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WIEN/ Raimundtheater: ELISABETH – Musical von Sylvester Levay. Premiere

05.09.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

STERBEN UNTER DEM DOPPELADLER
Zur Neueinstudierung des Musicals „Elisabeth“ im Wiener Raimundtheater – Premiere 5.9.2012


Mark Seibert, Annemieke van Dam. Foto: DI. Dr. Andreas Haunold

Vor genau gerade 20 Jahren ist dem Dreiergespann Levay – Kunze – Kupfer ein schon sehr beachtlicher theatralischer Coup geglückt. Ihr Musical „Elisabeth“ hat 1992 im Theater an der Wien voll eingeschlagen. Nicht bei der Presse. Doch das Publikum hat die ausgetüftelt konstruierte Story rund um Kaiserin Elisabeth in dieser szenisch aufwendigen Produktion mit einiger Hingabe aufgenommen und sich von den groß angelegten Werbeaktionen (die auch haargenau in das Konzept der internationalen Wiener Tourismus Werbung passen) der städtischen Vereinigten Bühnen Wien einfangen lassen. Der Wiener Produktion sind weltweit andere erfolgreich gefolgt. Bis in den Fernen Osten, nach Japan, Korea; in stets unterschiedlichen Fassungen. Und nun, da es an anderen gut gestrickten aktuellen Musicals schon seit Jahren mangelt, ist diese „Elisabeth“ wieder in Wien gelandet.

Spektakulär und durchaus sehenswert. Harry Kupfer, der genialische Regie-Altmeister aus der früheren DDR,  hat seine phantasievolle Inszenierung für Wien aufgefrischt. Mit leichten Veränderungen: etwas reduzierter technischer Aufwand; das geänderte Bühnenbild von Hans Schavernoch (ebenfalls ein souveräner Großmeister seines Faches) eine Spur realistischer; die Kostüme (Yan Tax) weniger bunt und illusionistisch. Librettist und Liedtexter Michael Kunze hat damals völlig richtig spekuliert und all dies in die letale Kaiserin Elisabeth-Geschichte hineingepfercht, was der gängigen Schablone vom kaiserlichen Wien und der verblichenen Habsburger-Monarchie entspricht. Keine bedeutende Dichtung. Aber es ist so bestimmend und einfach kalkuliert, dass der Zuseher vom Sog mitgezogen werden kann. Sisi und ihr Lebensweg im Eiltempo, aber trotzdem spektakulär ausgewälzt. Das alles zieht im raschen Tempo vorbei und ergibt einen höchst lebendigen Bilderbogen: Kapuzinergruft und kaiserlicher Doppeladler, Schönbrunner Feststimmung, Riesenrad und Bad Ischl, Vater-Sohn-Konflikte, Kronprinz Rudolfs Todesdrang, Katholizismus-Schelte und aufkeimender Faschismus und so fort, munter so fort. Den seriösen Anstrich gibt die brillante Idee, Elisabeth in einen Liebesdialog mit dem personifizierten Tod treten zu lassen. Gut zeitgeistig gemacht und perfekt inszeniert und dargestellt.


Franziskus Hartenstein, Annemieke van Dam. Foto: Barbara Zeininger

Bei der Beurteilung der musikalischen Qualitäten scheiden sich jedoch die Geister. Komponist und Arrangeur Sylvester Levay ist  ein echter Vollblutmusiker. Und er hat der bewegten und so abwechslungsreichen Bilderfolge ein sehr dichtes und an Farben reiches eindringliches Klanggewebe (Dauereinsatz für das Orchester unter Koen Schoots) unterlegt. Das stimmt schon. Aber es bleibt überwiegend eine kalkulierte Untermalungs- und Gebrauchsmusik. Wer Freude daran haben möchte, wird von den pulsierenden Rhythmen mitgezogen. Wer an Gershwin oder Bernstein denkt, wird sich fragen, weshalb der allgemeine Musikgeschmack so trackshitig geworden ist. Ein Problem für Musikkenner mag auch der immer noch recht primitive Gesangsstil sein, der hier im Haus seit Jahren gepflegt wird: reinster Schreigesang. Der Tod (sehr attraktiv Mark Seibert) brüllt seinen „Letzten Tanz“ mit olympiareifem Kraftaufwand heraus. Und die jetzige Elisabeth-Erstbesetzung, die Holländerin Annemieke van Dam, ist mit ihrem dünnen Kehlkopfsopran keine Gesangsgröße. Macht nichts. Der eine oder andere der Jungen auf der Besetzungsliste wird schon Gefallen finden können. Regisseur Kupfer hat sie alle auf kantig und intensiv getrimmt, und das Auftreten, das Spiel von Kurosch Abbasi (Elisabeths Mörder Lucheni), Anton Zetterholm (Kronprinz Rudolf), Franziskus Hartenstein (Kaiser Franz Joseph) und der ganzen Crew vermögen zu überzeugen.


Kurosch Abassi als Elisabeths Mörder. Foto: DI. Dr. Andreas Haunold

Die Stadt Wien finanziert dieses Event-Getue mit immensem finanziellen Aufwand. Irgendwann dürfte sich aber doch die Tendenz abzeichnen, dieses Steuergelder fressende Showbusiness abzustoßen. Ein kleines Anzeichen: Der frisch ernannte (und im Gegensatz zu früheren Vereinigten Bühnen-Chefs auch facherprobte) Musical-Intendant Christian Stuppeck wurde von diesem Hamburger Großunternehmen geholt, welches ganz Deutschland mit seinen Show-Produktionen füttert.  Auch die Vereinigten Bühnen Wien.  Und da aus Wien nichts schöpferisch Eigenständiges kommt und sich im großen Aufgebot – von den Erfolgsautoren bis zu den marionettenhaften Swings – kaum noch heimische Künstler finden, ist diese geglückte Produktion trotz des ganzen historischen Österreich–Bezuges wohl nicht als bodenständig kreativ zu bezeichnen.
Meinhard Rüdenauer

 

 

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