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WIEN / Drachengasse: JENSEITS VON FUKUYAMA

08.03.2016 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

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Foto: Drachengasse / Andreas Friess

WIEN / Drachengasse:
JENSEITS VON FUKUYAMA von Thomas Köck
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 7. März 2016,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 8. März 2016

Fünf Personen haben zwar nicht das bekommen, was man im konventionellen Sinn ein Stück nennen kann (und wenn es eines wäre, lässt es die Inszenierung nicht erkennen), aber zumindest einen verdammt starken Text. Der gerade einmal 30jährige Oberösterreicher Thomas Köck hat schon mehr Preise und Förderungen erhalten als mancher in einem ganzen Leben und erweist sich mit dem „Stück“ – nennen wir es einmal so – „jenseits von fukuyama“ als wort- und denkgewaltiger Dichter. Das jedenfalls vermittelt sich bei der Österreichischen Erstaufführung im Theater Drachengasse in Wien.

Fukuyama könnte mit „Fukushima“ verwechselt werden (wir sind ja nicht so gut mit den japanischen Namen), aber der „Unfall“, von dem Thomas Köck erzählt, ist nicht der eines Reaktors, sondern der einer Gesellschaft – global gesagt: Der Welt in den Jahrzehnten nach dem Fall der Berliner Mauer. Köck bezieht sich auf den Wissenschaftler Francis Fukuyama, der in seinem berühmten Buch „Das Ende der Geschichte“ kurz nach dem Fall der Berliner Mauer gewissermaßen eine ideale Zukunft voraussagte, befreit von den totalitären Mächten der Vergangenheit, eine Welt, in der sich der Mensch quasi angstfrei würde selbst verwirklichen können.

Was daraus geworden ist, zerlegt Köck eineinhalb Stunden lang in einem wahren Furioso der Gedanken, wobei er alles abzuklopfen scheint, was unsere Zeit ausmacht, immer mit einem bemerkenswerten Blick in die Geschichte der letzten Jahrzehnte (da hat einer gut in der Schule aufgepasst, Entwicklungen selbst wahrgenommen, sich seine eigenen Gedanken gemacht). Zitate von Obama und Frau Merkel fließen ebenso – mit geradezu satirischer Kraft – in den Text ein wie Überlegungen zu allen Zeitgeist-Entwicklungen. Im übergeordneten Sinn (etwa, als man die Sinnsuche aufgab zugunsten des Selbst), aber auch mit scharfem Blick auf die Alltagsrealität – auf das leere Klopfen der Politiker-Sprüche oder auf die Zwänge, denen die jungen Karrieremenschen ausgesetzt sind („Dir brennt der Mund vom falschen Lächeln“), die schon gelernt haben, auf das zu verzichten, was man früher „Leben“ nannte.

Gelegentlich kristallisieren sich Figuren heraus – einer der Männer, den man am ehesten mit dem Autor identifizieren könnte (wenn er auch zu naiv wirkt, was Köck nie ist), wird „Peer“ genannt, und Situationen aus Ibsens „Peer Gynt“ fluschen gewissermaßen durch die Handlung. Ja, und eine Politikerin gibt es, versteht man ihren Namen als „Fekter“ (womit der Autor eine oberösterreichische Landsfrau aufs Korn nähme)? Aber nein, „Frau Dr. Phekta“ heißt sie, versichert das Programmheft, und sie tut Übles sowohl an ihren Mitarbeitern wie auch an den Mitmenschen im allgemeinen. Denn wenn es um österreichische Innenpolitik geht, gerät der Autor in geradezu Thomas Bernhard’sche Wut…

Wenn der Autor in seiner wilden Tour des Force alles zerlegt hat, was zu zerlegen ist, entschuldigt er sich am Ende vor der Geschichte dafür, was so alles schief gegangen ist (und vielleicht das Potential gehabt hätte, gut zu gehen?). Ja, das ist eine gewaltige Predigt, eine flammende politische Philippica, aber auch eine beeindruckende historische Analyse.

Und man würde den Text gerne nachlesen – denn was dem „Stück“ nicht gut bekommt, ist die Inszenierung von Katharina Schwarz, die der Sache offenbar nicht vertraut hat, sie vermutlich zu theoretisch und zu intellektuell fand. Mit dem Ergebnis, dass sie die Darsteller zu ununterbrochenem Schnickschnack verleitet, was eigentlich nur dazu führt, dass man vieles schlecht versteht und man immer wieder von der Essenz des Gesagten abgelenkt wird – abgesehen davon, dass auch möglicherweise erkennbare Handlungsstränge verwischt werden.

Die fünf Darsteller – Pilar Aguilera (die immer glänzend ist, so auch hier), Aleksandra Corovic, Johanna Rehm, Steve Schmidt und Dirk Warme – könnten alle miteinander zu besserer Wirkung kommen, hätte man sie mehr „spielen“ und weniger krampfhaften Unsinn machen lassen.

Einige Zuschauer bröckelten während der pausenlosen Vorstellung, die es dem Publikum nicht leicht macht, ab. Der Rest zeigte sich gebührend beeindruckt.

Renate Wagner

 

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