten der Sängerinnen und Sänger auf der Bühne – ergibt. Mit dem Erklingen des ersten Tons nimmt ein komplexes Konstrukt allmählich Gestalt an. Dazu ist das Ineinander-Wirken vieler Kräfte erforderlich. In dieser Ereignishaftigkeit der Oper trifft Altes auf Neues, Bewährtes auf Experimentierfreudiges, Erwartetes auf Unvorhergesehenes, und das, was daraus im Hier und Jetzt entsteht, wieder entsteht, ja: aufersteht, macht den einzigartigen Reiz – sagen wir ruhig: das Wunder – eines Opernabends aus.
Donizettis Oper L´elisir d´amore wird dem Publikum „nach einer Inszenierung“ – wie es auf dem Besetzungszettel steht – von Otto Schenk aus dem Jahre 1973 dargeboten. Mit der für Schenk typischen, „menschelnden“ Interpretation und in der anmutigen Ausstattung von Jürgen Rose hat diese Produktion kaum an Charme eingebüßt und wirkt weiterhin überraschend frisch. Eine ideale Bühne für die Entfaltung der kleinen Liebesgeschichte zwischen dem herzensguten, etwas zu zurückhaltenden und naiven Bauernburschen Nemorino und der von ihm angebeteten Adina, die mit ihrem koketten Spiel fast zu viel riskiert, sich am Ende aber doch noch gerade zu ihrer tiefen Zuneigung bekennt. Der lyrische Tenor Benjamin Bernheim hat im Februar dieses Jahres als Nemorino sein Debüt an der Staatsoper gegeben; damals an der Seite von Valentina Nafornita, diesmal mit der nicht minder großartigen Aida Garifullina als Adina. Bernheims hellklare, angenehm timbrierte Stimme macht ihn zu einem idealen Interpreten des italienischen Fachs. Mühelos bewältigt er alle Herausforderungen dieser Belcanto-Partie. Er glänzt mit seiner seelenvollen, in sich gekehrten und zu Recht heftig akklamierten Arie „Una furtiva lacrima“ und unterstreicht damit einmal mehr seinen Ruf als international gesuchter Rising Star.
Aida Garifullina verfügt über eine strahlend schöne, faszinierende Sopranstimme. Ihre Koloraturen und Melodienbögen gelingen mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit und berühren zutiefst. So ist es auch kein Wunder, dass sie Adinas Wechsel vom schnippischen jungen Mädchen zur wahrhaft liebenden Frau glaubhaft darzustellen vermag.
Ensemblemitglied Orhan Yildiz ist ein lässig-lockerer Belcore, der keinen Zweifel darüber lässt, dass in jedem Garnisonsstädtchen ein Mädchen auf ihn wartet, weshalb ihm der Abschied von Adina nicht schwerfällt. Paul Rumetz gibt einen sehr komödiantisch aufgelegten Dulcamara. Man spürt, dass er diese herrliche Baritonrolle schon oft mit Freude – und stets zur Freude des Publikums – gesungen hat und weiter singt. All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Stimme etwas an Glanz und Durchschlagskraft eingebüßt hat. Den herzlichen Applaus hat er aber weiterhin fest in seiner Tasche. Ein erfreuliches Rollendebüt als Gianetta liefert schließlich – nach ihrer jüngst akklamierten Barbarina in Le nozze di figaro – die entzückend agierende und singende Mariam Battistelli. Sie zeigt, dass sie auch in kleineren Rollen die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen kann.
Der Chor der einfachen Leute aus dem Dorf – dank der umsichtigen Personenführung „nach Schenk“ immer liebevoll in das Geschehen eingebaut – leistet gute Arbeit. Speranza Scappucci, am Dirigentenpult in der Staatsoper in kurzer Zeit zu einem Garanten für zügig und farbenfroh gestaltete italienische Opern geworden, kann mit ihrem Debüt als Dirigentin von Donizettis L´elixir d´amore ihrer bisherige Liste an absolvierten Dirigaten – Don Pasquale, La Cenerentola, La Traviata, La Bohéme sowie die Eröffnung des Opernballs 2017 – einen weiteren Erfolg hinzufügen. Der Applaus war herzlich. Wieder einmal hat sich das Wunder Oper ereignet – und für ein Ereignis gesorgt.
Manfred A. Schmid