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WIEN / Josefstadt: EIN DEUTSCHES LEBEN

Mitlaufen, überleben…

19.12.2025 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

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Foros: Theater in der Josefstadt 

WIEN / Josefstadt:
EIN DEUTSCHES LEBEN von Christopher Hampton)
Premiere: 18. Dezember 2025,
besucht wurde die Generalprobe

Mitlaufen, überleben…

War Brunhilde Pomsel wirklich die „Sekretärin von Joseph Goebbels“ oder nur eine Angestellte von vielen  im Propagandaministerium des Dritten Reichs? Jedenfalls war sie den zentralen Figuren dieser Zeit nahe genug, dass die Russen sie nach dem Krieg zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilten und Zeitgeschichtler danach um ihre Augenzeugenberichte einkamen.

Brunhilde Pomsel, geboren 1911, hat vor ihren Tod 2017 (sie erreichte ein historisches Alter) dann doch noch gesprochen. Der britische Dramatiker Christopher Hampton hat diese Aufzeichnungen in einen überzeugenden Monolog gegossen. Andrea Breth hat ihn hervorragend für die Bühne realisiert. Das Theater in der Josefstadt hat damit keinen gemütlichen, aber einen wichtigen Theaterabend zu bieten.

Lore Stefanek sitzt auf der Bühne, eine gepflegte alte Dame, unsagbar „deutsch“. Sie erzählt ohne weitere Emotion, gänzlich ohne Sentimentalität, aber auch ohne weiteres Schuldbewusstsein ihr Leben. Sie hatte als Tochter armer Leute, zu preußischer Disziplin erzogen,  wenig entscheiden können. Dass sie, von Job zu Job aus eigener Tüchtigkeit aufsteigend, bei den Nazis gelandet ist, war nicht ihr Wille. Am Ende arbeitete sie eben im Propagaganda-Ministerium – mit Goebbels will sie kaum je  gesprochen haben. Für Sekretärinnen interessierte sich dieser nicht.

Niemand stellt in diesem Monolog Brunhilde Pomsel Fragen, und doch beantwortet sie manche. Dass in den Konzentrationslagern die „maschinelle“ Massenvernichtung von Juden stattfand, will sie erst nach dem Krieg erfahren haben (was viele Deutsche behaupteten). Dass sie sich um ihre jüdische Freundin Eva Loewenstamm nicht weiter gekümmert hat, als dieser es in der fortschreitenden Nazi-Herrschaft schlechter und schlechter ging, räumt sie ein. Das war ihre Sünde und die vieler Deutscher: „Wir wollten es gaar nicht so genau wissen.“ Wo da die Grenzen zwischen aktiver Schuld und selbsterhaltendem Mitläufertum lagen… das muss jeder für sich beantworten. Die daraus zu ziehende Lehre gilt für jedes totalit#re Regime: Nur wer widerstandslos mitläuft, schweigt und sich duckt, hat Chancen zu überleben.

Die gloriose Leistung der 82jährigen Lore Stefanek besteht nicht nur in der stupenden Gedächtnisübung, die sie abliefert. Es ist ihre Konzentration auf ein selbstverständlich erzähltes Schicksal, die permanent fesselt. Und die Inszenierung, die Andrea Breth mit Meiserhand darum baute.

Diese Andrea Bregh war nach Peymann drei Direktionen  lang (von 1990 bis 2019, Intendanzen Bachler, Hartmann, Bergmann) mit zahlreichen Inszenierungen ein fixer Bestandteil des Burgtheaters. Dann kam Kusej, und die Verbindung riß total ab. Herbert Föttinger hat manchen irrenden Burg-Star (von Peymann bis Volksopern-Robert Meyer, der nicht an die Burg zurück durfte) bei sich aufgefangen. Nun darf die Breth an der Josefstadt wieder zeigen, was sie kann. Wie man den Monolog mit Musik unterbricht, aber nicht stört – leise, fast diskret werden Lieder der Zeit gesungen, als flüsterten im Hintergrund die originalen Comedian Harmonists. Stimmung, die stärker wirkt als jede vordergründige Propaganda.

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Und da irrlichtert im Hintergrund auch noch eine Frauenfigur im Hintergrund – Andrea Clausen, die man seit Jahren auf unseren Bühnen vermißt. Wer sie jeweils sein soll (einmal, inmitten ihrer toten Kinder, zweifellos Magda Goebbels) ist nicht gänzlich klar, Brunhilde Pomsel wohl nicht, dazu ist sie zu großbürgerlich. Ein anderes Frauenschicksal im Dritten Reich eben. Faszinierend.

Natürlich bietet der Abend nichts Neues, man hat so viel davon gehört und gesehen. Geht uns diese historische Geschichte also noch etwas an? Grundsätzlich natürlich, denn sie wiederholt sich unaufhörlich. Zweifellos gibt es Tausende Menschen (und wohl mehr) in Rußland, die den Ukraine-Krieg ablehnen. Würden sie es laut sagen, müssten sie Jahre ihres Lebens in Gefangenschaft verbringen (und dies vielleicht nicht überleben). Nicht jeder heißt Scholl, nicht jeder heißt Nawalny und ist bereit, für seine Überzeugung zu sterben.

Aus der Geschichte lernen, heißt nicht, dass man sich ais den Zwängen des Gegebenen wirklich befreien kann. Das „deutsche Schicksal“ wiederholt sich immer und immer – allerorten. In der Josefstadt wird man daran erinnert. – so wie in der Realität.

Renate Wagner

 

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