Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper Gaetano Donizetti LUCIA DI LAMMERMOOR

3.Reprise der Serie, coram publico televisionis

15.02.2019 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Das Ensemble hinter der Bühne mit Direktor Dominique Meyer Foto M.Pöhn

WIEN / Staatsoper

Gaetano Donizetti  LUCIA DI LAMMERMOOR 

Freitag, 15. Februar 2019

 

3.Reprise der Serie, coram publico televisionis

 

Nach einem Wort von Karl Valentin ist zwar im Hinblick auf die laufende Premierenserie des Donizetti’schen Belcanto-Klassikers im Prinzip „schon alles gesagt, aber halt noch nicht von allen“ – insofern sei doch noch ein Bericht gegeben über den 3. Abend, der auch auf ORF II zu erleben war. Ein Bericht, der sich größtenteils auf einige persönliche Eindrücke beschränken kann, denen gemeinsam ist, dass sie dort, wo sie positiv sind, eine gewisse Tendenz ins „Konjunktivische“ aufweisen und möglicherweise die Sicht der zu den vorangegangenen Vorstellungen abgegebenen Rezensionen kritisch ergänzen.

Am einfachsten im Indikativ bleiben kann eine Auseinandersetzung mit der im wörtlichen und übertragenen Sinn farblosen Produktion von Laurent Pelly und Chantal Thomas, die vielleicht im Hinblick auf das normalerweise eher an konventionelle Umsetzungen auf der Basis von Originalschauplatz und Originalkostüme gewöhnte amerikanische Publikum in Philadelphia als Provokation gedacht ist. In Wien reiht sie sich ein in eine Serie von mehr oder weniger ähnlichen, in Schwarz-Weiß gehaltenen, von großen geometrischen Formen dominierten, das Geschehen auf einer im Wesentlichen leeren Bühne arrangierenden Bühnenkonzepten – die darin letztlich völlig austauschbar sind und möglicherweise auch tatsächlich in kostensparender Weise auf eine einzige zusammengefasst werden könnten. Diese „Lucia“ hätte man jedenfalls ohne Weiteres in der Kulisse der „Puritani“ (dort stünde für die Wahnsinnsszene auch eine Sesselreihe zur Verfügung) oder des „Onegin“ (da schneit es sogar) abspielen können. Zumal sich die Personenführung im Großen und Ganzen auf einfallsloses Stehtheater und das Abspielen eines – für heutige Gewohnheiten teilweise fast parodistisch anmutenden – gestischen Repertoires aus der italienischen Provinz a la 1950 beschränkt. Ist das selbstbewusste Regietheater mit seinem Repertoire an originellen Einfällen nun durch und da angekommen, von wo seine Vorgänger aufgebrochen sind?  Wobei das alles aus der Sicht des Rezensenten für das 2. Bild des 3. Aktes nicht gilt, welches das langweilige Einerlei der anderen Szenen in Farbe und Personenführung aufbricht, und wo sich in dem beklemmend vorgetragenen Bericht des Raimondo über die im Brautgemach geschehene Bluttat und dann vor allem in der szenisch erschütternd umgesetzten Wahnsinnsszene der Titelheldin authentisches Theater ereignet.

Allerdings zeigt sich aber gerade in der genannten Szene, woran es liegt, dass die Interpretation der bedauernswerten jungen Frau, die von den politischen Ambitionen ihres Bruders in den Wahnsinn getrieben wird, durch Olga Peretyatko dermaßen polarisiert hat – auch an dem Abend wurde sie nach der Kadenz zu „Il dolce suono“ von einer Stelle des Hauses lautstark mit Buhs bedacht (für den Rezensenten ein jedenfalls, und schon gar in der exponierten Situation einer TV-Übertragung, vom menschlichen Standpunkt aus absolut inakzeptables Verhalten), was von anderer Seite wiederum mit im Hinblick auf die gesangliche Leistung gänzlich überzogenen Ovationen (zunächst vergeblich) zu übertönen versucht wurde. Denn die junge Russin verfügt einfach bei allen optischen Vorzügen und bei allem darstellerischen Potential nicht über die erforderliche Virtuosität und weist in der Führung ihrer wenig charakteristischen Stimme eine Vielzahl bereits andernorts beschriebener technischer Mängel auf, sodass die musikalische Qualität ihrer Rollengestaltung hinter ihrer szenischen markant zurückbleibt. In einer Repertoirevorstellung an einem mittleren Haus mag solches hinreichen, für eine Premierenbesetzung liegen die Ansprüche zu Recht höher. Dass sie wiederum versucht hat, die Wahnsinnsszene mit einem eingelegten Spitzenton zu krönen, und dass es wiederum bei dem (rasch abgebrochenen) Versuch geblieben ist, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Der beschriebene durchwachsene Gesamteindruck, den Frau Peretyatko hinterließ, wurde vermutlich noch verstärkt durch Juan Diego Florez, der sich und seiner hervorragend fokussierten Stimme dank stupender Höhe und makelloser Technik mit dem Edgardo einen Ausflug ins dramatischere Fach gönnte. Er war demnach auch der frenetisch umjubelte Star des Abends, um den herum ja vermutlich das ganze Projekt der Lucia-Neuinszenierung aufgebaut worden ist. Allzu oft sollte er seine angestammten Gefilde aber nicht verlassen, die Chronik kennt große Namen, die glaubten, auf ihr Alleinstellungsmerkmal als tenore di grazia zugunsten von vermeintlich interessanteren Partien verzichten zu können und sich und ihrem Material damit keinen guten Dienst erwiesen haben. Davon ist bei Florez selbstverständlich (noch) keine Rede, namentlich in der Turm-Szene stellt er seine vokalen Möglichkeiten wirklich imposant unter Beweis – aufgrund seines weißen Timbres wäre er für den Rezensenten in dieser Partie unter den denkbaren Konstellationen auf Dauer dennoch nicht die erste Wahl, im musikalischen Gesamtbild sind bei ihm einfach gewisse Farbtöne unterrepräsentiert.

George Petean als sein Gegenspieler bemüht sich, einen düsteren und seiner Schwester gegenüber rücksichtslosen Enrico zu gestalten: seinem Bariton, der zu Beginn fahl und belegt klingt, öffnen sich erst im Laufe des Abends bessere Resonanzräume, seine Höhe lässt sich dennoch nur mit hörbarer Anstrengung erklimmen. Dem gegenüber sorgt Jongmin Park als Raimondo mit seinem samtigen, in jeder Lage und in unterschiedlichsten Schattierungen strömenden Bass wie bereits erwähnt mit seiner Szene vor dem Auftritt der wahnsinnigen Lucia für einen musikalischen und dramatischen Höhepunkt.

Für die kleine, aber doch exponierte Rolle des Arturo musste der Südafrikaner Lukhanyo Moyake erstaunlich viel Kraft aufwenden. Im Unterschied dazu ließ Virginie Verrez als Alisa der szenischen Situation durchaus angemessene dramatische Akzente hören, während Leonardo Navarro  einen sehr ansprechenden und sich für einen nächsten Entwicklungsschritt empfehlenden Normanno gab.

Dem „speziellen“ Zugang von Evelino Pido zur Partitur konnte der Rezensent einiges abgewinnen, seine sehr individuelle dynamische Mischung der Instrumentengruppen förderte dank des Orchesters der Wiener Staatsoper einen orchestralen Farbenreichtum zu Tage, der den italienischen Belcantisten gerne voreilig abgesprochen wird. Explizit begrüßenswert auch der Einsatz der Glasharfe, da die Kadenz der Wahnsinnsarie aber a capella vorgetragen wurde (was angesichts der beschränkten Souveränität der Hauptdarstellerin überhaupt kritisch gesehen werden muss), kam sie wenig zum Einsatz, was ihren Effekt leider verminderte.

Am Ende großer Jubel für die Protagonisten, vor allem natürlich für Florez und Park, aber auch die Anhänger von Frau Peretyako, die auch mit Blumen bedacht wurde, boten allfälligen Kritikern keine Chance mehr, ihrer Ablehnung akustisch Ausdruck zu verleihen.           

Valentino Hribernig-Körber

 

Diese Seite drucken