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WIEN / Burgtheater: GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT

20.02.2022 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / Horn

WIEN / Burgtheater: 
GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT von Jean-Paul Sartre
Premiere: 19. Februar 2022 

Es gab eine voll besetzte Premiere im Wiener Burgtheater, erstens „kochte“ wieder einmal der Chef, und der gibt sich ja immer die besten Zutaten (sprich: Besetzungen). Und zu zwei hauseigenen Hochklasse-Damen stieß follgich Fernseh-Liebling Tobias Moretti, der allerdings gerade für Kusej immer wieder auf die Bretter gegangen ist (und vermutlich mit seiner Popularität den „Rattenfänger“ für die Theaterkasse spielen soll). Gegeben wurde„Geschlossene Gesellschaft“, ein Stück um das die großen Wiener Bühnen stets einen großen Bogen gemacht haben.

Wenn ein Atheist, der mit Sicherheit nicht an Gott glaubt, sich aber durchaus eine Art ewiger Hölle vorstellen kann – ja, dann kommt heraus, was Jean-Paul Sartre  sich in seinem 1944 uraufgeführten Stück „Geschlossene Gesellschaft“ ausgedacht hat.

Darin blüht den drei „Verdammten“ eine Art von ewigem Leben (allerdings ohne die Tröstungen von Schlaf und Essen, nein, ewiges, waches Bewusstsein), wo man den Lebenden noch „zusehen“ kann, so lange sie an einen denken, wo man sich von den eigenen Lebenslügen frei machen muss – wo am Ende die Erkenntnis steht: „Die Hölle, das sind die anderen.“

Denn die undefinierten „Chefs“ des Ganzen (offenbar glauben auch Nihilisten an höhere Mächte, oder sie gebrauchen sie einfach für ein Theaterstück) haben sich für alle Beteiligten Schlimmes ausgedacht, als sie ausgerechnet Joseph, Inès und Estelle zusammen in einem fensterlosen Raum einsperren, aus dem man zwar einmal die Chance bekäme, hinaus zu gehen – aber da lehnen alle drei ab, in der wohl berechtigten Angst, dass dieses Jenseits der Nihilisten für sie noch Schlimmeres bereit haben könnte… Nach diesem Stück kann man nur innig hoffen, dass nach dem Tod bitte, bitte gar nichts kommt.

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Martin Kusej ist, das kann man mit Sicherheit sagen, der Ulrich Seidl des Theaters, einer, der immer das besonders Grausliche, Peinliche, Abstoßende an einem Stück findet, noch über das hinaus, was der Autor geboten hat. Außerdem ist er ein Folterer, nicht nur der Figuren auf der Bühne, sondern auch des Publikums im Parkett. Dass er diesmal das ganze Burgtheater, also auch den Zuschauerraum, in den geschlossenen, von Martin Zehetgruber ganz kahl und schmal gehaltenen Höllenraum verwandelt, das heißt, dass er die Zuschauer (wie es einst auch Peter Zadek getan hat) damit nervt, dass den ganzen Abend das volle Licht brennt (dafür sind es nur zwei pausenlose Stunden). Die Bühne ziert noch ein weißes Phallussymbol – aber hoppla, das ist so genannte „echte Kunst“, das Haus dankt dem Künstler Erwin Wurm für „die Leihgabe der Gurkenskulptur, bei der es sich um ein Original aus der Werkstatt des Künstlers handelt“. Eine dramaturgische Funktion erhält das sicherlich sehr teure Stück allerdings nicht.

Zwei  Stunden, das heißt, dass  Kusej den Einakter nach allen Regeln der Kunst auswalzt und außerdem die Schauspieler immer wieder in den Zuschauerraum schickt (was die Sicht für die Betrachter nicht besser macht). Mehr als die erste Hälfte des Abends besteht aus bewussten, zelebrierten Längen und qualvollen Pausen. Später, wenn es dann nicht nur darum geht, alle Herrschaften ihrer bösen Taten anzuklagen, sondern wo dann auch das grausame Spiel von Machtkonstellationen und dafür eingesetzter Erotik beginnt, dann „seidelt“ Kusej nicht nur mit ausgezogenen Unterhöschen und Sexspielchen, sondern auch unappetitlichen Verrenkungen und Aktionen, mit plötzlichen Ausbrüchen, die oft künstlich wirken, und mit so viel Überdrehung, als wollte er die voran gegangenen Leerläufe einholen. Immerhin wird der Abend dann etwas lauter, schneller und spannender, und es gibt nicht nur existenzielle Verzweiflung, sondern auch Theater.

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Tobias Moretti eröffnet den Darsteller-Reigen, ein Mann, der so zerstört aussieht, dass man ihm gerne glaubt, dass er kürzlich von einem Erschießungskommando hingerichtet wurde. Das Heldentum, das er anfangs vorgibt, zerbröselt allerdings und stellt ihn als Verräter und Feigling aus. Als die beiden Frauen ins Spiel kommen, erweist er sich teils als opportunistischer, zynischer Mitspieler im Bewusstsein seiner „überlegenen“ Männerrolle, sinkt aber bald in Überforderung in sich zusammen. Ein gänzlich uneitles Porträt.

Die beiden Damen, die ihm höhere Mächte zur höheren Qual zur Seite stellen, sind – wie man nach und nach erfährt – beide Mörderinnen und auch keine sympathischen Gestalten. Dörte Lyssewski gibt der Ines einen maskulinen Lesben-Duktus und sehr viel Energie, die Dame ist eine „Bösewichtin“ und steht dazu. Die Estelle der Regina Fritsch, die fast bis zur Unkenntlichkeit in eine Maske künstlich-konventioneller Frauenzeitschrift-Schönheit gestylt wurde, hat ihre Existenz offenbar stets als „Weibchen“ definiert, weiß aber, wie sie ihre Mittel einsetzt. Für sie kommt nur der Mann in Frage, aber Sartre sorgt dafür, dass für alle drei nur die höchstmögliche Qual aus allen möglichen Sex-Konstellationen erwächst.

Fast wie ein Mensch wirkt dagegen Christoph Luser als Diener im Jenseits, obwohl er ja eigentlich ein „Unterteufel“ sein sollte, aber er erspart sich Häme und Zynismus (was auch in der Figur stecken könnte) und ist als fast amüsierter Beobachter sehr stark.

Immer stark ist auch das Stück, und es hätte in einer Inszenierung, die sich „normal“ auf den Text eingelassen hätte, nicht weniger gewirkt als mit Kusejs Überdrehungen. Aber er ist nun einmal kein Mann der Konventionen – darum hat man ihn ja ans Burgtheater geholt. Und im Gegensatz zum Theater an der Wien, wo ja nicht nur Freunde im Zuschauerraum saßen, bekam er in „seinem“ Haus starken, unwidersprochenen Beifall.

Renate Wagner

 

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