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WATERFORD/ Theatre Royal: THE INVADER (Der Eindringling) von Eric Sweeney

02.06.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Eine neue irische Oper – The Invader, Theresia Guschlbauer berichtet (30. Mai 2014)

Die neue irische Oper, “The Invader” (der Eindringing), des irischen Komponisten Eric Sweeney, die am 3. Mai am Theatre Royal in Waterford (Irland) zur Uraufführung kam, greift auf “Die Bacchantinnen”, eine Tragödie des Euripides, zurück. Der Lyriker Mark Roper, Autor der Neufassung, schuf eine neue Hauptfigur, Mia, die Tochter des Königs Pentheus. Damit erweiterte er das antike Thema und machte es für ein Publikum von heute leichter zugänglich. Zwar setzten sich bereits die Alten Griechen mit den Gegensatzpaaren zivilisierte Welt und Wildnis, Polis und Natur, männliche Rationalität und weibliche Intuition auseinander. Doch Roper, mit seinem nüchternen, auf das Wesentliche beschränkten Stil, bietet uns eine neue Erlebnisweise auf dem Weg ausgeklügelter doppelt verschränkter Spiegelungen: auf der einen Seite die kluge Königinmutter Agathe und deren unerfahrene Enkelin Mia, auf der anderen Seite der sture, sittenstrenge König Pentheus und der leichtlebige Dion, Gott der Lust und Kreativität.

In der Person von Eric Sweeney begegnete Roper einem kongenialen Partner, der seine besondere Sensibilität wirksam in Musik umzusetzen verstand. Seine Anregungen holte sich Sweeney aus verschiedensten Quellen, die er überzeugend zu einem Ganzen verschmolz: in einer Folge musikalischer Tableaus, mit Streichquartett, Doppelbass, Klavier und 4 Blasinstrumenten, die ein breites Spektrum von Klangkontrasten, Texturen und Timbres abdecken, holt das Kammerorchester bei weitem mehr Klangvolumen und dramatische Spannung aus der Partitur heraus als es ein so bescheidenes Ensemble vermuten ließe. Es beginnt mit einem repetitiven Muster in der Art von Philip Glass, doch dann führt Sweeney schnell ein von den Streichern beherrschte Leitmotiv ein, das sich immer wiederkehrend in manchen Momenten in Wagnerianische Höhen aufschwingt. Das Klavier, meist auf eine untermalende Funktion beschränkt, kommt erst so richtig zur Geltung, wenn es wie Schlagzeug eingesetzt wird, nicht ohne einen Augenwink auf Jazz oder Strawinsky’s Le Sacre du Printemps; es bringt rhythmische Kontraste ein, besonders spürbar in den Szenen mit den „wild women“, zur Betonung von roher Gewalt und Bedrohung durch entfesselte Urkräfte. Es handelt sich um die Bacchantinnen (oder Mänaden), ein Chor mit 7 Nachwuchssängerinnen, die unter der Führung von Libby Seward die „Wilde“ herausholen, die in jeder von ihnen steckt, und die mit ihrer Stimme wie auch mit ihrer Körpersprache Urkräfte aufleben lassen, wie man sie so nur selten auf einer Opernbühne erlebt. –

 Solch er Wahn wirkt ansteckend und so lässt sich denn auch die brave Königstocher bezirzen. Ihre Mutter ist im Kindbett gestorben, und seither wird Mia vom Vater, König Pentheus, der, unfähig zu trauern und sich Neuem zuzuwenden, von der Außenwelt abgeschirmt, zumal von der „wilden Welt. Er umgibt seine Tochter mit allzu viel Nähe, was Großmutter Agatha als peinlich empfindet, was in ihr Unbehagen auslöst. In der Tat, das Unbehagen überträgt sich auf das Publikum, während Regisseur Ben Barnes, mit Geschick und Taktgefühl ein Spiel väterlicher Zärtlichkeiten aufbaut, in dem er die Grenzen zu Manipulation und Inzest andeutet. Mia, das gehorsame Kind, wird im Marionettentheater des Vaters zu einer Puppe.

 In einer Zeit, in der Fälle von Kindesmissbrauch täglich Schlagzeilen machen, sind die Zuschauer für solche Anspielungen besonders hellhörig. – Und tatsächlich, das Furchtbare kündigt sich an, als das Mädchen die „Stimme der Wildnis“ vernimmt, und, von Dion betört, schließlich mit einer Kohorte von sieben Bacchantinnen in die Wildnis flieht. – Dem väterlichen Schloss entronnen entdeckt Mia, von der Britischen Sopranistin Natalie Jouhl mit dramatischer Bravur und strahlender Stimme dargestellt, erstmals ein Gefühl der Befreiung; sie fühlt sich plötzlich erwachsen, sie kann, wie sie selbst sagt, in der Wildnis endlich aufatmen.

 Inzwischen verfällt König Pentheus selbst dem Wahn der Wildnis, bei einem Treffen mit dem übermütigen Dion, vom israelischen Nachwuchstenor Telman Gushevsky geistvoll, spritzig dargestellt, wird der Tyrann entlarvt, am Ende bleibt von ihm nur noch „eine Krone auf einer Stange“ übrig. Zum Klang von Foxtrott-Rhythmen überredet Dion den König sich als Frau zu verkleiden. In dieser neuen Aufmachung gibt Joe Corbett, als König Pentheus, einen überzeugend pathetischen, doch auch rührenden Vater, der verzweifelt an dem festhält, was er zu beherrschen glaubt. Doch seine Tochter entwindet sich ihm wie sie es muss, um frei und erwachsen zu werden.

 In einem letzten Versuch, die Tochter zurück zu gewinnen, folgt Penteus dem Weingott in die Wildnis, wo er auf einer ausschweifenden Lustbarkeit, einer Orgie, von der eigenen Tochter entlarvt wird: Mia lässt keine Gnade walten, er wird von den Bacchantinnen zerrissen und die Tochter macht mit. – Es folgt ein Nachspiel, wo Königin Agatha, von Alison Browner eindrucksvoll dargestellt, die Enkelin Mia mit besänftigenden Worten von ihrem Trauma zu befreien sucht: Der König, ihr Sohn sei nicht durch Menschenhand umgekommen, sondern vielmehr durch die Macht der Wildnis, aufgrund der Schwäche des Menschen angesichts der entfesselten Natur.

 Von der Textvorlage her ist The Invader ein Bühnenstück von hoher dramatischer Spannung, bald zart, bald wuchtig. Doch immer bleibt das Geschehen, dank der kühl eleganten Ausstattung von Monica Frawley und der subtilen Lichtregie von John Cominsky in einen festen Rahmen gestellt. Kompositorisch gesehen gelingt in dieser Oper das seltene Kunststück, einem individuellen Drama die Intensität des Archetypischen zu verleihen – dank der wunderbaren Stimmführung und melodischen Bögen, dank der ausgefeilten, abwechslungsreichen Orchestrierung, welche in dem neuen Wexford Opera House unter der Leitung des Komponisten, voll zur Geltung kamen.

 Unser Dank für das überaus originale Werk geht an das kreative Team , Komponist-Librettist, Sweeney und Roper; und für die tadellose Aufführung an dem Regisseur-Choreographen team Barnes und Seward, sowie ganz generell an alle Mitwirkenden, die uns in knapp zwei Stunden ein Kunsterlebnis von seltener Qualität bescherten.

 Theresia Guschlbauer (Übersetzung Marianna Widmann)

 

 

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