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WIEN / Josefstadt: DER BOCKERER

17.10.2021 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

bockerer plakat
Fotos: Theater an der Josefstadt

WIEN / Theater in der Josefstadt:
DER BOCKERER von Ulrich Becher und Peter Preses
Premiere: 16. Oktober 2021
Besucht wurde die zweite Voraufführung am 21. Mai 2021

„Der Bockerer“ von Ulrich Becher und Peter Preses war immer ein gutes Stück, und man kann auch nicht sagen, dass etwa ein Schauspieler wie Fritz Muliar die Figur des Wiener Fleischhauers, der sich mit „kleinem Widerstand“ durch die „großen Jahre“ des Dritten Reichs rettet, verharmlost hätte. Dennoch blieb es (auch in den Versionen mit Karl Merkatz) immer vor allem eine „private“ Geschichte zwischen Ernst und Heiterkeit – und fragwürdigem Ende: Wenn man sich 1945 mit dem heimgekehrten Juden Dr, Rosenblatt, dessen erzwungene Abreise man 1938 miterlebt hat, wieder zum Tarockspiel hinsetzt („Ihr Blatt, Herr Rosenblatt!“), dann wird der fatale Eindruck erweckt, es sei sozusagen alles „wieder gut“.

So billig gibt es die neue Inszenierung in der Josefstadt nicht. Der Schweizer Regisseur Stephan Müller, von dem man an der Josefstadt schon sehr Gutes (die „Alte Dame“) und auch sehr Schlechtes (den „Jux“) gesehen hat, packt das Stück so hart an, wie es nur geht – und es erscheint wie neu, mutiger, interessanter, besser als das Original.

Dazu musste allerdings eine Menge szenisch aufgefettet und auch dazu gedichtet werden, um die Nazi-Zeit in Wien tatsächlich in ihrer ganzen, gnadenlosen Härte zu zeigen. Dass dazu wieder einmal Video zu Hilfe genommen wird – in diesem Fall erscheint es (außer gelegentliche Übertreibungen auf die Gesichter der Darsteller gezoomt) sinnvoll. Es gibt genug Grausamkeit auf der Bühne selbst zu sehen, der Rest kann ruhig verfremdet herein-„lichtern“.

Jedenfalls erliegt die optisch spartanische Aufführung (Bühnenbild und Video Sophie Lux / Kostüme Birgit Hutter) keinesfalls der möglicherweise verführerischen Nazi-Ästhetik (das ist immerhin vielen Leuten, von Joachim Fest bis Luchino Visconti, passiert), man muss nur zähneknirschend die rhythmische Kraft des „Badenweiler“, Hitlers Lieblingsmarsch, anerkennen (Musik Nikolaj Efendi). Nur dass Herr Rosenblatt, der schließlich als Amerikaner zurückkehrt, dies zu britischen Tipperary-Tönen tut („It’s a long way…“), verwirrt ein wenig an der Musikdramaturgie. Wenn Bockerer übrigens die Rote Fahne schwingt und die „Internationale“ erklingt, klatscht das Josefstädter Publikum. Beklatscht es eine wirkungsvolle Szene oder eine Ideologie?

Wie dem auch sei, nichts an diesem „Bockerer“ ist mehr gemütlich, der Humor des Stücks spielt eigentlich keine Rolle mehr, weil die hinterfotzige Hintergründigkeit fehlt. Aber der gerade Weg des Fleischhauers, den Johannes Krisch als – oft und oft brüllender – Wutbürger seiner eigenen Prägung einschlägt, macht eben keine verlängerte Wiener Kasperlfigur, sondern einen Tragöden aus dem Mann, der wahrlich genug zu erleiden hat und es noch nie so intensiv tun musste wie hier.

bockerer 8sieg heil

Auch die Naivität seiner Frau ist uns kein Lächeln mehr wert, Ulli Maier spielt viel mehr die Ratlosigkeit, die zur unreflektierten Anpassung führt. Stark und laut poltert Tobias Reinthaller als der Sohn, der sich bei den Nazis endlich fühlen darf, als sei er „wer“ – zweifellos ein Motiv für viele, sich in die marodierenden Horden einzureihen.

Die Inszenierung hat auch Schwächen, das Verhör Bockerers durch Gestapo-Mann Dr. von Lamm (Ulrich Reinthaller , doppelt besetzt, weder hier noch als Dr. Rosenblatt überzeugend – man glaubt ihm einfach nicht den Mann, der mit einem Bockerer tarockieren würde) gerät ganz daneben. Der Abend, aufgebläht durch stimmungsmäßig zweifellos passendes dokumentarisches Material, wird gegen Ende immer länger und weniger überzeugend, bis er den üblichen Zeigefinger hebt, den man in der Ära Föttinger (ja, dieser Direktor hat etwas zu sagen) so oft erlebt hat. Hütet Euch, sagt der Bockerer (dann akustisch leider nicht sehr verständlich) ins Publikum, die versöhnende Kartenpartie fällt aus, und das ist gut so. Denn, wie schon erwähnt, nach sieben Jahren Terror so zu tun, als sei man unbeschädigt davon gekommen, das war zwar immer ein effektvoller Theaterschluß, aber fragwürdig.

Die Inszenierung ist letztendlich so laut und überbordend, dass für die Schauspieler wenig Platz bleibt. Martin Zauner etwa darf als der „rote“ Eisenbahner, der gewissermaßen versucht, sich zu verstecken und doch in die Netze der Nazis gerät, wenig zeigen. Seine zweite Rolle ist der Verrückte, der sich als Hitler ausgibt – man hat bessere gesehen, bei ihm bekommt man keine Gänsehaut. Als Hatzinger, der bei den Bockerers wie eine Art unsicherer Hausfreund immer dabei ist, macht Johannes Seilern nicht viel her. Aus den vielen Schauspielern, die gesichtslos vorbei schwimmen, sticht kurz Marcus Bluhm hervor, wenn er einen „bösen Nazi“ gibt (zu dem „guten Nazi“ Harras, den er diesen Sommer in Reichenau spielen sollte, wird es ja nun für ihn wohl nicht kommen).

Hätte man, wie in Wien üblich, Schauspielertheater für den „Bockerer“ machen wollen, hätte man anders inszenieren (und auch vielfach höher besetzen) müssen. Aber es ging ja darum, eine Geschichte nicht wienerisch vergemütlicht, sondern klar und böse zu erzählen. Und das ist beeindruckend gelungen.

Renate Wagner

 

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