WIEN/ ImPulsTanz:
Nina Laisné, François Chaignaud, Nadia Larcher:
„Último Helecho“
am 19. Juli 2025 im Volkstheater Wien
Als würden sie in einer Höhle nach versteckten (Kultur-) Schätzen suchen. Der 1983 geborene Tänzer, Sänger, Choreograf, Historiker und Forscher François Chaignaud und die argentinische Sängerin und Komponistin Nadia Larcher, die sich ihr Können zur Gänze autodidaktisch beibrachte, folgten der Einladung der Fotografin und Filmemacherin Nina Laisné, um sich gemeinsam mit einem sechsköpfigen MusikerInnen-Ensemble in diesem hier uraufgeführten Werk auf die Spuren südamerikanischer Kulturen und Mythologien zu begeben. Und damit in die Unterwelt.
Aus dem zu Beginn völligen Dunkel lässt die Lichtdesignerin Abigail Fowler langsam nur und schemenhaft den dreiköpfigen Posaunenchor erkennen. Er scheint in der Oberwelt zu schweben. In der Unterwelt erwacht Chaignaud, begleitet vom Bandoneon. Dunkel ist es vorherrschend, denn mit der Eroberung durch die Europäer begann eine dunkle Zeit für die Ureinwohner. Fowler spielt geschickt mit den zwei Welten (Ober und Unterwelt, Europa und Südamerika), separiert und verbindet sie, setzt die Akteure in heimeliges und unheimliches Licht, schafft düstere Stimmungen und mystische Orte.
Das illusionistische Bühnenbild von Nina Laisné selbst zeigt eine riesige flache Felsplatte, die auf Felsbrocken und einer Säule, geschmückt mit in europäischer Architektur beheimateten Ornamenten, ruht. Diese jedoch ist, wie sich später zeigt, als sie fällt, kein tragendes Element. So wie die Kultur der europäischen Konquistadoren keines war für die fortlebenden einheimischen Kulturen. Auf das Plateau führt hinten eine gebogene Treppe, häufig benutzt von den acht auf der Bühne für die Wanderung zwischen den Welten.
François Chaignaud, seit gut 20 Jahren regelmäßiger Gast bei ImPulsTanz, ist bekannt und hoch geschätzt für seine tänzerische Qualität und als wunderbarer Sänger, der aus dem Falsett nur selten in die Bruststimme fällt. Nadia Larcher, deren gefühlvolle Interpretation südamerikanischen Liedgutes, ob Pop oder traditionell, sie berühmt gemacht hat, und deren warme, ausdrucksstarke Stimme zu hören ein Ereignis ist, singt und tanzt zuweilen auch mit langsamen, expressiven Moves. Kernstück ihrer Performance aber ist ihr Gesang, getragen von Schmerz, Sehnsucht und Melancholie.
Die beiden sind in Kostüme gekleidet, die sie zwischen Leben und Tod, zwischen belebte und unbelebte Natur, zwischen Ober- und Unterwelt stellen. Geschmückt mit auch goldenem Zierrat liegen Rückgrat und Teile des Fleisches frei, partiell mit farbigen, mineralisch wirkenden Flecken besetzt. Später tragen sie für ein im Obergeschoss präsentiertes Duett auch riesige, wertvolle Mineralien abbildende Steine auf dem Kopf und Goldadern am Arm. Symbole für den Reichtum des Kontinentes, brutal ausgebeutet von den europäischen Eroberern. An Hohepriester erinnernde breitschultrige Umhänge und Perücken machen sie zu geistig-religiösen Bewahrern im ungleichen Kampf mit den Eroberern.
Die sechs Musiker spielen in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Die zwei Tenor- und eine Bass-Posaune beginnen. Serpent (ein historisches Blechblasinstrument, gewunden wie eine Schlange) und Flöte, Huacrapuco (ein kreisförmig gewundenes, aus Rinderhorn gefertigtes historisches Blasinstrument aus den peruanischen Anden), Bandoneon, Theorbe (eine 14-saitige, europäische Schalenhalslaute aus dem späten 16. Jh.), Sachaguitarra (eine „Mandolinen-Gitarre“) und traditionelle Perkussionsinstrumente kommen später hinzu. Alle sechs MusikerInnen erhalten Raum, ihr beeindruckendes Können zu präsentieren.
Der musikalische Charakter der Kompositionen lässt südamerikanische und barocke Wurzeln vermuten. Variantenreich arrangiert den Gesang begleitend oder rein instrumental, die konzertante Komponente dieses Stückes für sich ist bereits ein Erlebnis. Der Tanz zitiert, so das Programmheft, unter anderem Zambas, Chacareras oder Huaynos. Später vermeint man in der sich energetisch anreichernden Choreografie auch von François Chaignaud fulminant getanzte Flamenco-Elemente zu sehen.
Neben der Musik erzählt das Stück auch hiermit von der engen Verbindung südamerikanischer und europäischer Kulturen. Aber auch, er tanzt stampfend in goldenen Stiefeln, von der (Gold-) Gier der Spanier und dem unendlichen Leid, das diese über die indigene Bevölkerung brachten. So treffen sich in einer abwechslungsreich gestalteten, die einzelnen Musikstücke fließend miteinander verbindenden Choreografie Tanz, Gesang und Instrumentalmusik.
Bedauerlicher Weise werden zur Musik keinerlei Informationen (bez. Kompositionen, Arrangements, Texte, Entstehungs-Ort und -Zeit) geliefert, weder im Programmheft noch während der Performance. Übertitel mit den übersetzten, weil nur spanisch interpretierten Songtexten wären ein wünschenswertes Minimum. Einzig zum Titel („Der letzte Farn“) gebenden Lied erfährt man, dass es von der peruanischen Ikone Chabuca Granda stammt. Darin begräbt sie sich selbst und wird von Farm umarmt. Wem romanische Sprachen, vielleicht sogar das Spanische, nicht ganz fremd sind, entnimmt den mit so viel Inbrunst gesungenen Texten, dass es vielfach um Sterben geht und Tod. Die Lieder könnten damit das Leid der Ureinwohner, ihnen gebracht von den Europäern, verarbeiten.
Die Bildsprache des Sujets ist ungemein poetisch. Die mit barocken Posaunenklängen daherkommenden europäischen Eroberer schrecken eine in sich ruhende, von Jahrhunderte alten Traditionen geprägte Kultur auf, greifen mit Gewalt nach deren Schätzen und gefährden mit Christianisierung und Ignoranz die Kulturen der widerständigen Indigenen, welche durch den respektvollen, wertschätzenden Forscher- und Bewahrergeist von Vertretern eben jener Europäer für diese entdeckt und in die Welt hinausgetragen werden.
Ganz ohne Wissen um Schöpfer und Inhalte wird man als Zuschauender geradezu gezwungen, seine emotionalen Rezeptoren zu benutzen, um die so sensibel miteinander agierenden KünstlerInnen auf der Bühne und das von ihnen Präsentierte wahr- und aufzunehmen sowie den morbiden Charme dieses fantasievoll-poetischen, gefühlvoll-meditativen Stückes, die regionale und zeitliche Exotik von Tanz, Gesang und Musik und seine historisch-politische Dimension auf sich wirken zu lassen. Mit nach dem abrupten Ende sofort einsetzendem Jubel bedankte sich das ausverkaufte Haus für dieses kostbare Geschenk.
Rando Hannemann