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VERONA / Arena: Saisoneröffnung mit CARMEN und AIDA

28.06.2016 | Allgemein, KRITIKEN, Oper
Zeffirellis Darstellung des 4.Aktes der Carmen. Dem Schaugepräge für Touristen geschuldet, verfeinert durch Theaterkunst.

Zeffirellis Darstellung des 4.Aktes der Carmen. Das Schaugepräge ist den Touristen geschuldet, verfeinert durch routiniertes Theaterhandwerk.

ARENA DI VERONA
94.Festival 2016 / Saisonbeginn
Georges Bizet  Carmen 24.6.2016
Giuseppe Verdi Aida 25.6.2016

 

Startschwierigkeiten durch Geldnot und Windhose

Schon seit Jahren liest man von angesammelten Schulden der bereits aufgelösten Fondazione, inzwischen liegen diese bei rund 24 Millionen, mit denen das 104 Jahre alte Festival in der Kreide steht. Einen folgenschweren Streit mit dem Personal hat man hat rechtzeitig abwenden können, die Stadt Verona sucht nach Lösungen zum Abbau des Schuldenberges, eine Lohnkürzung wurde jedoch abgelehnt, eine Aussetzung zweier Zahlungen in diesem Jahr wurde zugestimmt.. Die Fondazione steht jedenfalls unter Kommissarischer Leitung (“Commissionario Straordinario”) durch Carlo Fuortes – Sovrintendente des Römischen Opernhauses – sowie eines vierköpfigen Collegiums von Rechnungsprüfern (“Revisori dei Conti”).

Den Behörden wirft man vor, sich wohl bei der sogenannten Umwegrentabilität zu bedienen, die steuerlichen Abgaben, die das Festival und deren Besucher jede Saison einbringen und die in den öffentlichen Säckel wandern, liegen bei rund 15 Millionen Euro, bei den Zuschüssen aus der öffentlichen Hand war man aber bisher äußerst sparsam.

Dass am Nachmittag des Aida-Startes auch noch während eines Gewitters eine Windhose die Bastelarbeit des greisen Gianfranco de Bosio durcheinanderbrachte, war dem gegenüber nahezu ein Leichtes, die Folgen zu beseitigen und unter der Leitung des bald 92 Jahre “jungen” Regisseurs wurde aus den Resten der Antikenschau der erste Akt wieder aufgebaut.

Das seit Anbeginn gepflogene Ritual vor vor Beginn mit dem Gong

Das seit Anbeginn gepflogene Ritual mit dem Gong

Georges Bizet CARMEN
Eröffnungsvorstellung am 24.6.2016
238.Vorstellung in der Arena (in 17 Saisonen)

Die finanzielle Krise der Institution ist allein schon aus dem Spielplan der Arena ablesbar, welcher seit Jahren aus nicht mehr als einem halben Dutzend Werken besteht, deren Auswahl absolut touristischer Zielrichtung geschuldet ist. In der nächsten Saison ist nach vier Jahren endlich wieder eine Neuinszenierung angesagt, Nabucco wird wieder aufgelegt als Zugeständnis an eine sich verflachende Erwartung, was auch zeigt, dass man als Festivalleiter Gefangener des  Publikumsgeschmacks ist, also reif, selbst dem gefeierten Gefangenenchor beizutreten.

Mit Bizets CARMEN hat man einerseits immer ein Ass im Ärmel – das römische Oval war diesmal voll – die Veroneser Besucher lassen offenbar ihre Sommeroper in Krisenzeiten nicht im Stich. Das zweite Ass ist die für derartige Touristenspektakel absolut taugliche Inszenierung Franco Zeffirellis, die er in sparsameren Varianten in den großen Opernhäusern bereits abgeliefert hat. Eine davon kann man auch in Wien sehen.

Die derzeitige Produktion ist das Ergebnis eines längeren Arbeitsprozesses des inzwischen 93-jährigen Franco Zeffirelli, er zeigt die Entwicklung von seiner ursprünglichen, einer Spanien nachempfundenen Bühnenarchitektur bis hin zur Minimalisierung. Wenige Versatzstücke, viele bemalte Bühnenbegrenzungen – die Felsenillusionen des dritten Aktes sind sogar äußerst sehenswert – aber eine geradezu unglaubliche und für den Uraltmeister typische Übervölkerung der Bühne kennzeichnen auch seinen Spätstil. Berittene Polzei, Pferdefuhrwerke, Flamencotänzer (die fast zu jedem Handlungsablauf seitlich einen getanzten Kommentar abgeben) und Volk, Volk, Volk jeglicher Sorte, das da herumirrt und hüpft und für die Anna Anni die sehenswerten Kostüme schuf.

Der von Ernennungen und Aufgaben geradezu überhäufte, in Shanghai geborene Musiker Xu Zhong war diesmal für die Leitung der Carmen ausersehen, immerhin ist  er Ausübender an italienischen Opernhäusern wie dem Teatro Massimo Bellini und Chefdirigent der Arena in Verona und im asiatischen Bereich Chef der Oper in Shanghai. Ein gezielter Austausch von Interessen im Bereich des internationalen Opernrouletts scheint hier Anlass dieser Ämterkumulierung zu sein.

Der vielfach ausgezeichnete Klaviervirtuose verfügt auch über eine solide Technik der Orchesterleitung und stellt dies auch in den unbequemen akustischen Verhältnissen der Arena unter Beweis, allerdings, von einer allzu mitreißenden Interpretation oder dem Setzen persönlich erarbeiteter Akzente an Tempo, Artkulation oder Dynamik wird man nicht überrascht.

Carmen ist Luciana D´Intino, wir kennen sie mit ihrer gut durchbildeten Stimme, die auch die tiefen Lagen gut bedient und glaubwürdig die dramatischen Bereiche des 3. und 4. Aktes aussingt. Das, was das Programmheft verspricht, eine “rassige und sinnliche Zigeunerin”, das kann sie weniger auf die Bühne stellen, schon gar nicht einen “fesselnden, verlockenden Tanz”, eher einen nach Art á la einer “entfesselten Hausfrau”.

Jorge De León hätte einen gut klingenden Tenor zu bieten, leider ist eine Neigung zum Dauervibrato in den Höhen nicht zu überhören. Eine leider sehr welk wirkende Blume für seine große Arie. In der “guten, alten” Zeit Veronas waren noch Tenöre zu erleben, die nach ihrer blumigen Anbetung gute fünf Minuten Applaus erhielten, unser Tenor mußte sich mit  etwa 20 Sekunden begnügen.

Dalibor Jenis litt an dem Manko, keinen kernigen Bassbariton zu besitzen, so war die Höhe nicht Durchschlagkräftig genug, die Tiefe nicht ausgiebig. Dafür hat er die beste Nummer des Abends zu singen, touristisches Mitklatschen beim Refrain des Toreroliedes ist angesagt.

Mit Ekaterina Bakanova war in der Partie der Micaela eine aus Mednogorsk im Ural gebürtige Sängerin aufgeboten, die auch schon bei uns durch ihre Auftritte in St.Margarethen als Gilda und Königin der Nacht sowie beim Belvedere – Wettbewerb positiv aufgefallen war. Auch ein Preis der Wiener Staatsoper war darunter – ohne Folgen. In der Arena konnte sie gefallen, Sowohl kräftige Höhen als auch schwebende Töne gelangten gut in jener Qualität, die einen wohl vorprogrammierten Erfolg in dieser Partie ergeben.

Frasquita und Mercedes lagen in den scharfstimmigen Wiedergaben von Madina Karbeli und Clarissa Leonardi, Gianfranco  Montresor und Paolo Antongnetti als Schmugglerduo sowie Gianluigi Breda und Marcello Rosiello als Vertreter der Guardia Civil ergänzten solide.

Dass der aus fast 80 Mitgliedern bestehende Chor das Rückgrad der musikalischen Seite der Aufführungen ist, muss nicht erst erwähnt werden – er dominiert eindeutig den akustischen Eindruck – daher sei auch deren Leiter erwähnt: Vito Lombardi.

Die Kulissen der Aida inmitten der Arenaschüssel

Die Kulissen der Aida inmitten der Arenaschüssel

Giuseppe Verdi AIDA
Vorstellung am 25.6.2016
651.Vorstellung in der Arena (in 34 Saisonen)

Das zweite Ass neben der Carmen stellt Verdis AIDA dar, auf Knien müßte die Intendanz der Arena zur Grablege des Bussetaner Meisters rutschen für diesen Kassenfüller. Rund 15.000 kamen diesmal in die Arena (unter Ausnützung der letzten, neben der Bühne liegenden Flächen). Auch Max Reinhardts Spruch, “keine Festspiele nördlich von Verona” hielt wie schon so oft, Gewitter umkreisten ständig die Stadt, aber sie verschonten die unversicherten Tageseinnahmen.

Der Eingangs schon erwähnte Gianfranco de Bosio sorgt sich noch immer trotz seiner 92 Jahre um die Bühnenaufbauten, die aus alten Plänen und Fotos aus dem Jahr 1913 von ihm rekonstruiert wurden. Diese sogenannte Editione Storica 1913 wird nächste Saison mit der Parallelregie von Furia dells Baus gemeinsam aufgeführt.

Dass die Einfälle bei der Regie De Bosios nicht eben revolutionär daherkommen und eher Schreit-und Stehtheater darstellen, hat ihm sicher noch niemand vorgeworfen. Und eine gewisse Pompösität läßt sich aus Verdis Musik ja wohl ableiten, wenn die Aidafanfaren zusätzlich schmettern. Auch hier eine Möglichkeit, nach eher nördlich angesiedeltem Brauch, den Triumpfakt mitklatschen zu können.  Eine Regiearbeit, die vom Prinzip einer Touristennähe vor Jahren einmal abwich, war ein Mißerfolg beim Publikum und in der Kassa sofort zu spüren. Ausflüge ins Regietheater und eine Regensaison haben zu der heute spürbaren Krise geführt.

Neben der Regie war auch die erwartete Solidität am Pult mit Julian Kovatchev gesichert. Mit prägnater Zeichengebung, wirkungsvollen Rubati und dank der angezogenen Tempi, die allerdings auch kleine Differenzen mit dem Chor ergaben, war es eine Wiedergabe, die sich vom Dirigat der Carmen ja doch abhob.

Allgemeines Interesse war mit Yusif Eyvazov gegeben, dessen Frau Anna Netrebko von der Mitte der Platea heraus ihren Radamès beobachten konnte. Nun, er sang mit tadelloser Phrasierung, großem Atem, jedoch besonders im Forte mit nicht gerade gesegnetem Timbre. Positiv anzumerken: Das Diminuendo beim Schlußton seiner Arie und besonders die Pianophrasen in der Grabszene. Da zeigte die Stimme plötzlich noch unentdeckte Qualitäten.

Yusef Eyvazov nach seinem Radamés, zusammen mit seiner Frau Anna Netrebko

Yusef Eyvazov nach seinem Radamés, zusammen mit seiner Frau Anna Netrebko

Hue He hat als Aida schon ein Heimatrecht in Verona, auch wenn sie erst ab dem dritten Akt zu ihrer Form finden konnte und sich ihrer offensichtlichen Indisposition ein tadelloses Nil-C abringen konnte. Und ihrem Bühnenvater Ambrogio Maestri gelang wieder ein fabelhafte Szene mit seiner Tochter, mit seinem warm-väterlichen Timbre wirkt er nicht gerade zum fürchten.

Hue He, die Aida des Abends

Hue He, die Aida des Abends

Ambrogio Maestri nach seinem Amonasro

Ambrogio Maestri nach seinem Amonasro

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ildikó Komlósi bot nur eine in den Höhen überzeugende Leistung, mit einer wenig hörbaren Tiefe und dazu mit manchen zu tief gesungenen Tönen. Immerhin verfluchte sie die Priestermannschaft effektvoll.

Mit den beiden Basspartien war der Pole Rafal Siwek als Ramfis und der Livornese Carlo Cigni als Il Re betraut. Beide hatten ihre Schwächen in der Tiefe. Antonello Ceron zeigte gleich zu Beginn als Bote, wie er den Radames gerne angelegt hätte: Laut und mit Inbrunst.

Dem Coro dell´Arena gebührt wieder Sonderapplaus (Vico Lombardi) und beim Ballett heimsten die Kleinsten in den Gemächern der Amneris den größten Applaus ein.

Übrigens, über der Bühne, links und rechts, ist schon eine Übersetzungsanlage installiert, mit großen Lettern und in Italienisch und Englisch.

 

Peter Skorepa
MerkerOnline

Fotos Arena: Ennevi
Fotos Künstler: Copyright P.Skorepa

 

 

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