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WIEN / Akademietheater: ALLES IST ERLEUCHTET

Damals in der Ukraine

21.03.2025 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

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Fotos © Tommy Hetzel

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
ALLES IST ERLEUCHTET
nach dem Roman von Jonathan Safran Foer<
Österreichische Erstaufführung
Premiere:  20. März 2025 

Damals in der Ukraine

Es beginnt mit der eigenen jüdischen Vergangenheitsbewältigung. Die hatten wir im Vorjahr mit Jesse Eisenbergs „A Real Pain“ im Kino – speziell für Juden angebotene Touren nach Osteuropa, die es ihnen ermöglichen, die Orte in Polen oder der Ukraine aufzusuchen, aus denen ihre Vorfahren einst kamen. Eine solche Reise hatte der amerikanisch-jüdische Schriftsteller Jonathan Safran Foer schon in den neunziger Jahren unternommen, als man – ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende – noch hoffen konnte, Zeitgenossen zu finden, die sich erinnern würden. Sein 2002 erschienener Roman „Alles ist erleuchtet“ wurde ein internationaler Bestseller.

Die deutsch-iranische Regisseurin Mina Salehpour, die das Werk in eigener Dramatisierung schon vor zehn Jahren in Hannover inszeniert hat, nimmt es sich nun in Wien wieder her, auch, aber nicht ausschließlich in dem Bewusstsein, dass in der Ukraine mittlerweile wieder Krieg herrscht – und dass die Kriegsgräuel der Nationalsozialisten an den Juden und der einheimischen Bevölkerung von damals als eine Warnung dienen können… die jene nicht gehört haben, auf die es angekommen wäre.

Allerdings muss man der Regisseurin sagen, dass sie das „Stück“, das sie nun mit vier Darstellern bietet, im ersten Teil falsch anpackt. Es geht um den amerikanischen Autor Jonathan, der in die Ukraine kommt, um jenes Dorf Trochenbrod zu finden, aus dem sein Großvater einst mit Hilfe einer Frau fliehen konnte. Zu diesem Zweck heuert er den Dolmetscher Alex an – der allzu sehr als „lustige Figur“ angelegt wird – sowie dessen Großvater, der zwar angibt, blind zu sein, aber mit Hilfe seines Hundes das Auto lenkt. Der Hund heißt Sammy Davies jr. und wird zu Beginn von Sarah Viktoria Frick gespielt. Auf diese Art fährt mit man unter geradezu possenhaften Voraussetzungen in das Road Movie hinein, in dem sich (weil Schriftsteller Jonathan nicht nur den Großvater erforschen will, sondern auch jüdisches Geschichte mindestens ein Jahrhundert zurück) eine Fülle willkürlicher, unzusammenhängender, nicht immer interessanter Szenen ergeben, von denen der Zuschauer nicht weiß, was er damit anfangen soll.

Das hat zweifellos jene Leute (und es waren nicht wenige – zwei in meiner Reihe, einige in den Reihen davor), die nach der Pause nicht wieder kamen, aus dem Theater getrieben – dabei fängt die wahre Geschichte dann erst an. Denn als Jonathan, Alex und dessen Großvater bei einer Frau landen, die seinen Großvater gekannt hat (wenn sie auch nicht die Retterin war), dann entrollen sich die grausamen Geschichten dessen, was damals geschah, bevor das deutsche Militär das Städtchen Trochenbrod dem Erdboden gleich machte. Das Hinmetzeln der Juden ging mit grausamem Sadismus vor sich, was die Frau fast unbeweglich berichtet, und an der Erzählung von Alexanders Großvater offenbart sich das Schicksal eines Mannes, der entscheiden musste, ob er seine Familie rettet, um den Preis, seinen besten Freund, einen Juden, zu verraten…

Wenn nun das bekannte Argument hoch kommt, man solle die Vergangenheit endlich ruhen lassen, so meint Mina Salehpour, „Foer schreibt in seinem Folgewerk, dass wir vielleicht denken, dass wir die Vergangenheit nicht brauchen, dass die Vergangenheit uns aber braucht.“

Und dieses Gefühl kann die Inszenierung, die optisch mit einer Dekoration von Steinquadern (Bühne: Andrea Wagner) spielt, vermitteln: Die Wichtigkeit dessen, was hier erzählt wird. Hätte die Regisseurin es nur von Beginn an richtig angegangen.,,

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Wie man schon aus ihrer (gleichfalls ziemlich nervtötenden) Romandramatisierung dreier Bücher von Ágota Kristóf weiß, arbeitet die Regisseurin gern mit Seán McDonagh zusammen, der am besten ist, wenn er einfach der amerikanische Autor auf der Suche nach der Vergangenheit ist und nicht in andere, sinnferne Rollen schlüpfen muss. Stefko Hanushevsky hat schon im „Großen Diktator“ sein „Conferencier“-Talent unter Beweis gestellt, und er darf es als Dolmetscher Alex auch hier. Sein Vorschlag an den Schriftsteller, ob man sich die Vergangenheit nicht ein bißchen „schönschreiben“ könnte, ist eine Grundfrage der Literatur…

Sarah Viktoria Frick muss einiges Vernünftige und noch mehr Unvernünftiges spielen, aber die größte Bewunderung gilt Hans Dieter Knebel, der offenbar in allerkürzester Zeit für den erkrankten Branko Samarovski eingesprungen ist und mit seinem schier endlosen Vergangenheits-Monolog tiefen Eindruck hinterließ.

Dreieinviertel Stunden lang in einem Theaterabend  die Qualen der Vergangenheit in die Gegenwart geholt, das erfordert ein mutiges Publikum.

Renate Wagner

 

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