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THEATERFEST NIEDERÖSTERREICH / Schwechat: DAS MÄDL AUS DER VORSTADT

Die „Mädls“ von heute sind anders(rum)…

29.06.2024 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

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THEATERFEST NIEDERÖSTERREICH
52. NESTROY Spiele Schwechat
DAS MÄDL AUS DER VORSTADT von Johann Nestroy
Premiere: 29. Juni 2024
besucht wurde die Generalprobe am 28. Juni 2024

Die „Mädls“ von heute sind anders(rum)…

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Man könnte einen historischen Exkurs anbringen – ja, tun wir es, wenn er auch in diesem Zusammenhang irrelevant geworden ist. Als Ende der Neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts Arthur Schnitzler „das süße Mädel“ als sozialen Frauentypus in die österreichische Literaur einbrachte (erst in „Anatol“, dann in „Liebelei“), wusste man, dass es dafür ein Vorbild gab – denn das „Mädl aus der Vorstadt“ von Johann Nestroy zeigte dieselben Geschöpfe der Unterschicht, die mehr oder minder zum Spielball der reichen Herren wurden. Nur, dass bei Nestroy der reiche junge Mann (Gigl) wirklich ganz rasend  in das Mädl (Thekla) verliebt ist. Dennoch würde man keine hundert Gulden auf eine dauerhafte Zukunft der beiden verwetten…

Tempora mutantur, heißt es bei den Römern (und nicht nur die Zeiten ändern sich, sondern wir uns in und mit ihnen), „Ja, die Zeit ändert viel“, weiß Johann Nestroy in einem Couplet, und Christian Graf, nunmehriger Intendant der Nestroy Spiele Schwechat (in den Fußstapfen des großen Peter Gruber, der sie begründet und ein halbes Jahrhundert geführt hat), weiß es auch, wenn er dieses Stück nun für diesen Sommer inszeniert.

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Wenn der „Winkelagent“ Schnoferl (wir würden ihn vielleicht als Lobbyisten bezeichnen, so geschickt knüpft er die Fäden zwischen allen Gesellschaftsschichten) sich in die Vorstadt begibt, findet er nicht mehr, wie anno 1841 in Wien, einen „Pfaidler“, sprich Hemdenmacher, und seine Schar jugendlicher Näherinnen (die nebenbei einigen Spaß am Leben haben) vor  – sondern eine Trans-Schwulen-Bar, wo der Herr Knöpfl zum ToyBoy in Leder geworden ist und die Mädels zumindest eine Transe und auch sonst schräge Typen verkörpern. Das Titel-Mädl Thekla ist von der Stickerin zur Maniküre geworden und, um dem heutigen Zeitgeist zusätzlich Reverenz zu erweisen, zum hübschen PoC-Girl, obwohl die Geschichte ihr keinen Migrationshintergrund geben kann. Wienerisch kann sie jedenfalls… Und dass sie zu jenen „Armen“ gehört, die zum Spielball der gewissenlosen Reichen werden – das ist schon klar und gilt einst wie heute (man muss nur an die importieren Sex-Sklavinnen denken).

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Das heißt, dass Nestroy Stück in dem bewährten, geliebten Ambiente des Hofes von Schloß Rothmühle (gelungene Ausstattung, schlichte Räume, wilde Kostüme: Andrea Költringer) nur im ersten Akt einigermaßen aussieht wie das Original – der junge Herr von Gidl will sich, frisch verliebt in ein „Mädl“, von dem er nur den Namen weiß, vor der Ehe mit der reichen, zickigen Frau von Erbsenstein drücken. (Reiche Alte kauft sich knackigen Jungen – auch nicht eben unaktuell.) Sein Freund Schnoferl versucht, obwohl selbst in diese Dame verliebt, heroisch, den Bund zu retten. Das ist die klassische Liebeskomödie (nicht ganz ohne sozialen Hintergrund.)

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So weit, so Nestroy – fast original, wenn die Musik von Otmar Binder auch von Anfang an ankündigt, dass dem nicht so ist… Der Song einer Drag-Queen führt in die alternative Vorstadt von heute,  und man kann nicht sagen, dass Christian Graf sich beim Umdichten zurück gehalten hätte, da geht es auch recht gewaltsam zu. Aber doch im Rahmen der Komik und gewissermaßen im Rahmen des Stücks, wo auch mit Leuten wie dem Herrn von Kauz abgerechnet wird – großspuriger und gewissenloser  Betrüger (nicht ganz Benko, aber in die Richtung) und lüsterner Alter (irrt man sich, oder soll er optisch an Richard Lugner erinnern?).

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Was bei Nestroy da noch gewissermaßen als fröhlich-beschwingt durchgeht (man bekommt die klassische Lindtberg-Aufführung des Burgtheaters  mit Meinrad, Anders, Nicoletti, Eybner, Matz, Christiane Hörbiger – auf Video zu überprüfen –  ja doch nicht aus dem Kopf), wird hier gewaltig schrill, nun herrschen wahrlich Brutalo- und Slapstick-Komik  – aber doch nicht unmenschlich. Nicht so hässlich, wie Theater heute gerne ist. Sondern ein Theater heute, das vor allem junge Menschen ansprechen wird, weil sie ihre Welt erkennen.

Drei unersetzliche Veteranen der Schwechater Spiele liefern drei Meisterleistungen: Vor allem Bella Rössler brilliert als Frau von Erbsenstein und schafft auch die Wendung von der hochmütigen Domina zur normalen, mitfühlenden Frau. Herrlich, wie sich Bruno Reichert durch die Lüste und Nöte des Herrn von Kauz zappelt. Und urkomisch, wie Franz Steiner die klassische Charley’s Tante-Verwandlung in eine vornehm tuende alte Lady bewerkstelligt.

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Die zentralen Männerrollen sind mit Neuankömmlingen in Schwechat besetzt. Clemens Matzka bringt zwar Schnoferls Text, aber nicht ganz den irisierenden Glanz der Figur, der ein anständiger Kerl, aber, wenn nötig, auch ein gefinkelter Intrigant ist. Paul Graf bringt die Nöte eines unsicheren Verliebten auch körperlich zum Ausdruck. Das schöne Titelmädchen ist Masengu Kanyinda.

Man braucht nicht alle der dazu gedichteten Figuren, aber jedenfalls geht es mit Grazia Patricia, Melina Rössler, Sophia Plätzer und San Trohar geradezu schamlos bunt zu. Auch das Dienstpersonal Peter Koliander im englischen Butler-Stil und Gabriele Herbsthofer (vom Stubenmädchen zur gequälten Personal Assistant geworden) setzen ihre Pointen.

Natürlich ist das eine Fassung, auf die man sich einlassen muss, und guten Geschmack darf man nicht einfordern. Aber Nestroys Stücke wollen (abgesehen von dem, was sie untergründig aussagen) ja immer auch ein „G’spaß“ sein. Und den erfüllt Christian Graf mit diesem Abend vollinhaltlich für das 21. Jahrhundert. Nestroy hätte sicher nichts dagegen: Er hat immer alles Neue gewittert und darauf reagiert.

Renate Wagner

 

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