Stuttgarter Ballett: „TANZ // TOENE“ 19.2.2013 – Von der Nacht zum Licht
Edward Clugs zwischen Spitzenbalancen und reichlich Bodenverhaftung mäanderndes „Ssss“ greift die von Glenn Prince wieder leicht hingetupften fünf Chopin-Préludes nicht als Stimmungsträger auf, die Choreographie wirft vielmehr einen Blick zwischen die Noten und fördert dabei so manch Unterschwelliges zutage, das hinter der rein musikalischen Poesie auf Anhieb gar nicht zu vermuten ist. Das anlässlich der jetzigen Neueinstudierung hinzu entworfene Eröffnungs-Solo hat jetzt Daniel Camargo übernommen. Wo der Brasilianer sonst mit spektakulärer Bravour und charmantem Spiel einheizt, zeigt er sich hier auch in der Introvertiertheit eines ganz in sich Versunkenen auf dem Weg zu einer reifenden Persönlichkeit. Noch nicht lückenlos gelingt ihm dieses Eintauchen und Versenken in einen anderen Zustand, aber dennoch auf schon sehr ansprechend eindringliche Art. Jeder in dem folgenden Ineinander-Übergreifen von Pas de deux und Pas de trois bringt eine eigene Farbe mit ein: Myriam Simon ist die ganz in sich ruhende hochgespannte Kraft, Rachele Buriassi lässt eine Spur von Lakonie durchscheinen, Miriam Kacerova bietet trockene Coolness. Während Brent Parolin relativ neutral auf seine Prägnanz konzentriert bleibt, überrascht David Moore mit einem Schuß Exzentrik in der Hektik seiner Bewegungen.
Vielversprechender Nachwuchs mit gestandener Ballerina – Constantine Allen und Maria Eichwald in „Slice to sharp“. Copyright: Stuttgarter Ballett
Alle Reibung die sich in diesen Konstellationen zwischen Choreographie und Musik einstellt, ist bei Jorma Elos „SLICE TO SHARP“ verflogen. Jetzt geht es um den Reiz des aus der Musik (verschiedene Violinkonzert-Sätze von Vivaldi und Biber – diesmal tonsauber gespielt von Jewgenj Schuk und Gustavo Surgik) in das Schrittmaterial übertragenen Temperaments bzw. Feingefühls. Wie Elisa Badenes und Arman Zazyan neoklassisches Vokabular mit Schmackes, technischer Brillanz und augenzwinkerndem Vergnügen aufladen, ist an mitreißendem Esprit kaum zu überbieten. Maria Eichwalds gestandene Ballerinen-Präsenz und Bombensicherheit in allem was sie tut und Jason Reillys sensible Partner-Handhabung bilden dazu den Kontrast getragen schöner, teils schwebender Linien. Irgendwo dazwischen in diesen auch mal wechselnden Zweier-Konstellationen und Gruppen-Vereinigungen liegen die anderen: Alessandra Tognolonis und Miriam Kacerovas Ausgewogenheit zwischen Präzision und Lockerheit, Filip Barankiewiczs unaufdringliche Verbindung aus Perfektion und Gelassenheit und Constantine Allen, der es verdient hat anlässlich seiner ersten solistischen Rolle (und das gleich in der ersten Spielzeit) extra hervorgehoben zu werden, denn mit geschmeidigem Bewegungsduktus und weich harmonischen Drehungen muss der Corps de ballet-Tänzer, der erstmals im Januar bei zwei Beiträgen Junger Choreographen herausgestochen war, neben all den erfahrenen und reiferen Kollegen keineswegs zurück stehen. Von dem großen dunkelhaarigen Amerikaner mit sofort einnehmender Ausstrahlung dürfte in der Zukunft noch einiges zu erwarten sein.
Verschobene Akzente durch weibliche Besetzung – Alicia Amatriain in Béjarts „Bolero“. Copyright: Stuttgarter Ballett
Was die Zuschauer von Alicia Amatriain in Béjarts unverwüstlichem „BOLERO“ zu erwarten hatten, war indes klar: die Aura einer asketischen Tänzerin, die all ihre Biegsamkeit in die auf dem engen Raum eines größeren runden roten Tisches zu steuernden melodischen Variationen investiert. Wie eine unnahbare Tempeltänzerin weiß sie nicht nur die Faszination der sie umgebenden und den Rhythmus übernehmenden 40 Herren zu entfachen. Bis zu einem gewissen Grad schafft sie es eine Spannungskurve aufzubauen. Gegen Ende, wenn die Bewegungen ausgreifender und die musikalischen Farben schillernder werden, flacht dieser Bogen erstaunlicherweise ab und vermag nicht mehr der zunehmenden Unbändigkeit zu folgen. Vielleicht liegt dieser letzte ekstatische Kick doch mehr im auch kräftebedingten Möglichkeitsbereich maskuliner Interpreten. Dennoch eine nicht zu unterschätzende Besetzungs-Alternative, die letztlich mit der gewohnten Vehemenz und Ausdauer gefeiert wurde.
Udo Klebes