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WIEN / Josefstadt: DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE

Wie Politik funktioniert…

04.09.2025 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

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Fotos: Theater in der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt: 
DIE SCHMUTZIGEN HÄNDE von Jean-Paul Sartre
Premiere: 4. September 2025.
besucht wurde die Generalprobe

Wie Politik funktioniert…

Jean-Paul Sartre (1905-1980), zu seinen Lebzeiten weltberühmt, als Nihilismus-Philosoph bewundert und mit seinen Theaterstücken viel gespielt, hat es kaum ins 21. Jahrhundert geschafft. Mit Ausnahme der „Geschlossenen Gesellschaft“ im Burgtheater hat man seit Jahr und Tag kein Stück von ihm auf einer Wiener Bühne gesehen. Und nun überrascht die Josefstadt zu Saisonauftakt mit seinen einst so bekannten „Schmutzigen Händen“.

Und das nicht, weil Regisseur David Bösch verkündet hat, das Werk sei spannend wie ein Netflix-Thriller, so tief muss man wirklich nicht sinken. Vielmehr erweist sich ein Polit-Drama, das sich einst um den Kommunismus als Ideal und Ideologie drehte (und um die Unvereinbarkeit von beiden Ansätzen), als durchaus aktuelle Parabel über Politik und Parteipolitik, über Idealismus und Pragmatismus, über den Opportunismus jener, die Politik machen, und den Mißbrauch einer Jugend, die dermaßen gnadenlos einseitig indoktriniert und gehirngewaschen wird, dass sie nicht mehr imstande ist, dialektisch zu denken und andere Standpunkte auch nur diskutieren zu wollen. Das alles klingt ungeheuer heutig – und ist es auch. Man kennt solche Bilder aus der Gegenwart, ob es junge Rechte, junge Linke, junge Islamisten sind, die mit ihrer Radikalität unser heutiges Leben bedrohen.

Das Stück, das in einem fiktiven „Illyrien“ während des Zweiten Weltkriegs spielt, stellt zwei klassische Typen gegen einander: Hugo ist der junge Idealist des Kommunismus, der daran glaubt, dass man nichts davon preisgeben darf, woran man glaubt – und der dafür zu jeder Radikalität, bis zum Mord, bereit ist. Hoederer ist der Mann, der seit Jahren Politik im Rahmen der Partei macht und weiß, dass man zu allen schmutzigen Kompromissen bereit sein muss, auch wenn sie „Verrat“ an der reinen Lehre bedeuten. Schließlich geht es in der Politik immer nur um eines – Machtgewinn und Machterhalt. Das erlebt man in unserer Welt jeden Tag, und darum erzählt uns der alte Sartre bis heute gültig, wie Politik funktioniert… nämlich unglaublich schmutzig.

Jean-Paul Sartre hatte ein politisches Anliegen und diskutiert es (manchmal zu ausführlich) in dem Stück, aber er hatte auch eine Theaterpranke. Was sich hier abspielt, führt die Theorie in die Lebendigkeit von Charakteren über, wobei es auch stark um „Cherchez la femme“ geht, was teilweise eine Schwäche des Stücks ist. Nebenfiguren wie mit allen Wassern gewaschene Politiker jeder Couleur, wie Befehlsmarionetten agierende  Leibwächter, skrupellose, mordbereite Idealisten schaffen das Milieu um die drei Hauptfiguren.

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Ein Bühnenbild von Patrick Bannwart stellt für Regisseur David Bösch eine trostlos grau-düstere Welt auf die Drehbühne, und hier wird die Story klar und übersichtlich erzählt, wie sie es verdient (nur auf die Musik hätte man verzichten können, selbst, wenn sie von der Piaf kommt, und schon gar, wenn nicht die Piaf singt…). Nils Arztmann ist, wie man schon vorige Saison in dem „Vermächtnis“-Marathon-Abend sehen konnte, der neue Jungstar der Josefstadt, der gleicherweise die Überzeugungen und die innere Unsicherheit des jungen Intellektuellen Hugo zeigt, der von der Partei den Auftrag erhalten hat, den Alt-Chef Hoederer zu ermorden – wobei es ja doch nicht so einfach ist, einen Menschen (zumal, wenn man ihn eigentlich schätzt) so einfach in den Kopf zu schießen, auch wenn man Parteibefehle akzeptiert…

Zumal Günter Franzmeier den Hoederer nicht als hässlichen Brutalo-Akteur zeichnet, sondern als einen Mann, der resigniert weiß, wie es in der Politik läuft, und der einfach gewillt ist, das zu tun, was er für nötig hält. Mit wahrhaft souveräner Ausstrahlung zeigt Franzmeier nicht weniger als das nüchterne Gesicht des Pragmatismus.

Problempunkt der Aufführung ist Johanna Mahaffy als Jessica, die Frau von Hugo, die sich in Hoederer verliebt, was begreiflich ist – der ältere Mann hat dem unsicheren Jungen einiges voraus. Aber dadurch erst lässt Sartre die Mordtat geschehen… Sartre  hat Jessica zweifellos als ungewöhnliche, starke junge Frau gezeichnet, aber sicher nicht als ein dermaßen exzentrisch überdrehtes Geschöpf, zu dem sich Regisseur und Darstellerin entschieden haben, wodurch die nüchterne Geschichte etwas unecht Theatralisches bekommt. Wäre diese Jessica eine intellektuellere, ernster zu nehmende  Partnerin, die Geschichte wäre  glaubwürdiger.

Da ist Nanette Waidmann (wie lange ist es hier, dass sie einst am Volkstheater war, aus dem sie sang- und klanglos wieder verschwunden ist?) als ganz selbstverständliche Parteisoldatin zwischen menschlicher Anteilnahme und kalter Mordbereitschaft in ihrer Ruhe weit überzeugender.

Roman Schmelzer und Michael König (dieser ein wenig leblos) verkörpern glatte, unerfreuliche Politiker-Typen, Alexander Absenger (noch vor kurzem das interessanteste Gesicht der Josefstadt, jetzt in eine Nebenrolle abgeschoben) und Oliver Rosskopf geben die gesichtslosen, aber gefährlichen Befehlsempfänger.

Am Ende war es glücklicherweise keine Netflix-Story, sondern eine Polit-Diskussion. Und die kann man in unserer Welt gar nicht oft genug führen. Dialektisch, nicht einseitig.

Renate Wagner

 

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