Wiener Staatsoper – PREMIERE „IDOMENEO“, 5.10.2014
(Heinrich Schramm-Schiessl)
Margarita Gritskova überzeugte von den Damen am ehesten. Foto: Wiener Staatsoper/ Pöhn
Er galt – ähnlich dem „Tito“ – lange Zeit als „Schmerzenswerk“ unter Mozarts Meisterwerken und war eigentlich nur ein Randwerk des Repertoires, dieser kretische König. Erst Ende der 70er- Anfang der 80er-Jahre wurde das Werk populärer und ist heute durchaus ein Bestandteil zahlreicher Spielpläne. Ins wiedereröffnete Haus am Ring fand das Werk erstmals 1971 in einer nicht sehr geglückten Produktion des tschechischen Teams Jaroslaw Krombbolc/Vaclav Kaslik und dementsprechend waren ihm nur 11 Aufführungen beschieden. Erst 16 Jahre später gab es eine Neuproduktion unter Nikolaus Harnoncourt und Johannes Schaaf, die vom Publikum besser aufgenommen wurde und es bis 2000 immerhin auf 33 Aufführungen brachte. In drei davon sang sogar Placido Domingo die Titelrolle. Im Mozart-Jahr gab es dann eine etwas merkwürdige Konstellation. Die Staatsoper „gastierte“ im Theater an der Wien mit einer Inszenierung von Willy Decker, die dieser – so glaube ich mich erinnern zu können – aus gesundheitlichen Gründen nicht vollenden konnte, mit Neil Shicoff als Idomeneo. Insgesamt 19 mal wurde diese Produktion gezeigt.
Das Werk wurde vom Komponisten mehrfach bearbeitet, Arien hinzukomponiert, dann wieder welche weggelassen. Damit stellt sich auch vor jeder Produktion die Frage, für welche Variante bzw. Fassung man sich entscheidet. In Wien entschied man sich diesmal für eine Mischfassung, indem man einerseits die Arie des Idamante im 2. Akt mit Violinsolo – ich hörte sie das erste und bisher einizige Mal bei den Salzburger Festspielen 1973 und vermißte sie seit damals immer sehr – und andererseits die Arie der Elettra im 3. Akt einfügte, dafür jedoch auf die Arie des Arbaces im 3. Akt und die Schlußarie des Idomeneo verzichtete.
Die Inszenierung besorgte Kasper Holten. Da er der einzige Regisseur war, der nach Bekanntgabe des Jahrespielplanes vor den Regie-Affocinados im Merker-Forum Gnade fand, sah ich der Premiere mit einiger Skepsis entgegen. Aber ich wurde angenehm überrascht. Er schuf eine Inszenierung, mit der man durchaus leben kann. Er verzichtete auf die üblichen Versatzstücke des zeitaktuellen Theaters (Koffer, Klavier u.ä.) und ließ das Stück für jedermann verständlich stattfinden. Einige Merkwürdigkeiten, wie den Umstand, dass die trojanischen Gefangenen wie Wäsche am Dachboden aufgehängt wurden oder im zweiten Akt kleine Figuren der Hauptpersonen herumstanden, kann man akzeptieren. Das – meist ohnehin missglückte und zur Heiterkeit des Publikums beitragende – Auftauchen des Ungeheuers umschifft er insoweit, als für ihn Idomeneo selbst das Ungeheuer ist. Unsinnig war aber das Vorziehen der Ilia-Arie aus demn 3. Akt und das anschließende Duett mit Idamante an den Beginn des 2. Aktes. Einerseits weil sich Idamantes in diesem Duett von Ilia verabschiedet, weil er das Ungeheuer – das es aber zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gibt – bekämpfen möchte und andererseits, weil dadurch der 3. Akt gleich mit dem großen Quartett beginnt und damit dramaturgisch völlig in der Luft hängt.
Die Bühnenbilder (Mia Stensgaard) waren praktikabel und stellten – wenn auch abstrahiert – die Schauplätze dar. Sehr erfreulich die Kostüme von Anja Vang Kragh, die zwar stilistisch eine Mixtur waren, aber man ist ja schon glücklich wenn man heute keine grauen Anzüge bzw. Alltags-oder Abendkleider zu sehen bekommt. Denn diese Ödnis bei den Kostümen ist ja das eigentliche Ärgernis der zeitaktuellen Inszenierungen.
Musikalisch war die Aufführung, wie schon die bisherigen Mozart-Neuproduktionen, durchwachsen. Die Idee des Direktors, die Besetzung größtenteils aus dem Ensemble zu rekrutieren mag zwar gut gemeint sein, aber wie so oft ist „gut gemeint“ nicht wirklich gut. Speziell die Sängerinnen mögen im Repertoir durchaus zu akzeptieren sein, für eine Premiere war es aber einfach zu wenig. Am besten zog sich noch Margarita Gritskova aus der Affaire. Sie bemühte sich um eine gute Gesangslinie – speziell die eingefügte Arie im 2. Akt gelang ihr sehr gut – aber leider fehlt ihr das spezifische Timbre, sodass man auch mit ihrer Leistung nicht wirklich glücklich wurde. Chen Reiss darf nun – nach Servilia und Pamina – ihre dritte große Mozart-Rolle singen und bleibt auch diesmal, obwohl es ihre beste Leiistung war, vieles schuldig. Auch sie bemühte sich redlich, aber die Stimme ist für Mozart nicht wirklich geeignet, da sie überhaupt nicht aufblüht und daher alles sehr flach und unispiriert bleibt. Maria Bengtsson hätte eigentlich eine Stimme für die Ilia, aber für die Elettra verfügt sie über viel zu wenig Dramatik. Das weiß sie offensichtlich auch, denn sie versucht gar nicht dramatisch zu sein. Die große Arie am Schluß singt sie zwar recht intelligent, aber durch das Fehlen jeglicher Attacke bleibt sie praktisch wirkungslos.
Etwas schwierig ist die Beurteilung von Michael Schade in der Titelrolle. Er war ohne Zweifel besser als als „Tito“ und verlieh der Rolle eine gewisse Dramatik, besonders was die Gestaltung betrifft. Allerdings hatte er an den schwierigen Stellen seine Probleme, speziell die Koloraturen in der großen Arie klangen sehr verwaschen. Dazu kommt, daß er nicht wirklich eine Mozartstimme hat, dazu ist sein Timbre zu weiß In den übrigen Rollen fiel Carlos Osuna als Oberpriester sehr angenehm auf und war Pavel Kolgatin (Arbace) mit den Resten, die man von seiner Rolle übergelassen hat, zufriedenstellend. Sorin Coliban durfte als „Stimme“ sogar persönlich auftreten und sang diese kurze Passage gut.
Das größte Ärgernis der Aufführung stand aber am Dirigentenpult. Ich weiß nicht, wer Christoph Eschenbach, von dem ich schon als Pianist kaum etwas gehalten habe, plötzlich als Mozart-Dirigent „éntdeckt“ hat. Nachdem er zwei Sommer lang bereits das Salzburger Fespielpublikum mit Mozart quälen durfte, tat er es nunmehr zum zweiten Mal in Wien und das war wieder schlimm. Er dirigierte das Werk in einer Einheitslautsträrke und ließ jegliche Strukturierung vermissen. Weder konnten die lyrischen Passagen berühren noch die dramatischen entsprechend packen. Gerade in dieser Partitur gibt es viele Feinheiten, speziell von den einzelnen Instrumenten, die aber überhaupt nicht zur Geltung kamen. Das Orchester, trotzdem es wieder nicht „Orchester des Jahres“ wurde, für mich immer noch das beste Opernorchester der Welt, versuchte zwar manches zu retten – wunderschön Rainer Küchels Violinsolo in der Idamante-Arie -, aber wenn vom Pult keine Impulse kommen, kann das nicht wirklich gelingen.
Der Chor, pardon, die Damen und Herren des Chores, ist – das habe ich schon beim „Holländer“ festgestellt – derzeit in einer tollen Verfassung und wurde von Thomas Lang ausgezeichnet einstudiert. Besonders der kompositorisch bereits in eine weite Zukunft weisende große Chor im 3. Akt gelang ungemein eindrucksvoll.
Am Ende konnte lediglich Margarita Gritskova einen schönen persönlichen Erfolg feiern, alle anderen Sänger wurden, ebenso wie das Regieteam mit Einheitsapplaus bedacht. Nur Christoph Eschenbach bekam durchaus verdiente Buhrufe. Im übrigen war es der kürzeste Applaus, den ich in über 50 Jahren bei einer Premiere erlebt habe. Nach dem Solo-Defilee der Sänger, des Dirigenten und des Regieteams endete er, noch bevor das Saallicht anging.
Heinrich Schramm-Schiessl