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WEIMAR: ARABELLA – Neuinszenierung

10.10.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

WEIMAR: ARABELLA – NI am 5.10.2012 – Eleganz und Emotion…

 

Richard Strauss hat seine „Arabella“ vor dem Hintergrund von Inflation und Weltwirtschaftskrise entworfen, parallel zum Aufstieg der Nationalsozialisten geschrieben und 1933 zur UA gebracht. Sie ist das letzte gemeinsame Werk der genialen Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal. Die surreale spätbürgerliche Familiensaga um den bankrotten Rittmeister a.D. Graf Waldner spiegelt die gesellschaftlichen Umbrüche in einem fiktiven Wien der Vergangenheit im Zeichen eines fundamentalen gesellschaftlichen Wandels wider, dem sich diese Familie nicht mehr entziehen kann und deshalb die Flucht in eine unhaltbare Scheinwelt sucht – einerseits mit dem krampfhaften Festhalten Frau Waldners an einem nunmehr unhaltbar gewordenen gesellschaftlichen Status, andererseits mit dem notwendigerweise glücklosen Versuch Waldners, am Spieltisch zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Dazwischen spielt sich das Schicksal ihrer beiden Töchter Arabella und Zdenka ab, mit allen entsprechenden emotionalen Höhen und Tiefen.

 Regisseur Karsten Wiegand hat mit Hilfe seines Dramaturgen Mark Schachtsiek mit dem mondän dekadenten Einheitsbühnenbild und den Kostümen von Christoph Ernst am Deutschen Nationaltheater Weimar (DNT) einen passenden Rahmen für die Handlung geschaffen, der diese „Arabella“ und die zwischenmenschlichen Entwicklungen zu einem spannenden Abend werden ließen. Man blickt in ein in sich verschachteltes, elegantes holzgetäfeltes Wohnzimmer und Treppenhaus-Ambiente in Brauntönen, das von einem gewissen Luxus zeugt, aber offenbar keinen Ausweg und damit auch keine Zukunft mehr bietet. Das Bühnenbild wurde für ein Regiekonzept des Regisseurs Jim Lucassen entworfen, der die Inszenierung aus familiären Gründen nach Probenbeginn aber zurückgeben musste. In diesem Biotop spätbürgerlicher Dekadenz zeigt Wiegand einerseits, wie sich Arabella und Zdenka mit fein sichtbar gemachten Gefühlen nach einer Änderung ihres Lebens sehnen „Aber der Richtige…“ und andererseits die bedrückende Realität des aufkommenden Nationalsozialismus’ mit dezent platzierten Apercus an den Kostümen der StatistInnen und der Fiakermilli eine ganz andere Realität andeuten. Man hat also der Entstehungszeit des Stückes entsprechend die Handlung vom Wien der 1860er Jahre in die 1930er Jahre verlegt. Mit dem Fiakerball gelingt es dem Regieteam, das degenerierte, lustbetonte und auf Käuflichkeit basierte Milieu jener Zeit in seiner ganzen Frivolität zu zeigen und damit umso klarer zu machen, warum sich Zdenka in diesem Umfeld völlig deplatziert vorkommt und Arabella nach subtil-emotionalen Wegen sucht, diesem Ambiente zu entkommen. Schachtsiek beruft sich dabei treffend auf Arabellas „moderne Ambivalenz – ihre Träume von Unterwerfung, wie ihre emanzipierte Koketterie, ihre Sehnsüchte, wie ihre begründeten Fluchtversuche“.

 Dies alles spielt die Schweizerin Marion Ammann mit einer bewundernswerten Intensität, aber auch Subtilität, die immer wieder den Eindruck erwecken, man hätte hier tatsächlich die selbstironisch-realistische, fast nihilistische emanzipierte junge Frau vor Augen, als die Hofmannsthal sie konzipiert hatte und die Wiegand betonen will. Ammann ist nach der berühmten Lisa della Casa in den 1950/60er Jahren erst die zweite Schweizerin, die die Arabella auf der Bühne singt. Mit wunderbar lyrischen Tönen, einer betörenden Legatokultur, aber auch guter Attacke in der Höhe ihres stets leuchtenden Soprans verleiht sie – nicht zuletzt auch mit ihrer Attraktivität – der Titelfigur erstklassiges stimmliches Format und achtet bei jeder Note auf die dazu passende Mimik. Damit erreichte sie ein intensives Rollenprofil. Wunderschön erklingt beispielsweise ihre Phrase „Und ich soll und werd’ ihn nicht mehr wiedersehn“. Ammann stand in jedem Moment, den sie auf der Bühne zubrachte, im Zentrum des Geschehens, auch wenn sie gar nicht sang, und dokumentierte große darstellerische Wandlungsfähigkeit, als sie auf dem Fiakerball als eine Art Marlene Dietrich – passend zur Spielzeit der Inszenierung – verkleidet erschien. Mit der Kaiserin aus „Die Frau ohne Schatten“ dürfte die Arabella nun zu ihren Paraderollen zählen.

 In Heiko Trinsinger hatte sie einen ebenbürtigen, ausdruckstarken Mandryka, der mit intensiver szenischer Präsenz und einem ansprechenden Bariton-Timbre agierte. Er verfügt über gute Höhen und Gesangskultur, wobei er darstellerisch glaubhaft auf den Erben des reichen Großgrundbesitzers aus den slawonischen Wäldern abstellt und damit einen eindrucksvollen Kontrast zu der kapriziösen Arabella von Marion Ammann schafft. Die bewegte Szene zwischen ihm und Graf Waldner gehörte zu den Höhepunkten des Abends. Heike Postein war eine ebenso stimmlich wie darstellerisch einnehmende Zdenka mit klangvollem Timbre, das sie nicht nur in ihren anrührigen Szenen mit dem verlorenen Matteo wirkungsvoll einsetzt, sondern auch in dem berühmten Duett mit Arabella zu Beginn in wundervollem Wohlklang zur Wirkung bringt. Ihre Zerrissenheit zwischen dem Jungen Zdenko und der Sehnsucht nach einer Realisierung als Frau bringt Postein emotional berührend über die Rampe. Hidekazu Tsumaya, der Marke des letztjährigen „Tristan“ in Weimar, sang den Waldner mit einem guten Bass, der aber nicht das größte Volumen hat. Aber er ließ der Rolle einige gute komödiantische Züge angedeihen. Helena Köhne als seine Frau überzeugte mit Klangschönheit und ebenfalls guter Darstellung. Unter den drei Liebhabern ragte Frieder Aurich als Elemer stimmlich heraus, mit seinem leicht ins Charakterfach weisenden Tenor. Wieland Lemke als Dominik aus dem Thüringer Opernstudio ließ gutes Potenzial erkennen, während Andreas Koch als Lamoral mit etwas zu wenig Resonanz sang. Harrie van der Plas sang und spielte einen bemitleidenswerten Matteo mit guter tenoraler Nuancierung und leicht depressiver Rollengestaltung. Für einige starke Farbtupfer sorgte Michalina Bienkiewicz, ebenfalls aus dem Thüringer Opernstudio, als agile und kokette Fiakermilli mit guten Spitzentönen und plakativ erotischer Aufmachung. Silona Michel als Kartenaufschlägerin konnte stimmlich nicht überzeugen. Die übrigen Nebenrollen führten ein teilweise skurriles Dasein und reicherten die Handlung mit einigen interessanten dramaturgischen Details an, stets im Dienste der exzellenten Personenregie.

 Martin Hoff leitete die Staatskapelle Weimar und traf die schwierige Balance zwischen Singen und Sprechen, die nach Meinung des GMD Stefan Solyom für den Eindruck von natürlicher Konversation dieses von Hofmannsthal als Konversationsstück angelegten Werkes erforderlich ist. So ergab sich dieses „Konversationstempo“, dem alle SängerInnen auch gewachsen waren, und ein wunderbarer Strauss-Klang, der die ganzen Facetten dieses leider nicht allzu oft gespielten Stücks zum Klingen brachte. Immer wieder ließ das Strauss- und Wagner-erprobte Orchester die wunderschönen, kontemplativen Motive aufleuchten, die in bemerkenswerter Harmonie mit den Sängern auf der Bühne standen. Diese „Arabella“ in Weimar war und ist eine Reise wert! Am 21. Dezember gibt es noch eine Aufführung.

(Fotos in der Bildergalerie)

 Klaus Billand

 

 

 

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