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STUTTGART/Wilhelma-Theater: Gastspiel des 26. Isny Opernfestivals „ES LIEGT IN DER LUFT“ (Mischa Spoliansky) und „DER ZAR LÄSST SICH FOTOGRAFIEREN“ (Kurt Weill)

12.07.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper
STUTTGART/ Wilhelma-Theater: ES LIEGT IN DER LUFT / DER ZAR LÄSST SICH FOTOGRAFIEREN
Gastspiel des 26. Isny Opernfestivals am 12. Juli 2014 im Wilhelmatheater/STUTTGART

In der subtilen Inszenierung und unter der musikalischen Leitung von Hans-Christian Hauser (Dozent an der Hochschule für Musik und Theater München) werden die beiden Einakter „Es liegt in der Luft“ von Mischa Spoliansky aus dem Jahre 1928 (Text: Marcellus Schiffer) und „Der Zar lässt sich fotografieren“ von Kurt Weill (1927) facettenreich miteinander verbunden.

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„Es liegt in der Luft“. Foto: Tino Kluge

Ein mehrstöckiges Wohnhaus mit vielen Fenstern beherrscht das Revuetheaterstück von Mischa Spoliansky. Diese Kette von temperamentvollen Szenen gewinnen aufgrund der rasanten Darstellungskunst von Studenten und Absolventen der Musikhochschule München und anderer internationaler Hochschulen immer größere Intensität. Als Direktor des Warenhauses, „scharfer“ Geheimpolizist, Detektiv und Portier gefällt vor allem Hyoung-hoon Lee. Diese unterhaltsamen und frechen Chansons im Berliner Warenhaus handeln von flotten Damen, die im reduzierten Angebot wählen. Außerdem trifft man auf ein vergessenes Zwillingspaar in der Fundabteilung, von Kleptomanen, von einer Frau, die einen weißen Kopf sucht und stattdessen ein Brautkleid kauft sowie vom gerade in Mode gekommenen Ping-Pong-Spiel sowie von „der besten Freundin“. Mit dem gewitzten Chanson „Fahrstuhl“ geht die rasante Chanson-Fahrt los, die Hans-Christian Hauser immer mehr anheizt. Beim Chanson „Zurückgesetzt“ geraten dann zwei Kundinnen in Wallung, im Duett „Ich schenk sie dir“ triumphiert ein kinderreiches Ehepaar. Besonderes Vergnügen bereitet das freche Couplet“ Der Pudel“ mit einem Pudel im Fundbüro: „Artig sei das brave Hündchen!…“ Im Duett „Peter/Petersilie“ outen sich zwei vergessene Zwillinge (plastisch: Anna Semenow, Myoungcheol Jeon) – und das Couplet „Juchhu, dann ist Karneval“ gerät zu einer ausgelassenen Huldigung an Scherzartikel. Beim Lied „L’heure bleue“ (Parfümlager) denkt man fast schon an Offenbach. Das Duett „Kleptomanen“  erinnert an alle unfreiwilligen Diebe – und beim „scharfen Lied“ des Geheimpolizisten geht ebenfalls gewaltig die Post ab. Weitere musikalische und auch szenische Höhepunkte sind mit wenigen Abstrichen das Duett „Feiertage müssen ungemütlich sein“ („Konfirmationstage“), die einfallsreichen Chansons „Die Braut“, „Ich weiß, das ist nicht so“ (Portier), „Es liegt in der Luft“ mit Dame und Jüngling sowie „Nippes“ mit dem gesamten Ensemble. Weitere Nummern wie „Irgendwie“ als Antwort zu einer Auskunft, „Der flüsternde Bariton“, „Meine beste Freundin“ (dieses Chanson wurde einst durch Marlene Dietrich berühmt), „Die Linie der Mode“ mit der Schaufensterpuppe, das Duett „Bitte recht freundlich“ als gewitzte Passfoto-Szene, das Chanson „So genau woll’n wir’s ja gar nicht wissen“, das ausgelassene Duett „Ping-Pong“ der Sportabteilung und vor allem das atemlose Finale geraten zu interessanten szenischen Einfällen. Einmal sieht man in den Fenstern sogar die überdimensionalen Fotos von Politikern wie Gabriel, Steinmeier, Gysi und Bundeskanzlerin Merkel. Als sich eine Kundin lautstark über den geforderten Kassenzettel beschwert, werden Bezüge zu Stuttgart laut. In weiteren Rollen überzeugen bei dieser Produktion ferner Susanne Wesselsky als Verkäuferin, Katharina Wittmann als Kundin und Nippesfigur, Elsa Kodeda als Kundin und Nippesfigur, Mirjam Künstner als weitere Kundin und Schaufensterpuppe sowie Benjamin Leist als Kleiderständer. Man kann bei dieser gelungenen Produktion jedenfalls nachvollziehen, wie „Gott das Warenhaus“ schuf.

Kurt Weills wertvoller Operneinakter „Der Zar lässt sich fotografieren“ schließt sich hier als ironische Satire an. Szenisch belebt sich dasselbe Haus mit den vielen Fenstern gleichsam neu. Im Fotoatelier der schönen Angele (ausgezeichnet: Katharina Wittmann) in Paris klingelt das Telefon. Es meldet sich der von Insu Hwang imposant dargestellte Zar, der gerade auf Paris-Besuch ist und sich zum Fototermin anmelden möchte. Angele und ihre Angestellten bereiten aufgeregt diesen unerwarteten Besuch vor, der alles durcheinanderbringt.
Hans-Christian Hausers atemlose Inszenierung zeigt drastisch, wie sich eine Bande von Verschwörern des Ateliers bemächtigt. Sie haben den Zar zu Angele gelockt, um ihm dort aufzulauern und ihn mittels eines in den Apparat eingebauten Geschosses zu töten. Dabei melden sich thematische Querverbindungen zu Weills „Dreigroschenoper“ und „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, was Hauser mit dem konzentriert agierenden Instrumentalensemble plastisch herausarbeitet. Die kurzweilige Kriminalgeschichte brilliert vor allem wegen der guten Darsteller als Perle des klassischen modernen Opernstils. Die klug durchkomponierten Partien gefallen mit Kürze und Schlagkraft, Tremolo- und Staccato-Passagen illustrieren die aufgewühlte Stimmung. Ein weiterer Höhepunkt ist der schwindelerregende „Tango Angele“, mit dem der Zar in raffinierter Weise abgelenkt werden soll. Angele gibt sogar vor, sich für ihn entkleiden zu wollen – damit er dies nicht sieht, versteckt man ihn unter vielen Kissen. Der Witz ist auch, dass der Zar deswegen das geplante Attentat ohne Blessuren überlebt und schließlich gefahrlos fotografiert werden kann. Diese grotesken Szenen inszeniert Hans-Christian Hauser am besten. Zuvor ist der Knall des Geschosses aufgrund der anrückenden Polizei nicht zu hören. Ungeheuer motorisch und auch neurotisch wirkt hier die Regie. Nuancenreich herausgearbeitet ist zudem das Erscheinen der von Anna Semenow und Elsa Kodeda wirkungsvoll gemimten falschen Angele I und Angele II, die den Zar fast um den Verstand und aus dem seelischen Gleichgewicht bringen. Unschuld und Verdrängung sowie erotisches Verlangen werden hierbei auf die Spitze getrieben, was sich auch in den halsbrecherischen kontrapunktischen Satzkünsten der Musik zeigt, die die vorzüglichen Instrumentalisten fiebrig betonen. Deutlich wird ebenso, wie verzweifelt der Zar bemüht ist, seine hohe und mächtige Position abzustreifen. Man erinnert sich bei der echten und falschen Angele an die dämonischen Momente von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Die emanzipierten Frauen behalten ihre Freiheit. Angele und der Zar sind beide geschützt vor Gefahr: „Wie schön sind Sie, Angele!“ Die grotesken Elemente ziehen sich durch die Handlung: ein Zar im privaten Fotoatelier in Paris, das Geschoss im Fotoapparat, Ahnungslosigkeit und Liebeswerben des Zaren. Ein kleines Krokodil unterstreicht weiterhin die scheinbare Gefährlichkeit der Situation. Und der Zar thront schließlich im oberen Stockwerk des Hauses. In weiteren Rollen fesseln durchaus Susanne Wesselsky als der Anführer der Verschwörer, Mirjam Künstner als Boy Angeles und falscher Boy, Myoungcheol Jeon als Gehilfe Angeles und falscher Gehilfe sowie Hyoung-hoon Lee als Begleiter des Zaren. Diese Opera buffa in einem Akt von Georg Kaiser mit der Musik von Kurt Weill op. 21 ist eine sehenswerte Produktion.
 
Alexander Walther

 

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