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WIEN / Staatsoper: ANDREAS SCHAGER – Solistenkonzert

Ein Publikumsliebling mit großem Herz und großer Stimme umarmt die ganze Welt

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Andreas Schager und Helge Dorsch, Klavier. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: SOLISTENKONZERT mit ANDREAS SCHAGER UND HELGE DORSCH

 28. Feber 2023

Manfred A. Schmid

2018, als sich Andreas Schager erstmals als Liedsänger dem Wiener Publikum präsentiert hatte, standen als erstes noch Wagners Wesendonck Lieder auf dem Programm, die in einem direkten Zusammenhang mit der Oper Tristan und Isolde entstanden sind. Eine Oper, in der der vermutlich beste Heldentenor der Gegenwart im Haus am Ring von Publikum und Kritik soeben wieder triumphal gefeiert worden ist. Diesmal sind es mit Schuberts Die schöne Müllerin und Schumanns Dichterliebe Werke, die zu den Prüfsteinen des Liedgesangs zählen. Diese Wahl, vor allem aber die intelligente und dennoch stets emotionsgeladene Gestaltung dieser Juwelen durch Schager legen nahe, dass er sich in der opernfreien Coronazeit gerade dieser Gattung intensiv gewidmet hat. Er hat eingelöst, was ihm der Online-Merker-Rezensent damals frisch und frei empfohlen hatte: „Schagers Liedgesang wird sich noch deutlich vertiefen und reifen müssen.“ Von den Früchten dieser Arbeit kann man sich diesmal überzeugen und begeistern lassen.

Die schöne Müllerin, Schuberts erster Liederzyklus, 1823, also vor 200 Jahren entstanden, wurde erst 1856 zum ersten Mal vollständig und öffentlich aufgeführt. Schager und sein äußerlich unaufdringlicher, aber stets sehr präsenter Begleiter am Klavier, Helge Dorsch, bieten eine durchdachte, hochdramatísche Darbietung. Der Zyklus beginnt mit „Das Wandern“, einem hoffnungsfrohen Aufruf zur Reise, die in den folgenden 19 Liedern immer mehr eingetrübt und verzweifelt in einem nassen Grab enden wird. Besonders imponiert die feine Gestaltung der vielen in Strophenform von Wilhelm Müller und Franz Schubert gedichteten und vertonten Lieder, die im Unterschied zur Winterreise nicht in jeder Strophe in neuem Gewand erscheinen. Ohne Drang, etwas Neues, Überraschendes bieten zu müssen, aber jedes einzelne fein auslotend und ausdeutend, gehen Schager und Dorsch ans Werk. Da genügt, wie im Anfangslied, ein kurzes Innehalten vor der dritten Strophe, um die Spannung zu verstärken und ein Abgleiten in die Monotonie bloßer Wiederholung zu vermeiden. Die Nixen im rauschenden Bächlein singen und klingen in „Wohin?“ eben doch immer wieder etwas anders.

Der Mittelpunkt des Zyklus, das Lied „Pause“, markiert den Zeitpunkt, ab dem die tragische Wendung einer vergeblichen Liebe nicht mehr aufhaltbar erscheint. Schager artikuliert mit großer Wortdeutlichkeit die sich ausbreitende, zunächst noch im Dunkel und Licht flackernde Traurigkeit. Das Bekenntnis „Dein ist mein Herz“ und der folgende „Morgengruß“ werden unerwidert verhallen. Auch in „Die liebe Farbe“ behält das Düstere letztlich die Oberhand. Schager reagiert in seiner Interpretation auf die Trostlosigkeit mit Zorn, fast schon mit Wut, und Helge Dorsch sekundiert ihm mit den hektisch-beängstigenden Läufen der linken Hand. Das Grün, „Die böse Farbe“ des siegreichen Jägers und Rivalen um die Gunst der Müllerin, verwandelt sich von Liebe in Hass.

Die letzten drei Lieder, „Trockne Blumen“, „Der Müller und der Bach“ und „Des Baches Wiegenlied“, schlagen leise, verhaltene Töne an. Kein versöhnliches Ende, sondern ein Versiegen der Kraft und eine Sich Schicken in das Unvermeidliche, von Andreas Schager und Helge Dorsch sublim und gerade deshalb eindringlich gestaltet. Zwei Reiseführer durch eine überschwänglich geschilderte, ja, heraufbeschworene Naturlandschaft, die ein schwer verwundetes Seelenleben offenbart, dessen Wanderlust unweigerlich in den Tod führt.

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Andreas Schager

So eindrucksvoll Schagers zum Teil durchaus hochdramatische Schubertlieder auch klingen, der Höhepunkt des Abends ist dennoch Robert Schumanns Dichterliebe, vermutlich weil in diesen Liedern die Ferne von jeglicher Opernstimmung dank der meisterhaften Ironie Heinrich Heines, dem Schöpfer der dem Liederzyklus zugrundliegenden Gedichte,  den Heldentenor gänzlich ausklammert und wirklich nur den Liedsänger Andreas Schager fordert und hervorholt. 1840 entstanden, in dem Jahr, als Schumann seine Liebe zu Clara in seinen Kompositionen zum Ausdruck brachte, ist auch die Dichterliebe ein flammendes Bekenntnis und eine Beschwörung höchster Gefühle. Heines Gedichte sind jugendlich, feurig, schwärmerisch und persönlich, aber nicht ungetrübt von Enttäuschungen und Frust, beschwingt und verzweifelt, geprägt von Sentimentalität und Selbstironie.

Schager kann in diesen Liedern seine große und ausdrucksstarke Stimme exzellent einsetzen, es gelingt ihm, seinen hellen Tenor flexibel einzusetzen und gut zurückzunehmen. Die Dynamik ist fein austariert. Was besonders imponiert ist zudem die Natürlichkeit, mit der an die Lieder herangeht. Künstliche, manierierte Akzente, wie sie in der Nachfolge von Dietrich Fischer-Dieskau lange Zeit en vogue waren, sind ihm völlig fremd. Jedes Wort und jede Phrase sind aus Kontext des gesamten Liedes zu sehen.

Der Klavierpart ist bei Schumann von besonderer Art. Die wunderbaren Vorspiele und die oft langen Nachspiele geben dem erfahrenen Dirigenten und Liedbegleiter Dorsch die Möglichkeit, sein Können zum Gelingen einzusetzen. Aber auch hier bleibt er äußerlich unaufdringlich, doch das Resultat, wie überhaupt die Zusammenarbeit mit Schager, sprechen für sich.

Leicht und übermütig klingt „Im wunderschönen Monat Mai“, während in „Aus meinen Tränen sprießen“ eine sensible Zerbrechlichkeit herauszuhören ist, die man dem Wagner-Sänger Schager kaum zugetraut hätte. „Im Rhein, im heiligen Strome“ klingt wuchtig und erhaben, wird aber durch ein ironisches Augenzwinkern entschärft. „Ich grolle nicht“ ist ein starkes Highlight und setzt sich in den folgenden Liedern als Initialzündung zunehmender Spannungen fort. „Das ist ein Flöten und Geigen“ erweist sich als makabrer, gespenstischer Tanz. Berührend ist Schagers dünnhäutiger Solo-Auftakt zu „Ich hab‘ im Traum geweinet“ und die darauf folgende Antwort des Klaviers: gehackte  Akkorde, wie aus einer Schumannschen „Winterreise“ (die er natürlich nie geschrieben hat). Fein auch Dorschs beschwingte Begleitung von „Hör‘ ich das Lied erklingen“ und der grandios gestaltete Klavierpart von „Am leuchtenden Sommermorgen“.

Das abschließende Lied „Die alten, bösen Lieder“ gilt dem Grab, in dem der Dichter all seine Liebe und sein Leid begraben will. Das Nachspiel von Helge Dorsch ist perfekt, streng und endgültig. Nicht Resignation und suizidale  Todessehnsucht, wie zuvor bei Schubert, sondern ein trotziger Schlussstrich. Ein effektvoller Schlusspunkt des offiziellen Programms, dem – von begeistertem Applaus erzwungen – noch vier Zugaben folgen, die das breite Spektrum von Schagers Gesangskunst offenbaren: „Zueignung“ von Richard Strauss, Wagners „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ und zwei Liebeserklärungen, mit denen Schager seine im Publikum sitzende Frau, das Publikum und wohl auch das ganze Leben, wenn nicht gar die ganze Welt umarmt: „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Freunde, das Leben ist lebenswert“ von Franz Lehar.

Der Publikumsliebling Schager wendet sich dankbar und gerührt an die Zuhörerschaft und freut sich über das volle Haus. Die Direktion hatte wohlweislich die Galerie gesperrt. Statt des gewohnten Online-Merker-Sitzes halblinks, zweite Reihe, gibt es einen Platz im Parterre, 12. Reihe. Ein schöner Abend, der nicht so bald vergessen sein wird

 

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