Fotos: Copyrights: Karl Forster
WIEN / MusikTheater an der Wien:
DIE FLEDERMAUS von Johann Strauss
Eigene Spielfassung des Hauses
Premiere: 4. Oktober 2025
Herheim, Habsburg, Heckmeck
Im Theater an der Wien steht „Die Fledermaus“ von Johann Strauss (1874 in ebendiesem Haus uraufgeführt) auf dem Programm, aber man muss sich als Publikum darüber im Klaren sein, dass man eine „Fledermaus“ der anderen Art geboten bekommt. Schon die ersten Töne machen stutzig – das ist nicht die bekannte Ouvertüre, das ist… Beethoven. Wenn sich zur Florestan-Arie der Vorhang hebt und man ein Gefängnis sieht, weiß man, dass das ja eigentlich im dritten Akt stattfindet. Und wenn dann Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich erscheint und das Publikum conferierend nach und nach wissen lässt, dass er zum Frosch geworden ist… dann ist klar, dass wenige Steine auf den anderen bleiben.
Das liegt natürlich an der Regie. Stefan Herheim, Chef des Hauses und hoch geschätzter Regisseur, kennt die „Wiener Tradition“ der „Fledermaus“ möglicherweise gar nicht, und wenn, hat er sicherlich nichts damit am Hut. Die über Generationen tradierten, fest geschriebenen Pointen darf man also nicht erwarten – das „Anderssein“ ist Programm… Vor allem aber ist Herheim ein Mann, der in seine Inszenierungen immer eine Meta-Ebene einzieht, er erzählt immer noch eine Geschichte dazu. Und diesmal ist es offenbar jene vom Untergang des Habsburger-Reichs.
Operette also auch als politische Fabel. Franz Joseph als tragikomische Gestalt, ungemein aufgewertet, in allen Akten präsent, immer wieder vor sich hin lamentierend. Vor allem nach seiner Sisi (da erklingt sogar eine Phrase des „Elisabeth“-Musicals). Das geht so weit, dass Rosalinde (mit den Sisi-Sternen im Haar) den Csardas bei Orlofsky in einem Kostüm singt, das der Krönungsrobe von Elisabeth zur Königin von Ungarn nachempfunden ist (und da darf ihr ein verzückter Franz Joseph auch unter den Rock kriechen)… Was der Sisi-Kummer von Franz Joseph mit der „Fledermaus“ zu tun hat, weiß man allerdings nicht.
Dennoch, Habsburg-Nostalgie ist es nicht geworden, auch nicht wirkliche Habsburg-Kritik (und textlich nicht sonderlich erhellend), eher ein historischer Klacks, aber Herheim geht noch weiter. Da steht bei Eisenstein ein neunarmiger Leuchter auf dem Tisch. (Eisenstein? Ein jüdischer Name?) Da bringt Adele statt des bestellten Abendessens einen Schweinskopf. (Warum? Ist sie eine Antisemitin?) Und Dr, Falke erscheint mit Hitler-Bärtchen und Nazi-Gehabe. Auch die Tänzer, ursprünglich als „Schani“ (mit Geige) definiert, verwandeln sich kurzfristig in Nazis (erinnert an Viscontis „Die Verdammten“). Am Ende gibt es noch Soldaten in faschistischen Uniformen. Man kann auch über-interpretieren.
Abgesehen von der politischen Tünche begibt sich ein verfremdetes, durch und durch ironisch aufgefasstes Geschehen in einerseits geraffter, andererseits allzu angereicherter Form. Weil Rosalinde hier offenbar einmal Sängerin und Alfreds Partnerin war, hanteln sich die beiden im ersten Akt von einem angesungenen Opernduett zum nächsten, ob Tristan und Isolde, ob Traviata und Alfredo, ob Chenier und Madeleine… Man könnte es für ein Opern-Quiz halten, wobei es in Wien nicht viele Verlierer gäbe, denn die meisten Zuschauer kennen vermutlich ohnedies alles, was da geboten wird (ist ja auch populär genug). Nur geht, wenn man etwas überspannt, der Witz verloren. Regisseure haben ihre Ideen – aber nicht immer die Ökonomie der Ausführung…
Stefan Herheim hat sich selbst das Bühnenbild geschaffen, in den beiden ersten Akten ist (nach dem kurzen Gefängnis-Beginn) der Hintergrund der Drehbühne – das Theater an der Wien mit seinem Logenrund. Schon oft dagewesen, diese Spiegelung des Spielorts. aber doch wirkungsvoll. Erst im dritten Akt baut Herheim ein so aufwendiges Gefängnis, als hätte er Hogarth-Stiche als Vorlage gewählt, alles ist überfüllt hier (der Chor ist von Ballgästen zu Gefangenen mutiert), der Kaiser als Frosch muss treppauf, treppab laufen.
Auf die Handlung des Werks hat sich Herheim sozusagen nur peripher eingelassen, immer spielt anderes eine größere Rolle, im ersten Akt der Opern-Quiz, im zweiten Akt (die Pause wurde übrigens mitten in diesen gelegt) vor allem das Ballett. Sechs Herren im Look von Johann Strauss (gelegentlich mit Geige) ersetzen riesige Tanzensembles, sind in ihrer Beweglichkeit, ihrem Witz, ihrem stupenden Können wirkungsvoller als alles andere (Choreografie Beate Vollack) – das gehört zu den effektvollsten Passagen des Abends.
Dieser ist natürlich wie bei Herheim immer technisch u nd logistisch hervorragend gearbeitet, wenn sich die Sänger in diesem wahnwitzigen Heckmeck auch durchwegs überdreht wie in einem Narrenhaus gebärden müssen. Da sie es durchhalten, da sie dem irren Tempo (und auch den immer wieder eingelegten Tanzschritten) durchwegs gewachsen sind, gehen sie kreischend in den Untergang, den der Kaiser beweint und den das „Volk“ immer wieder einmal darstellen muss, indem es wie tot auf den Boden sinkt… Ein bißchen überdeutlich ist er schon, der Stefan Herheim.
Hulkar Sabirova haben wir letzten Silvester in der Wiener Staatsoper als Rosalinde gesehen, und da war sie nicht annähernd so überzeugend wie diesmal. Eine Sängerin, die schier unerschöpfliche Kräfte an Stimmpotential und darstellerischer Spannung hat, komisch, souverän, witzig, diese Rosalinde war die Heldin des Abends, was eher selten vorkommt.
Eisenstein (gegen die Wiener Bariton-Tradition) ist hier ein Tenor, und Thomas Blondelle lieferte sich mit dem Alfred von David Fischer wahre Duelle an Schmettertönen und guter Laune. Alina Wunderlin (die mancher Wiener Opernfreund vielleicht schon an der Volksoper gesehen hat) musste zwar, wie alle, darstellerisch schamlos überdrehen, aber zu ihrem geradezu wilden Koloraturgesang passte das bestens. In Ines Hengl-Pirker hatte sie übrigens eine unübersehbare und unüberhörbare Schwester Ida, schrille Proletenmädchen, so luxuriös man sie auch anzieht. Etwas unter den Möglichkeiten ihrer Rollen blieben Jana Kurucová als Orlofsky, Leon Košavić als Falke und vor allem Krešimir Stražanac als Gefängnisdirektor, dem man allerdings so gut wie alle seiner Pointen gestrichen hat. Alexander Kaimbacher darf als Dr. Blind erwähnen, dass es „politisch nicht korrekt“ ist, ihn auf sein Stottern anzusprechen…
Und da ist die neue Hauptfigur des Abends, der Kaiser, der nicht wirklich tragisch und nicht wirklich komisch, aber sehr präsent ist. Offenbar hat man in vielen Josefstädter Jahren, da man Alexander Strobele stets in Nebenrollen vorbeihuschen sah, diesen Schauspieler nicht wirklich wahrgenommen. Strobeles Großleistung ist, dass er die Figur des Kaisers nicht wirklich preisgibt, aber auch nicht zum rührenden „Weißen Rössl“-Kitsch macht. Manches könnte sprachlich prägnanter und präziser sein, aber im Ganzen könnte man diese erfundene Rolle (wenn sie denn schon sein muss) nicht viel besser machen.
Meisterlich, um es noch einmal zu erwähnen, die sechs Tänzer, (Samir Bellido, Federico Berardi, Roberto Calabresem, Blaž Cunk, Yannick Neuffer,Alberto Terribile) desgleichen wie immer der Arnold Schoenberg Chor (Leitung: Erwin Ortner), und Dirigent Petr Popelka legt mit den Wiener Symphonikern oft ein atemberaubendes Tempo vor. Besonders bemerkenswert scheint, wie hier die Ironie der Inszenierung in den musikalischen Ausdruck umgesetzt scheint. Der Unterhaltungswert des Abends geht auch von dem riesigen Orchester aus.
Am Ende gab es viel Applaus. Aber da er das Original des Werks doch eher vernachlässigt hat, mischten sich auch kräftige Buh-Rufe für den Regisseur in das Klatschen des großteils ja doch hoch vergnügten Publikum. Eine „Fledermaus“ der anderen Art, wie gesagt.
Renate Wagner