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STUTTGART/Musikhochschule: FRAUENLIEBE – ein Lied-Projekt mit Szene und Figurentheater

07.01.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

„Frauenliebe“ – ein Lied-Projekt mit Szene und Figurentheater in der Musikhochschule Stuttgart

MIT GROSSEM EINFALLSREICHTUM

„Frauenliebe“ – ein Lied-Projekt mit Szene und Figurentheater in der Stuttgarter Musikhochschule am 7. Januar 2014/

Kein Zweifel, das unsinnige Streichkonzert bei den Musikhochschulen in Baden-Württemberg muss ein Ende haben. Warum wird eigentlich immer in der Sparte „Neues Musiktheater“ gespart? Den besten Gegenbeweis liefern die beiden Professorinnen Angelika Luz und Stephanie Rinke, die es verstehen, die Studentinnen und Studenten einfühlsam anzuleiten und in ihren Leistungen anzuspornen. Dies kann man beim Lied-Projekt „Frauenliebe“ nach dem Zyklus von Robert Schumann mit Szene und Figurentheater erleben. In der Intimität des Raumes kann sich das Geschehen auch szenisch plastisch entfalten.

Vokaler Reichtum bis hin zum Belcanto-Ton zeigen sich bei den einfallsreichen Variationen über den berühmten Liederzyklus „Frauenliebe“ von Robert Schumann. Studierende des 1. Jahrgangs im Studiengang Figurentheater an der Musikhochschule Stuttgart entwickeln aus Text und Musik eine weitere bildhafte Ebene, bei der die menschlichen Beziehungen im Mittelpunkt stehen. So entstehen immer wieder musiktheatralische Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart. Studentinnen und Studenten der Musikhochschulen Luzern, Salzburg, Köln und Stuttgart zeigen ihr erstaunliches Können. Gleich bei „3 neue love pop-songs“ („dann aber wieder du“) für Gesangsquartett und Pianisten mit Kassettenrekorder von Ole Hübner demonstrieren Roman Melish (Tenor), Viktoriia Vitrenko (Melodika) und Robert Hagemann (Klavier) gewisse satirische Schärfen. „Seit ich ihn gesehen“ aus Robert Schumanns „Frauenliebe und Leben“ op. 42 gewinnt dank Karline Cirule (Sopran) und Roland Hagemann (Klavier) immer stärkere emotionale Tiefen. „Briefe an…Zwischen den Kaffeehaustischen“ nach Franz Kafka für präpariertes Klavier und Bariton mit Pascal Zurek (Bariton) und Roland Hagemann (Klavier) mit den gehauchten und gepfiffenen Passagen des Sängers prägen sich ein. Semi Kim, Olga Polyakova, Viktoriia Vitrenko (Sopran) und Armine Ghukasyan (Mezzosopran) bewegen sich bei Alexander L. Bauerslunacy and its consequences“ für vier Frauenstimmen fast schon auf sphärenhaften Ebenen. Vibratolos verdichten sich hier die Klänge ins Zentrum der Tonhöhe. Auch Daniela Achermanns „Zu gut, um wahr zu sein“ gewinnt dank Viktoriia Vitrenko (Sopran) und Roland Hagemann (Klavier) eine immer größere Intensität. Akustische Fetzen aus der heutigen Technikwelt unterstreichen die rhythmisch-gestischen Fragmente. „Gleich den Göttern“ von Michele Leisibach mit Armine Ghukasyan (Mezzosopran) und Bohyun Kim (Klavier) wird zur eindringlichen Klang-Geräusch-Modulation. Das Klavier ist mit Knetgummi präpariert, der Mezzosopran besitzt unbestimmte Tonhöhen. Man spürt auch die Zwölftonreihe. Einen starken Eindruck hinterlässt auch „Donec gratus eram tibi“ von Asija Ahmetzanova mit Armine Ghukasyan (Mezzosopran) und Bohyun Kim (Klavier). Das wiederkehrende Glockenmotiv des Klaviers verleiht der Komposition beschwörenden Charakter. Gefallen findet der frei deklamierte, psalmodierende Vortrag der Sängerin. „Männerliebe“ für Klavier von Sara Wüest mit Roland Hagemann (Klavier) wird von einem sitzenden und kräftig applaudierenden Publikum begleitet. Dadurch entsteht eine facettenreiche Konzerthausatmosphäre. Bemerkenswert ist hier die gut akzentuierte dynamische Kontrastierung  von Passagen in höchster Lage. „Frauenliebe und -hass“ nach Franz Kafka von Stefanie Erni mit Marius Schötz (Bariton), Viktoriia Vitrenko (Sopran und  Musikdose) sowie Bohyun Kim (Klavier) elektrisiert die Zuhörer ebenfalls. Das ostinat wiederholte, rhythmisch-aggressive Motiv unterstreicht die Figur des 16jährigen Karl Roßmann, der in Kafkas Erzählung „Der Heizer“ ein Dienstmädchen verführt. Und immer stärker verdichten sich die szenischen Momente und beklemmenden Situationen. Dies gilt auch für Valentin ObersonsLe senti…ment!“ mit Viktoriia Vitrenko (Sopran), Roman Melish (Tenor) und Marius Schötz (Bariton). Bei dieser harmonisch aufregenden Liebesgeschichte streiten sich Ehefrau, Ehemann und Liebhaber. Ein Röcheln beendet dann diesen grotesken Gesang im buffonesken Intermezzo. „In tiefer Nacht“ von Yen-Ning Chiu mit Yosuke Asano (Tenor) und Bohyun Kim (Klavier) fesseln die Zuhörer. In impressionistischen Akkordschichten wird die verhängnisvolle Selbsttäuschung einer Frau beschrieben. Franz Kafkas Gedicht übt auch hier eine magische Anziehungskraft aus. Eine wertvolle Komposition ist außerdem „Zori“ („Morgendämmerung“) des jungen Rumänen Victor Alexandru Coltea mit Semi Kim, Olga Polyakova (Sopran), Roland Hagemann, Bohyun Kim (Klavier) und Cornelis Witthoefft (musikalische Leitung). Es geht dabei um eindringliche Begräbnisgesänge für unverheiratete junge Männer und Frauen. Das Ganze besitzt eine fast schon unheimliche klangmagische Wirkungskraft. Insbesondere die Lichteffekte unterstreichen das harmonisch vielschichtige Geschehen sehr spannungsvoll. Die szenisch dargestellte Wohnhausatmosphäre wird immer wieder überraschend aufgebrochen. Unwirkliches und Gespenstisches stehen dicht nebeneinander.

Fazit: So kann man romantischen Kompositionen einen „modernen“ Stempel aufdrücken, ohne sie zu verfälschen. Das Publikum war beeindruckt.

 Alexander Walther   

 

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