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WIEN / Narrenturm: PATHOLOGISCH-ANATOMISCHE SAMMLUNG

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WIEN / Naturhistorisches Museum im Narrenturm: PATHOLOGISCH-ANATOMISCHE SAMMLUNG
Permanent geöffnet

Alles nur kein Horrorkabinett

Der „Narrenturm“ ist eines der seltsamsten Gebäude Wiens und gewiß auch eines der interessantesten. Einst als Spital gedacht, hat man dann 1971 aus Platzgründen die pathologisch-anatomische Sammlung der Universität hier untergebracht und die Institution zum Museum erklärt. Aber der Rundbau verrottete, und als man die Institution 2012 in das Naturhistorische Museum eingliederte, war damit die Verpflichtung verbunden, das Gebäude zu sanieren. Das ist nach jahrelanger Arbeit nun geschehen, gleichzeitig hat man die Dauerausstellung grundlegend überarbeitet. Nun hat Wien ein Pathologisch-anatomisches Museum, das sich in jeder Hinsicht (der außergewöhnliche Raum, die Präsentation der Ausstellungsobjekte) mit den großen Museen dieser Art in aller Welt vergleichen lässt.

Von Renate Wagner

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Der Narrenturm    Die Statue von Kaiser Joseph II. steht in einem der vielen Höfe des „alten AKH“, wie man heute sagt (seitdem es ein neues AKH gibt, dessen Entstehung mit allen denkbaren Skandalen verbunden war). Die erste Krankenhaus-Anlage im Areal am Alsergrund, wurde schon unter Kaiser Leopold I. begonnen und unter seinen Nachfolgern stets erweitert. Aber erst Joseph II. sah, dass es keinesfalls den Anforderungen genügte und ließ ein Allgemeines Krankenhaus planen, das den damals modernsten Erkenntnissen der Aufklärung genügte. Das Rundgebäude des Narrenturms wurde 1784 als „Irrenturm“ errichtet, um Geisteskranke, Nervenkranke, psychisch gestörte Soldaten, aber auch Alkoholkranke zu behandeln. Der Kaiser überwachte Konzeption und Bau des fünfstöckigen Turmes mit 28 Räumen pro Etage, und bestand beispielsweise darauf, dass es keinen Keller geben sollte, um jede Möglichkeit, Menschen wegzusperren, verhungern zu lassen oder gar zu „vergessen“, unmöglich zu machen. Es war sogar geplant, jeder Zelle eine Toilette einzubauen, aber das war technisch damals noch nicht möglich. Hingegen gab es bereits Blitzableiter.

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Gemma Narren schauen     In diesem Spital stand nur die Behandlung und, wenn möglich, Heilung der Kranken im Mittelpunkt, keinesfalls war je daran gedacht, die Geisteskranken einem neugierigen Publikum vorzuführen (wie es in anderen Städten sogar gegen Bezahlung vorkam). Aber die lieben Wiener, neugierig und sensationslüstern, erkletterten sogar die Außenmauern, um in die Zellen zu schauen. Nur tobende Gefangene waren dort eingesperrt, die anderen konnten sich – wie in einem normalen Krankenhaus – frei bewegen. 1859 wurde der Narrenturm als Spital aufgelassen. Seither gehört er zur Universität Wien (die einen Großteil des ganzen alten AKH als Campus benützt).

 

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Alles neu, alles modern     Man hat ohne die üblichen Sparauflagen für die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes gesorgt und zeigt den Museumsteil nun in 19 modern gestalteten Ausstellungsräumen. Geschichte, Entwicklung, Bauzerfall und Sanierung des Gebäudes selbst sind ein Teil der Ausstellung. Im übrigen geht es um Dokumentation und Erforschung von Krankheiten. Zentraler Bestandteil ist dabei natürlich die Sammlung von Präparaten. Früher wurden sie noch von Medizinstudenten genützt, heute übernimmt dergleichen Information der Computer. Obwohl es darum geht, in Glasbehältern „Abnormitäten“ (Beispiele für abweichende Entwicklung vom Normalzustand) aufzubewahren, geht man jedem Voyeurismus tunlichst aus dem Weg. Es gibt es viel flankierendes und erhellendes Material zur Medizingeschichte in Form von Schautafeln, Büchern oder Stichen oder auch Apparaten.

Schwerpunkte     Mit vielen Wandtexten werden die Schwerpunkte der einzelnen Räume auch einem Publikum näher gebracht, das keine Vorbildung dazu besitzt. Fünf Räume zu Beginn dokumentieren die Geschichte der Sammlung und der Pathologie selbst bis heute. In sechs weiteren Räumen werden Themen wie Entzündungen, Infektionen oder Tumore behandelt. Weitere sieben Räume befassen sich dann mit Krankheiten der einzelnen Organsysteme

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Volkskrankheit Tuberkulose   Ein eigener Raum zum Themenbereich „Infektionen“ gilt der Tuberkulose, und bei den Geräten, mit denen die Kranken früher gequält wurden, fühlt man sich gleich an Thomas Manns „Zauberberg“ erinnert. Zwei Textheftchen zu den Opern „La traviata“ und „La Boheme“ schlagen den Bogen zur Kunst – Violetta und Mimi, zwei der berühmtesten Heldinnen der Operngeschichte, sterben an Tuberkulose.

Allgemeiner Überblick   Vermutlich werden sich Besucher vor allem auf die Themen genauer einlassen, die sie aus irgendeinem Grund persönlich interessieren (etwa Probleme mit Gelenken?). Tatsache aber ist, dass man einen Überblick über Ursachen, Ausprägungen und Behandlungsmethoden von Krankheiten erhält, eine historische Übersicht, die ein Thema behandelt, das leider immer aktuell ist, solange sich Menschen mit ihren unvollkommenen Körpern plagen müssen…

Narrenturm
Spitalgasse 2, 1090 Wien, im Hof 6 des alten AKH
Pathologisch-anatomische Sammlung
Öffnungszeiten:
Mittwoch: 10:00 bis 18:00 Uhr
Donnerstag und Freitag: 10:00 bis 15:00 Uhr
Samstag: 12:00 bis 18:00 Uhr
ausgenommen Feiertage
Es gibt ein Kombi-Ticket mit dem Naturhistorischen Musem

 

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