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WIEN / Staatsoper: Giacomo Puccinis MADAMA BUTTERFLY

Eine Geisha, die nicht mehr trippelt und Amerikanerin werden will

Szenenfoto. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Giacomo Puccinis MADAMA BUTTERFLY

2. Aufführung in dieser Inszenierung

10. September 2020

Von Manfred A. Schmid

Gleich vorneweg: Madama Butterfly die zweite entpuppt sich, trotz einiger Einschränkungen, als Opernereignis. Das liegt – neben der bereits ausgiebig beschrieben und fast ausnahmslos gelobten Inszenierung und Choreographie Anthony Minghellas – vor allem an der betörend singenden und spielenden Asmik Grigorian in der Titelpartie, die sie mit starker innerer Beteiligung gestaltet. Ihre Stimme ist voll edler Süße und überquellender Liebe, vermag aber auch Zorn und Ungehaltenheit packend auszudrücken. Zu Puccinis Lebzeiten waren es oft vor allem dramatische Soprane, die diese Rolle übernahmen. Doch es gehört bei der Butterfly auch ein starkes lyrisches Moment dazu, um das Mädchenhafte, Zarte dieser Figur zu unterstreichen. Und das gelingt Grigorian hervorragend. Dass ihr Sopran in der Höhe, wenn sie dramatischen Gefühlsausbrüche gestaltet, spitz klingen soll: Mag sein, ist an diesen Stellen aber durchaus am Platz und wirkt nicht im Geringsten unangenehm. Scharf klingt ihr Sopran jedenfalls nict. Die litauische Sängerin verfügt zudem über eine imponierende Atemkontrolle und kann dadurch faszinierende, feine Pianissimo-Bögen spannen. Nicht zu vergessen schließlich ihre schlanke Figur und ihr jugendliches Aussehen, was sie zu einer perfekten japanischen Geisha macht, auch wenn sie dabei nicht, wie üblich, klischeehaft trippelnd daherkommt: Diese junge Frau ist nämlich entschlossen, ihre unleidige, ihr im Überlebenskampf aufgezwungene Geisha-Existenz ein für alle Mal hinter sich zu lassen und an der Seite ihres Mannes zur Amerikanerin zu werden. In manchen Inszenierungen wundert man sich zudem über die Naivität Butterflys, die bis knapp zum Schluss an ein Happyend zu glauben scheint. In Grigorians Interpretation spürt man früh, wie sehr ihr bewusst ist, von Pinkerton verlassen worden zu sein, und dass ihr unbeirrtes Festhalten an seiner Rückkehr nur eine Fassade ist: Ein Selbstbetrug. Vielleicht aber auch Symptom einer zunehmenden geistigen Zerrüttung, ausgelöst vom Schock, die grausame Wahrheit erfahren zu haben. Kurz: Das ist eine Butterfly, die von dem üblichen Rollenbild, das die Besucher und wohl auch einige Kritiker erwartet und dann offenbar schmerzlich vermisst haben, abweicht und eine etwas andere, aber durchaus stimmige und hochinteressante Lesart anbietet. Wer davon nicht berührt ist, muss einen sehr verhärteten Panzer haben oder sich gegenüber Neudeutungen von Vornherein abschotten wollen.

Asmik Grigorian (Butterfy) und Freddie De Tommaso (Pinkerton)

Eine gute Butterfly ist – salopp ausgedrückt – schon weit mehr als die halbe Miete, da sie stets im Mittelpunkt steht und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ihr Bräutigam, der ungetreue Pinkerton, kann im Gegensatz dazu nur mit wenig Sympathie rechnen. Seine Braut ist – wie er einmal bekundet, nur ein preziöses Spielzeug für ihn. Außerdem hat er offen zur Schau gestellte pädophile Interessen. Auf die Frage Butterflys, für wie alt er sie halte, meint er zunächst: 10 Jahre (hätte er wohl gerne …). Freddie De Tommaso ist, trotz seiner unbeirrbaren Höhe, kein tenorales Wunder und auch darstellerisch nicht sehr markant, gibt aber einen durchaus passablen Leutnant der US-Navy ab, auch wenn er im Schlussakt in einer Uniform auftritt, die aus dem Fundus der Heilsarmee stammen könnte.

Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt Boris Pinkhasovich als Sharpless, der Böses ahnt, aber kein Mittel weiß, dem sich anbahnenden Unheil Einhalt zu gebieten. Sein Bariton klingt etwas unausgewogen und in manxchen Lagen sogar schnarrend. Rollendeckend und zufriedenstellend sind Andrea Giovannini als schmieriger Heiratsvermittler Goro und Stefan Astakhov als Fürst Yamadori. Dem Bass von Evgeny Solodovnikov fehlt es an stimmlicher Durchschlagskraft. Dass er dennoch einen theatralisch starken Auftritt als Onkel Bonze hat, verdankt er seiner Begleitung: einer Entourage dunkler Gesellen, die lange, schwarze Schleifen schwingen, die an Peitschen erinnern und, da kein Laut zu vernehmen ist, unheimlich und bedrohlich wirken.

Das Ensemblemitglied Virginie Verrez ist eine gouvernantenhaft auftretende Dienerin Suzuki. Die mitfühlende Sorge angesichts der Misere ihrer Herrin ist nur in Ansätzen spürbar. Auch stimmlich hinterlässt ihr Mezzo hier keinen besonderen Eindruck.

Was man vom Staatsopernorchester unter der Leitung von Philippe Jordan zunächst zu hören bekommt, ist ein merkwürdig unterkühlter Puccini. Kontrolliert und hervorragend koordiniert, aber etwas blutleer. Doch spätestens ab dem Zwischenspiel zum Zweiten Akt erhalten die in der Partitur enthaltenen Stimmungswechsel und Gefühlsschwankungen eine farbenreichere und ausdrucksstarke Klanggestalt.

Der Schlussbeifall ist heftig, dauert aber – coronabedingt? – nicht sehr lange an.

 

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