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WIEN / Akademietheater: KATHARSIS

21.03.2023 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

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Foto: Burgtheater / Marcella Ruiz Cruz_

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
KATHARSIS
Von Dead Centre
nach Geschichten aus Olga Tokarczuks „Unrast“
Uraufführung
Premiere: 18. März 2023,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 21. März 2023 

„Katharsis“ ist ein großer Begriff des abendländischen Theaters. Nichts weniger beabsichtigten die alten Griechen, wenn sie ihre gewaltigen Dramen mit ihren tiefen Menschheitsproblemen auf die Bühnen brachten. Katharsis – Furcht und Mitleid wollten sie im Zuschauer erzeugen, rückbezügliche Furcht, ob dergleichen auch im eigenen Leben passieren könnte, Mitleid, also Empathie mit den tragischen Schicksalen auf der Bühne. Was dergleichen mit dem Abend zu tun hat, den das Team „Dead Center“ für das Akademietheater geschaffen hat, bleibt offen.

Die in Irland ansässige Gruppe „Dead Center“ (die Regisseure Ben Kidd  und Bush Moukarzel) hat bei Martin Kusej schon so etwas wie Hausrecht, sie haben Abende über Wittgenstein und Sigmund Freud gestaltet, nun nahmen sie sich Angelo Soliman  her, den berühmtesten Austro-Afrikaner des 18. Jahrhunderts.

Sie stützten sich dabei auf das Werk „Unrast“ der polnischen Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, die Solimans Tochter Josephine Briefe an Kaiser Franz II. schreiben ließ, in denen sie darum bat, ihren Vater begraben zu dürfen. Denn wahrscheinlich wäre Angelo Soliman vor allem in unserer Zeit nicht wegen seiner Leistungen so beachtet worden (Ausstellungen, Bücher, Filme, Theaterstücke)  als wegen den Umständen seines Todes: Natürlich kann uns die Idee, dass der Kaiser ihn ausstopfen (präparieren wie ein Tier) ließ, um ihn im Hof-Naturalienkabinett auszustellen, nur vor Entsetzen und Unverständnis beuteln.

Wenn man allerdings historisch denkt, hat Kaiser Franz II. das mit Sicherheit nicht aus der Haltung heraus getan, die man heute „Rassismus“ nennt. Er war ein an den Naturwissenschaften hoch interessierter Mann, für den der „schwarze“ Soliman eine Kuriosität der Natur war wie ein Paradiesvogel, den er auch in sein Museum stellte. Wie viel Verachtung für einen Menschen dies bedeutet, kam ihm dabei vermutlich nicht in den Sinn.

Der seltsame Abend im Akademietheater läuft natürlich auf unsere Kritik des Kolonialismus hinaus, auf das viele Jahrhunderte währende Überlegenheitsgefühl des weißen Mannes gegenüber den von ihm ausgebeuteten Eingeborenen in Afrika, Südamerika, auch Nordamerika, Asien, Australien. Was immer dazu geschieht, von der Rückgabe der Benin-Bronzen bis zu Theaterabenden wie diesen, sind versuchte Reinigungsrituale, die völlig sinnlos sind, denn den Nachkommen (also uns) wird nicht verziehen.

Im übrigen sei erwähnt, dass Angelo Soliman ein schlechtes Beispiel für den österreichischen Rassismus wäre – denn der Sklavenjunge, der aus Nigeria nach Europa verkauft worden war, verkam nicht als kleiner Mohr im Schlafzimmer der Frau Fürstin Feldmarschall und im Dienerquartier wie so viele Einheimische, er machte dank seiner Intelligenz und wohl auch seines liebenswerten Wesens Karriere und meisterte die Schwierigkeiten, die ihm wie jedem Menschen begegneten. Davon, dass man ihn als „Vorzeige“-Schwarzen benützt hätte, so wie man heute Quoten von Minderheiten setzt, daran hat man damals wohl nicht gedacht…

Doch was immer der eineinhalbstündige Abend im Akademietheater sagen will, kommt ohnedies so gut wie nicht heraus (mit Ausnahme von ein paar direkten Aussage-Sätzen), zu absichtsvoll skurril ist das Ganze konstruiert. Katharsis – es beginnt also mit einer Szene aus „Antigone“, wo es ja auch darum geht, einen Angehörigen wider ein Verbot zu begraben. Dann beginnt ein Mann aus dem Chor, ein PoC-„Nebenrollendarsteller“, mit dem Publikum zu plaudern. Erzählt ihm, dass er sich die Leute im Zuschauerraum nackt vorstellt. Irgendwie dreht sich das immer willkürliche Geschehen bis zum „Anatomie“-Theater, und auf einmal liegt da eine Leiche im Seziersaal, Der Schauspieler wandelt sich zum Anatomen, der das Zerlegen einer Leiche in Stationen mit volkshochschulhaften Erklärungen begleitet (damit das Theaterpublikum, so es dieses wissen will, nicht überfordert wird).

Nebenbei entwickelt sich die Handlung der streitbaren, verletzten Josephine, die begreiflicherweise nicht zugeben will, was ihrem Vater da geschehen soll. Sie besucht Mozart, Simon Eberle, den Direktor des Hof-Naturalienkabinetts und schließlich Kaiser Franz selbst. Wobei man das alles nicht zu genau nehmen darf – Wolfgang Amadeus Mozart starb am † 5. Dezember 1791, Erzherzog Franz, der älteste Sohn von Kaiser Leopold II., wurde erst nach dessen Tod am 1. März 1792 zu Kaiser Franz II., Dass sich Mozart also für Josephine Soliman bei ihm eingesetzt haben könnte, war eine historische Unmöglichkeit –  zumal Angelo Soliman erst am 21. November 1796 starb. Aber es ist ja, auch wenn man ein paar historische Kostüme anzieht und Perücken überwirft, kein historisches Stück. Sondern nur ein zielloses Kuddelmuddel, das eigentlich keinen Sinn macht.

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Es wird aufopfernd gut gespielt, vor allem von Safira Robens als Josephine, sie bietet als starke, überzeugende Leistung,  was der Werbetext des Burgtheaters als „die erste dokumentierte Frau aus der Black Austrian Community, die sich gegen die koloniale Staatsgewalt auflehnte”, bezeichnet.

Ihre Kollegen bekommen weniger zu tun, außer dass sie als Anatomen herumstehen, darf Philipp Hauß kurz Mozart sein (noch lebendig, wenn auch historisch solcherart unkorrekt), Johannes Zirner der Eberle, Katrin Grumeth Josephines Mutter.

Im Zentrum steht jedoch Ernest Allan Hausmann in der Rolle des Schauspielers, der als Kommentator des Stücks fungiert, was er souverän einlöst, des Abends Bröckelwerk gewissermaßen zusammen haltend. Wenn es am Ende ein stummes Nachspiel gibt, in grünes Licht getaucht, wo er als Soliman in verschwommenen Bildern offenbar aus dem Seziertisch aufersteht (???), bleibt das so vage wie der ganze Abend, der im Publikum das ärgerliche Gefühl erweckt: „Was, verdammt noch mal, wollt ihr uns eigentlich sagen?“ Dass man Menschen nicht ausstopfen soll, haben wir schon vorher gewusst. Von „Katharsis“ übrigens keine Spur…

Renate Wagner

 

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