
Olga Beszertna als Tatjana mit Bongiwe Nakani als ihre Amme Filipjewna Foto (C) M.Pöhn
TSCHAIKOWSKYS „EUGEN ONEGIN“ ON THE ROCKS
WIEN/Staatsoper: 47.Aufführung in der Regie von Falk Richter am 5.10.2018
Manfred A. Schmid
Unterkühlte Gefühle und erfrierende Leidenschaften
Ein edler Wein in einem funkelnden Glaspokal schmeckt besser als einer, der in einem Eisbecher serviert wird. Dass es sich mit der Musik ähnlich verhält, wird einem in der 47. Aufführung der Oper „Eugen Onegin“ (Premiere 2009) schmerzlich vorgeführt. Die elegante, elegische Musik Tschaikowskys und das Drama (unterdrückter) Leidenschaften können sich in diesem unterkühlten Ambiente einfach nicht entfalten. Da wird eine Reihe erstklassiger Sängerinnen und Sänger aufgeboten und es spielt das vermutlich beste Opernorchester der Welt, aber es will beim besten Willen keine rechte Stimmung aufkommen. Die Bühne (Katrin Hoffmann) ist eine kahle, weiße Wüste, die Sitzgelegenheiten sowie das Bett Tatjanas sind aus Eisblöcken zusammengestellt. Und es schneit ohne Unterlass.
Wenn zu einem Tanzfest geladen wird, ist der Schauplatz ein Eislaufplatz, wenn Tschaikowskys prachtvoller Walzer erklingt, wird kein Walzer getanzt, sondern eine Art Twist. Einige Gesellen betreiben folkloristisch angehauchte Bodengymnastik als Bewegungstherapie. Und Im letzten Akt, der im Palast des Fürsten Gremin spielt, ist das Weiß der öden Schnee-Ebene der Anthrazitfarbe einer supermodern-sterilen Eingangshalle (eines Bürogebäudes?) gewichen. Wenn trotzdem geklatscht wird, dann vermutlich um sich etwas zu erwärmen. – Soweit also ein verknappter Eindruck der Rezeptionsgegebenheiten aus der Zuschauer- bzw. Zuhörerperspektive.
Auf der Bühne sind natürlich ausgewiesene Profis am Werk, die inzwischen längst gelernt haben, mit widrigen Umständen, hervorgerufen durch inszenatorischen Eigensinn (Regie: Falk Richter), umzugehen. Trotzdem muss ernsthaft vermutet werden, dass es auch ihnen zum Teil ähnlich ergeht wie dem Wein in falschen Gefäßen: Was hier sängerisch und darstellerisch geleistet wird, ist insgesamt gut und ohne Tadel. Dennoch muss man davon ausgehen, dass das Ergebnis weit besser ausfallen könnte, wenn das Ambiente angemessener wäre.
Von den sieben zentralen Figuren der Oper sind an diesem Abend fünf mit Sängerinnen bzw. Sänger russisch-slawischer Herkunft besetzt. Das ist eine Seltenheit und gewiss kein Nachteil. In der Titelpartie hat Alexey Markov sein gelungenes Debüt an der Wiener Staatsoper. Sein Bariton klingt zunächst etwas metallisch hart, vor allem vor der Pause, wenn er sich als ein Mann präsentiert, der sich an niemanden auf Dauer binden will und äußerst leichtfertig mit Frauen umgeht, was zu einer tragischen Katastrophe führt. Im Schlussakt, wo er Tatjana wiederbegegnet und von Reue und Selbstmitleid gequält wird, gibt er sich weicher und wärmer, so dass man annehmen kann, dass dieser Wechsel beabsichtigt ist.

Ferruccio Furlanetto als Gremin (C)M:Pöhn
Dmitry Korchak, eben erst als fabelhafter Werther zu erleben, ist auch als Lenski eine berührende Erscheinung. Seine Arie, in der er vor dem Duell wehmütig und gefühlsstark Abschied nimmt, gehört zum Besten des ganzen Abends. Mit Feruccio Furlanetto ist ein erfahrener Bass in der Rolle des Fürsten Gremin zu erleben. Auch seine Arie über die späte große Liebe zur bedeutend jüngeren Tatjana kann noch immer packen, zeigt aber auch, dass die Jahre an diesem Weltstar nicht spurlos vorübergegangen sind. Warum Triquet als eine Art russische Ausgabe des Modeschöpfers Karl Lagerfeld stilisiert ist (allerdings ohne Handschuhe, aber die trägt in dieser Inszenierung niemand, der klirrenden Kälte zum Trotz), weiß außer Martin Kramer, der für die Kostüme zuständig ist, niemand. Thomas Ebenstein macht darin aber eine gute Figur, auch wenn er stimmlich vielleicht nicht ganz ideal für diese Rolle zu sein scheint. Und Hans Peter Kammerer, gestern Fiorello im Barbiere, heute als Hauptmann/Saretzki im Einsatz, beweist wieder einmal, was für eine verlässliche und vielseitig einsetzbare Stütze er im Haus ist.

Haus-Debütant Alexey Markov (C) M.Pöhn
Nun zu den nicht minder stattlichen Frauenpartien der Oper: Olga Beszmertnas leicht dunkel schattierter Sopran passt ausgezeichnet zur leidgeprüften Tatjana, die sich einmal – trotz ihrer Schüchternheit – in ihrer Zuneigung gegenüber Eugen Onegin geoutet hat und dafür von ihm belehrend abgekanzelt wird. Die melancholische Tönung ihres Wesens und ihre seelische Hin- und Hergerissenheit in der Briefszene zu vermitteln, gelingt ihr ebenso wie das Ringen um eine entschiedene und klare Haltung bei ihrem unverhofften, letzten Wiedersehen.
Ziemlich konträr zu romantisch-schwärmerischen Tatjana ist die lebenslustige, heitere und unkomplizierte Olga. Elena Maximowa verleiht ihr mit ihrem warmen Mezzo eine sympathische Kontur. Fassungslos muss sie zusehen, wie sich ihr Bräutigam Lenski in übertriebener Eifersucht in eine ausweglose Situation hineinmanövriert. Die Mutter der beiden Schwestern, Larina, wird von der bewährten Monika Bohinec gesungen, während Bongiwe Nakani als um das Wohl ihrer Schützlinge besorgte Amme Filipjewna ein erfolgreiches Rollendebüt feiern kann.
Der Chor zeigt, dass er auf Russisch besonders gut orgeln kann. Dem Orchester unter der Leitung von Louis Langree gelingt es, was an Eleganz und Charme im Bühnenbild so sehr fehlt, immerhin in der Musik herauszuarbeiten und hörbar zu machen. Sie haben aber auch den Vorteil, im Orchestergraben von der oben herrschenden Eiseskälte – im Unterschied zu den Protagonisten auf der Bühne – kaum behellligt zu werden.
Manfred A. Schmid
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