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WIEN/Staatsoper EUGEN ONEGIN von Peter Iljitsch Tschaikowski

12.10.2018 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Olga BESZMERTNA Foto: (C) M.Pöhn

SCHNEEKUGEL ALS DAUERBRENNER
Am 10.10.: „Eugen Onegin“ in der Wiener Staatsoper
Valentino Hribernig-Körber schwankt zwischen hervorragendem Repertoire
und der immerwährenden Schneekugel als szenischem Konzept

 

Was Repertoire im guten Sinn des Wortes bedeutet, erweist sich, wenn ein ambitioniertes Ensemble von Sängerinnen und Sängern, teilweise zu Gast am Ring, teilweise bewährte Kräfte des Hauses, in Ausschöpfung ihrer eigenen musikalischen Qualitäten und getragen von einem meisterhaften und erfahrenen Orchester, das mit den Farben, die es zu gestalten weiß, auch alt gediente Musikfreunde immer wieder aufs Neue in Staunen versetzt, einfach miteinander „Oper“ macht – und sich dabei weder von einem nur mittelmäßig inspirierten Dirigenten noch von einem im Detail dümmlichen, im Großen und Ganzen aber schlichtweg uninteressanten szenischen Konzept stören lässt.
Solches war auch in der 49. Aufführung der aktuellen Produktion der lyrischen Szenen nach Puschkin zu erleben, für den Rezensenten nicht zuletzt wegen seiner ganz ungewöhnlichen dramaturgischen Anlage und seinen „ins Leere“ führenden Handlungssträngen eines der bemerkenswertesten Werke der Opernliteratur. In der Titelpartie stellte sich der junge Russe Alexey Markov in Wien vor, ein eleganter Bariton mit weichem, dunklem Timbre, der aber auch mit höheren Passagen keine Schwierigkeiten hat – ein Künstler, von dem man noch Weiteres hören möchte. Als arroganter, von der biederen Landidylle angeödeter Beau ist er glaubwürdig, eher verhalten bleibt er angesichts der finalen Erkenntnis der Unerreichbarkeit seiner leichtfertig zurückgewiesenen Lebensliebe. Ähnliches gilt für Olga Bezsmertna, die als Tatjana nicht nur in der makellosen Brief-Szene alle Register ihres warmen, wenn auch nicht ganz großen Soprans hören lässt, sondern insgesamt stimmlich und darstellerisch zu berühren vermag. Auch sie kann, als sie der großen Liebe ihres Lebens überraschend wieder gegenübersteht, die Erschütterung und den inneren Kampf, in dem sie letztlich besteht, nur andeutungsweise sichtbar machen. Darstellerisch kann dieser Partie, die sowohl das naive Mädchen im Beginn ihrer ersten Blüte wie auch die „First Lady“ an einem Moskauer Fürstenhaus umspannen sollte, ohnehin kaum zur Gänze entsprochen werden – Frau Bezsmertna wählt hier einen (durchaus legitimen) Mittelweg.

Einfacher hat es da die vorzügliche Elena Maximova als Olga, die – auch optisch durch die einzige blonde Mähne unter allen Darstellerinnen hervorgehoben – nur Lebensfreude und Energie verkörpern muss, was ihr auch gelingt. Musikalisch liegt ihr die Rolle auch sehr, hörbar mit Freude spielt sie die Potentiale ihrer satten tiefen Lage aus; lediglich in den Ensembles sticht sie mit einer leichten metallischen Legierung fast ein bisschen zu sehr hervor.

An ihrer Seite als unglücklicher Liebhaber stand Dmitry Korchak, dem die russische Muttersprache gesangstechnisch offensichtlich besser liegt als das Französische eines Werthers. Auch seine nicht ganz sichere Phrasierung in der unteren Lage musste er als Lenski kaum bemühen, dafür gerieten die ihm zugedachten exponierten Passagen („Hier im Haus“ und die große Arie „Wohin“) zu Höhepunkten des Abends. Namentlich die Szene vor dem Duell gestaltete er mit aller technischen und musikalischen Raffinesse, ließ auf sicherem Atem schier endlose Piano-Phrasen schweben, im Crescendo aufblühen, warf sich mit schöner Höhe in den dramatischen Ausbruch, die im Decrescendo verklangen. Gänsehaut pur. Ein kundigeres Publikum (in die Generalpause des Gremin s.u. wurde gar hineingeklatscht) hätte verdientermaßen ein Da Capo gefordert. Vom Typ her ist er nicht so sehr der versponnene, weltfremde Literat oder der nervös überspannte Sensible, als den ihn die meisten seiner Rollenvorgänger angelegt haben, als vielmehr ein dynamischer Feschak, der damit natürlich nicht so sehr im Kontrast zu seinem Freund Onegin wahrgenommen wird, wie man es vielleicht gewohnt ist.

Dem Hof der Larins, der in der Inszenierung von Falk Richter ja aufgrund des allgemeinen Schneegestöbers kaum zu sehen ist, stand Monika Bohinec als Larina vor, charmant im Auftreten und stimmlich aus dem Vollen schöpfend. Die alte Filipjewna gab, ebenfalls als Rollendebutantin der Serie, Bongiwe Nakani, die ihre Aufgabe im Rahmen dessen, was die Maske zur Herstellung des Altersunterschiedes zu den übrigen Darstellern eben vermochte, mehr oder weniger glaubwürdig  zufriedenstellend erfüllte (es gibt am Haus anscheinend im Augenblick keine Künstlerinnen, die Frauenrollen im reiferen Alter in „echt“ verkörpern können, wie es z.B. weiland Margarita Lilowa über viele Jahre getan hat). Als Hauptmann bzw. als Sekundant im Duell zwischen Lenski und Onegin fungierte Hans Peter Kammerer. Den Triquet in der unsäglichen (und angesichts des kritischen Zustands, in welchem sich das Original derzeit befindet, vielleicht auch eher geschmacklosen) Aufmachung a la Lagerfeld gab Thomas Ebenstein, in keiner Weise ein Charaktertenor, wie man ihn für gewöhnlich in der kleinen, karikierenden Rolle hört, sondern eine intelligent phrasierende lyrische Stimme, der man in einem passenden Rahmen durchaus den Lenski zutrauen würde.

Womit noch Ferruccio Furlanetto zu erwähnen bleibt, seit einigen Jahren anscheinend der führende (und fast ausschließliche) Repräsentant der „schwarzen“ Bassisten in Wien, der in der kurzen Arie des Fürsten Gremin zeigte, dass nach wie vor mit ihm als einem der ersten seiner Zunft zu rechnen ist.

Den Chor unter der Leitung von Thomas Lang als Vorsänger unterstützte Dritan Luca.

Am Pult des Wiener Staatsopernorchesters stand Louis Langree, der an einigen Stellen durch überraschende Tempowahl und auslandende Rubati aufhorchen ließ, ansonsten aber aus dem hervorragenden Klangmaterial, das ihm die bestens  disponierten Instrumentalisten anboten, erstaunlich wenig Spannung zu erzeugen vermochte. Die Ablehnung, die er von einigen Personen im Auditorium am Ende erfuhr, muss dafür aber als überzogen bezeichnet werden.  

Valentino Hribernig-Körber

 

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