
Simon Keenlyside als Germont sen. Foto (C) M.Pöhn

Albina Shagimuratova als Kameliendame Foto (C) M.Pöhn
WIEN/Staatsoper
„LA TRAVIATA“ von GIUSEPPE VERDI
23. September 2019 Von Manfred A. Schmid
Edle Stimmen – leider in ein schmuddeliges Ambiente verbannt
Man hat im Laufe der Jahre schon viele schöne Violettas auf der Bühne gesehen. Gewiss aber haben nicht viele von ihnen so schön gesungen wie Albina Shagimuratova bei ihrem Wiener Rollendebut in der Titelpartie der Oper, die in einem 2010 veranstalteten Wettbewerb der TV-Kultursender 3sat, ZDF Kulturkanal und Classica zur „schönsten Oper aller Zeiten“ gewählt worden ist. Über Letzteres lässt sich natürlich streiten, über die Qualität der russischen Sopranistin wohl nicht. Zur Bestätigung dieser Aussage genügt es in die unter www.albinashagimuratova.com abrufbaren Aufnahmen hineinzuhören. Oder aber man hat sie in Wien als Mozart-Sängerin – mit Auftritten als Königin der Nacht oder Donna Anna – ohnehin noch in bester Erinnerung. Hingehen geht aber – bis auf weiteres – leider nicht mehr: Die kurze Traviata-Aufführungsserie ist nämlich mit dem dritten Abend, der dafür allerdings auch als live-stream übertragen wurde, schon wieder zu Ende.
Was aber heißt in diesem Fall „schön gesungen“? – Die außerordentliche Schönheit der Gestaltung liegt in Shagimuratovas Fähigkeit, mühelos elegant zu modulieren und facettenreich zu moderieren. Da sitzt jeder Ton in jeder Lage. Das zeigt sich souverän im berührend gestalteten, wehmütigen „Addio, del passato“ oder im aufbegehrenden, verzweifelt trotzigen „E strano sempre libera“ und auch im strahlend hell dargebotenen „Brindisi“. Einen „Gipfel der Opernkunst“ hat man ihre Interpretationen bereits genannt. Zu Recht. Bewunderung verdient schließlich auch, dass sie bei ihren großen Arien nicht auf den – verdienten – Szenenapplaus spekuliert, indem sie etwa kurz innehalten würde, sondern sofort weitersingt, so den einsetzenden Beifall verebben lässt und damit den großen Spannungsbogen aufrechterhält. Der begeisterte – wenn auch überraschend kurze – Schlussapplaus war ihr ohnehin gewiss; daran hatten aber auch ihre beiden Partner in der tragischen Dreiecksgeschichte ihren gebührenden Anteil.
Pavol Breslik überzeugt als im jugendlichen Überschwang ebenso draufgängerischer wie verunsicherter Liebhaber Alfredo, der seine im Jähzorn getroffene Falscheinschätzung der Lage zu spät bereut und revidiert. Dessen Vater Giorgio Germont ergeht es ähnlich. Simon Keenlyside mit seinem wohltönenden, ausdrucksstarken Bariton gelingt es famos, mit eindringlich vorgebrachten, raffinierten Argumenten Violetta zu einem Liebesverzicht zu überreden. Am Ende muss er betrübt erkennen, dass er am Unglück seines Sohnes ebenso schuldig ist wie an dem beweinenswerten Schicksal Violettas. Dass man bei dieser Partie noch immer mit Wehmut an den letzten und überaus schmerzlichen Auftritt von Dmitri Hvorotovsky an der Staatsoper denken muss, wird sich vermutlich noch länger nicht vermeiden lassen…
Komplettiert wird das Ensemble u.a. durch Szilvia Vörös als Flora, Bongiwe Nakani als fürsorgliche Annina, Carlos Osuna als Gaston und Dan Paul Dumitrescu als Dottore Grenvil, die ihren Nebenrollen ein jeweils starkes Profil verleihen und so zu einer überdurchschnittlichen Gesamtleistung ebenso beitragen wie Evelino Pidò am Dirgentenpult, der längst zu einer verlässlichen Stütze des Hauses – nicht nur im italienischen Fach – geworden ist. Das Staatsopernorchester bringt einen sehr animierten Verdi zu Gehör, der Chor ist gesanglich gut aufgestellt, hat aber in der miserablen Personenführung der Regie keine gute Unterstützung auf der Bühne,
Überhaupt verdienen Regie und das grottenschlechte Bühnenbild nur Verachtung. Was hier geboten wird, ist eine arge Zumutung, vor allem für die Mitwirkenden, die in dieser Inszenierung wie Strafversetzte agieren müssen. Warum die Kostüme aussehen, als wären sie der aussortierten Kleidersammlung der Caritas entnommen, ist nicht nachvollziehbar. Die Gesellschaft, in der sich Violetta und ihre Verehrer bewegen, mag ja eine „halbseidene“ sein, aber gewiss gehört sie nicht in so indifferente Fetzen gekleidet. Fetzen hängen freischwebend übrigens auch in den Räumen und fallen dann manchmal zu Boden. Welchem Konzept zufolge, das bleibt rätselhaft. Alles wirkt irgendwie schäbig und heruntergekommen, das Liebesnest von Alfredo und Violetta gleicht dem Matratzenlager einer desolaten Studenten-WG. Und am Schluss, wenn es ans Sterben geht, ist die Bühne nur noch schmutzig und kahl. Mangels einer Sitzgelegenheit muss sich das verzweifelte Liebespaar auf dem Souffleurkasten niederlassen. Man wünscht dieser Inszenierung sehnlichst nur eines: einen baldigen Tod. Eine Träne wird ihr – unter Garantie – nicht nachgeweint.
Manfred A. Schmid 24.9.2018