WIEN / Kammerspiele der Josefstadt:
MISS SCROOGE – EIN WEIHNACHTSMÄRCHEN
Von Werner Sobotka und Niklas Doddo nach Charles Dickens
Uraufführung
Premiere: 16. November 2024
Bah Humbug?
Für Englisch sprechende echte Theaterliebhaber war es seit den achtziger Jahren bis 2011 Tradition, zur Weihnachtszeit in das International Theatre von Bill und Marilyn Wallace in die Porzellangasse zu kommen und alljährlich, immer neu und immer gleich schön, eine Aufführung von „A Christmas Tale“ von Charles Dickens zu sehen (2012 wurde das Theater geschlossen, der bekannte Kahlschlag der Wiener Kulturverantwortlichen, der auch andere – Wiesner, Haspel und Co – killte).
Man konnte sich nicht daran sattsehen, wie der hartherzige Ebenezer Scrooge durch drei Geister der Weihnacht in die Vergangenheit, die er verdrängt hat, in die Gegenwart, von der er nichts weiß, weil er sich nicht um seine Mitmenschen kümmert, und in die Zukunft, die ihm seinen eigenen Tod voraus sagt, geführt wird (der Schreck wirkt dann in Richtung Läuterung…)
Das „Bah Humbug“, mit dem der alte Scrooge alles abtut, was gut und schön ist (Weihnachten vor allem) ist nicht nur ein berühmter Ausspruch der englischen Literatur, sondern bleibt unvergessen im Ohr.
Nun gibt es diese Weihnachtsgeschichte von 1843, die im Grunde Dickens‘ harte Abrechnung mit der Kapitalisten-Mentalität seines heimatlichen Viktorianischen England war, als neu bearbeitete Uraufführung in den Kammerspielen der Josefstadt. Natürlich „zur Weihnachtszeit“ und in die Hände eines Mannes gelegt, der schon oft seine Fähigkeiten bewiesen hat. Darum möchte man Werner Sobotka und seinem Mitautor Niklas Doddo auch nicht vorwerfen, dass die „Verweiblichung“ der männlichen Figuren nur ein plattes Zugeständnis an den Zeitgeist ist (wenn auch etwas davon drinstecken wird – ganz ist der Genderwahn ja noch nicht abgeklungen, siehe im Burgtheater, wo der Eingebildete Kranke oder Liliom sinnlos das Geschlecht gewechselt haben…).
Fotos: Theater in der Josefstadt
Aber die uralte Rollenverteilung, die Männern den Verstand, den Frauen die Gefühle zugesprochen hat, funktioniert ja längst nicht mehr. Warum soll nicht eine Frau so gnadenlos geldorientiert, so fies in ihrem Verhalten gegenüber Abhängigen sein wie ein Mann (das Leben lehrt uns dauernd, dass das möglich ist). Also passt Miss Srooge durchaus in das Konzept dieser Komödie, die nicht wirklich weh tun will – ist ja bald Weihnachten.
Miss Scrooge führt ein Modehaus und schikaniert ihre Angestellten. Wenn sie mit dem Geist der Weihnacht in die Vergangenheit driftet, haben die Autoren weiter ausgeholt als üblich, um zu zeigen, wie aus der sympathischen, buchhalterisch hoch begabten jungen Frau die eiserne Kapitalistin werden konnte, die ihr privates Glück geopfert hat. Nach der Pause läuft die Geschichte durchaus zu Recht schneller (es sollen ja auch Kinder hinein gehen, und da sind zwei Stunden inklusive Pause eine ideale Länge).
Maria Köstlinger schafft das Kunststück, sich scheußlich zu benehmen und dennoch das Gefühl zu vermitteln, dass sich Miss Scrooge, die einmal eine Bessere war, in ihrer Rolle nicht ganz wohl fühlt. Das macht die Wandlung glaubhafter.
Um ihre Figur zentriert sich alles, die anderen Darsteller müssen sich dauernd verwandeln (was etwa André Pohl besonders gut gelingt), dürfen zwischen herzlich, sentimental oder skurril alle Register ziehen – Martina Stilp, Paula Nocker, Susanna Wiegand auf der Damenseite, Paul Matić (der als Jacob Marley reichlich verwest aus dem Grab steigt), Julian Valerio Rehrl (für sympathische junge Männer zuständig), Markus Kofler und Jakob Elsenwenger.
Der Autor Werner Sobotka hat dem Regisseur Werner Sobotka und den Bühnenbildnern Judith Leikauf und Karl Fehringer viel abverlangt, die kleine Bühne der Kammerspiele muss sich nicht nur dauernd verwandeln, sondern auch alle möglichen technischen Tricks spielen. Es gelingt zufriedenstellend.
Am Ende hat Dickens‘ alte Weihnachtsgeschichte erzählt, was sie lehrstückartig aussagen will: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Besinnlichkeits- und Wohlfühltheater. Und das in der Josefstadt des Herbert Föttinger. Man glaubt kaum, dass der Geist der Weihnacht auch über ihn gekommen sein könnte… Bah Humbug?
Renate Wagner